Leider ist es wieder erst 7 Uhr und ich wollte doch mal ausschlafen. An der total gemütlichen Matratze in unserem Appartement, die neuwertig ist und in das alten Holzbett eingearbeitet wurde, liegt es jedenfalls nicht. Es werden die Handwerker gewesen sein, die hier schon wieder zugange sind. Es ist gar kein altes Holzbett, sondern eine alte Holztür, an die man ganz geschickt ein Bett angebaut hat, raffiniert.
Als ich um 8 Uhr endlich aufstehe, sagt Stephan, dass sie bestimmt bald Frühstückspause machen würden. Die Wirtsleute aus Regensburg sind vor 14 Jahren von dort ans Kottbusser Tor gezogen ist an den Erkelenz Damm 17. An dem Haus wurde lange nichts gemacht und die Mieter haben selber die Elektrik verlegt und Badezimmer eingebaut, jetzt ist es verkauft worden und es wird nach und nach was gemacht, gerade ist das Dach dran und es setzt unrhythmische Hammerschläge, so wie es klingt wenn mehrere zugange sind. Ich nehme mir einen Holzstuhl aus unserem Zimmer und stelle ihn in den Gang an der Küchennische und koche mir erst mal einen russischen Earl Grey von der Dame des Hauses mit Honig aus der Mark Brandenburg um Stephan nicht weiter zu stören.
Als ich meine Augen noch nicht scharf stellen konnte habe ich schon die emails mit dem Smartphone abgefragt. Wir sind hier im Tal der Ahnungslosen ohne Fernseher und Internet und das ist auch mal ganz gut so. Es sind einige Dienstliche, aber wohl nichts Dramatisches und wohl ein Foto meiner Kollegin aus dem Urlaub, was ich nicht öffnen kann und dann gratuliert mir Yoga Kula aus Wien zum Geburtstag, dabei habe ich doch erst morgen. Wie kann das passieren denke ich zuerst, weil das schaffe ich wohl noch meinen Geburtstag richtig anzugeben, sehe dann aber, dass es sich um ein Geschenk handelt, einen 10,- € Gutschein, gültig 1 Jahr. Hey, das ist echt praktisch freue ich mich, weil Wien steht garantiert bald wieder auf dem Programm. Stephan und ich haben beide schon Heimweh danach und dann gehe ich schön mit Sunla zum Yoga und spare 10,- € und kann die dann gleich in Tuchlauben-Eis oder Marillenkrapfen, je nach Jahreszeit umsetzen. Ein echtes Geschenk also.
Apropos Yoga. Heute morgen bin ich erst mal mit Michi um 11 Uhr beim Jivamukti Yoga X-Berg verabredet. Es war mein erster Anblick als wir bei der Ankunft am Kottbusser Tor aus der U-Bahn kamen:
Michi will mich vorher anrufen als Weckanruf. Das ist bei mir sowie von überflüssig. Bei meinem Urlaubsrhythmus hätte ich auch Spiritual Warrior um 9:15 Uhr locker geschafft, aber ein bisschen rumhängen, wenn man schon nicht schlafen kann, finde ich auch gut. Im Vorfeld hatte ich mich über die komplizierten Preisregelungen des Berliner Studios geärgert und dachte, denen sollte man die zwirbelbärtigen Verbraucherschützer aus Baden-Württemberg mal auf den Hals hetzen. 10er Karte unlimited ist nur eine bestimmte Zeit gültig, entgegen dessen, was der Name vermuten lässt bzw. Du kannst dann in der Zeit unlimited Yoga machen. Dann gibt es irgendwie eine 5er Karte unbegrenzt (+1 Bonus (auch ganz kompliziert und mit vielen Fußnotensternchen) und in Klammern dahinter steht (vorbehaltlich der Verjährungsfrist). Was soll das denn frage ich mich, 3 Jahre sind dann unbegrenzt? Ich gebe denen bestimmt nicht mein Geld als Vorschuss und dann berufen die sich auf die Regelverjährung, wenn wieder etwas Zeit vergeht zwischen meinen Berlinbesuchen. Ne, ne, ne, dann nur Einzelkurs. Anders geht es mit diesen Leuten nicht. Lustig ist auch, dass eine desinfizierte und saubere Matte 2,- € Leihgebühr kostet und eine die gelegentlich, aber unregelmäßig desinfiziert wird ist umsonst. Da ist auch noch ein Warnhinweis dazu mit Haftungsausschluss. Mein Gott, so kompliziert kann Yoga im Internet sein, mit ganz vielen Regeln. Lustig hätte ich gefunden, eine gelegentlich desinfizierte kostet 1,- € und eine mit Taubenkot verschmutzte vom Kotti unter der Brücke ist umsonst. Wir werden sehen, vielleicht sind die ja auch ganz nett und unkompliziert in echt. Tatsächlich hören die Handwerker als ich den Tee getrunken habe wieder auf zu arbeiten und fangen nicht mehr an. Warum machen die so etwas? Alle wecken und dann nicht weiter machen. Man bestätigt mir, dass die tatsächlich die gängige Praxis sei.
