Archiv für den Monat: August 2013

13.08. Aufbruch zu den Eidgenossen

Fast den ganzen Tag „krampfen“, wie der Schweizer sagt, fast 14 Tage krank dann verdunkelt sich der Himmel und es regnet. Wir fahren S-Bahn Richtung Flughafen. Die Gepäckkontrolle in Hannover kennt mich schon. Während der Mann am Einlass mein Quark-Hütchen kritisch beäugt, mache ich es ab und lass es durch den Scanner fahren. Mein Plastikschmuck piept nicht und ich bekomme einen Daumen nach oben vom Personal für die Vorstellung. Das Hütchen hatte schon beim Türken an der Ecke für Aufsehen gesorgt (was durchaus ungewöhnlich ist, weil sich hier sonst keiner hinterm Ofen hervorlocken lässt). Was da drin sei. Ich sage Quark aus der Schweiz. „Zaziki, ne?“ kommt die Antwort. Das ist schon ganz gut, das sind schon 9 von 10 Punkten. Im Duty Free Shop gibt es nur Lächerlichkeiten in Hannover (Weißwurstset in einer Dose!!).

Hannover Maschsee WerbungDSC00020

Wir fliegen Swiss. Eines muss man zu Protokoll geben, das leckere Essen bei den Schweizern merkt man schon im Flieger. Im Boardmagazin lese ich was Schweizer Gruyère (Werbung für Schweizer Käse) und daneben steht: Auch hier an Bord. Da freut man sich auf den Imbiss und zwar zu Recht. Bei Air Berlin gibt es Wasa-Sondermüll mit irgendwelchen „Tomaten“- Füllungen, unessbares Plastikessen. Hier gibt es kleine Baguettes mit Käse oder Vollkorn mit Schinken (auch lecker). Positiv fällt weiterhin auf, dass sie nicht in Tonnenweise Plastikmüll eingeschweißt sind, sondern einfach in einer Serviette eingewickelt und so auf die Hand serviert werden aus einem Karton. Dann gibt es Schweizer Schoggi. Die Stewardessen verteilen die restlichen Brote und bieten den Rest an, der sonst im Müll landet, auch ein sympathischer Zug. Stephan fragt nach der Schokolade. Die Antwort kommt prompt. Dazu müsse er noch ein Brot nehmen. Das ist kein Thema. Dafür soll er ruhig 2 Schokoladen nehmen. Ich sage: bettelt meiner wieder? Im Boardmagazin wird weiterhin für Chicago geworben. Drittgrößte Stadt der USA und Lake Michigan 5 größter See der Welt, größer als die Fläche der Schweiz. Werbung wirkt bei mir. Ich will da mal hinfliegen und schneide gleich Restaurantempfehlungen aus. Vietnamese Sandwichs und Deli mit Bakery. Neben uns in der Dreierreihe sitzt ein gut aussehender Schweizer Geschäftsmann mit schöner Brille, aber ich weiß, wie man sich sexy verhält als Frau z.B. 60 Kilometer vor der Landung beim Anblick eines Sees sagen: das ist der Zürich-See. Ich merke, dass er sich kaum beherrschen kann und in der Tat werden wir aufgeklärt Bodensee, Rhein, Rheinfall, Schaffhausen. Den Zürichsee zeigt er mir auch noch. Der ist hinter den Hügeln versteckt beim Landeanflug. Ich sage: „und das sind die Alpen, ne?“ und er gibt mir Recht: Ausläufer der Alpen und dann sage ich: Berge sind schön und gut, aber wahnsinnig unpraktisch zum Rad fahren. Auch diese Bemerkung verfehlt ihre Wirkung nicht. Daneben kann ich nicht widerstehen den spektakulären Himmel zu fotographieren mit dem Handy und frage mich laut, ob das ein elektronisches Gerät ist und ich das überhaupt darf von wegen: noch ein Foto und dann ist gut nicht, dass wir wegen mir abschmieren.

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Als mir der Zürichsee vom Nachbarn gezeigt wird bzw. die Lage erklärt, weil sehen kann man ihn, höchstens erahnen, erklärt er mir zugleich, dass wir einen Umweg fliegen müssen, weil die Deutschen, die dort wohnen sich über den Fluglärm beklagen. Ich sage, welche Deutsche? Das ist total unbewohnt auf deutscher Seite, das Gebiet. Das würden die Schweizer auch sagen, sagt meine Schwägerin und heute (21.08.) ist es in der Taz zu lesen: „Prosteste: Alles alte Egoisten? Was ein Gießener Forscher im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft über Flughafengegner herausgefnden haben will.“

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Nach der Landung erst mal auf die Damentoilette rennen und leckeres Schweizer Leitungswasser zapfen und die herrliche Werbung bewundern.

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Meine Schwägerin steht hinter der Glastür. Neben ihr ein sympathischer Kerl, den ich gleich mitnehmen will zum Essen und meiner Schwägerin quasi als Schweizer Blinddate auf’s Auge drücken, der sein Patenkind abholt, wie sich herausstellt, die von einer Flughafenmitarbeiterin auf einem kleinen Auto gefahren wird. Wir vertreiben uns mit Geldscheinen durch die Glasscheibe schieben die Zeit bis zur Ankunft des Gepäcks. Sowohl Schweizer Franken als auch Euros passen durch und es sieht lustig aus, wie ein gläserner ATM.

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Meine Schwägerin kauft uns 24 Stunden Tickets und wir steigen in die Bahn. Neben uns ein Schweizer Geschäftsmann (Bereich Fotographie, wie er auf Nachfrage angibt) der sich mit einem unterarmtätowierten stämmigen Mann unterhält, der gezeichnet ist von 3 x wöchentlich Blutwäsche (dicke Beulen am kräftigen Unterarm) und auch Gesprächsbedarf hat. Er hat als Straßenbahnfahrer gearbeitet.

