Archiv für den Monat: Juli 2013

19.07. The real meaning of „flow“

Vor dem Yoga trinken wir einen Kaffee auf der Oranienstraße. Gegenüber ist ein Köfte-Laden, der 24 Stunden geöffnet hat. Da frage ich mich wirklich, ob sich das lohnt. Zwischen 4 Uhr morgens und 11 Uhr vormittags scheint mir die Köfte-Nachfrage sehr gering, so auch an diesem Vormittag um 10 Uhr. Im zur Straße hin offenen Café läuft im Hintergrund David Bowie, aber die Malen nach Zahlen Pony-Bilder an der Wand holen mich aus den 80ern zurück in die Gegenwart.

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Michi holt mich ab mit seinem Leihfahrrad. Der Yogakurs wird in Englisch unterrichtet und ist gut besucht. Ich finde es total aufgesetzt an welchen Stellen hier völlig automatisiert yogisch-philosophische Hinweise und Ratschläge erteilt werden von dem jungen Ding, die man im Übrigen auch alle schon mal gehört hat und die einfach aus dem Zusammenhang doziert werden. Erst macht man Yoga für den Körper, dann merkt man, dass der Geist ruhiger wird….. Du bist nicht Deine Gefühle und Gedanken und kannst Dich davon distanzieren, usw. usf.  Die junge Frau in schwarz, die aussieht wie die Sängerin der B-52s in jung und als Yogalehrerin, übrigens auch leicht von der Frisur her, zieht das Ashtanga-Programm durch. Das mag ich an dem Yoga nicht, dass es immer gleich läuft, wie Mc Donalds, egal wo Du auf der Welt hingehst, weißt Du was Dich erwartet, Sonnengruß A, Sonnengruß B usw. Sie will mit uns üben im Sitzen die Beine vom Boden zu heben um anschließend in den Liegestütz zu springen. Diese Bewegung ist mir unsympathisch und nicht für meinen Körper gemacht. Ich will sie auch gar nicht lernen. Dafür sagt sie nach den Rückbeugen, dass man die Knie nicht zur Brust ziehen darf,  „until the teacher tells you to“. Das ist unmündig für mich bzw. ja, wenn man noch im Kindergarten ist, dann muss man immer den Anweisungen der Lehrerin folgen, sonst kann man auch das ein oder andere selber entscheiden, wenn man seinen Körper kennt. Bei mir geht das z.B. prima, daher immer gleich ran mit den Beinen an die Brust und richtig kräftig ran pressen. Mein unterer Rücken verträgt es, mag es sogar.  Ich finde es auch cool, dass mein Körper gar nicht so Yogi aussieht, wenn die mir die anderen jungen Dinger so betrachte. Das ist noch cooler, wenn ich die Dehnungen und Drehungen richtig gut machen kann. Ich bin halt Kung-Fu Panda, dick, aber überraschend sportlich und man sieht es mir nicht an (extra gefährlich wegen Unterschätzung). Das gefällt nicht nur den Kindern im Kino, auch ich bin zufrieden. Ich schwitze ordentlich und bin nach dem Kurs gut gelaunt und freue mich, dass er 95 Minuten lang war. Es geht wieder zu dem Kaffee „Käffchen“ in die Sonne um einen Eistee zu trinken und die Klamotten am Körper trocknen zu lassen. Ich esse die sizilianischen Mandeln mit Tamarind, die 2,50 € für 50 Gramm gekostet haben. Auch Wucher. Ich mag Kreuzberg. Die vergangenen Male waren wir in Friedrichshain und da sind mir deutlich zu wenig Türken. Es ist als fehle Salz in der Suppe. Ich finde überhaupt, dass die Einwanderung aus der Türkei das beste ich was Deutschland seit dem 2. Weltkrieg passiert ist. Es macht uns deutlich interessanter und in London oder San Francisco fehlt es mir schon und ich denke, ja, gut, aber zu wenig Türken.

Berlin ist doch klar

Jetzt beginnt für mich fast der schönste Teil der Reise. Besuch bei meiner Freundin Heike und basteln. Wir fahren ans Ostkreuz.

Berlin Riesenmännchen

Sie und ihr Mann haben ein vegetarisches Vorspeisenprogramm vom feinsten gezaubert mit Gurken, Birnen mit Thymian und Ziegenkäse als Carpaccio, Linsensalat, Zitronenzucchini und vielem mehr. Sie verwöhnen uns nach Strich und Faden und ich versinke außerdem in die Welt des Bastelns mit meiner Freundin. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir kreieren ein Hütchen nach dem anderen für mich. Sie macht ohne mich weiter und am Ende des Wochenendes werden 10 neue Hütchen für mich entstanden sein (auf dem nachfolgenden Foto ist eines nicht drauf):

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Dieses Basteln ist Yoga und mehr. Ein Flow, die Gedanken fließen vorbei wie Wolken, man ist im hier und jetzt, alles andere ist vergessen, nur die Konzentration auf das Schaffen und die Freiheit alles auszuprobieren und es ist auch eine ausgesprochene Liebeserklärung an mich, dass Heike mir Hütchen macht. Es gibt noch ein fettes Stück Torte und dann müssen wir leider fahren, weil wir zum Essen verabredet sind (:-).

Da gibt es zum Glück nur ein 3-Gänge vegetarisches Menü, was ich noch schaffe. Es ist sehr lecker und ambitioniert. Die Vorspeise Brioche mit Wachtelei und dann gibt es Pfannenschlag vegetarisch mit einer säuerlichen Tartarsoße und Parmesanknödeln mit Artischocken und andere leckere Dinge, die alle getauscht werden. Wir sind heute zu dritt.

Coockies Wachtelei Coockies Schmorgurke Coockies Selleriecanelloni Coockies Essigmöhre Coookies Parmesanknödel

Die Location ist cool, man läuft vorbei an Taubenkacke und allerlei gelagertem Zeug und dann blinkt der Eingang und es hängt ein großer Kronleuchter einige Meter davor. Die Raucherbar ist dunkel, die Flaschen beleuchtet, eine große Flamingo-Figur steht in der Ecke, oben eine schicke weiße Fabriketage mit Ausblick auf die russische Botschaft.

