Fast den ganzen Tag „krampfen“, wie der Schweizer sagt, fast 14 Tage krank dann verdunkelt sich der Himmel und es regnet. Wir fahren S-Bahn Richtung Flughafen. Die Gepäckkontrolle in Hannover kennt mich schon. Während der Mann am Einlass mein Quark-Hütchen kritisch beäugt, mache ich es ab und lass es durch den Scanner fahren. Mein Plastikschmuck piept nicht und ich bekomme einen Daumen nach oben vom Personal für die Vorstellung. Das Hütchen hatte schon beim Türken an der Ecke für Aufsehen gesorgt (was durchaus ungewöhnlich ist, weil sich hier sonst keiner hinterm Ofen hervorlocken lässt). Was da drin sei. Ich sage Quark aus der Schweiz. „Zaziki, ne?“ kommt die Antwort. Das ist schon ganz gut, das sind schon 9 von 10 Punkten. Im Duty Free Shop gibt es nur Lächerlichkeiten in Hannover (Weißwurstset in einer Dose!!).
Wir fliegen Swiss. Eines muss man zu Protokoll geben, das leckere Essen bei den Schweizern merkt man schon im Flieger. Im Boardmagazin lese ich was Schweizer Gruyère (Werbung für Schweizer Käse) und daneben steht: Auch hier an Bord. Da freut man sich auf den Imbiss und zwar zu Recht. Bei Air Berlin gibt es Wasa-Sondermüll mit irgendwelchen „Tomaten“- Füllungen, unessbares Plastikessen. Hier gibt es kleine Baguettes mit Käse oder Vollkorn mit Schinken (auch lecker). Positiv fällt weiterhin auf, dass sie nicht in Tonnenweise Plastikmüll eingeschweißt sind, sondern einfach in einer Serviette eingewickelt und so auf die Hand serviert werden aus einem Karton. Dann gibt es Schweizer Schoggi. Die Stewardessen verteilen die restlichen Brote und bieten den Rest an, der sonst im Müll landet, auch ein sympathischer Zug. Stephan fragt nach der Schokolade. Die Antwort kommt prompt. Dazu müsse er noch ein Brot nehmen. Das ist kein Thema. Dafür soll er ruhig 2 Schokoladen nehmen. Ich sage: bettelt meiner wieder? Im Boardmagazin wird weiterhin für Chicago geworben. Drittgrößte Stadt der USA und Lake Michigan 5 größter See der Welt, größer als die Fläche der Schweiz. Werbung wirkt bei mir. Ich will da mal hinfliegen und schneide gleich Restaurantempfehlungen aus. Vietnamese Sandwichs und Deli mit Bakery. Neben uns in der Dreierreihe sitzt ein gut aussehender Schweizer Geschäftsmann mit schöner Brille, aber ich weiß, wie man sich sexy verhält als Frau z.B. 60 Kilometer vor der Landung beim Anblick eines Sees sagen: das ist der Zürich-See. Ich merke, dass er sich kaum beherrschen kann und in der Tat werden wir aufgeklärt Bodensee, Rhein, Rheinfall, Schaffhausen. Den Zürichsee zeigt er mir auch noch. Der ist hinter den Hügeln versteckt beim Landeanflug. Ich sage: „und das sind die Alpen, ne?“ und er gibt mir Recht: Ausläufer der Alpen und dann sage ich: Berge sind schön und gut, aber wahnsinnig unpraktisch zum Rad fahren. Auch diese Bemerkung verfehlt ihre Wirkung nicht. Daneben kann ich nicht widerstehen den spektakulären Himmel zu fotographieren mit dem Handy und frage mich laut, ob das ein elektronisches Gerät ist und ich das überhaupt darf von wegen: noch ein Foto und dann ist gut nicht, dass wir wegen mir abschmieren.
Als mir der Zürichsee vom Nachbarn gezeigt wird bzw. die Lage erklärt, weil sehen kann man ihn, höchstens erahnen, erklärt er mir zugleich, dass wir einen Umweg fliegen müssen, weil die Deutschen, die dort wohnen sich über den Fluglärm beklagen. Ich sage, welche Deutsche? Das ist total unbewohnt auf deutscher Seite, das Gebiet. Das würden die Schweizer auch sagen, sagt meine Schwägerin und heute (21.08.) ist es in der Taz zu lesen: „Prosteste: Alles alte Egoisten? Was ein Gießener Forscher im Auftrag der Stiftung Marktwirtschaft über Flughafengegner herausgefnden haben will.“
Nach der Landung erst mal auf die Damentoilette rennen und leckeres Schweizer Leitungswasser zapfen und die herrliche Werbung bewundern.
