Archiv der Kategorie: Salzbutter – der Sportbericht
Geschützt: Bestatter arbeiten zwischen den Jahren 28.12. – 02.01.19
Geschützt: Noch nie in London – der Text zur Reise 28.04. bis 03.05.
Spaßyoga 11.02. – schaut aus wie ein Verkehrsunfall
Die Kameloma vor dem Berg. Sie wie ich, aber ich nix wandern, nur Fahrrad. Same, same but different
19.07. The real meaning of „flow“
Vor dem Yoga trinken wir einen Kaffee auf der Oranienstraße. Gegenüber ist ein Köfte-Laden, der 24 Stunden geöffnet hat. Da frage ich mich wirklich, ob sich das lohnt. Zwischen 4 Uhr morgens und 11 Uhr vormittags scheint mir die Köfte-Nachfrage sehr gering, so auch an diesem Vormittag um 10 Uhr. Im zur Straße hin offenen Café läuft im Hintergrund David Bowie, aber die Malen nach Zahlen Pony-Bilder an der Wand holen mich aus den 80ern zurück in die Gegenwart.
Michi holt mich ab mit seinem Leihfahrrad. Der Yogakurs wird in Englisch unterrichtet und ist gut besucht. Ich finde es total aufgesetzt an welchen Stellen hier völlig automatisiert yogisch-philosophische Hinweise und Ratschläge erteilt werden von dem jungen Ding, die man im Übrigen auch alle schon mal gehört hat und die einfach aus dem Zusammenhang doziert werden. Erst macht man Yoga für den Körper, dann merkt man, dass der Geist ruhiger wird….. Du bist nicht Deine Gefühle und Gedanken und kannst Dich davon distanzieren, usw. usf. Die junge Frau in schwarz, die aussieht wie die Sängerin der B-52s in jung und als Yogalehrerin, übrigens auch leicht von der Frisur her, zieht das Ashtanga-Programm durch. Das mag ich an dem Yoga nicht, dass es immer gleich läuft, wie Mc Donalds, egal wo Du auf der Welt hingehst, weißt Du was Dich erwartet, Sonnengruß A, Sonnengruß B usw. Sie will mit uns üben im Sitzen die Beine vom Boden zu heben um anschließend in den Liegestütz zu springen. Diese Bewegung ist mir unsympathisch und nicht für meinen Körper gemacht. Ich will sie auch gar nicht lernen. Dafür sagt sie nach den Rückbeugen, dass man die Knie nicht zur Brust ziehen darf, „until the teacher tells you to“. Das ist unmündig für mich bzw. ja, wenn man noch im Kindergarten ist, dann muss man immer den Anweisungen der Lehrerin folgen, sonst kann man auch das ein oder andere selber entscheiden, wenn man seinen Körper kennt. Bei mir geht das z.B. prima, daher immer gleich ran mit den Beinen an die Brust und richtig kräftig ran pressen. Mein unterer Rücken verträgt es, mag es sogar. Ich finde es auch cool, dass mein Körper gar nicht so Yogi aussieht, wenn die mir die anderen jungen Dinger so betrachte. Das ist noch cooler, wenn ich die Dehnungen und Drehungen richtig gut machen kann. Ich bin halt Kung-Fu Panda, dick, aber überraschend sportlich und man sieht es mir nicht an (extra gefährlich wegen Unterschätzung). Das gefällt nicht nur den Kindern im Kino, auch ich bin zufrieden. Ich schwitze ordentlich und bin nach dem Kurs gut gelaunt und freue mich, dass er 95 Minuten lang war. Es geht wieder zu dem Kaffee „Käffchen“ in die Sonne um einen Eistee zu trinken und die Klamotten am Körper trocknen zu lassen. Ich esse die sizilianischen Mandeln mit Tamarind, die 2,50 € für 50 Gramm gekostet haben. Auch Wucher. Ich mag Kreuzberg. Die vergangenen Male waren wir in Friedrichshain und da sind mir deutlich zu wenig Türken. Es ist als fehle Salz in der Suppe. Ich finde überhaupt, dass die Einwanderung aus der Türkei das beste ich was Deutschland seit dem 2. Weltkrieg passiert ist. Es macht uns deutlich interessanter und in London oder San Francisco fehlt es mir schon und ich denke, ja, gut, aber zu wenig Türken.
Jetzt beginnt für mich fast der schönste Teil der Reise. Besuch bei meiner Freundin Heike und basteln. Wir fahren ans Ostkreuz.
Sie und ihr Mann haben ein vegetarisches Vorspeisenprogramm vom feinsten gezaubert mit Gurken, Birnen mit Thymian und Ziegenkäse als Carpaccio, Linsensalat, Zitronenzucchini und vielem mehr. Sie verwöhnen uns nach Strich und Faden und ich versinke außerdem in die Welt des Bastelns mit meiner Freundin. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir kreieren ein Hütchen nach dem anderen für mich. Sie macht ohne mich weiter und am Ende des Wochenendes werden 10 neue Hütchen für mich entstanden sein (auf dem nachfolgenden Foto ist eines nicht drauf):
Dieses Basteln ist Yoga und mehr. Ein Flow, die Gedanken fließen vorbei wie Wolken, man ist im hier und jetzt, alles andere ist vergessen, nur die Konzentration auf das Schaffen und die Freiheit alles auszuprobieren und es ist auch eine ausgesprochene Liebeserklärung an mich, dass Heike mir Hütchen macht. Es gibt noch ein fettes Stück Torte und dann müssen wir leider fahren, weil wir zum Essen verabredet sind (:-).
Da gibt es zum Glück nur ein 3-Gänge vegetarisches Menü, was ich noch schaffe. Es ist sehr lecker und ambitioniert. Die Vorspeise Brioche mit Wachtelei und dann gibt es Pfannenschlag vegetarisch mit einer säuerlichen Tartarsoße und Parmesanknödeln mit Artischocken und andere leckere Dinge, die alle getauscht werden. Wir sind heute zu dritt.