Wir gehen ins Volkshaus und ich bin überglücklich. Herrlich die großen runden Fenster zum Platz. Oben kann man ein Bad mieten, wie im Haus des Tak früher, öffentliche Badeanstalt. Unten pelzige, gestreifte Tapeten und Séparées, die den Raum unterteilen und hinreißende, zierliche Bedienungen in Retro-Klamotten. Schwarze kurze Kleider mit schönen Knöpfen und weißen Schürzen. Unsere sieht aus wie eine sehr zierliche Italienerin. Wir trinken einen Aperitif, der schon halbwegs blau macht und eine Flasche Wein mit dem schönsten Nostalgieetikett. Das Essen ist super und preiswert für Züricher Verhältnisse. Die Peperoni (das sind Paprika)-Himbeer Kaltschale, die Stephan als Vorspeise wählt, ist ein Gedicht und kostet nur 10 Franken. Auch mein Lattichsalat mit Sardellendressing und Parmesan (sonst auf der Welt bekannt unter dem Namen Caesar’s Salad) mit Pouletstreifen schmeckt traumhaft. Ich denke erst an die TCM Empfehlungen von wegen warmes Getreide zum Frühstück und warme Suppe abends, aber entscheide mich dann für den bösen, kalten Salat, weil ich nicht widerstehen kann und Poulet in der Schweiz einfach viel leckerer schmeckt als die Fabrikgeflügel, die wir hier vorgesetzt bekommen und es lohnt sich. Auch Kathrins Vorspeise, der geräucherte Saibling mit Rahm-Gurkensalat sowie mein Lachstatar mit Toast und Schweizer Butter, alles lecker. Ich bin glücklich.

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Auch der Nachtisch, speziell die Cantuccini zu der Ricottacreme sind superlecker. Die hat einer selbstgemacht, wenn nicht das Volkshaus, dann doch eine Konditorei und es löst die reinsten Cantuccini-Fixiertheit bei mir aus und selbst in St- Gallen kaufe ist noch welche bei Gschwend (einer Konditorei am Markt).

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Meine Schwägerin insistiert darauf, dass es für mich, dann für mein Tagebuch, wo ich mich ständig daran erfreue, abgemacht wird von unserer Bedienung, was sie dann auch erledigt.

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Auch die Toiletten sind ein Traum, die Fliesen sind superschön und die Waschbecken sowie der Weg dorthin, eine Gummizelle aus kariertem Wollstoff. Ich finde es herrlich und irgendwie sehr stillvoll, fast schottisch anmutend. ich mag auch das herrliche Logo des Volkshauses mit dem trotzigen Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen und die hölzerne Kinderstühle, leicht Adams Family. Alles ist stimmig.

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Gegenüber ist ein Schulhof, in dem Openair Kino gezeigt wird am Wochenende und der sonst als Biergarten fungiert mit Bäumen und Kies. Samstag ist hier Flohmarkt. Wir nehmen einen Absacker. Es sind lustige alte Hunde im Schulhof ohne Leine unterwegs und lässige Betreiber, die Getränkekarte kann sich sehen lassen. Ein Typ setzt sich neben mich auf die Bank und meint,  Ausländer? und ich sage Touristen mit Fingerzeig auf die beiden riesigen Koffer, die vor mir stehen. Ich frage ihn, ob die stören. Er verneint und fragt: Hotel? Nein, wir sind schon versorgt. Dann schaltet er sein Handy auf laut und beschallt uns alle mit „She’s gonna like, she’s gonna like, she’s gonna like…cocaine.“  Bald fahren wir zu unserer Gästeunterkunft, wo die Betten schon gemacht sind. Ich lege mich schlafen und freue mich hier zu sein.

13.08. Vor der Abreise

13 Uhr. Der ganz schwierige wöchentliche Besuch ist am Telefon. Eine Mischung aus Elisabeth Taylor, aber in alt und Dieter Degowksi. Sie ist heute um 15 Uhr bei mir angemeldet. Es ist 13 Uhr. Das Telefon klingelt und sie sagt: „Frau Arnhold ich bin hier gerade bei der Spritze, der I N J E K T I O N und da sagt man mir, dass ich eine halbe oder Dreiviertelstunde warten muss. Dann heißt es eine Stunde. Was soll ich tun?“ Meine Antwort: warten. Sie: „O.k. dann bis nachher um 3“. Boah, das war knapp, aber Furchtlosigkeit ist das einzige was hilft.