Coockies Blick nach draussen

Die Mädels wie Models, die Kunst ist ebenfalls cool, die Besucher international, Holländer sitzen am Nebentisch, der Weg zu den Toiletten ist nicht behindertengerecht und wie eine Geisterbahn und ich kreische unfreiwillig auf und amüsiere ein junges Pärchen.

Wir gehen nach dem Essen in den Festsaal nach Kreuzberg um uns KRS one anzuschauen. Es ist supervoll und stickig. Der Raum sieht aus wie eine Country- und Westernbühne auf dem Land. Auf der Tribüne ist die Balustrade gedrechselt, der Raum ist klein. Es sieht irgendwie eher aus wie ein Versammlungssaal in Minden/Westfalen. Es ist supervoll und darf geraucht werden. Es ist nicht Sauna, sondern Räucherkammer und der Star des Abends kommt und kommt nicht, während ich mir die Beine in den Bauch stehe, sondern ein prolliger Nachwuchsrapper nach dem anderen. Diese versuchen die Stimmung anzuheizen und immer wieder wissen wollen, ob wir den Teacher jetzt sehen wollen und wir sollen „some noise“ machen.  Jetzt kommt KRS one wird ein ums andere Mal angekündigt und dann doch noch mal ein anderer Aufwärmer oder der von davor, bis ich nicht mehr will und die Frage, ob er kommen soll mit nein beantworten möchte. Er kommt dann nach 2 Stunden doch und erklärt den Jugendlichen wie Hip Hop entstanden ist und wer James Brown war und was 1986 los war. Ich bin auf der falschen Veranstaltung. Ein selbstgewählter, aber unwürdiger Beginn meines 46sten Geburtstages. Ja, ich kenne die Platte Criminal Minded , die er 1986 herausgebracht hat und habe sie 1987 hoch und runter gehört. Die T-shirts finde ich noch ganz cool, weil das Wort Flow für „follow life’s outgoing willingly“ steht. Das ist auch Yoga, aber ich brauche das nicht in großen Lettern in s/w auf der Brust. Meine Hannoveraner Freunde lassen mich nicht im Stich und wir treffen uns noch bei uns im Biergarten. Davor stehen wir am Kotti, wo über dem Kaisers ein cooler Club sein soll, nur wo. An verschiedenen Stellen gibt es Aufgänge und die jungen Menschen kommen und gehen. Mir gefällt die Pfandsammlerin mit dem spröden Charme, die von einem kleinen Schäferhundmischling begleitet wird, der quadratisch und alt ist, aber seine Aufgabe noch ernst nimmt. Er läuft steif wie ein aufgezogenes Blechspielzeug und sein Gesicht erinnert an einem untoten Hund von Tim Burton. Der folgt ihr überall hin ohne Leine und beobachtet jede ihrer Bewegungen und passt sich an, folgt. Sie sind unterwegs und jagen. Sie weist ihn mit einer abweisenden Handbewegung zum Warten an und durchschreitet das Gitter die Treppe hoch in den Club. Er wartet unten aufmerksam und ungeduldig und versperrt den Gästen den Ausgang. Es hat nur keiner Angst vor ihm, weil er wenig bedrohlich wirkt mit seiner grauen Schnauzen und auch weicht, wenn man zügig auf ihn zu geht.

Auch an diesem Abend habe ich schon herrliche Geschenke. Ein lebenslanger Gutschein meiner Mutter meine Sachen zu flicken und das ist von unschätzbarem Wert für mich. Die macht Kunststopfen an Strumpfhosen, die zwanzig Jahre alt sind und stellt es nicht in Frage, dass ich 200 Paar habe. Sie kommen dann gefaltet und mit einer Schleife versehen wie die schönsten Reizwäsche per Post wieder zu mir. Mein Paps schreibt meinen Geburtstag immer in binären Zahlen 101110. Meine Freundin Andrea hat mir weit im Vorfeld ein tolles Paket geschickt mit dem geilsten Outfit 20.07.2013.

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So treffend, auch der Inhalt. Müde und glücklich sinke ich ins Bett.

19.07.2013 Ein Kugelschreiber und ein Yogagutschein vorab

Leider ist es wieder erst 7 Uhr und ich wollte doch mal ausschlafen. An der total gemütlichen Matratze in unserem Appartement, die neuwertig ist und in das alten Holzbett eingearbeitet wurde, liegt es jedenfalls nicht. Es werden die Handwerker gewesen sein, die hier schon wieder zugange sind. Es ist gar kein altes Holzbett, sondern eine alte Holztür, an die man ganz geschickt ein Bett angebaut hat, raffiniert.

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Als ich um 8 Uhr endlich aufstehe, sagt Stephan, dass sie bestimmt bald Frühstückspause machen würden. Die Wirtsleute aus Regensburg sind vor 14 Jahren von dort ans Kottbusser Tor gezogen ist an den Erkelenz Damm 17. An dem Haus wurde lange nichts gemacht und die Mieter haben selber die Elektrik verlegt und Badezimmer eingebaut, jetzt ist es verkauft worden und es wird nach und nach was gemacht, gerade ist das Dach dran und es setzt unrhythmische Hammerschläge, so wie es klingt wenn mehrere zugange sind. Ich nehme mir einen Holzstuhl aus unserem Zimmer und stelle ihn in den Gang an der Küchennische und koche mir erst mal einen russischen Earl Grey von der Dame des Hauses mit Honig aus der Mark Brandenburg um Stephan nicht weiter zu stören.

Als ich meine Augen noch nicht scharf stellen konnte habe ich schon die emails mit dem Smartphone abgefragt. Wir sind hier im Tal der Ahnungslosen ohne Fernseher und Internet und das ist auch mal ganz gut so. Es sind einige Dienstliche, aber wohl nichts Dramatisches und wohl ein Foto meiner Kollegin aus dem Urlaub, was ich nicht öffnen kann und dann gratuliert mir Yoga Kula aus Wien zum Geburtstag, dabei habe ich doch erst morgen. Wie kann das passieren denke ich zuerst, weil das schaffe ich wohl noch meinen Geburtstag richtig anzugeben, sehe dann aber, dass es sich um ein Geschenk handelt, einen 10,- € Gutschein, gültig 1 Jahr. Hey, das ist echt praktisch freue ich mich, weil Wien steht garantiert bald wieder auf dem Programm. Stephan und ich haben beide schon Heimweh danach und dann gehe ich schön mit Sunla zum Yoga und spare 10,- € und kann die dann gleich in Tuchlauben-Eis oder Marillenkrapfen, je nach Jahreszeit umsetzen. Ein echtes Geschenk also.