Die Location ist cool, man läuft vorbei an Taubenkacke und allerlei gelagertem Zeug und dann blinkt der Eingang und es hängt ein großer Kronleuchter einige Meter davor. Die Raucherbar ist dunkel, die Flaschen beleuchtet, eine große Flamingo-Figur steht in der Ecke, oben eine schicke weiße Fabriketage mit Ausblick auf die russische Botschaft.
Die Mädels wie Models, die Kunst ist ebenfalls cool, die Besucher international, Holländer sitzen am Nebentisch, der Weg zu den Toiletten ist nicht behindertengerecht und wie eine Geisterbahn und ich kreische unfreiwillig auf und amüsiere ein junges Pärchen.
Wir gehen nach dem Essen in den Festsaal nach Kreuzberg um uns KRS one anzuschauen. Es ist supervoll und stickig. Der Raum sieht aus wie eine Country- und Westernbühne auf dem Land. Auf der Tribüne ist die Balustrade gedrechselt, der Raum ist klein. Es sieht irgendwie eher aus wie ein Versammlungssaal in Minden/Westfalen. Es ist supervoll und darf geraucht werden. Es ist nicht Sauna, sondern Räucherkammer und der Star des Abends kommt und kommt nicht, während ich mir die Beine in den Bauch stehe, sondern ein prolliger Nachwuchsrapper nach dem anderen. Diese versuchen die Stimmung anzuheizen und immer wieder wissen wollen, ob wir den Teacher jetzt sehen wollen und wir sollen „some noise“ machen. Jetzt kommt KRS one wird ein ums andere Mal angekündigt und dann doch noch mal ein anderer Aufwärmer oder der von davor, bis ich nicht mehr will und die Frage, ob er kommen soll mit nein beantworten möchte. Er kommt dann nach 2 Stunden doch und erklärt den Jugendlichen wie Hip Hop entstanden ist und wer James Brown war und was 1986 los war. Ich bin auf der falschen Veranstaltung. Ein selbstgewählter, aber unwürdiger Beginn meines 46sten Geburtstages. Ja, ich kenne die Platte Criminal Minded , die er 1986 herausgebracht hat und habe sie 1987 hoch und runter gehört. Die T-shirts finde ich noch ganz cool, weil das Wort Flow für „follow life’s outgoing willingly“ steht. Das ist auch Yoga, aber ich brauche das nicht in großen Lettern in s/w auf der Brust. Meine Hannoveraner Freunde lassen mich nicht im Stich und wir treffen uns noch bei uns im Biergarten. Davor stehen wir am Kotti, wo über dem Kaisers ein cooler Club sein soll, nur wo. An verschiedenen Stellen gibt es Aufgänge und die jungen Menschen kommen und gehen. Mir gefällt die Pfandsammlerin mit dem spröden Charme, die von einem kleinen Schäferhundmischling begleitet wird, der quadratisch und alt ist, aber seine Aufgabe noch ernst nimmt. Er läuft steif wie ein aufgezogenes Blechspielzeug und sein Gesicht erinnert an einem untoten Hund von Tim Burton. Der folgt ihr überall hin ohne Leine und beobachtet jede ihrer Bewegungen und passt sich an, folgt. Sie sind unterwegs und jagen. Sie weist ihn mit einer abweisenden Handbewegung zum Warten an und durchschreitet das Gitter die Treppe hoch in den Club. Er wartet unten aufmerksam und ungeduldig und versperrt den Gästen den Ausgang. Es hat nur keiner Angst vor ihm, weil er wenig bedrohlich wirkt mit seiner grauen Schnauzen und auch weicht, wenn man zügig auf ihn zu geht.
Auch an diesem Abend habe ich schon herrliche Geschenke. Ein lebenslanger Gutschein meiner Mutter meine Sachen zu flicken und das ist von unschätzbarem Wert für mich. Die macht Kunststopfen an Strumpfhosen, die zwanzig Jahre alt sind und stellt es nicht in Frage, dass ich 200 Paar habe. Sie kommen dann gefaltet und mit einer Schleife versehen wie die schönsten Reizwäsche per Post wieder zu mir. Mein Paps schreibt meinen Geburtstag immer in binären Zahlen 101110. Meine Freundin Andrea hat mir weit im Vorfeld ein tolles Paket geschickt mit dem geilsten Outfit 20.07.2013.
So treffend, auch der Inhalt. Müde und glücklich sinke ich ins Bett.
Im Schweiße meines Angesichts
11.07. Der erste heutige Termin betrifft Frau P. Lange hat sie in der vollgestellten Wohnung zusammen mit ihrem Lebensgefährten gelebt und konnte das Bett nicht verlassen. Sie hat sich immer gefreut, wenn ich zu Besuch kam und in dem engen, abgedunkelten Zimmer auf dem Toilettenstuhl neben ihrem Bett Platz genommen habe. Sie hat gerne von ihrer glücklichen Kindheit erzählt mit ihrer Schwester und dem Vater, der gerne Bierchen getrunken hat, aber nie mehr als 3 und sie mit in die Kneipen genommen hat. Das sei ein lieber und lustiger Mensch gewesen. Da hätten sie ganz viel Glück gehabt. Das Ganze spielt in der Kölner Innenstadt, an den Gleisen hinter dem Hauptbahnhof. Das merkt man ihrer Sprache auch noch an. Dann kamen der Krieg und schlimme Erlebnisse. Heute ist sie übergewichtig und hat schwere Ein- und Durchschlafstörungen. Regelmäßig habe ich mit ihr die Vorteile eines Pflegeheims besprochen, weil man sie dort besser mobilisieren könnte, aber sie hat immer in letzter Minute einen Rückzieher gemacht. Dann ist der Lebensgefährte ins Krankenhaus gekommen und sie in die Kurzeitpflege und jetzt gefällt es ihr dort gut. Ich selber war beeindruckt von dem menschlichen Hebekran, der ans Bett gestellt wird und mittels eines Gurtes, der umgelegt wird, jeden noch so schlaffen, menschlichen Sack aus dem Bett ziehen kann. So kann man dann z.B. auf der normalen Toilette sitzen, was auch schöner und menschenwürdiger ist. Sie blüht förmlich auf, ist jetzt viel draußen, hatte neulich fast einen Sonnenbrand auf den Unterarmen und hat geschwärmt, dass es in den Supermärkten aussehen würde wie in Amerika. Nur die braunen Papiertüten würden fehlen. Ich mag Frau P., sie ist lustig und hat immer zu erzählen. Als junges Mädchen war sie in Griechenland Au Pair und hat dort Kinder betuchter Griechen bereut.
