18.07. Slayer ist mein Efes

Es dauert einen ganzen Vormittag die Räder zu leihen, die es eigentlich an jeder Ecke gibt. Die reinste unfreiwillige Schnitzeljagd. Ali, 100 Meter vom Apartment entfernt, hat 2 Räder für 10,- € den Tag, aber die müssten wir Samstag bis 18 Uhr zurück bringen. Das reicht uns nicht, da wir sie bis Sonntag wollen. Wir sind kompromisslos und ziehen los zu dem Laden, den Stephan im Internet ausfindig gemacht hat und denen er geschrieben hatte und die Urlaub hatten bis heute, weshalb wir gestern auf Drahtesel verzichteten. Die öffnen aber erst um 11 Uhr. Es ist eine halbe Stunde zu früh. Wir gehen in der Ankerklause einen Kaffee trinken. Ich esse Müsli mit Obst. Am Nachbartisch erzählt eine total unsympathische Kuh Olga unentwegt ihrem gegenüber was von „Balastkunden“, die man schon seit 10 Jahren durchschleppt und ich bin genervt. Als der Radverleih um 11 Uhr nicht aufmacht und wir wie bestellt und nicht abgeholt auf den Stufen vor dem Eingang sitzen, werde ich zunehmend echt sauer und fange an vor mich hin zu schimpfen, ob alle Vollpfosten der Republik nach Berlin ziehen würden um sich dort in Mitte zu vermehren wie die Karnickel und sich daneben unmotiviert und wahllos Bildchen überall auf den Körper stechen zu lassen. Als wir gerade unter meinen wüsten Beschimpfungen gehen wollen, tut sich was im Laden und ein lockiger Student, der total verpennt ausschaut, zieht sich gerade ein T-shirt über und kommt aus dem hinteren Bereich des Ladens (backstage). Er schließt auf, sie haben keine Räder mehr, aber einen Zweitladen in der Skalitzer Straße. Er soll dort bitte anrufen, spricht portugiesisch am Telefon. Ja, es gibt noch 3, aber wir müssen uns beeilen. Er reserviert uns 2 eine halbe Stunde. In der Zeit müssen wir zu dem 1 Kilometer entfernten Laden gelaufen sein um sie abzuholen. Warum müssen wir uns jetzt eigentlich beeilen? Wo kommen wir her, will er wissen? Wir antworten brav und später meint Stephan, was sei das für eine Frage, wo würde er denn herkommen. Wir laufen zügigen Schrittes und ich zeternd zu der Filiale. Dort angekommen heißt es, Sonntagsrückgabe ausnahmsweise nicht möglich, weil er ausnahmsweise verreisen müsse an diesem Wochenende. Ich bin bedient und wir lehnen dankend ab und trinken erst mal eine Kaffee um das weitere Vorgehen zu besprechen. Zuvor hatte es den Tipp mit Spätkauf gegeben (wenn ich es Kiosk nenne, finden die Berliner das lustig), die auch Räder verleihen und großzügiger Rückgabemöglichkeiten. Wir laufen zurück zum Görlitzer Bahnhof und der türkische Inhaber ist am Faxen und hat nur ein Rad vor der Tür stehen. Als der jetzt auch auf einen Zweitladen verweist, fange ich an mit meinem Text an und sage, dass geht jetzt leider nicht mehr so, wir werden von A nach B geschickt, es ist alles total unoraganisiert in der Hauptstadt, er könne da natürlich nichts dafür, aber ich würde ihn inständig bitten, da vorher anzurufen und wirklich verbindlich die Sache für uns zu klären. Alle umherstehenden Kunden im Laden gehen einen Schritt zurück wegen meiner Thermik. Dann bedanke ich mich freundlich und lobe seine Nostaligieedition von Coca Cola-Flaschen aus der Türkei von Migros. Ich habe sie wiedererkannt. Wir müssen eine Station mit der U-Bahn wieder zurück fahren, die wir gerade gelaufen sind zum Schlesischen Tor. Oben am Gleis kommt uns ein langhaariger Junkie entgegen mit einem kurzbeinigen Hund: cooler Hut ruft er mir entgegen und ich strahle ihn an und erwidere cooles T-shirt. Auf seinem steht: „Slayer ist mein Bier“. Ich wundere mich immer, dass ich so einen natürlich guten Draht zu einem bestimmten Klientel habe. Sonst könnte ich ja auch meinen Job nicht machen. Es ist wie beim Rattenfänger von Hameln. Ich pfeife und sie folgen mir. Ich prahle damit, dass ich mit dieser Fähigkeit in jeder Stadt eine Armee der besonderen Art hinter mich bringen könnte, so wie Tarzan bei den Tieren des Dschungels, aber eben anders. Der anvisierte Fahrradverleih ist ein türkisches Malergeschäft.

Berlin Fahrradverleih Sphinx Berlin Fahrradverleih Charly Pinselseife

Der junge Mann stellt beim Kopieren des Persos von Stephan fest: Sie haben ganz schön viel abgenommen. Dann erzählt er, dass er selber 40 Kilo abgenommen habe, sogar eine Schuhgröße kleiner würde er jetzt tragen. Wir bekommen zwei Räder, keinen Pfand, Rückgabe Sonntag zwischen 17 – 19 Uhr. Der Tag ist gerettet. Der Weg war steinig, aber von Erfolg gekrönt. Ich bin happy.