Apropos Yoga. Heute morgen bin ich erst mal mit Michi um 11 Uhr beim Jivamukti Yoga X-Berg verabredet. Es war mein erster Anblick als wir bei der Ankunft am Kottbusser Tor aus der U-Bahn kamen:

Yavamukti Werbung

Michi will mich vorher anrufen als Weckanruf. Das ist bei mir sowie von überflüssig. Bei meinem Urlaubsrhythmus hätte ich auch Spiritual Warrior um 9:15 Uhr locker geschafft, aber ein bisschen rumhängen, wenn man schon nicht schlafen kann, finde ich auch gut. Im Vorfeld hatte ich mich über die komplizierten Preisregelungen des Berliner Studios geärgert und dachte, denen sollte man die zwirbelbärtigen Verbraucherschützer aus Baden-Württemberg mal auf den Hals hetzen. 10er Karte unlimited ist nur eine bestimmte Zeit gültig, entgegen dessen, was der Name vermuten lässt bzw. Du kannst dann in der Zeit unlimited Yoga machen. Dann gibt es irgendwie eine 5er Karte unbegrenzt (+1 Bonus (auch ganz kompliziert und mit vielen Fußnotensternchen) und in Klammern dahinter steht (vorbehaltlich der Verjährungsfrist). Was soll das denn frage ich mich, 3 Jahre sind dann unbegrenzt? Ich gebe denen bestimmt nicht mein Geld als Vorschuss und dann berufen die sich auf die Regelverjährung, wenn wieder etwas Zeit vergeht zwischen meinen Berlinbesuchen. Ne, ne, ne, dann nur Einzelkurs. Anders geht es mit diesen Leuten nicht. Lustig ist auch, dass eine desinfizierte und saubere Matte 2,- € Leihgebühr kostet und eine die gelegentlich, aber unregelmäßig desinfiziert wird ist umsonst. Da ist auch noch ein Warnhinweis dazu mit Haftungsausschluss. Mein Gott, so kompliziert kann Yoga im Internet sein, mit ganz vielen Regeln. Lustig hätte ich gefunden, eine gelegentlich desinfizierte kostet 1,- € und eine mit Taubenkot verschmutzte vom Kotti unter der Brücke ist umsonst. Wir werden sehen, vielleicht sind die ja auch ganz nett und unkompliziert in echt. Tatsächlich hören die Handwerker als ich den Tee getrunken habe wieder auf zu arbeiten und fangen nicht mehr an. Warum machen die so etwas? Alle wecken und dann nicht weiter machen. Man bestätigt mir, dass die tatsächlich die gängige Praxis sei.

Ich bin gespannt, wie ich mich heute überhaupt mache nach dem verkürzten Schlaf und dem großen Menü mit Weinbegleitung von Tim Raue. Das ist eigentlich nicht das Vor-Yogaprogramm, dass man 7 Gläser Wein trinkt, aber eigentlich geht es mir gut. Das Essen fing so an, dass wir uns noch mal zu einem späten Mittagschlaf aufs Ohr gelegt hatten und um 18 Uhr aufstanden. Ich hatte nach einer Geruchsprobe befunden, dass ich immer noch nicht duschen muss und habe mich trocken in Schale geschmissen und bin runter in den Biergarten. Hier waren die Tisch schon mit Tischtüchern (weiß und rotweiß kariert) eingedeckt und die ersten Gäste da, so dass ich mich für Innen und den Tresen entschieden habe sowie einen Espresso Macchiato. Es gibt Wurstsalat und Händelmaiersenf und Bier aus Bayern und das Konzept geht auf. Als wir gehen, geht auch die Chefin und wir fragen wechselseitig nach den Abendplänen. Sie will in die Hasenheide zu einem Kiosk, wo sich alle Treffen: Alte, Behinderte, Alkis und Junge und es sei total nett. Da könnte ich jetzt direkt mitfahren und sage, dass wir zu Tim Raue gehen und stelle es als Pflichtveranstaltung von Stephan dar. Ihr Lieblingsrestaurant wäre gegenüber das Sale e Tabacchi. Sie sagt uns auch zu meiner Verwunderung auf ihre Heimatstadt Regensburg angesprochen, dass man es dort jetzt vergessen könne, seit Regenburg europäische Kulturhauptstadt geworden sei, sei es überschwemmt mit Touristen. Da sei sie doch lieber im flauschigen Berlin. In meinem Kopf entsteht ein Fragezeichen und mir fällt nur der Begriff vom Regen in die Traufe kommen ein.

Das Sale e Tabacchi ist im Haus der Taz und sieht lebendig aus, während man bei Tim Raue zunächst in eine künstliche Designerwelt eintaucht, wo nicht so das pralle Leben der Hasenheide oder von gegenüber herrscht. Der Raum hat dunkelblaue und türkisfarbene Bestuhlung, mit Wolle bezogen. Der Wollstoff erinnert mich an unsere Sessel im Wintergarten. Die eckigen Holztische haben einen Spalt auf beiden Seiten durch den mal die Tischdecke hindurch ziehen kann. Es hängen zwei große Vogelkäfige aus Holz, die Bedienungen tragen bunte Blusen mit Vogelmotiven u.a. mit Türkis und weiße Gürtel dazu dunkelblaue Hosen und weiße Chucks. Ich will es kurz machen, das Essen war teuer, aber sehr lecker. Ich mochte es sehr, dass es richtig asiatisch war und scharf und süß, die Kombinationen gut durchdacht. Während man sonst zu Beginn einen Brotkorb mit Öl oder irgendwelchen Dips bekommt, an dem man sich unweigerlich voll frisst, gab es hier 8 Schälchen mit japanischen Leckereien, sehr dünnem, warmen Schweinebauch mit Sesam, 3 x rohen Fisch und gewürzte Cashewkerne, sowie sehr leckere japanische Gurke und irgendein Rettich in einer Senfsoße sowie Tomate mit Passsionsfruchtmark. Das war schon mal toll.