Neulich habe ich mit Schwester A., der beherzten Pflegedienstleitung aus dem Wohnheim Kleidung aus der Wohnung, die gerade 80 Meter entfernt ist geholt und Frau P. hat viel Kleidung. Gerade der Lebensgefährte hat ihr gerne Sachen gekauft und zwar auch nach seinen Wunschvorstellungen. Es ist von Jeans Gr. 38, Miniröcken mit Ketten an den Seiten bis Bauchtanzoberteilen und sehr vielen Kunstpelzen, aber auch echten alles dabei. Schwester A. ist erst mal geschockt wegen der vielen Klamotten und ich sage ihr, da werden sich die Pfleger bei mir auch noch mal wundern und Frau P. soll selber entscheiden, was sie behalten will. Das finde ich normal. Sie leiht mir einen offenen Rollwagen und im Schweiße meines Angesichts und zur Belustigung der Nachbarschaft schaffe ich alles rüber bis das 2-Bett Zimmer, was sie alleine bewohnt halb voll ist. Es ist mühsam und unterwegs verliere ich Sachen und muss sie wieder einsammeln. Frau P. ist happy. Ich mache etwas Modenschau und probiere die ein oder andere Jacke an und zeige ihr Glitzer- und Paillettenteile und sage, das sei ganz schön „Bling-Bling“, woraufhin sie sagt: „das ist für abends“ und ich denke, nee klar und schade, dass das Sommerfest schon vorbei ist, aber die nächste kommt bestimmt. Ich hänge auch alle ca. 30 Bilder im Schlafzimmer ab, viele von den Enkeln gemalte „für Omi“ usw.
Heute habe ich einen weiteren Termin um einige Hilfsmittel aus der Wohnung abholen zu lassen. Der Lebensgefährte hat jetzt auch eine Betreuung und soll die Wohnung übernehmen. Er ist der Sammler und sammelt Phantasy-Figuren, Bücher, Bilder, Schaufensterpuppen mit riesiger Oberweite und so was. Da muss ich mich wenigstens um das Zeug von meiner kümmern. Er ist gerade im Krankenhaus. Etwas Gruselkabinett ist es schon so alleine in der Wohnung. Ich fahre morgens zum früheren mobilen Pflegedienst und hole mir erneut die Schlüssel zur Wohnung; um 9 Uhr bin ich dort verabredet. Auf dem Weg dorthin ist Fahrradrushhour und es müssen sich immer 10-12 Radfahrer an der Ampel organisieren. Ich rege mich innerlich über einen braun gebrannten Rentner auf, der von allen überholt wird, aber dann an der Ampel ankommt und an allen vorbei fährt, auch der Frau mit dem Kinderanhänger und sich wieder in der ersten Reihe platziert, um dann wieder von allen überholt zu werden. Diese Rentner sich echt putzig. Ich bemerke auch immer diejenigen, die auch bei vergleichsweise kühlen Temperaturen ihrer gealterten Körper sofort in Hotpants und Tanktop spazieren führen. In der Pflegedienstzentrale sind alle Pflegedienstmitarbeiterinnen auf dem Balkon und rauchen (das ist Naturgesetz) und es hängen viele Zettel auf denen z.B. sinngemäß steht: Bitte alle Kunden bei dem Wetter darauf aufmerksam machen, dass viel Wasser zu trinken ist. Das bei „dem“ Wetter finde ich sehr lustig sowie die passive Formulierung „zu trinken ist“ statt sie trinken sollen.
Zwei junge Männer und ein Lieferwagen stehen schon vor dem Haus und begutachten das Klingelschild als ich überpünktlich erscheine. Ich gebe mich zu erkennen und sage ihnen, dass mir nachts siedend heiß eingefallen sei, dass ich nicht gemeldet hätte, dass die Wohnung ganz schön vollgestellt sei und ich hatte eine Vision wie sie das Bett hochkant den langen schmalen Flur entlang tragen, also dies sei keine minimalistische Designerwohnung. Ich wüsste nicht, was sie sonst für Klientel hätten. Beide lachen. Natürlich kann man das Bett eins A auseinander bauen in Einzelteile und das mit ganz kleinem Werkzeug und Aufwand, dass ich nur staune. Der eine findet das Scala-Mobil (ich wusste gar nicht wonach ich Ausschau halten sollte) hinter einer Tür und die Rampen dafür auch. Nur das Aufladegerät (auf Nachfrage etwas größer als eine Handy-Station) finden wir nicht wegen Nadel im Heuhaufen. Ich sage, er sei der Finder, er solle mal bitte Strom- und Gaszähler für mich finden, weil die müsse ich ablesen. Er rät zu Keller und da ist Stromzähler auch und Gas findet der Finder in der Küche. Nur meinen Thron, den Toilettenstuhl wollen sie da lassen, weil der einem anderen Sanitätshaus, dessen Namen ich nicht kenne, gehören würde. Ob es den Laden noch gibt ist derzeit unklar. Unter dem Bett sind die total verstaubten Schmuckschatullen und beauty cases der Frau P. Die schaffe ich als erstes rüber und Schwester A. und ich schauen uns interessiert die Sammlung an. Ich sage, Duplé-Armreif. Sie holt eine Lupe und findet einen Stempel und sagt was von Safe. Ich bringe die Sachen erst mal Frau P., die sich total freut mich zu sehen. Ich würde so frisch aussehen und das seien tolle Farben. Endlich mal jemand der nicht in dieser Pflegekleidung ankommen würde. Ich hatte einen Mitarbeiter von Enercity, der mich vor der Tür ansprach, ob ich hier arbeiten würde zu Schwester A. gebracht und dort mit angehört, dass die Baufirma eine Leitung beschädigt hat und 20 Minuten der Strom abgeschaltet werden muss. Ach nein, nur das nicht, hieß es da. Als ich mit Frau P. zusammen etwas ihren Schmuck durchschaue, geht auf einmal das Licht aus und es schreit eine Frau aus dem Fahrstuhl und trommelt gegen die Tür: Hilfe, hört mich keiner. Und ich schreie zurück, doch wir hören sie, der Strom wurde abgeschaltet, ich hole gleich jemanden. Das tue ich und dann muss ich zurück in die Wohnung, ein komisches Bett holen. Das unhandliche Ding ist eine Dekubitus-Matratze mit Schläuchen und einer großen, schweren Pumpe dazu. Die Abhol-Männer haben mir gezeigt, was da zusammengehört und gesagt, dass Frau P. darauf liegen soll. Das Ding sieht aus wie das Alienbaby aus Men in Black Teil II, als hätte eine Luftmatratze mit einem Alien Nachwuchs gezeugt. Auch das trage ich irgendwie auf meinem Fahrrad rüber und hoch. Dies Mal ist eine alte Frau neben dem Fahrstuhl aus dem Rollstuhl gefallen und ruft um Hilfe. Wieder schnell runter rennen und Bescheid sagen. Der Vormittag ist durchaus sportlich. Ich frage mich auch, warum ich diese persönlichen Sachen rüber bringen muss, weil Frau P. doch zwei Töchter hat. Die eine wohnt in Hamburg mit dem Enkel und will immer nach Hannover kommen und dann in den Zoo und sie erzählt mir, dass es so schwer sei Karten für das Kleine Fest im Großen Garten zu bekommen.