Ich bin gespannt, wie ich mich heute überhaupt mache nach dem verkürzten Schlaf und dem großen Menü mit Weinbegleitung von Tim Raue. Das ist eigentlich nicht das Vor-Yogaprogramm, dass man 7 Gläser Wein trinkt, aber eigentlich geht es mir gut. Das Essen fing so an, dass wir uns noch mal zu einem späten Mittagschlaf aufs Ohr gelegt hatten und um 18 Uhr aufstanden. Ich hatte nach einer Geruchsprobe befunden, dass ich immer noch nicht duschen muss und habe mich trocken in Schale geschmissen und bin runter in den Biergarten. Hier waren die Tisch schon mit Tischtüchern (weiß und rotweiß kariert) eingedeckt und die ersten Gäste da, so dass ich mich für Innen und den Tresen entschieden habe sowie einen Espresso Macchiato. Es gibt Wurstsalat und Händelmaiersenf und Bier aus Bayern und das Konzept geht auf. Als wir gehen, geht auch die Chefin und wir fragen wechselseitig nach den Abendplänen. Sie will in die Hasenheide zu einem Kiosk, wo sich alle Treffen: Alte, Behinderte, Alkis und Junge und es sei total nett. Da könnte ich jetzt direkt mitfahren und sage, dass wir zu Tim Raue gehen und stelle es als Pflichtveranstaltung von Stephan dar. Ihr Lieblingsrestaurant wäre gegenüber das Sale e Tabacchi. Sie sagt uns auch zu meiner Verwunderung auf ihre Heimatstadt Regensburg angesprochen, dass man es dort jetzt vergessen könne, seit Regenburg europäische Kulturhauptstadt geworden sei, sei es überschwemmt mit Touristen. Da sei sie doch lieber im flauschigen Berlin. In meinem Kopf entsteht ein Fragezeichen und mir fällt nur der Begriff vom Regen in die Traufe kommen ein.
Das Sale e Tabacchi ist im Haus der Taz und sieht lebendig aus, während man bei Tim Raue zunächst in eine künstliche Designerwelt eintaucht, wo nicht so das pralle Leben der Hasenheide oder von gegenüber herrscht. Der Raum hat dunkelblaue und türkisfarbene Bestuhlung, mit Wolle bezogen. Der Wollstoff erinnert mich an unsere Sessel im Wintergarten. Die eckigen Holztische haben einen Spalt auf beiden Seiten durch den mal die Tischdecke hindurch ziehen kann. Es hängen zwei große Vogelkäfige aus Holz, die Bedienungen tragen bunte Blusen mit Vogelmotiven u.a. mit Türkis und weiße Gürtel dazu dunkelblaue Hosen und weiße Chucks. Ich will es kurz machen, das Essen war teuer, aber sehr lecker. Ich mochte es sehr, dass es richtig asiatisch war und scharf und süß, die Kombinationen gut durchdacht. Während man sonst zu Beginn einen Brotkorb mit Öl oder irgendwelchen Dips bekommt, an dem man sich unweigerlich voll frisst, gab es hier 8 Schälchen mit japanischen Leckereien, sehr dünnem, warmen Schweinebauch mit Sesam, 3 x rohen Fisch und gewürzte Cashewkerne, sowie sehr leckere japanische Gurke und irgendein Rettich in einer Senfsoße sowie Tomate mit Passsionsfruchtmark. Das war schon mal toll.
Auch die Gänge, die wir tauschen schmecken sehr, sehr gut. Wir nehmen beide Menüs sowie die Peking Ente und haben damit einmal das ganze Programm durchprobiert. Besonders gut gefällt uns die gedämpfte Dorade, das Fleisch butterzart und auf den Punkt (innen warmes Sashimi), etwas scharf auf einem Sud von Kalbsfond, der Kaisergranat mit Wasabi-Mayo ist auch superlecker, sowie der Trüffelgang mit Palmherz und Topinambur sowie Perlhuhn. Im Hauptgang gibt es geschmorte Rinderschulter, die mit der Gabel gegessen werden kann sowie säuerlich eingelegte Rinderzunge und Stephan hat die Pekingente, die aus dem Fleisch mit Fettschicht und knuspriger Haut auf einem süßlichen Buchweizenpfannkuchen, sowie der Leber als Pastete auf einem Extraeller und einer süßlichen, gehaltvollen Brühe mit kleinem Gemüse und Magen und Herz und den Innereien besteht. Es mag nicht lecker klingen, es war aber ein Traum. Besser kann man diese Ente kaum interpretieren.