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Auch die Gänge, die wir tauschen schmecken sehr, sehr gut. Wir nehmen beide Menüs sowie die Peking Ente und haben damit einmal das ganze Programm durchprobiert. Besonders gut gefällt uns die gedämpfte Dorade, das Fleisch butterzart und auf den Punkt (innen warmes Sashimi), etwas scharf auf einem Sud von Kalbsfond, der Kaisergranat mit Wasabi-Mayo ist auch superlecker, sowie der Trüffelgang mit Palmherz und Topinambur sowie Perlhuhn. Im Hauptgang gibt es geschmorte Rinderschulter, die mit der Gabel gegessen werden kann sowie säuerlich eingelegte Rinderzunge und Stephan hat die Pekingente, die aus dem Fleisch mit Fettschicht und knuspriger Haut auf einem süßlichen Buchweizenpfannkuchen, sowie der Leber als Pastete auf einem Extraeller und einer süßlichen, gehaltvollen Brühe mit kleinem Gemüse und Magen und Herz und den Innereien besteht. Es mag nicht lecker klingen, es war aber ein Traum. Besser kann man diese Ente kaum interpretieren.

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Die Weinbegleitung serviert ein freundlicher, junger, sich sehr kultiviert gebender Mann. Er trägt auch offizielle Kleidung mit Krawatte usw. Ich denke mal das muss seinem jugendlichen Alter eine gewisse Seriosität verleihen, dass auch die älteren Pfeffersäcke, die hier ihr Geld lassen ihn erst nehmen.

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Vor dem Nachtisch gibt es einen Gruß aus der Küche bestehend aus einem Iceball, gefrorenes Wasser in der Form eines Golfballes (wegen der geringeren Oberfläche würde er den Drink nicht so verwässern heißt es, er sieht vor allem schick aus und man kann ihn gut im Glas drehen) und Yuzu-Likör sowie Yuzuschaum und Eiscream auf einem Teller dazu. Sehr lecker und erfrischend.

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Beim Nachtisch standen 3 insgesamt zur Auswahl und wir haben gottseidank eines reingetauscht was gar nicht vorgesehen war im Menü und zwar Burrata mit Pinien, Speck und Honig. Obst wird überbewertet sagte ich nur. Der Käse war gerieben und fast flüssig und das ist definitiv mein neuer griechischer Honig, aber mit weniger Säure. Der Speck mit Honig dazu. Ein Traum. Ich schwelge jetzt noch und das Wasser läuft mir im Mund zusammen beim tippen.

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Auf den Klos ist chinesische Kunst zu sehen, die ich u.a. aus dem Galerienviertel in Shanghai kenne und die mir dort schon positiv aufgefallen war.

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Als gegenüber bei Sale e Tabbachi um ca. 21 Uhr schon tote Hose ist und aufgrund der oben beschriebenen Speisen, bin ich stark versöhnt mit dem Abend. Ich finde es auch schade, dass hier nicht das Publikum von der Hasenheide ist. Es könnte doch zum Hartz IV Satz dazu gehören ein kleines 4-Gänge Menü bei Tim Raue mit Weinbegleitung, einmal pro Bewilligungsabschnitt. Von mir aus könnten Steuergelder so eingesetzt werden. Dann wäre auch hier mehr los und Oper wird ja auch subventioniert.

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Richtig neidisch macht uns ein Nachbartisch mit einem Mann, ca. in unserem Alter und zwei jugendlichen Mädchen, die Cocktails trinken. Hier kommt nicht nur ein großer, gut aussehender Mann aus der Küche an den Tisch und redet mit denen, sondern später kommt sein Kochkollege und bringt eine wirklich große Geburtstagstorte, überzogen mit weißer Schokolade und Blüten verziert. Auf dem Tisch wird Platz gemacht für eine Kerze und sie feiern hier offenbar Teenagergeburtstag. Der Rest, d.h. fast die komplette Torte, an der nur genascht wurde, wird in ein geblümtes Paket von DHL eingepackt für zuhause. Da darf einem nichts zu peinlich sein. Nächstes Mal mache ich das auch so. Dieses Mal habe ich immerhin einen neuen Kuli abgestaubt, bzw. habe Stephan gebeten für mich zu fragen, weil meiner schlecht schreibt und ich mich beim Reisetagebuch schreiben, was ich immer zwischen Tür und Angel mache, immer ärgern musste. Jetzt schreibe ich mit einem von Tim Raue.

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Wir fahren nach Hause und ich bin versöhnt mit den Sterneläden in Berlin, die ich bisher allesamt langweilig und chichi fand, ohne dass das Essen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, nur die Bernsteinwand oder die Springbrunnen im Innenhof, aber darauf kommt es mir nicht an. Zuvor hat mir Stephan noch den großen Penis von Kai Dieckmann gezeigt und nicht einmal das konnte mir auf den Magen schlagen.

Wir sind die perfekten Gäste für so einen Laden wie Tim Raue. Wir können selber nicht sehr gut kochen und lieben essen und essen gehen, also passen wir wie die triebigen Freier in den Edelpuff. Was die nicht gebrauchen können, sind ambitionierte Hobby-Köcher, die das zuhause auch alles ausprobieren und mit ihnen darüber diskutieren wollen. Die sind wie Hausfrauen, die gelegentlich der Prostitution nachgehen, Nebenerwerbsnutten. Wir hingegen sind nur zahlende und zufriedene Freier.