Auf dem Rückweg halte ich am Platz mit dem komischen Namen neben dem neuen Rathaus und will einen Antrag abgeben auf steuerliche Anerkennung unserer Wintergartensanierung. Hat schließlich so viel gekostet wie eine Eigentumswohnung in Ricklingen. Ich wollte eigentlich die ersten beiden Seiten des Antrags mit den zusammengefassten Zahlen und den Unterschriften kopieren. Das mache ich jetzt mit Abfotografieren und komme mir sehr cool vor. Ich liebe es, mit Botengänge in lustige Ämter hinein zu gelangen. Vielleicht wäre Fahrradkurier doch eine mögliche Karriere gewesen. Obwohl da spricht meine ausgeprägte Orientierungslosigkeit wohl doch dagegen. Einen Eingangsstempel gibt es auch. Ob ich es nochmal mit Stempel fotografieren wolle, lautet die Frage. So zwängig bin ich nicht, lautet die Antwort.
Nachmittags kommt ein anderer Schützling mit einer Zimmerpflanze und als ich ihn darauf anspreche am Ende des Termins sagt er mir, dass er heute Geburtstag habe. Es sei das Geschenk der Kochgruppe gewesen. Ich entschuldige mich und gratuliere ihm. Ich bin eben doch nicht die Tochter oder Freundin der Leute und weiß die Geburtstage nicht, auch wenn sie aktenkundig sind. Das ist nicht meine Art. Vielleicht unsensibel oder ein Fehler. Nur bei Frau K. bin ich jedes Jahr auf den Geburtstag eingeladen in eine Eisdiele, zusammen mit den beiden Wohnbetreuerinnen, aber die Frau ist geistig
behindert und da sehe ich es ein und gehe hin. Vorher muss man ihr immer was von der hiesigen Fußballmannschaft besorgen, Fanutensilien, eine Tasse oder so. Das mache ich sehr widerwillig. Dann bestelle ich einen großen Eisbecher und sie sagt uns, dass wir ihre besten Freundinnen seien. Das ist irgendwie rührend und irgendwie traurig.
Woran merke ich, dass Sommerferien sind? Es sind deutlich weniger Anrufe im Büro und ich kann auf dem Weg zum Sport die Königsworther Straße auf halber Strecke ohne Ampel überqueren, weil deutlich weniger Autoverkehr herrscht. Ich habe heute Doppelprogramm. Erst ein wenig Pilates und dann das letzte Mal Krass-Kundalini vor der Sommerpause. Ungewiss, ob es weitergeht, weil die Frauen sich eher für Zumba begeistern als für diese Randsportart. Umso dringender muss ich heute noch mal hin. Von Zumba berichtete neulich meine Yoga-Freundin, dass sie den Kurs getestet und nach einer halben Stunde abgebrochen habe und sagte was von ganz schön schnell wechselnden Schrittfolgen, ständig käme was Neues und ich dachte nur, komisch, die ist doch sonst nicht so bewegungsbehindert und gehe in meinen ersten Zumba-Kurs und total fies: Es ist eine von vorne bis hinten feststehenden Choreographie, die alle außer mir drauf haben. Kundalini ist heute Schüttelmeditation und mit geschlossenen Augen bei Armen über dem Kopf Freestyle-Tanzen 11 Minuten lang usw. Zum Schluss gibt es wieder ein gemeinsames Händeklatschen, Hände aufs Herz, dann Wegschütteln und nach oben und dazu singen und nicht nur mich erinnert es an Kindergarten, aber es macht gute Laune. Was ich sehr mag an Kundalini ist, dass es zwar Körperarbeit ist, aber der Blick sehr nach innen geht und man mehr fühlt dabei als zu gucken. Wie sehen die anderen aus und wie mache ich mich im Vergleich welche Übung kann wer wie, das wird da total ausgeblendet und das finde ich herrlich, abgesehen von der Reise, die man dabei macht. Es ist einfach spannend und definitiv mehr als Sport, deswegen nenne ich es ja auch meine Kundalini-Therapie, eine Gruppentherapie wohl gemerkt. Andere Freundinnen machen Grinberg, aber das gibt es in Deutschland nur in Berlin.