Sie sieht den Mitarbeiter und will schon abdrehen im Treppenhaus und schaut ganz grimmig. Dann komme ich an die Tür und sie strahlt und läuft auf mich zu. Ich frage nach der Spritze und sie zeigt mir ihr Pflaster am Oberarm. Sie ist jetzt bei der Bethlehemkirche in Herrenhausen. Die sind alle voll nett. Sie war heute ihre geschenkte Tasse abholen aus dem Spint und hat den Schlüssel zurück gegeben und sich das Pfand geben lassen, weil sie da nicht mehr hin gehen will, weil da sind lauter „iranische Powerfrauen, die kochen lernen wollen“ (gemeint war einer der Sozialläden für Frauen). Der Bruder hat neue Freundin mit dünnen Beinen, der macht zu viel Bodybuilding und sieht ganz aufgebläht aus. Das gefällt ihr nicht. Außerdem hat er ihre Kette, die 300,- € gekostet hat und will sie nicht wieder rausgeben. Sie schaut jetzt immer schon, ob „sie“ die Kette umhat und fragt sich, was sie Weihnachten machen wird, geht sie dort hin d.h. zu ihrer Familie, wird sie vielleicht die Freundin anmachen, die wird heulen und ihr „leiblicher Vater wird ihr eine knallen oder sie rausschmeißen“. Er will sie an die Volksmudschaheddin geben. Die Freundin vom Bruder hat ein Fahrrad mit dem gleichen roten Rahmen wie ihres, an die gleiche Laterne gestellt, sie will sie nachmachen. Sie will die Mutter Weihnachten nicht allein lassen oder die Katze nicht. Der könnte sie einen Fisch kaufen. Sie will zur Massage und sich die Beine locken lassen. Sie war jetzt bei der Kopfmassage für 6,- € bei den Trionauten hat sie das machen lassen. Erst war das Wasser ganz heiß, das war nicht so schön. Sie will heute den 50,- € Schein, der hält länger, da muss sie nicht zu ihrer Mutter und nach Geld fragen und die Farbe gefällt ihr besser. Vor blau hat sie eher Angst. Sie bekommt mit, wie ich mit einer Kollegin telefoniere und der sage, dass wir keine Rechtsstreitigkeiten vor dem Amtsgericht Braunschweig führen bei einem Streitwert von 50,- € wegen Mitgliedsbeiträge für den Mieterschutzbund und meine ist nicht prozessfähig und wenn sie da jetzt eine utopische Widerklage einreicht mit einem Wahnsinnstreitwert und ihr Geld nicht bekommt, dann habe ich kein Mitleid, weil die Betreuung war bekannt bei ihr im Hause und da muss man überlegen, was für Mandate man annimmt. Apropos Mieterschutzbund meine hat ein Werbeprospekt in DIN-A4 von genau denen dabei und zeigt mir den im Anschluss an mein Gespräch und will wissen, ob sie da Mitglied werden soll. Ich sage, bloß nicht, haben sie doch gerade gehört. Sie haben doch mich. Ja, das hätten die vom Mieterschutzbund ihr auch gesagt. Bevor sie geht drückt sie mir eine Plastiktüte in die Hand. Das sei ein Geschenk, was ich hinstellen kann. Ich sage, ich will es nicht, der Mutter schenken, wieder mitnehmen. Keine Chance. Es ist ein kleines Plastikgebäude, wie für ein Aquarium oder Spielzeugeisenbahndeko, schlecht gearbeitet ohne Ende. Man soll es aber offenkundig nicht im Aquarium versunken, sondern tatsächlich aufstellen, weil es einen Untergrund aus grünem Filz hat. Sie fragt mich: haben Sie es nicht erkannt? Es ist das Opernhaus, aber in hässlich, aber wie. Hannover steht davor auf den Sockel geschrieben.

Hannovers Plastik Oper

Bevor ich mein Büro schließe darf ich noch einen sehr wütenden Türken am Telefon besänftigen, dem ich ein Fax geschickt habe auf meinem Briefpapier, weil der Ausweis von Stephan nicht an Land kommt und der Typ telefonisch nicht mehr zu erreichen war und auch nicht – wie zugesagt – zurück gerufen hat und ich sagte: der verarscht Dich. Der aufgebrachte Türke: Mein Mandant (Stephan) wäre ein 46-jähriges Kind, was seinen Ausweis unter der Werbung auf dem Tresen liegen gelassen habe (Anm.: das schließe ich aus und ich kenn das Kind seit über 25 Jahren) und sage, eher im Kopierer oder und jetzt wäre er so nett gewesen, den zu schicken und jetzt hat das nicht geklappt und er hat die Post zurück bekommen, aber Fehler hat er auch keinen gemacht und jetzt ist er sauer, weil er ein Drohfax bekommt und Kundschaft hat und bringt den Ausweis zur Polizeidienststelle, welche weiß er noch nicht. Ständig werden Ausweise dort liegen gelassen (!!??) und die kommen sogar in Korea an und man bedankt sich und jetzt der anwaltliche Drohbrief. Eine Frechheit. So nett hat man sich über das Abnehmen unterhalten. Er erinnert sich noch. Ich sage, das klingt nun auch nicht sonderlich erwachsen, seine Reaktion und was haben deutschen Ordnungsbehörden damit zu tun, wenn er seinen Bürokram nicht auf die Reihe kriegt und nicht zusieht, dass er Ausweise wieder zurück gibt nach dem Kopieren, wenn das ständig passiert würde ich mir da an seiner Stelle Gedanken drüber machen. Ich einige mich darauf, dass ich ihm jetzt einen frankierten Rückumschlag schicke und er ihn nur noch rein machen muss. Uuh, da können wir die Fahrradleihe wohl vergessen wenn wir mal wieder in der Hauptstadt sind. Zum Glück gibt es noch mehr Spätkäufe von denen man Drahtesel leihen kann. Stephan hat ohnehin Knieschmerzen, weil der Sattel falsch eingestellt war.

Mal sehen, ob nach der Reise der Ausweis wieder in unserer Obhut ist. Zum Glück hat das Kind noch einen Pass.

Die Kriegserlebnisse

Ein Freund, der gerade gesundheitliche Probleme hat und mich nach dem Arzt gefragt hat, der mir damals geholfen hat, löst ein Déjà-Vu bei mir aus. Ich hatte die Tage schon daran denken müssen, weil damals auch mein Geruchssinn abhanden gekommen war und auch ca. 2 Jahre weg blieb bis er zum Glück wieder kam. Die jetzige Erkältung hat bei mir alles so verstopft, dass ich panisch die Seife direkt unter meine Nase halte um zu prüfen, ob ich was feststellen kann und ja, ganz schwach merke ich was, also nicht ganz weg. Nicht wie damals, da habe ich Stuhlgang und Parfum nicht riechen können und zwar null und habe dann gemerkt, dass dieser Sinn sich wohl verabschiedet hat. Als Stephan mich mit Transpulmin einreibt und ich das irgendwie nicht richtig rieche, denke ich an damals.