18.07. Slayer ist mein Efes

Es dauert einen ganzen Vormittag die Räder zu leihen, die es eigentlich an jeder Ecke gibt. Die reinste unfreiwillige Schnitzeljagd. Ali, 100 Meter vom Apartment entfernt, hat 2 Räder für 10,- € den Tag, aber die müssten wir Samstag bis 18 Uhr zurück bringen. Das reicht uns nicht, da wir sie bis Sonntag wollen. Wir sind kompromisslos und ziehen los zu dem Laden, den Stephan im Internet ausfindig gemacht hat und denen er geschrieben hatte und die Urlaub hatten bis heute, weshalb wir gestern auf Drahtesel verzichteten. Die öffnen aber erst um 11 Uhr. Es ist eine halbe Stunde zu früh. Wir gehen in der Ankerklause einen Kaffee trinken. Ich esse Müsli mit Obst. Am Nachbartisch erzählt eine total unsympathische Kuh Olga unentwegt ihrem gegenüber was von „Balastkunden“, die man schon seit 10 Jahren durchschleppt und ich bin genervt. Als der Radverleih um 11 Uhr nicht aufmacht und wir wie bestellt und nicht abgeholt auf den Stufen vor dem Eingang sitzen, werde ich zunehmend echt sauer und fange an vor mich hin zu schimpfen, ob alle Vollpfosten der Republik nach Berlin ziehen würden um sich dort in Mitte zu vermehren wie die Karnickel und sich daneben unmotiviert und wahllos Bildchen überall auf den Körper stechen zu lassen. Als wir gerade unter meinen wüsten Beschimpfungen gehen wollen, tut sich was im Laden und ein lockiger Student, der total verpennt ausschaut, zieht sich gerade ein T-shirt über und kommt aus dem hinteren Bereich des Ladens (backstage). Er schließt auf, sie haben keine Räder mehr, aber einen Zweitladen in der Skalitzer Straße. Er soll dort bitte anrufen, spricht portugiesisch am Telefon. Ja, es gibt noch 3, aber wir müssen uns beeilen. Er reserviert uns 2 eine halbe Stunde. In der Zeit müssen wir zu dem 1 Kilometer entfernten Laden gelaufen sein um sie abzuholen. Warum müssen wir uns jetzt eigentlich beeilen? Wo kommen wir her, will er wissen? Wir antworten brav und später meint Stephan, was sei das für eine Frage, wo würde er denn herkommen. Wir laufen zügigen Schrittes und ich zeternd zu der Filiale. Dort angekommen heißt es, Sonntagsrückgabe ausnahmsweise nicht möglich, weil er ausnahmsweise verreisen müsse an diesem Wochenende. Ich bin bedient und wir lehnen dankend ab und trinken erst mal eine Kaffee um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zuvor hatte es den Tipp mit Spätkauf gegeben (wenn ich es Kiosk nenne, finden die Berliner das lustig), die auch Räder verleihen und großzügiger Rückgabemöglichkeiten. Wir laufen zurück zum Görlitzer Bahnhof und der türkische Inhaber ist am Faxen und hat nur ein Rad vor der Tür stehen. Als der jetzt auch auf einen Zweitladen verweist, fange ich an mit meinem Text an und sage, dass geht jetzt leider nicht mehr so, wir werden von A nach B geschickt, es ist alles total unoraganisiert in der Hauptstadt, er könne da natürlich nichts dafür, aber ich würde ihn inständig bitten, da vorher anzurufen und wirklich verbindlich die Sache für uns zu klären. Alle umherstehenden Kunden im Laden gehen einen Schritt zurück wegen meiner Thermik. Dann bedanke ich mich freundlich und lobe seine Nostaligieedition von Coca Cola-Flaschen aus der Türkei von Migros. Ich habe sie wiedererkannt. Wir müssen eine Station mit der U-Bahn wieder zurück fahren, die wir gerade gelaufen sind zum Schlesischen Tor. Oben am Gleis kommt uns ein langhaariger Junkie entgegen mit einem kurzbeinigen Hund: cooler Hut ruft er mir entgegen und ich strahle ihn an und erwidere cooles T-shirt. Auf seinem steht: „Slayer ist mein Bier“. Ich wundere mich immer, dass ich so einen natürlich guten Draht zu einem bestimmten Klientel habe. Sonst könnte ich ja auch meinen Job nicht machen. Es ist wie beim Rattenfänger von Hameln. Ich pfeife und sie folgen mir. Ich prahle damit, dass ich mit dieser Fähigkeit in jeder Stadt eine Armee der besonderen Art hinter mich bringen könnte, so wie Tarzan bei den Tieren des Dschungels, aber eben anders. Der anvisierte Fahrradverleih ist ein türkisches Malergeschäft.

Berlin Fahrradverleih Sphinx Berlin Fahrradverleih Charly Pinselseife

Der junge Mann stellt beim Kopieren des Persos von Stephan fest: Sie haben ganz schön viel abgenommen. Dann erzählt er, dass er selber 40 Kilo abgenommen habe, sogar eine Schuhgröße kleiner würde er jetzt tragen. Wir bekommen zwei Räder, keinen Pfand, Rückgabe Sonntag zwischen 17 – 19 Uhr. Der Tag ist gerettet. Der Weg war steinig, aber von Erfolg gekrönt. Ich bin happy.

Noch glücklicher bin ich über einen Trödelladen, der von einem sympathischen Schwulen geführt wird, der bei dem guten Wetter Klamotten auf die Straße stellt. In den Innenräumen sieht es aus, wie in einer Messiewohnung. Der reinste Abenteuerspielplatz.

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So muss ein Secondhand Laden aussehen!!!

Wenn ein Berber, der auf der Straße vorbei kommt ihm eine Jacke anbietet sagt er, nein, tut mir leid, dass kann ich nicht gebrauchen und dann: „ach, schenken wolltest Du mir die? Danke, Schatz.“  Ich probiere die Garderobe von einer Dora Schröder an, wie ich erfahre. Viele Polyesterkleider und eine riesige Sammlung bunter Polyesterunterröcke. Da ich diese nur schön finde aber nie trage, kaufe ich zwei Polyesterkleider à 3,- , ein blass-gelbes mit Muster und ein weißes, was aussieht wie ein wattiertes Nachthemd.

Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber die jungen Frauen mit den 80er Jahre –Revival-Klamotten machen mich blind. Ganz kurze Shorts aus Jeansstoff, dazu Stiefeletten und eine hochgeschlossenen Polyesterbluse sowie eine lange Kette mit einem harmlosen, niedlichen Anhänger, einem Vögelchen oder einem Stück Torte oder einem Cupcake oder so was. Perlenohrstecker. Oder bunte Polyesterganzkörperanzüge, aber auch als Shorts mit abartigen Mustern, dazu flache, vorne runde Lederschnürschuhe in beige oder hautfarben oder grau (gesehen habe ich sie auch in Wildleder vorne bemalt mit Katzengesichtern) und 80er Jahre Sonnenbrillen, schwarz, unten rund und oben abgeschnitten. Die Haare oben auf dem Kopf zum Dutt zusammen gebunden. T-shirts mit riesigen Ausschnitten am Hals und an den Armen, so dass die Typen nackt dastehen und die Frauen im BH. Überhaupt Schlitz am Rücken und man sieht den Querstreifen vom BH ist der neuste Schrei. Dazu Rennräder mit ganz schmalen Reifen. Auch beliebt, Bermuda-Shorts, schön mit Bundfalte. Das unvorteilhafteste was die 80er hervor gebracht haben. Die Tätowierungen sind auch nicht meines. Beim Vorbeifahren erkenne ich nicht, ob die jungen Dinger Flecken vom der Schmiere der Fahrradkette am Bein haben oder sich dort was Permanentes haben dekorieren lassen.

Ich merke, dass ich ein alter Meckerpott geworden bin. Früher war Berlin ein Eldorado der illegalen Clubs und ich habe im Taxi geweint, wenn es wieder zurück ging in die Provinz. Jetzt denke ich, dass die ganz schön viele Spießer haben. Tätowierte Altrocker, die sich als Freizeitverkehrspolizei betätigen. Kiezrentner, die aus dem Fenster gucken, wenn ein Auto einparkt und sie durch die entsprechenden Geräusche angelockt wurden, um zu kontrollieren, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Überall die jungen Touristen (Typ: born yesterday), die Vergnügen suchen. Ich bin alt und intolerant. Meine unscheinbare Stadt, die keinen interessiert taugt mir völlig zum Leben. Natürlich bin ich traurig über den ein oder anderen Laden, den ich schon gerne mitnehmen würde. Ich beneide Berlin um Biergärten, die Soda-Zitrone anbieten und das ist nur Zitronensaft mit Mineralwasser (!), aber auch das ist den Gastronomen hier zu kompliziert. Sie schaffen es nur Bionade einzukaufen. Wir entdecken den Graefe-Kiez und gehen hier zwei Mal frühstücken und es gibt herrliche Schweinereien. Leckersten Quark mit Honig und der tollsten Früchten und selbstgemachtem Crunchy-Müsli, Eggs Bendikt sowie ein sehr zimtiges Bananabread.

Kaffeebar Müsli Kaffeebar eggs benedict

Da bin ich schon neidisch. Aber da sitzen wieder die Touristinnen aus Altanta und unterhalten sich auf Englisch darüber wer mit wem Schluss gemacht hat, erst bei den Promis anhand einer Gala, dann aus dem Bekanntenkreis und dann geht es offenbar um Bushido. Das schließe ich aus den Worten, die ich aufschnappe über jemanden, der einen „Award for integration“ bekommen hat und dabei „some explizit things“ sagt.

Hier gibt es allerdings auch das Lakritzfachgeschäft, was ich eher schön finde als kulinarisch interessant. Die Mafiosi-Lakritze mit Vluchtwagens und Pferdeköpfen überzeugen mich schon. Außerdem die tolle Sammlung an alten Dosen und die Kaufmannsladenstimmung mit der alten Kasse. Der Laden ist einfach gut sortiert. Stephan probiert ein Stück Lakritz-Fudge und als ich angewidert schaue ist die Verkäuferin beleidigt und meint zu meinem Mann: „na ja, Sie wissen ja jetzt, wo sie uns finden“.

Berlin Lakritz Kado Berlin Lakritz div Dosen Lakritz VluchtwaagensGraefe Bücherturm

 

17.07.2013 Koreanische und deutsche Traditionen

Nach knapp 1,5 Jahren geht es endlich mal wieder nach Berlin. Ich merke den Entzug, außerdem ist die Vorfreude riesig und die ganze Reise durchorganisiert und von langer Hand geplant (ca. 4 Wochen). Morgens noch eine kleine Blutentnahme und etwas Gerichtspost und dann kann es auch schon los gehen.

Blut gelöscht Blut YinYang

Wir werden Freunde treffen, die ich länger kenne als Stephan und das ist schwer zu schaffen und darauf freue ich mich besonders. Dann ist es gelungen andere alte Freunde, die ich auch länger kenne als Stephan aus Hamburg dazu zu locken und noch welche, die jetzt über Hamburg in Lübeck wohnen (der gemeinsame Ausgangsort war einmal vor 25-27 Jahren Bayreuth); großer Auftrieb also und Freunde aus Hannover werden wir auch dazu stoßen sowie meine Strickfreundin Heike.