Anschließend war ich zu einem Konzert in der Galerie Lunar verabredet, aber leider absolut nicht menschenmengenkompatibel, wie ich merke als ich dort ankomme, so dass ich hinfuhr um Stephan zu sagen, dass ich nicht kann. Für eine Pizza-Mozzarella auf der Limmer Straße hat es noch gereicht. Stephan erzählt mir am nächsten Tag, dass es total nett war und die Frau, Phoebe Kreutz, schön singen konnte und tolle Texte macht. Sie singt auch über Yoga, über ihren Po auf Reisen und beim Yoga. Er spielt mir das Lied vor: „I take my ass to yoga und stretch it on a mat. I don’t mind if it gets bigger as long as it doesn’t get to flat“. Na also. Sehe ich auch so. Mein Hintern bleibt allerdings klein und vergleichsweise flach und da kann ich Übungen noch und nöcher machen, nicht nur beim Yoga, auch an der Ballettstange. Die Muskeln sind wohl da, aber man sieht es nicht. Ein total unscheinbarer Po ist mein Schicksal. Es ist wie vieles Körperliche halt, eine Veranlagungssache. So, das wäre jetzt auch mal gesagt. Was ich noch sagen wollte ist, dass mir in letzter Zeit die hässlichen Spezialisierungen sehr auffallen, Produkte, wie von diesen Firmen, die Fahrradkörbe herstellen oder Velux-Fenster. Ist ja nützlich und brauchen tun wir es auch irgendwie.
Am 12.07. frühstücke ich mit Stephan was selten vorkommt und lese dabei Haz. Ein Artikel über Hannovers wahre Kunstschätze, die auf den Straßen stehen würden und es ging darum, Menschen neu darauf aufmerksam zu machen. Ich lese gerne das, was ich mir denke oder lesen will oder worüber ich mich aufregen will und nicht das, was da steht und so lese ich, dass man Samstag dazu eingeladen wird, sich den Nanas via Hubschrauber zu nähern. Ich lese es Stephan vor und denke, was soll das denn? Das ist ja überkandidelt. Neue Perspektive schön und gut, aber aus einem Hubschrauber die Kunst neu entdecken? Da wird ja reichlich Andrang sein, weil teuer ist das sonst auch. Stephan klärt mich später auf, dass es sich irgendwie um einen Hubsteiger handelt, der dort angeboten wird.
Haz lesen lohnt sich an diesem Morgen, da ich auch den Artikel über die Kühe super finde. Er fängt mit dem Satz an, dass man bei Verwaltungsgerichtsprozessen allerhand Neues lernen können, so hätte der Vorsitzende Richter die Verhandlung damit begonnen, dass er ausführt, dass Kühe schwimmen könnten, aber nur ca. 20 Minuten, dann würden sie aufgrund einer Schließmuskelinsuffizienz voll Wasser laufen. Deswegen sieht man diese Bilder von toten Kühen auf dem Wasser, die aussehen wie Kuhballons, denke ich mir.
Abends fahren wir am Maschsee entlang und es hat sich nach einer Kurve ein Unfall auf dem Radweg ereignet. Ich sehe nur im Vorbeifahren, dass die Frau Inlineskates trägt. Stephan, den das mitnimmt, weil er an seinem Radunfall denken muss, hat gesehen, dass sie wohl eingenässt hat und meint, aus Angst. Ich sage, eher aus Schmerzen oder wenn irgendwas mit den Nerven geschädigt ist (das wäre ganz schlecht) oder durch den Sturz, den Aufprall. Frauen sind da ein bisschen wie Kühe. Die können zwar länger schwimmen, aber der Vorne-Schließmuskel hält nicht immer bombenfest. Apropos Frauen, ich werde immer krawalliger, prolliger und das ist meinem Mann schon peinlich. Ich vermute allmählich, dass das mit den Wechseljahren zusammenhängt. Gefühlt ist alles wie immer, nur etwas unberechenbarer, aber die TCM-Ärztin sagt ja, wenn das anfängt, werden die Frauen unregierbar, weil das Oestrogen hat sie gefügig gemacht und quasi domestiziert. Sie fragte mich, ob ich mehr zu Wutanfällen neigen würde, was ich bejahen musste. Außerdem schimpfe ich in letzter Zeit gerne vor mich hin auf andere Verkehrsteilnehmer und sage ganz laut, „das sieht beknackt aus“, während uns eine Gruppe dieser stehend Roller entgegen kommt, Höhe Sprengelmuseum. Das ist nun echt die Pest aus meiner Sicht.
Außerdem fällt mir immer wieder auf: Ich stehe echt auf Männer in meinem Alter und finde das irgendwie beruhigend. Dieser Griff zu Teenagern ist mir ein Rätsel. Wenn vor mir ein Mann auf dem Rad fährt, der ordentliche, männliche Attribute hat, finde ich das graue Haar sexy. Ist das ein Georg Clooney-Phänomen? Keine Ahnung. Ich habe bei einem Video von Talking Heads wieder festgestellt, dass ich finde, dass David Byrne heute besser aussieht als in den 80igern, früher hätte ich das bestimmt anders bewertet. Der Geschmack wächst halt mit.
Im Büro bekam ich vom Jobcenter eine Email, die offenbar nicht für mich bestimmt ist mit einer Excel-Tabelle voller Daten, Namen. Später bekomme ich von derselben Frau eine Email, dass sie die Nachricht an mich zurückrufen will. Ein Fehler kann jedem passieren, aber was hilft die zweite Nachricht? Dass die erste nicht für mich war, habe ich auch so gemerkt, sie ist aber deswegen nicht verschwunden von meinem Rechner oder war das indirekt die Aufforderung sie zu löschen oder der NSA weiterzuleiten?