Damals war ich in der Probezeit in einer Hamburger Großkanzlei. Ich fühlte mich wahnsinnig unfit und musste immer so schnell ich konnte laufen um mit den Kollegen mitzuhalten auf dem Weg in die Gruner und Jahr Kantine nebenan und hatte Wadenschmerzen. Ich dachte, Bürojob und jetzt bist Du so unfit…. Ich hatte eine Grippe und Fieber und habe nur an den Wochenenden krank gemacht und bin sonst zur Arbeit. Jede Nacht geschwitzt, immer abends um 8 Uhr ins Bett. Ich konnte dann die Strumpfhose morgens nicht mehr im Stehen anziehen, sonst musste mich auf die Bettkante setzen und musste an der Ampelschaltung Schlump z.B. warten, wenn die Ampelphase schon auf grün war, weil ich wusste, dass ich das nicht schaffen würde (das war deprimierend) und Treppen steigen konnte ich auch nicht mehr und habe mich an den Armen am Geländer hochzuzogen. Ganz schön traurig, aber viel Verdrängung war im Spiel. Ich war am Wochenende des 1. Mai in Hannover und konnte nicht mehr. Montag bin ich zum Hausarzt und der meinte gleich, es sei was Neurologisches. Es war eine Lähmung der großen Beinmuskeln, deswegen hatte ich auch Muskelkater in den Waden, weil die das mit übernehmen mussten beim Gehen. Es folgte Krankenhausaufenthalt und viel Diagnostik. Die Lumbalpunktion lief so ab, dass der erste Arzt es nicht hinbekommen hat und es sich anfühlte als würde einen jemand in den Rücken stechen (was ja auch passiert), aber eher so mit einem Dolch, wie im Krimi. Der setzte noch mal an ohne Ergebnis. Der jungen Frau ist es dann gleich gelungen. Es folgten Tage der Hölle, weil einem leider keiner sagt, was das für Kopfschmerzen macht. Man liegt flach auf der Matratze und beobachtet die eigenen Haare, wie sie auf dem Kopfkissen liegen. Ich habe anschließend Bilder gemalt, die aussehen sollten wie Komikbakterien mit Haaren  unter der Abdeckplatte unter dem Mikroskop, wenn die so platt gedrückt werden, weil so fühlte sich das an. Sie sahen vielleicht ein bisschen so aus wie Babamama und Babapapa. Ich habe viel getuscht als die Kopfschmerzphase vorbei war und das haben die auch in meine Akte reingeschrieben. „Patientin geht es gut, sie bastelt“. Die Lähmung ging weg, weil ich an einen begnadeten Arzt geraten bin, der nach einer halben Stunde mit Infusionen begonnen hat, wo ich zuvor 2 Wochen im Nordstadtkrankenhaus gequält wurde. Ich sage nur Nervenleitgeschwindigkeit messen mit Nadeln in den Beinen, an denen gerührt wird während sie im Fleisch stecken. Die Räume sind im Keller, damit man die Schreie nicht hört. Ich bin gegangen, als man im Nordstadtkrankenhaus meine Blase spiegeln wollte (das Sammeln meines Urins und Untersuchung war ohne Befund), weil ich bemerkt hatte, dass ich immer aufs Klo muss, wenn ich mich hinlege, auch nur kurze Zeit z.B. beim Mittagschlaf. Mein Bruder studierte damals noch Medizin und sagte, wenn die Beine gelähmt sind, wird die Flüssigkeit nicht richtig abtransportiert und wenn man liegt, fließt sie in den Körper und dann in die Blase und man muss aufs Klo. Das leuchtete ein und ich dachte, wenn die geballte Krankenhauskompetenz da nicht drauf kommt, dann können die mich mal. Der niedergelassene Arzt hatte modernere Geräte als das Krankenhaus (was mir sehr zu denken gab) und musste lachen als ich beim Wort Nervenleitgeschwindigkeit messen panisch guckte, weil das hier schmerzfrei mit Elektroden von statten ging. Jede Infusion hat so viel gekostet wie ein Kleinwagen und es war eine durchsichtige, klebrige Flüssigkeit, die aus Blutspenden, ich meine dem Plasma gewonnen wird. Man hat sich total fit gefühlt danach und brauchte nur 3 Stunden Schlaf. Die allerbeste Droge, die ich je genommen habe. Ich konnte auch bald wieder alles, z.B. den Fuß heben und auch wieder gehen und Radfahren und nicht nur auf dem Rad geschoben werden (cooler als Rollstuhl).

Ohne Geruch war das auch ganz schön doof, weil ich nicht feststellen konnte, dass ich die Heißklebepistole noch eingesteckt war (das riecht man sonst). Ich hätte immer ganz schön viel vorgetäuscht beim Essen gehen, wie meine Freundin Claudia meinte, weil die Aromen sind ja alle weg, d.h. ob Zimteis oder Vanille, das schmeckt man nicht, nur süß. Ich habe gesagt, war nicht vorgetäuscht, ich bin halt so schlicht gestrickt, dass mir das Essen trotz der Einschränkungen so gefällt und das ist auch heute noch so, d.h. ich kann mich in Essen reinsteigern und es macht mir Spaß, ohne dass ich nun dieser begnadete Schmecker wäre, der alles raus schmecken und riechen kann. Darauf kommt es offenbar beim Vergnügen nur zum Teil an. Dass die Aromen zurück gekommen sind, zumindest so wie das bei mir halt ist, dafür bin ich unendlich dankbar, weil ich mag Vanillegeschmack viel mehr als nur süß. Ich hatte Glück, weil die Prognose eher negativ war, dass es meistens dann ganz weg bleibt.