Meine Schwägerin steht hinter der Glastür. Neben ihr ein sympathischer Kerl, den ich gleich mitnehmen will zum Essen und meiner Schwägerin quasi als Schweizer Blinddate auf’s Auge drücken, der sein Patenkind abholt, wie sich herausstellt, die von einer Flughafenmitarbeiterin auf einem kleinen Auto gefahren wird. Wir vertreiben uns mit Geldscheinen durch die Glasscheibe schieben die Zeit bis zur Ankunft des Gepäcks. Sowohl Schweizer Franken als auch Euros passen durch und es sieht lustig aus, wie ein gläserner ATM.
Meine Schwägerin kauft uns 24 Stunden Tickets und wir steigen in die Bahn. Neben uns ein Schweizer Geschäftsmann (Bereich Fotographie, wie er auf Nachfrage angibt) der sich mit einem unterarmtätowierten stämmigen Mann unterhält, der gezeichnet ist von 3 x wöchentlich Blutwäsche (dicke Beulen am kräftigen Unterarm) und auch Gesprächsbedarf hat. Er hat als Straßenbahnfahrer gearbeitet.
Wir gehen ins Volkshaus und ich bin überglücklich. Herrlich die großen runden Fenster zum Platz. Oben kann man ein Bad mieten, wie im Haus des Tak früher, öffentliche Badeanstalt. Unten pelzige, gestreifte Tapeten und Séparées, die den Raum unterteilen und hinreißende, zierliche Bedienungen in Retro-Klamotten. Schwarze kurze Kleider mit schönen Knöpfen und weißen Schürzen. Unsere sieht aus wie eine sehr zierliche Italienerin. Wir trinken einen Aperitif, der schon halbwegs blau macht und eine Flasche Wein mit dem schönsten Nostalgieetikett. Das Essen ist super und preiswert für Züricher Verhältnisse. Die Peperoni (das sind Paprika)-Himbeer Kaltschale, die Stephan als Vorspeise wählt, ist ein Gedicht und kostet nur 10 Franken. Auch mein Lattichsalat mit Sardellendressing und Parmesan (sonst auf der Welt bekannt unter dem Namen Caesar’s Salad) mit Pouletstreifen schmeckt traumhaft. Ich denke erst an die TCM Empfehlungen von wegen warmes Getreide zum Frühstück und warme Suppe abends, aber entscheide mich dann für den bösen, kalten Salat, weil ich nicht widerstehen kann und Poulet in der Schweiz einfach viel leckerer schmeckt als die Fabrikgeflügel, die wir hier vorgesetzt bekommen und es lohnt sich. Auch Kathrins Vorspeise, der geräucherte Saibling mit Rahm-Gurkensalat sowie mein Lachstatar mit Toast und Schweizer Butter, alles lecker. Ich bin glücklich.
Auch der Nachtisch, speziell die Cantuccini zu der Ricottacreme sind superlecker. Die hat einer selbstgemacht, wenn nicht das Volkshaus, dann doch eine Konditorei und es löst die reinsten Cantuccini-Fixiertheit bei mir aus und selbst in St- Gallen kaufe ist noch welche bei Gschwend (einer Konditorei am Markt).
Meine Schwägerin insistiert darauf, dass es für mich, dann für mein Tagebuch, wo ich mich ständig daran erfreue, abgemacht wird von unserer Bedienung, was sie dann auch erledigt.
Auch die Toiletten sind ein Traum, die Fliesen sind superschön und die Waschbecken sowie der Weg dorthin, eine Gummizelle aus kariertem Wollstoff. Ich finde es herrlich und irgendwie sehr stillvoll, fast schottisch anmutend. ich mag auch das herrliche Logo des Volkshauses mit dem trotzigen Mädchen mit den geflochtenen Zöpfen und die hölzerne Kinderstühle, leicht Adams Family. Alles ist stimmig.
Gegenüber ist ein Schulhof, in dem Openair Kino gezeigt wird am Wochenende und der sonst als Biergarten fungiert mit Bäumen und Kies. Samstag ist hier Flohmarkt. Wir nehmen einen Absacker. Es sind lustige alte Hunde im Schulhof ohne Leine unterwegs und lässige Betreiber, die Getränkekarte kann sich sehen lassen. Ein Typ setzt sich neben mich auf die Bank und meint, Ausländer? und ich sage Touristen mit Fingerzeig auf die beiden riesigen Koffer, die vor mir stehen. Ich frage ihn, ob die stören. Er verneint und fragt: Hotel? Nein, wir sind schon versorgt. Dann schaltet er sein Handy auf laut und beschallt uns alle mit „She’s gonna like, she’s gonna like, she’s gonna like…cocaine.“ Bald fahren wir zu unserer Gästeunterkunft, wo die Betten schon gemacht sind. Ich lege mich schlafen und freue mich hier zu sein.