09.07. Ehrlichkeit und Selbsterkenntnis
Heute habe ich großes Programm. Begutachtung in der Familie M., durch das Sozialamt veranlasst. Es geht um die Pflegeeinstufung des Sohnes, der nächstes Jahr 50 wird und mit seiner Mutter zusammen lebt. Ich fahre durch die noch kühle Morgenluft nach Kleefeld. Ich liebe Fahrrad fahren, gerade im Sommer ist es eine wahre Freude. Die Blumenwiesen auf den Verkehrsinseln erfreuen mich täglich. Das ist so eine gute Idee der Stadt Hannover und macht den doofen Autoverkehr echt erträglicher, wenn er zum Teil von hohen Wiesenblumen verdeckt wird. Mir fällt bei dieser Gelegenheit mal wieder auf, dass der weibliche Körper Konstruktionsvorteile bietet. Wenn man z.B. eine schwere Schultertasche um hat. Oberhalb vom Busen getragen, d.h. wie ohne Busen, drückt der Gurt auf den Hals. Unterhalb des Busens geklemmt, hält das Teil prima, wie der reinste biologische Garderobenhaken.
Die Mutter in Familie M. ist Betreuerin und hat das jahrelang total spitze gemacht bis das Sozialamt der Meinung war die Mietkosten müssen gesenkt werden und ihr auf Nerven ging, bis sie dieselben verloren hat. Dann wurde ich bestellt als Ergänzung zu der Mutter und ich mache seitdem die behördlichen Dinge. Ich helfe ihr auch ein Konto zu bekommen, denn das Scheck verschicken klappt nicht immer reibungslos und dann führe ich sie ein in die Techniken des Geldautomaten. Den Jahresbericht haben wir neulich zusammen ausgefüllt, Frau M. ist nämlich Analphabetin (fiese Probe, weil zu Beginn der Betreuung versehentlich eine andere Kollegin bestellt wurde, aber Frau M. das gemerkt hat, weil der Briefkopf anders aussah) und ich habe es ihr vorgelesen und in meiner Sauklaue für sie ausgefüllt während ich parallel meinen Bericht fürs Amtsgericht geschrieben habe. Da wurde deutlich, dass wir uns sehr gut ergänzen. Man wird da nämlich gefragt, wann haben Sie den Betroffenen zuletzt gesehen und wie häufig besteht Kontakt. Ich konnte sagen, nur einmal überhaupt gesehen und ca. 1,5 Jahre her, aber bei Frau M. täglich. „Haben Sie Wünsche ihres Betreuten festgestellt und konnten diese erfüllt werden?“ lese ich vor. Dazu Frau M., ja, manchmal will er, dass ich was Bestimmtes aus dem Supermarkt mitbringe, einen Joghurt oder so. Antwort: Ja, konnten erfüllt werden.
Die Begutachtung ist schon voll im Gang als ich halb 8 da bin, wobei ich eigentlich erst für 9 Uhr angekündigt war. Verschwörungsvoll flüstert mir Frau M. ins Ohr, dass die Dame schon kurz nach halb 8 gekommen sei. Die Gutachterin hat eine schlanke Figur, ein sehr dünnes Kleidchen und einen Tribal am Knöchel. Sie trägt hohe Sandaletten und befragt Herrn M. ob er nicht in die Tagespflege wolle. Er will eine Freundin, wie er sagt und auf die Tagespflege bezogen: Sport machen, ne? Klar könne er sich das vorstellen. Die Mundtrockenheit sei eine Nebenwirkung der Medikamente. Sie kennt sich aus. Ob wir uns vorstellen könnten, dass er studiert will er wissen. Später sagt er uns, er sei nur Arbeiter. Dann wieder, er könne keine Ausbildung machen wegen seiner Krankheit. Sie lobt ihn, dass er so lange still sitzen und der Anhörung beiwohnen kann. Er darauf: “bei dem Ausblick!“ und schaut sie dabei schmachtend an. Zu Kopfschmerzen befragt sagt er, als Kind habe er schlimm Migräne gehabt, jetzt sei es so, wenn er merke, dass Kopfschmerzen kommen, würde er dies abschalten. Wie will sie wissen. „Vom Kopf her“, lautet die Antwort und die überraschte Fragende will das Rezept dafür. Die Mutter wird angehalten auch mal Verhinderungspflege in Anspruch zu nehmen. 28 Kalendertage stünden ihr zu. Sie hat aber keine „Bock“ alleine weg zu fahren. Sie hat 4 Kinder, sagt sie mir später und die kümmern sich alle gut um sie. Sie könne sich über ihre Kinder nicht beschweren. Ich mag diese einfache, aber herzliche Frau sehr. Der Sohn, der nicht mehr in die Disko gehe und mehrfach Cashes Klay sagt, wenn er Körperübungen auf Anforderung der Pflegegutachterin hin ausführt, macht erst mal einen Filterkaffee als der Spuk vorbei ist und ich trinke eine Tasse. Die Gutachterin war gegangen und hatte ihren festen Händedruck zur Verabschiedung mit „ich arbeite in der Pflege“ erklärt. T. will wieder sein Zimmer, aber Mutter und ich fordern ihn auf, mit raus auf den Balkon zu kommen in die Sonne. Er fragt, ob Rechtsanwalt ein schwerer Beruf sei. Schön, weiß seine Mutter. Sie würde das auch gerne machen, Leute verteidigen und guckt sich die Gerichtssendungen im Fernsehen an. Er sagt dann, dass er am liebsten den ganzen Tag Fernsehen und Radio hören und auf dem Balkon rauchen würde. Manchmal schneide er auch ein paar Scheiben Käse, aber dann würde sie, bezogen auf seine Mutter, ihm sagen, dass er ein Brett unter legen soll. „Wenn Du eine Frau hättest, würde sie Dir das auch sagen“, meint Frau M. lakonisch und will irgendwie meine Zustimmung.