Letztes Mal waren wir halbdienstlich in Berlin (Anhörung in einer Betreuungssache. Ja, ich hatte mal eine in Berlin). Ich hatte mir damals im Vorfeld vorgenommen Berlin doof zu finden. Als wir ankamen und ich einmal durch den U-Bahn Hof Alexanderplatz gelaufen bin, habe ich das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. Wir trafen damals abends die alte Freundin, die wir aus Bayreuth kennen, Brigitte. Sie ist über Hamburg nach Berlin gekommen und wohnt in Mitte, mitten drin. Wir wollten thailändisch essen, irgendwas, was es bei uns nicht so gut gibt und sie schlug vorsichtig einen Koreaner bei ihr in der Straße vor. Der wäre etwas teurer und es wäre immer leer. Das waren die ersten beiden Beschreibungen. Als wir dann erfuhren, dass das Restaurant erst vor einer Woche eröffnet hatte und uns erinnern, dass teuer in Berlin heißt, dass die Gerichte auch mal mehr als 5,- € kosten können, sind wir bereit diesem Laden eine Chance zu geben. Mir gefällt die Einrichtung. Ein Künstler hat die weißen Wände mit explodierendem Essen aus einem Kochtopf bemalt. Ein Tiger ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Der Laden wird geführt von einem supersüßen Pärchen, in die ich mich etwas verliebe. Sie ist Koreanerin und er ist Koch und Spanier und hat vorher in der Schweizer Botschaft gekocht. Es gibt koreanisches Essen, aber im Tapasstil, d.h. Kleinigkeiten und man kann sich durchprobieren. Das ist immer sehr in unserem Sinn, viel durchzuprobieren. Total liebevoll erklärt uns die Hausherrin einiges über die koreanische Küche, dass der Reis bei ihnen nie so neutral schmecken würde wie in China oder Japan, sondern immer aus einer Melange besteht mit Vollkornanteilen und immer einen ausgeprägten Eigengeschmack hat. Das merke ich mir. Das Kimchi ist hausgemacht und das Essen wirklich sehr gut. Wir verbringen einen herrlichen Abend und sind die einzigen Gäste, was vielleicht auch gut ist, da wir schon etwas angetrunken ankommen, nachdem wir privat vorgeglüht haben. Zum Abschied lobt die Chefin mein Filzhütchen. Es besteht aus einer Rolle, die ich mit japanischen Lebensmittelpiekern mit kleinen Figuren darauf, Eiern, Brokkoli, Scampi, alle haben ein Gesicht verziert habe, die alle oben rausschauen, manchmal aber leider die Richtung wechseln und nach hinten schauen. Die Rolle wird an zwei Haarclips befestigt. Das zeige ich ihr und sie zeigt mir anhand des Wandgemäldes die Stelle, die beweist, dass mein Kopfschmuck traditionell koreanisch aussieht. Abgebildet ist ein Pärchen vor einem Kochtopf an einer Feuerstelle. Eine Postkarte nehme ich mit, die dieses Motiv darstellt und schicke Brigitte eine Farbprobe mit zwei unterschiedlichen Magenta-Tönen. Dieser Farbton findet sich in der Inneneinrichtung wieder, so dass ich der Frau daraus ein Filzhütchen machen will. Kurze Zeit später kommen meine Proben zurück und Brigitte schreibt dazu, dass sie beide Farben mag, ohne schwarz oder weiß dazu. Dann tut sich über 1 Jahr nichts. Als vor ein paar Wochen die Idee wächst meinen Geburtstag in Berlin zu verbringen, mache ich mich daran, das versprochene Hütchen zu filzen. Der Laden brummt laut Aussage von Brigitte und die Frau rechnet da bestimmt nicht mehr damit, dass ich meine Zusage einhalte nach über einem Jahr oder hat mich vielleicht schon vergessen. Umso besser. Ich filze eine Doppelrolle und nähe einen Fisch, einen kleinen roten Kochtopf, eine kleine Metallpfanne mit zwei Chilis darauf sowie ein Porzellanknopf mit einem Kohl, den ich mal in New York in einem riesigen Kurzwarenladen erworben habe. Ich versuche die Kopfbedeckung von der Postkarte nachzuempfinden beim Filzen und Nähen. Außerdem entleere ich einen Babytiger, den ich mal bei Budni in Hamburg gekauft habe und der jahrelang auf seinen Einsatz gewartet hat. Das Badedas darin ist schon ganz eingetrocknet. Er badet in seinen Innereien, nachdem ich ihm den Bauch mit einer Nagelschere aufgeschnitten habe, der Arme. Die Szene erinnert etwas an „Schiffbrüchig mit Tiger“.

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Aus dem Baby-Tiger mache ich mir selber noch ein Hütchen, was ich passend und angemessen finde und fiebere so dem heutigen Abend entgegen. Die Frau von Kochu Karu ist auch schon ganz gespannt, schreibt Brigitte und ich erst. Es passiert selten bzw. ist ein echtes Novum, dass ich nach Gutdünken ein Hütchen mache und einer fremden Frau übergebe. Wie wird sie es finden, wie wird es ankommen? Wird es ihr stehen? Wird es sitzen und halten? Die Aufregung des Regisseurs vor einer Opernpremiere kann nicht größer sein.

Berlin Anna Tigerhut 2 Berlin Anna Tigerhut

Die Zugfahrt ist immer mit Verwerfungen verbunden. Diesmal ist es eine Reisegruppe aus Düsseldorf, die den Schaffner holt kurz vor Magdeburg um uns von unseren Plätzen zu vertreiben. Als wir herum maulen, dass die das ja früh merken mit der Reservierung und die verfällt doch nach 15 Minuten, heißt es, das sei doch eine Reisegruppe und die seien im Speisewagen gewesen. Müssen die Händchen halten, kam noch der m.E. berechtigte Einwand eines netten Mannes, der neben Stephan sitzt, aber schließlich räumen wir das Feld und ziehen weiter.

Am Sonntag war Atelier-Räumen Teil 2 und auch wieder etwas verstaubte Dinge im Keller sichten, aussortieren. Nicht nur, dass ich endlich meine Gartendecke mit den Fransen wiedergefunden, gewaschen und tagelang gelüftet und mich gefreut habe. Es wurden auch etliche CDs, die ich wohl damals im Atelier gehört habe geborgen, Body Count sowie Billy Holiday und Diane Warwick waren in dem Stapel. Stephan säubert die CDs. Ich stelle dann fest, dass zwei davon leer sind. Jetzt erklärt sich auch, warum eine Billy Holiday und eine Nina Simone CD hier immer ohne Hülle rumgeflogen sind, d.h. zumindest zur Hälfte. Nina Simone kann vorübergehend in der Diane Warwick Hülle Unterschlupf finden. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich der Rest auch noch findet eines Tages.

Ich habe mich heute bei meiner Mutter angekündigt für die Vogelbeerernte. Jetzt habe ich die 45 überschritten und gehe auf die 50 zu und interessiere mich allmählich für die familiären Traditionen und dazu zählt Vogelbeergelee und -sirup (hat meine Oma immer gemacht und wurde mit Wasser aufgegossen. Damals wollte man natürlich lieber was Gekauftes, wie Spezi). Das Vogelbeergelee macht meine Mutter und es ist einfach köstlich zu Käse und ich bin fest entschlossen die Methode jetzt von ihr zu lernen. Die anderen Marmeladen kann man zur Not auch käuflich erwerben und wozu habe ich mich sonst so verkämpft, dass ein Vogelbeerbaum mit der essbaren Sorte als Ersatzpflanzung für die Kastanie vor unser Fenster gepflanzt wird? Mehrfach habe ich mich seit dem geärgert, dass ich nicht rein optisch darüber nachgedacht und mich für eine Magnolie entschieden habe, das kam mir damals gar nicht in den Sinn und ärgert mich seitdem jedes Frühjahr, nein Vogelbeere sollte es sein wegen der familiären Tradition und wenn ich dann das Zeug nicht daraus kochen kann, nützt mir das alles nichts.