So Kinder und nächstes Mal erzählt die Mutti eine andere Kriegsgeschichte vom perforierten Blinddarm und den Komplikationen und dem echten Krankenhaushorror, der sich über einen Monat hinzog. Hier hätten sie mich fast um die Ecke gebracht. Immer wieder aus der Notaufnahme weggeschickt und dann Not-OP. Das hat auch Schmerzensgeld gebracht und ich weiß seitdem, dass ich ganz schön hart im Nehmen bin. Nach der zweiten Notfalloperation sagte der Chefarzt, „ein Normaler wäre auf der Intensivstation gelandet“ und ich habe mir noch vorgeworfen, dass mir leicht übel war nachts nach der Narkose. Wie ein Stück Vieh wurde man von einem Metallbett aufs andere verladen, schemenhafte Wahrnehmung, weil noch halb in der Narkose. Da haben sie damals den Herzkatheter überprüft durch Röntgen, ob der richtig sitzt. Dass der so lang ist und wirklich bis zum Vorhof des Herzens geschoben wird, wusste ich erst, als ich beim Ziehen sagte, dass ich den gerne mitnehmen würde und die Schwester meinte, dass sie nicht wisse, ob sie so eine große Tüte da hätte!!?? Panik, aber dann war es ja auch schon vorbei, aber das ist eine andere Geschichte.

Ich fühle mich auf jeden Fall schon besser, wenn ich mir vor Augen führe, was alles schon war und was ich überstanden habe, dann ist so eine kleine Sommergrippe, doch nur lästig, wie ein Mückenstich.

Frau C. in Höchstform

12.08. Ich noch leicht angeschlagen kommt mir keuchend und strahlend Frau C entgegen. Die Straßenbahn sei zu weit gefahren. So sei das immer und dann war Justiz ausgeschildert da hat sie gedacht, ohweia, hier ist sie ja ganz verkehrt und nicht, dass sie zu spät kommt und dann hat sie sich verknotet und ist hier einmal um die Pudding gelaufen und hoffentlich kein Giftdoktor. Da hat sie Angst, die haben so viel seelischen Schaden bei ihr schon angerichtet. Ich sage, es wird alles gut. Die eine Freundin in der Maßnahme hat ihr schon Angst gemacht, dass die ihr den Schwerbehindertenausweis gleich wegnehmen. Das dürfen die doch nicht, der? Sie hat den extra verlängern lassen bis Januar 2014. Die Freundin hat gesagt, sie nehmen ihr den weg, weil sie keine Psychologin mehr hat. Aber die Gute hat ja aufgehört und deswegen geht sie nicht mehr. Heute Nachmittag kommt die neue Frau vom ambulant betreuten Wohnen und fährt mit ihr einkaufen. Dann macht sie zwei Stunden. Das ist dann Notfall, Großeinkauf für den ganzen Monat. Das schafft sie nicht, die 35 Stufen hoch und dann wollen sie freizeitmäßig ins Grüne fahren, das was die andere Betreuerin ihr gezeigt hat. Da wo es nicht so gefährlich ist. Diese Scheißlastwagenfahrerarschlöcher die drängen sich auf den Radweg, obwohl sie das nicht dürfen. Das hat sie neulich gesehen, wie so einer mit einem Lastwagen und einem Anhänger so einen Kreis fährt (sie malt die Bewegung in der Luft) und sich dann mitten auf den Radweg stellt und den blockiert, wie Tier. Sie ist dann vom Rad abgestiegen und war voll enttäuscht und hat das Rad wieder nach Hause geschoben und hat den Ausflug abgebrochen. Schlimm ist das. Und die Ärztin in soundso (auf dem Land, damals), die wollte umbringen. Die gute Ärztin hat dann gesagt, das Tavor nicht nehmen, ist ganz gefährliches Zeug, lieber in der Apotheke abgehen und dann hat die ihr Zeldox verschrieben, die sie umbringen wollte und sie ist fast verhungert. Die ganzen Lebensmittel sind schlecht geworden im Kühlschank und sie immer dünner, Pappgeschmack im Mund. Das darf man den dicken Kranken verschreiben, aber nicht uns Dünnen, resümiert sie weiter. Hausärzte kann man auch vergessen, die haben alle nicht dieses wichtige Dings, mit dem man innen rein gucken kann in den Körper, was da los ist. Sie macht eine Rasierbewegung in Höhe der Schilddrüse. Ultraschall fällt ihr ein. Das ist ganz wichtig, wenn mal was ist, dann muss man reinschauen können, was da innen drin los ist, sonst kann man gar nichts machen.