Da nach dem Termin noch Zeit ist, fahre ich zu einem anderen Kandidaten. Spontanbesuch machen. Leider bin ich sehr orientierungslos und merke erst am Braunschweiger Platz, dass ich nicht die Hildesheimer Straße entlang fahre. Eiere auf Umwegen durch die Südstadt. Sonnenweg, Kleine Düwelstraße, Geibelstraße, an jeder Ecke ist eine Erdbeerstand aufgebaut. Endlich bin ich am Ziel. Diesen Betreuten duze ich, weil ich ihn vor Einrichtung der Betreuung schon kannte. Er ist jünger als ich und spielte in einer coolen Szeneband bis ihm nachts ein Aneurysma im Kopf geplatzt ist. Er sitzt jetzt mit deutlichem Übergewicht im Rollstuhl. Vorher hat er ein ganz normales Leben geführt mit einer Lebensgefährtin, deren Traummann er war. Das ist schon eine harte Prüfung, denke ich immer. Er macht immer wieder lustige Sachen z.B. versuchen mit E-Rolli eine Skateboardrampe hoch zu fahren. Folge: Fixateur im Arm. Ein Freund von ihm ist bei mir auch unter Vertrag und ist mal bei der Einkaufbegleitung unter seinen Rolli geraten und hat seitdem einen Rückenschaden. M. wartet heute auf den Fahrdienst und will zum Zahnarzt. Sein älterer Sohn ist ein gutaussehender Skater mit mehreren Freundinnen in jedem Stadtteil. Er könne sich das aussuchen, erklärt mir der stolze Vater. Der jüngere hat ein Superzeugnis und fotografiert gerne Luxusautos einer bestimmten Marke. Da kann das gute Zeugnis später nützlich sein ist mein Fazit. Jello Biafra spielt am 06.08.2013 in der Faust. Guter Tipp.
Meine dritte Station ist eine schicki-micki Augenarztpraxis in der Innenstadt mit Einrichtungskram, Glasbodenvasen für 60,- €, die man dort erwerben kann und einer verwaisten Tee-Station (keine Selbstbedienung) mit neumodischen Tees zum kaufen und einem fancy Zimmerbrunnen, bei dem das Wasser optisch sowohl runter als auch hoch fließt. Da ist richtig was los und es wird auch vor Ort operiert, so dass nach und nach die Rentner mit einem verbundenen Auge aus dem OP auftauchen und von Enkel oder Kindern und Enkeln abgeholt werden. Der langhaarige junger Mann mit der Lederhose mit dem festgeketteten Portemonnaie und dem Heavy Metall T-Shirt sitzt zwar nicht neben seiner Mutter, aber die Familienähnlichkeit ist unverkennbar. Er geht noch mal runter sich die Beine vertreten nach Absprache mit ihr und kehrt wieder zurück. Ein freundlicher Rentner wird von seinem sportlichen, kleinen Sohn, der aussieht wie ein Turner, breit aber nur 1,50 hoch und echt kurzen Waden und dem Enkel (rothaarig) abgeholt. Sie lassen den Operierten erst noch mal zu Kräften kommen und haben es sich in einer stylischen, aber unpraktischen Sitzecke gemütlich gemacht so gut das eben geht. Eine Oma freut, als die Enkelin kommt und sie mit dem Wort: „Omi“ begrüßt und sie erwidert, schön, dass Du da bist mein Schatz. Die Enkelin hat direkt vor der Tür geparkt. Gut gemacht. Auch krasse Rentnermode gibt es zu sehen. Weiße Hosen mit großen runden „Deko-Flicken“ auf den Knien mit einem Kreis aus Strass Steinen und einem total runden weißen, steifen Bustier, was aber nicht mehr ausgefüllt wird und völlig unglaubwürdig zu den faltigen Haut kontrastiert. Hier kann man aber wenigstens erleben, dass es auch familiären Zusammenhalt gibt.
Nachmittags gilt es 30 Briefe zu bearbeiten, darunter allerdings auch ein Rundschreiben der Rentenversicherung zur Rentenanpassung. Die Arbeit mag einfach sein, strengt mich aber an in der Stumpfsinnigkeit. Ich bin in Vorfreude auf den Yogaworkshop abends und auch schon leicht aufgeregt. Ich werde von meiner Yoga-Freundin, die mir den Kurs zur Hälfte spendiert hat abgeholt und wir radeln Richtung Südstadt, Geibelstraße, dort wo ich heute schon mal war.
Es ist super voll und es wird zum Glück keine Büchersignierstunde abgehalten oder dann nur im Anschluss für Freiwillige. Der Schweiß fließt in Strömen. Ich sehe ihn meine Waden herunter laufen in einem kleinen Rinnsal und spüre die Tropfen meinen Körper herunter fließen. Es kritzelt ungewohnt. Schon lange nicht mehr gehabt. Elena hat eine tolle Stimme, die mich an Laurie Anderson erinnert. Sie spricht davon, die Dinge so zu sehen, wie sie sind und nicht wie sie mal waren und in den Asanas auf die innere Symmetrie des Körpers zu achten, gerade bei denjenigen, die äußerlich asymmetrisch gehalten werden, in Verdrehungen usw. Ich mag ihren Unterrichtsstil ganz gerne. Sie läuft herum und richtet unsere Frisuren, wie sie es angekündigt hat. Mich sucht sie auch auf in meiner Ecke und streicht mir die schweißnassen Stirnhaare glatt zur Seite und sagt: „I told you, I’d fix your hair. I’m fixing everyone’s hair. Oh boy, I miss my kids“. Meine Matte ist zu rutschig und ich finde keinen Halt in dem Hund. Ich brauche ein neues Modell. Die Matten meiner Nachbarinnen, die ich aufgrund der räumlichen Enge zwangsläufig mit teste, sind stumpf und geben halt, während meine flutscht wie auf der Wasserrutsche im Schwimmbad. Zum Schluss gibt es eine Partnerübung und Elena muss mich nehmen, weil ich übrig geblieben bin. Es ist ein In-die-Augen des Gegenüber schauen und dann gibt es eine sehr herzliche Umarmung von der Meisterin. Danach ist Fragestunde. 