Noch glücklicher bin ich über einen Trödelladen, der von einem sympathischen Schwulen geführt wird, der bei dem guten Wetter Klamotten auf die Straße stellt. In den Innenräumen sieht es aus, wie in einer Messiewohnung. Der reinste Abenteuerspielplatz.

Berlin Trödel 1 Berlin Trödel 2

So muss ein Secondhand Laden aussehen!!!

Wenn ein Berber, der auf der Straße vorbei kommt ihm eine Jacke anbietet sagt er, nein, tut mir leid, dass kann ich nicht gebrauchen und dann: „ach, schenken wolltest Du mir die? Danke, Schatz.“  Ich probiere die Garderobe von einer Dora Schröder an, wie ich erfahre. Viele Polyesterkleider und eine riesige Sammlung bunter Polyesterunterröcke. Da ich diese nur schön finde aber nie trage, kaufe ich zwei Polyesterkleider à 3,- , ein blass-gelbes mit Muster und ein weißes, was aussieht wie ein wattiertes Nachthemd.

Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich nicht streiten, aber die jungen Frauen mit den 80er Jahre –Revival-Klamotten machen mich blind. Ganz kurze Shorts aus Jeansstoff, dazu Stiefeletten und eine hochgeschlossenen Polyesterbluse sowie eine lange Kette mit einem harmlosen, niedlichen Anhänger, einem Vögelchen oder einem Stück Torte oder einem Cupcake oder so was. Perlenohrstecker. Oder bunte Polyesterganzkörperanzüge, aber auch als Shorts mit abartigen Mustern, dazu flache, vorne runde Lederschnürschuhe in beige oder hautfarben oder grau (gesehen habe ich sie auch in Wildleder vorne bemalt mit Katzengesichtern) und 80er Jahre Sonnenbrillen, schwarz, unten rund und oben abgeschnitten. Die Haare oben auf dem Kopf zum Dutt zusammen gebunden. T-shirts mit riesigen Ausschnitten am Hals und an den Armen, so dass die Typen nackt dastehen und die Frauen im BH. Überhaupt Schlitz am Rücken und man sieht den Querstreifen vom BH ist der neuste Schrei. Dazu Rennräder mit ganz schmalen Reifen. Auch beliebt, Bermuda-Shorts, schön mit Bundfalte. Das unvorteilhafteste was die 80er hervor gebracht haben. Die Tätowierungen sind auch nicht meines. Beim Vorbeifahren erkenne ich nicht, ob die jungen Dinger Flecken vom der Schmiere der Fahrradkette am Bein haben oder sich dort was Permanentes haben dekorieren lassen.

Ich merke, dass ich ein alter Meckerpott geworden bin. Früher war Berlin ein Eldorado der illegalen Clubs und ich habe im Taxi geweint, wenn es wieder zurück ging in die Provinz. Jetzt denke ich, dass die ganz schön viele Spießer haben. Tätowierte Altrocker, die sich als Freizeitverkehrspolizei betätigen. Kiezrentner, die aus dem Fenster gucken, wenn ein Auto einparkt und sie durch die entsprechenden Geräusche angelockt wurden, um zu kontrollieren, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht. Überall die jungen Touristen (Typ: born yesterday), die Vergnügen suchen. Ich bin alt und intolerant. Meine unscheinbare Stadt, die keinen interessiert taugt mir völlig zum Leben. Natürlich bin ich traurig über den ein oder anderen Laden, den ich schon gerne mitnehmen würde. Ich beneide Berlin um Biergärten, die Soda-Zitrone anbieten und das ist nur Zitronensaft mit Mineralwasser (!), aber auch das ist den Gastronomen hier zu kompliziert. Sie schaffen es nur Bionade einzukaufen. Wir entdecken den Graefe-Kiez und gehen hier zwei Mal frühstücken und es gibt herrliche Schweinereien. Leckersten Quark mit Honig und der tollsten Früchten und selbstgemachtem Crunchy-Müsli, Eggs Bendikt sowie ein sehr zimtiges Bananabread.

Kaffeebar Müsli Kaffeebar eggs benedict

Da bin ich schon neidisch. Aber da sitzen wieder die Touristinnen aus Altanta und unterhalten sich auf Englisch darüber wer mit wem Schluss gemacht hat, erst bei den Promis anhand einer Gala, dann aus dem Bekanntenkreis und dann geht es offenbar um Bushido. Das schließe ich aus den Worten, die ich aufschnappe über jemanden, der einen „Award for integration“ bekommen hat und dabei „some explizit things“ sagt.

Hier gibt es allerdings auch das Lakritzfachgeschäft, was ich eher schön finde als kulinarisch interessant. Die Mafiosi-Lakritze mit Vluchtwagens und Pferdeköpfen überzeugen mich schon. Außerdem die tolle Sammlung an alten Dosen und die Kaufmannsladenstimmung mit der alten Kasse. Der Laden ist einfach gut sortiert. Stephan probiert ein Stück Lakritz-Fudge und als ich angewidert schaue ist die Verkäuferin beleidigt und meint zu meinem Mann: „na ja, Sie wissen ja jetzt, wo sie uns finden“.

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