Waterloosäule

Irgendwann kommt ein körperbehinderter Arzt und wir folgen ihm den Gang entlang. Es sieht aus wie zu Zeiten der Bezirksregierung. Ich sage, die reinste Gemäldegalerie als wir an den verschiedenen gerahmten Hafeneinfahrten und Blumen in der Vase vorbei laufen. Er bittet mich vor der Tür Platz zu nehmen und will mit meinem Schützling alleine reden. Da freue ich mich schon darauf und lese etwas in einer Modezeitschrift und höre nur Frau C. reden durch die geschlossene Tür ohne Punkt und Komma. Igrendwann nach ein paar Minuten geht die Tür auf, sie strahlt mich an, dass ich jetzt auch rein kommen darf. Dann geht es um ein paar Zahlen und Daten. Ich mache den Briefkram, lauter Fremdwörter, da füllt sie sonst was falsch aus. Er fragt nach Therapie und ich sage, ich mache nicht die Gesundheitssorge und habe das Gefühl, dass es mit der Tagesstruktur durch die Tagesstätte und dem ambulant betreuten Wohnen ganz gut klappt. Erst geht es um die Nachbarn. Alles Assoziale, ganz Empelde voll davon. Haben das Motoarrad angezündet um die Versicherungssumme zu kassieren und sie hat die Stichflammen gesehen und davon hat sie das Trauma, alles Alkis und das ganze Drogentheater. Sie kennt das von zuhause. Er sagt, dass der Versicherungsbetrug per se nichts mit der sozialen Schicht zu tun habe. Er verwehrt sich sehr gegen die Anschuldigungen Empelde gegenüber, so dass ich vermuten muss, dass er auch dort wohnt. Dann geht es um Hobbies, Tischtennis spielen auf einer öffentlichen Platte (das kennt der Behördenarzt auch nicht und fragt, wo) oder Tennisfußball, aber jetzt haben sie die Krökelanlage abgebaut. Leider, schade. Da hat sie mal gegen den Chef von der Beratungsstele gespielt 7 zu 10. Sie hat 7 Tore geschafft und der andere 10, war aber schwer so mit beiden Händen (sie zeigt es uns in der Bewegung) oder sie spielt mit der Betreuerin Tennis auf der Wiese mit dem Schaumstoffball. Tennisball ist viel zu gefährlich. Der Schaumstoffball ist weich und nicht so schwer. Sie zeigt ihren Schwerbehindertenausweis vor und den neuen Perso. Der ist toll. Ich bin ja so ne Glittertante und der hat ganz toll Glitzer drauf und der schöne rote Adler und hinten das kleine Bild. Da fallen ihr die Lichterketten ein, die sie im Winter immer an die Tür klebt, weil Wohnung zu klein für Weihnachtsbaum und, dass sie die Glühbirnen bemalt gegen die Winterdepression. Da holt sie Farben, Tauchlack, 6 Stücke. Ein Kumpel hat ihr jetzt auch eine Birne vorbeigebracht zum Bemalen. Der kannte das gar nicht. Schnell nach Hause, Zeitung drunter und dann bemalen. Das ist Lichtherapie. Der Gutachter ist erstaunt, dass sie überhaupt noch Glühbirnen hat und korrigiert sie, dass es keine Lichttherapie sei. Oder wenn sie einen Panikanfall bekommt, dann T-Pumpe rausgeholt und den Ding-Ball, wie im Büro, da wo sie drauf sitzen müssen, aufpumpen und darauf hüpfen, bis es weg geht. Nein, das ist nicht laut, der ist weich. Er hat genug und will uns nun endgültig aus seinem Büro raus haben. Ich sage, jetzt wisse er ja Bescheid, dass sie Glühbirnen bemalt, auch als Auftragsarbeit, wenn da mal Bedarf sei so im tristen Büro. Vorher frage ich ihn, ob er eine Therapieidee habe, weil er es ins Spiel brachte. Die Tagesstuktur und der Sozialpychiatrische Dienst (also das was läuft), mehr würde ihm auch nicht einfallen. Wir ziehen von dannen und Frau C. schaut sich noch mal mein Fahrrad an. Da können wir mal alle zusammen (also zu dritt mit der Wohnbereuung) eine Radtour machen ins Grünzeug, da wo es nicht gefährlich ist und keine Lastwagenfahrerarschlöcher sind. Ja, klar. Machen wir mal. Sie ist glücklich, er war nett und vielleicht bekommt sie einen unbefristeten Ausweis und dann kann sie ermäßigt ins Freibad. Sie strahlt und winkt mit ausgestreckten Armen und sagt, dass ich ihr immer helfe. Ich fahre mit ganz wenig Lungenvolumen wie Oma wieder ins Büro und freue mich über so viel Euphorie.

Haie und Goldfische

Wahrscheinlich machen wir alles falsch, wenn ich mir diese Franzosen auf 3Sat so anhöre, was das Geheimnis einer langfristigen Beziehung sei und wie man dafür sorgt, dass das Feuer nicht ausgeht. Es wird geschwafelt davon die Frau täglich aufs Neue zu erobern oder zu verführen. Genau hinhören was der andere sagt und Begrüßungsrituale, sich Zeit nehmen wenn der andere von der Arbeit nach Hause kommt. Wir sitzen auf dem Sofa und schütteln beide nur den Kopf. Humor hält die Beziehung zusammen, weil den anderen zum Lachen bringen beinhaltet per se einen Überraschungseffekt (mein Argument) und macht sexy, ansonsten eher mal weghören bzw. auf die Tonlage kommt es an, wie bei Tieren, der Text ist unwichtig. Stephan stupst mich immer an und sagt dazu vorwurfsvoll: „hast Du wieder zugehört?“, wenn er mich gerade anfasst und dazu irgendwas redet und ich dann „was?“ frage. Dann muss ich lachen. Die Geschlechtsteile sollten gut harmonieren. Das hatten die Franzosen ganz vergessen, die gerade beim Thema körperliche Liebe sehr verklausuliert sprachen. Ist ja auch egal bzw. vielleicht auch sehr verschieden, wie es funktionieren kann.

09.08. Nach 6 Tagen abends um 20 – 21 Uhr ins Bett gehen, geht mir langsam die Geduld aus. Ich hatte schon eine Weile kein Fieber mehr, kenne mich aber mit krank sein zur Genüge aus. Leider ist es bei mir auch nie so, dass eine Sache, die angefangen hat, einfach so wieder verschwindet, sondern es wird das ganze Programm durchgezogen, von Halsschmerzen über Schnupfen und dann Husten und literweise Schleim an die Oberfläche transportieren. Da ist mein Körper konsequent, nenne ich es mal so. Gestern am späten Nachmittag ist ein Junkie noch unangenehm aggressiv geworden am Telefon, weil er nicht kam und ich nicht mehr im Büro war. Ich hätte ihn nicht angerufen (habe ich doch, aber wäre das nicht sein Part gewesen, weil er doch nicht zur Verabredung kam?). Da muss heute erst mal klar Text gesprochen werden. Der darf ab jetzt seinen Scheck vom Sozialamt abholen oder selber Kontoführungsgebühren zahlen. Die Tour läuft nicht bei mir. Ich muss auch an die Kollegen und Mitarbeiter denken bei so was.