1. Frage an die Elfe (sehr originell): wie sie sich ernährt und die Antwort. Sie hat alles schon probiert, vegan, vegetarisch, Rohkost, aber der Arzt hat ihr gesagt, sie muss Fleisch essen, sonst fällt ihr Körper auseinander und jetzt isst sie viel Gemüse, aber auch täglich Eier und auch Fleisch. Das sei keine Empfehlung für andere, jeder Körper sei anders. Ich denke unweigerlich an den letzten Workshop, bei dem es im Schulterstand einen Vortrag über Kuhvergewaltigungen angesichts des Milchkaffeekonsums gab. Sie ist nicht nur in diesem Punkt sehr ehrlich vor einem Raum voller Yogalehrerinnen, sondern sie spricht auch über ihre Abneigung nach Deutschland zu kommen, dass sie Jüdin ist und in beruflich in Nürnberg war und nie wieder kommen wollte. Das sind Umstände, die von vielen nicht realisiert werden, dass irgendwo auf der Welt, gerne auch in New York, die Nachkommen der Toten und Überlebenden der Schoah leben, die von dieser Realität geprägt sind. Diese Frau ist bereit jede Frage ehrlich zu beantworten und ich nehme ihr das ab. Mir taugt das viel mehr als diese hohlen Predigten, die ich schon gehört habe, von denen man kaum etwas demjenigen abnimmt, der sie hält. Das zunehmende Alter hat mich eine Sache gelehrt, das wovon einer sehr viel spricht und es viel beteuert, das fehlt ihm meist oder damit hat er ein Problem. Vorsichtig bei Männern die Schwanz ab für Kinderschänder fordern. Ich denke auch an den Ex meiner Freundin, der offenbar total eifersüchtig war und ihr immer fremdgehen unterstellt hat und alleine Reisen deswegen nicht befürworten konnte und auf Tugendhaftigkeit geschworen hat mit den Worten, das passiere einem nicht, ein Seitensprung, das sei eine „Charakterfrage“. Und was war dann? Oder wie es in Wien einem Buch zu lesen stand. Warum reden die Banker so viel von der Kunst und die Künstler so viel vom Geld? Jeder spricht von dem, was er nicht hat. So empfinde ich Yoga oft als scheinheilig. Die Frauen gucken sich musternd von der Seite an und man merkt ihnen an, dass sie es nicht wollen und nicht dürfen und das auch wissen. Das bringt eine bestimmte Verklemmtheit mit sich und es steigert sich noch, wenn man es unterdrücken will. Da ist mir in vielerlei Hinsicht mein normaler Sport lieber. Keiner hält sich für einen besseren Menschen, bloß weil er ihn macht. So einfach funktioniert es nämlich nicht. Ob Du ein guter Mensch bist, hängt von anderen Dingen ab, so wie es in jeder Religion gute Menschen gibt. Das macht nicht die Religion an sich und das sektenhafte an dem Yoga widerstrebt mir. Heute hat es mir gefallen. Wenn ich eine neue Erkenntnis hatte dann die, dass man den eigenen Tod bereits miterlebt in dem Sinne, ich bin nicht mehr der Mensch meiner Jugend, den gibt es nicht mehr. Genauso wie es meine Eltern wie ich sie als Kinder kannte auch nicht mehr gibt. Wir leben zwar noch, aber die früheren Identitäten sind schon tot, nicht mehr da. Die Frage ist, wie oft sterbe ich oder erneuere mich? Täglich wäre wohl übersteigert, aber alle 5-7Jahren vielleicht schon und alle 25 Jahre bestimmt.
Noch einige Schlussbemerkungen zum Verkehr. Ich meine jetzt den Straßenverkehr. Ich habe mit zunehmendem Alter eine Abneigung gegen Autos. Sie sind wie die Raubtiere und ich als Radfahrer, die Gazelle oder das Gnu. Was an dem Bild nicht stimmt ist, dass die Raubtiere alle im Rudel an der Ampel stehen wie eine Herde Bison vor dem Losrennen. Was ist außerdem nicht verstehe ist berittene Polizei? Was soll das? Die riesigen Gäule laufen gemütlich nebeneinander und blockieren Straße und Radweg. Gassi gehen mit Tüte ist auch nicht angesagt. Die Fiakerpferde in Wien haben hinten Beutel. Hier fallen die riesigen Hinterlassenschaften an die Straße und werden platt getreten. Ich verstehe den Sinn dieses Reitens in der Stadt nicht, denke immer nur daran, dass ich auf meine Steuererklärung als Verwendungszweck: Filmförderung für Wenzel Storch Filme schreiben will.
Letzte Woche war ich beim vorletzten Kundalini-krass-Selbsterfahrungs-nichts-ist-peinlich-Kurs und irgendwie machen mich diese Praktiken wie verstrahlt. Wir machen schön 4 Minuten irgendwelche krassen Armhochhalt und Drehübungen, die super anstrengend sind und mein ganzer Oberkörper kribbelt. Wir machen eine noch anstrengendere Übung und atmen mit offenem Mund und ich habe das Gefühl, dass alles Mögliche bei mir hinten im Gaumen herum baumelt und immer mehr wird, als wäre ich im vermeintlichen Körper des Tracheostoma-Betreuten. Dann machen wir Knie an Knie im Kreis sitzen und 4 x auf den Boden hauen Har, Har, Har, Har, dann Wha Hey Gu Ru und jeweils Knie zur linken Nachbarin, zur rechten, die eigene Brust und dann Arme nach oben und immer schneller werdend. Wir chanten Mantren in drei Etagen bis wir mit der Stirn am Boden liegen und ich höre meine eigene Stimme unglaublich laut. Als wir uns anschließend was wünschen sollen und es visualisieren, fällt mir gar nichts ein, wunschlos glücklich und zufrieden. Ich weiß, das kann man keinem erklären und es sollte besser auch keiner zusehen, aber wenn es sich gut anfühlt, sollte man es machen. Erklärungen hier erscheinen mir oft sehr unbeholfen und esoterisch und ich brauche diese Brücke gar nicht. Der Körper mag es, die Nervenzellen und der Geist auch. Das reicht doch wohl.
Dann noch ein Wort zur Rückengesundheit. Die Bandscheiben ernähren sich nachts, habe ich unlängst gelesen. Im Schlaf und im Liegen saugen sie sich voll mit Flüssigkeit. Mein Tipp: auf dem Bauch schlafen ohne Kissen, schön flach, so mache ich es immer, dann sind die immer richtig schön vollgefressen und es geht ihnen gut. Dann klappt das auch beim Yoga mit den Vorder- und Rückbeugen.