Wir kommen an und ich freue mich über die berlintypischen Straßenschluchten sowie die Platten auf dem Bürgersteig. Das Wetter ist bestens und wir sind nach einer Ewigkeit mal wieder im Westen der Stadt, in Kreuzberg. Der Berliner Tagesspiegel punktet am Kottbusser Tor mit der geilsten Überschrift:

BER Teilverschiebung

Denen bleibt wirklich nichts erspart.

 

Wir sind sehr zufrieden mit der Unterkunft, die uns privat vermittelt wurde. Sie hat den lässigen Einrichtungsstil, den wir Mitte der 90er schon im Orpée in Regensburg geliebt haben.

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Wir ziehen gleich weiter. Fahrräder mieten haben wir uns für den nächsten Tag vorgenommen, weil die Emailanfragen im Vorfeld etwas schleppend anliefen (Urlaub bis 18.07.), der Banhi-Mi Laden gleich um die Ecke hat Sommerpause, aber unsere Laune kann heute nichts trüben und nach einem kurzen Besuch in einem schönen Laden für nostalgische Möbel, Treibgut und einer kurzen Runde durch die Nachbarschaft geht es am Moritzplatz in die U-Bahn.

Berlin Stephan Berlin DACH 2 Berlin DACH

Berlin U-Bahnstation 1 Berlin U-Bahnstation 3 Stephan Berlin U-Bahnstation 2

Ich will an jeder Station die Kacheln fotografieren (Berlinliebe).

Berlin U-Bahnstation Jannowitz Berlin Stephan Benji

Am Gleis stehen zwei Typen, beide ziemlich desolat aussehen und haben Mühe sich auf den Beinen zu halten. Der eine stammt aus Osteuropa, der richtig Desolate aus Ostberlin. Der Dialog zwischen den beiden, die irgendwie feststellen, dass sie beide aus dem Ostblock kommen läuft folgender maßen ab: „Kotti?“ fragt der eine den anderen und der versteht „Koka?“. Daraufhin der erste wieder: „Du hast ganz schön viel getrunken, oder?“ und der „nein, ich habe Heroin genommen, aber nicht jetzt und so“ und dabei hält er sich ein Nasenloch zu. Daraufhin der andere zu ihm: „Das kann man auch spritzen“. Dann geht es um andere Drogen und der Typ, der die Einnahmetipps verteilt hat sagt das Wort „Ephedrin“ woraufhin der andere sehr euphorisch ihn lobt: „Hey, Du kennst ja den offiziellen Namen von dem Zeug. Da weiß kaum einer den richtigen Namen.“ Hier hat man es mit echten Könnern zu tun. In der U-Bahn sind junge Amerikaner, ausgelassen freuen sich sie über mein Hütchen. Die Frau hat ein Kind dabei und sagt ihm: „We’re flying back tomorrow and then you will go to your father and I’ll meet you there on Sunday“. Von ihrem Begleiter will die gut aussehende, junge Mutter wissen: „Do you think the jet lag will be less worse, because he has been going to bed really late?“ bezogen auf ihren Sohn. Sie steigen Eberswalder Straße aus und wollen in den „Spielwarenstore“ dort. Die ganze Stadt ist voller Touristen und an jeder Ecke wird Englisch gesprochen. Wir fahren eine Station weiter und suchen das Hokey Pokey auf, eine Eisdiele über die auf Spiegel online berichtet wurde. Das Eis kommt an Tuchlauben und Tichy und die Wiener Läden nicht ran und kostet 1,60 €. Am Prenzlauer Berg stehen an jeder Ampel 6-10 Kinderkarren. Das ist wirklich auffällig und in einem Laden, in dem wir am Tresen einen Espresso trinken, wird für Mind Cookies geworben. Der besondere Kick, mit Vitaminen und Guarana. Ein Geschäftsmann in Yogahaltung ist zu sehen sowie derselbe Mann, der allerlei Dinge jongliert, Börsendiagramme, Geschenke, Handy, Rechner. Das Männchen ist eine Zeichentrickfigur. Ich nehme den Flyer mit, weil ich lachen muss. Brigitte liest später vor, dass eine Manuela aus Hannover das Produkt lobt mit den Worten, dass sofort glückliche Kindheitserinnerungen wach werden nach dem Konsum.

Ich besuche den Humana in der Eberswalder Straße, aber meine Handtasche ist die coolste im ganzen Laden und auch sonst hat mir der Laden nichts zu bieten. Ein Morgenmantel aus voll Plastik will nun wirklich keiner….

Berlin Anna Humana Morgenrock

Berlin ändert sich ständig und es lohnt nicht alte Adressen noch mal aufzusuchen, weil was früher einmal cool war ist es jetzt nicht mehr. Neu entdecken ist angesagt.

Wir haben einen Tisch, draußen und essen leckere koreanische Tapas, Pulpo-Salat mit Chorizo und Teigtaschen und trinken Weißwein dazu. Ich überreiche gleich zu Beginn das Hütchen und es steht ihr gut in ihrem dunklen Haar. Vielleicht gefällt es ihr auch, vielleicht ist sie nur höflich. Zu fortgeschrittener Stunde will ich ein Beweisfoto machen, aber ich habe eine rote Nase und fleckige Haut und die geblitzten Fotos sind einfach nur gekünstelt und gequält, so dass ich an dieser Stelle auf die Dokumentation verzichten möchte. Wir hatten einen ausgelassenen Abend und das ist wichtiger als das perfekte Foto und ich kenne die Frau schließlich gar nicht.

Nach einem weiteren Absacker bei unseren Freunden springen wir in die Tram, die dann leider falsch abbiegt und so landen wir an einer Ausfallstraße mitten in der Pampa und laufen zu einem ganz unsympathischen Businesshotel vor dem ein Taxenstand ist. Es hat den Charme von Garbsen. So verschieden kann Berlin sein, erklärt uns der Taxi-Fahrer als ich die Veränderung feststelle. Gerade noch Partymeile und jetzt hässlich und Hund verfroren denke ich mir.