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Der Fleischbilderschreibunterlagenblock auf meinem Schreibtisch geht langsam zur Neige. Die verschiedenen Schinken („Ganzjahresschinken“, „Die österreichischen Schinkenklassiker mit dem AMA-Gütesiegel“), die irgendwie alle gleich aussehen. Ich kann beim Telefonieren darauf herum malen und wenn es zu kricklig ausschaut abreißen und es ist wieder neu. Ich habe das Teil aus einer Vitrine im Café Prückl in Wien (da macht die Chefin Garage Sale) und es handelt sich um ein Werbegeschenk und es war schon recht angegrabbelt, aber die wollten dafür allen Ernstes 5,- € haben. Habe ich gezahlt und das hat sich mehr als gelohnt. Ich weiß gar nicht, was ich mache, wenn ich die letzte Seite abgerissen habe. Vermutlich einen Heulkrampf bekommen.

Pflaumentrauma

Der Sturm hat was ganz fieses mit unserem Zwetschenbaum gemacht und einen großen Ast abgebrochen. Der Baum hat sich aber auch irgendwie übernommen und zu viele Früchte daran versucht auszutragen und da war er wohl zu schwer. Obstbäume müssen nachgeschnitten werden, fällt meinem Mann dazu ein, aber das hilft jetzt auch nicht weiter.

Spinne im Gegenlicht DSC00004

Abends habe ich ein neues Hobby, mein Draußenhaustier. Die Spinne vor dem Küchenfenster kommt raus und setzt sich in ihr Netz und meistens hängen da auch schon ein paar kleine Fruchtfliegen drin. Hinter der Scheibe bin ich mutig und schaue mir das Tierchen an, wie Hannibal Lecter. Ich freue mich vor allem darauf, dass sie jeden Abend so zuverlässig erscheint und ich sie dann sehe. Schönes Ritual und da ich keinen Hund haben darf, ist das eben die Alternative, die sich mir derzeit bietet.

Nächste Woche wird mein kleiner Bruder 40, d.h. ich war sehr lange Einzelkind. So ein Abstand von 6 Jahren fühlt sich im Erwachsenen Alter an wie ein langer Sommer, quasi 7 Hundejahre, 1 Menschenjahr oder so ähnlich. Früher lag ein ganzes Universum in dieser Zeit. Das liegt daran, wie mein Paps immer zu sagen pflegte, dass man mit 18 Jahren emotional schon die Hälfte seines Lebens hinter sich hat. Als meine Mutter entbunden hat, war ich bei der amerikanischen Verwandtschaft geparkt und dann kam der Anruf und ich wurde ans Telefon im Flur geholt: Du hast einen Bruder, sagte meine Mutter mir und weiß noch, dass ich als erstes gesagt habe: ich wollte aber lieber eine Schwester. Nach dem anfänglichen Drall ihn wieder los zu werden und auch dem immer wieder Verwundert sein darüber, warum bei ihm irgendwelche Dinge gelobt werden, die ich schon längst konnte, entwickelte sich eine innige Verbundenheit in der Kindheit und ich bin aufgegangen in der Rolle der großen Schwester, wie ich ihm immer die Welt erklärt habe. Wie die Tiere sind, wobei der große weiße Hai von allen Tieren die meiste Anziehungskraft auf ihn hatte. Die hat er auch sehr viel gemalt mit riesigen Mäulern und ganz großen, dreieckigen Zähnen. Das lag bestimmt an dem ganzen „Jaws“ Fieber der 70er Jahre in Kalifornien. Das ist als Kind auch nicht spurlos an einem vorbei gegangen. Alleine der Bucheinband mit diesem riesigen Hai 50-mal so groß wie die zierliche Frau, die an der Wasseroberfläche darüber krault. Wegen der Hai-Sache wollte ich zu seiner Feier ein Goldfisch-Hütchen tragen. Ich dachte,  das passt irgendwie und mache mir nur Sorgen um nackte Arme, die Temperaturen in der Schweiz und mein Wärmeempfinden mit dieser Krankheit im Nacken. Mein Führertum hat meinen Bruder vielleicht unterdrückt, auf jeden Fall zu einer sprachlichen Hemmung bei ihm geführt. Er hat immer angefangen was zu erzählen und hat dann gesagt: erzähl Du Giga, Du kannst das besser. Lang hatten wir nicht zusammen, da ich mit 17 ausgezogen bin und da war er ja noch recht klein. Dann hatte er ein paar Jahre als Einzelkind, wenn man so will.

Heute kommt eine gute und alte Freundin aus Hamburg zu Besuch. Sie kennt mich gut und weiß, dass ich es hasse wenn man mich während der Arbeit anruft und dann noch auf dem Handy. Sie hat nur nachfragen wollen, ob sie mir was mitbringen kann. Losen Fencheltee aus dem Teegeschäft, was ich selber gar nicht kenne, aber den Tee literweise trinke. Heutzutage muss man ja bei Kräutertees mehr aufpassen als bei Rotwein, quasi gefährlicher. Ja, sie kennt mich gut und fragt auch vorsichtig, ob es mir nicht zu viel wird, ihr Besuch. Ich bin optimistisch, weil ich bei alten Freunden weniger das Höflichkeitsgesicht aufsetzen muss. Wenn Besuch kommt, den ich nicht so kenne, ist es anstrengender, weil ich mir selber mehr abverlange, d.h. aus Höflichkeit sich überfordern und dann doch mit Lungenentzündung in der Klinik landen statt einfach zu sagen, dass man keinen Bock mehr hat. Da bin ich bei diesem Besuch zuversichtlich, weil ich mir mehr Ehrlichkeit zutraue und denke, dann muss sie halt mit meinem Mann vorlieb nehmen. Ist ja auch nicht das Schlechteste. Vielleicht stellt es einen Widerspruch da, dass ich bei fast Fremden bereit bin mich zu verstellen und verbiegen und bei guten Freunden nicht, aber es ist ein Zeichen der Wertschätzung, dass die Maske auch mal fallen gelassen wird, auch wenn es vielleicht schöner gewesen wäre für denjenigen, wenn ich sie aufgelassen hätte….

Das Wochenende fordert noch sehr viel Geduld von mir ab und so richtig viel geht nicht. Freitag mache ich kurz wieder einen Essensgehausflug und sonst: Wohnung, Wohnung, Wohnung. Sonntag klappt das Basteln ganz gut und ich mache eine hübsche Kette für meine Mama.

Salmiakkette Salmiakkette Rückseite

Beide Dosen habe ich in Berlin gekauft. Die Kleine in einem gut sortierten Trödelladen und gleich daran gedacht sie für meine Mama zu einer Kette zu verwandeln. Das ist nämlich ein Insiderwitz zwischen uns mit den Salmiakpastillen. Als Kind waren wir in Travemünde bei meiner Großmutti, ihrer Mutter zu Besuch, die dort 3 Drogerien geführt hat. Da gab es in Gläsern diese schwarzen Raute als lose Ware und sie gab mir welche und aus Höflichkeit habe ich gesagt: mhhh, lecker. Die schmecken mir gut, dabei mochte ich sie überhaupt nicht. Die Rache der Unehrlichkeit (es war ja ein Höflichkeitslügen) folgte prompt. Zu Weihnachten gab es ein großes Paket aus Travemünde mit allerlei lustigen Seifenprodukten aus der Drogerie. Rosafarbenen Schweine aus Seife an einer Kordel (das war wohl in den 70ern der letzte Schrei hier in Deutschland) und einen weißen Schwan, der eine Seifenschale war (das war dann kurz vor Teenager). Den Schwan benutzen wir heute als Aschenbecher. Für die ganze Familie gab es Niederegger Marzipan (was ich geliebt habe) und für das Franzele die Salmiak-Pastillen, die sie so mag. Meine Mutter hat mit mir getauscht und es irgendwann man ihrer Mutter gesteckt, dass ich das Zeug nicht mag. Dann habe ich in Berlin in dem Lakritzfachgeschäft noch Salmiak-Ware passend zu dem Anhänger gefunden. Ich bringe es meiner Mama mit. Auf Geburtstag warten war noch nie mein Ding. Sehe ich keinen Sinn drin. Dann bringe ich ihr ein Wollkleid von meiner Tante Käthe, der unverheirateten Schwester von Großmutti. Hier haben die Motten riesige Stücke heraus gefressen. Ich habe dann Fallen von Rossmann von Stephan besorgen lassen und die sind einigermaßen voll geworden, so dass ich wohl richtig ein Problem mit den Tierchen hatte. Das ist ärgerlich, aber meine lebenslanger Stopf- und Flickgutschein kommt mir zugute. Salmiak-Pastillen waren offenbar DDR-Ware, wie ich jetzt feststellen musste VEB Pharmazeutische Erzeugnisse Halle. Das hätte ich nicht gedacht.

Claudia erlebt mich ziemlich unfit und der Unterhaltungswert ist  ausreichend bis ungenügend, aber was soll ich machen. Leide ja am meistens selber unter der Grippe und überlege langsam, ob das noch was wird mit mir und ich das hinbekomme und jemals wieder fit sein werde und ich nicht vielleicht doch ein Antibiotikum hätte einnehmen sollen. Claudia sagt, warmes Getreide frühstücken. Das macht Wärme in den Unterleib, sagt der TCM-Chinese. Nicht so Brötchen, eher Porridge. Ich esse warme Haferflocken mit frischen Beeren und Joghurt aus der Schweiz. Meine Schwägerin hat uns Freitag schon lauter Produkte von der Migros mitgebracht und uns damit verwöhnt. Ein Joghurtsortiment, Majo mit Senf und Thunfischcreme. Das ist herrlich und stimmt mich ein auf die Reise. Das ist auch Liebe. Immer leckeres Futter geben.

12.08. Ich stehe um 6 Uhr morgens auf und bin euphorisch. Ich glaube, ich bin wieder gesund. Ich habe keine Kopfschmerzen und fühle mich normal. Abends war ich doch immer noch mit 37,3 ° und so was geschlagen und es fühlte sich halt auch noch nicht gut an. Die Euphorie verfliegt etwas als ich merke, dass der Kaffee immer noch nicht schmeckt und ich noch Husten habe und nach zwei Male im Büro Altpapier runter bringen total nass geschwitzt bin. Die Tendenz stimmt aber jetzt zumindest und die Richtung ist klar erkennbar. Ich bin mal gespannt, wie die Woche und die Reise sich entwickeln. Es gibt dort einen See, aber Badesachen werde ich nicht mitnehmen. Bin eh nicht so der Freibadtyp und wenn es nicht knallheiß ist tue ich mir das nicht an. Verzichte schon aufs Haare waschen wegen der Erkältung. Außerdem Solidarität mit den Asylbewerbern, oder? Habe schon zu meiner Schwägerin gesagt, ob sie nicht mal dafür Sorgen könne, dass einer von denen mit ins Freibad darf. Jetzt wo sie Urlaub habe. Die Schweizer sind schon putzig. Das Thema Asylanten ist dort ein Dauerthema und die Umsonstzeitung 20 Minuten oder so heißt die berichtet garantiert über ein Asylantenheim, was in einem Urlaubsort gebaut werden soll und das Dorf und die Hoteliers wehren sich. Dann sind die Mister und Misswettbewerbe dort beliebt wie in den 50ern und ständig wird ein Mr. Ostschweiz oder so gewählt. Das kann man sich gar nicht vorstellen, wie sehr die sich für so etwas interessieren. Außerdem beliebt auch andere reaktionäre Themen, Mütter sollen nicht arbeiten, das schadet dem Kind, wenn „das Mama schaffen“ geht. Auf das Birchermüsli von Sprüngli freue ich mich trotzdem und teure Handtaschen will ich auch keine kaufen.