Die Weinbegleitung serviert ein freundlicher, junger, sich sehr kultiviert gebender Mann. Er trägt auch offizielle Kleidung mit Krawatte usw. Ich denke mal das muss seinem jugendlichen Alter eine gewisse Seriosität verleihen, dass auch die älteren Pfeffersäcke, die hier ihr Geld lassen ihn erst nehmen.
Vor dem Nachtisch gibt es einen Gruß aus der Küche bestehend aus einem Iceball, gefrorenes Wasser in der Form eines Golfballes (wegen der geringeren Oberfläche würde er den Drink nicht so verwässern heißt es, er sieht vor allem schick aus und man kann ihn gut im Glas drehen) und Yuzu-Likör sowie Yuzuschaum und Eiscream auf einem Teller dazu. Sehr lecker und erfrischend.
Beim Nachtisch standen 3 insgesamt zur Auswahl und wir haben gottseidank eines reingetauscht was gar nicht vorgesehen war im Menü und zwar Burrata mit Pinien, Speck und Honig. Obst wird überbewertet sagte ich nur. Der Käse war gerieben und fast flüssig und das ist definitiv mein neuer griechischer Honig, aber mit weniger Säure. Der Speck mit Honig dazu. Ein Traum. Ich schwelge jetzt noch und das Wasser läuft mir im Mund zusammen beim tippen.
Auf den Klos ist chinesische Kunst zu sehen, die ich u.a. aus dem Galerienviertel in Shanghai kenne und die mir dort schon positiv aufgefallen war.
Als gegenüber bei Sale e Tabbachi um ca. 21 Uhr schon tote Hose ist und aufgrund der oben beschriebenen Speisen, bin ich stark versöhnt mit dem Abend. Ich finde es auch schade, dass hier nicht das Publikum von der Hasenheide ist. Es könnte doch zum Hartz IV Satz dazu gehören ein kleines 4-Gänge Menü bei Tim Raue mit Weinbegleitung, einmal pro Bewilligungsabschnitt. Von mir aus könnten Steuergelder so eingesetzt werden. Dann wäre auch hier mehr los und Oper wird ja auch subventioniert.
Richtig neidisch macht uns ein Nachbartisch mit einem Mann, ca. in unserem Alter und zwei jugendlichen Mädchen, die Cocktails trinken. Hier kommt nicht nur ein großer, gut aussehender Mann aus der Küche an den Tisch und redet mit denen, sondern später kommt sein Kochkollege und bringt eine wirklich große Geburtstagstorte, überzogen mit weißer Schokolade und Blüten verziert. Auf dem Tisch wird Platz gemacht für eine Kerze und sie feiern hier offenbar Teenagergeburtstag. Der Rest, d.h. fast die komplette Torte, an der nur genascht wurde, wird in ein geblümtes Paket von DHL eingepackt für zuhause. Da darf einem nichts zu peinlich sein. Nächstes Mal mache ich das auch so. Dieses Mal habe ich immerhin einen neuen Kuli abgestaubt, bzw. habe Stephan gebeten für mich zu fragen, weil meiner schlecht schreibt und ich mich beim Reisetagebuch schreiben, was ich immer zwischen Tür und Angel mache, immer ärgern musste. Jetzt schreibe ich mit einem von Tim Raue.
Wir fahren nach Hause und ich bin versöhnt mit den Sterneläden in Berlin, die ich bisher allesamt langweilig und chichi fand, ohne dass das Essen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hätte, nur die Bernsteinwand oder die Springbrunnen im Innenhof, aber darauf kommt es mir nicht an. Zuvor hat mir Stephan noch den großen Penis von Kai Dieckmann gezeigt und nicht einmal das konnte mir auf den Magen schlagen.
Wir sind die perfekten Gäste für so einen Laden wie Tim Raue. Wir können selber nicht sehr gut kochen und lieben essen und essen gehen, also passen wir wie die triebigen Freier in den Edelpuff. Was die nicht gebrauchen können, sind ambitionierte Hobby-Köcher, die das zuhause auch alles ausprobieren und mit ihnen darüber diskutieren wollen. Die sind wie Hausfrauen, die gelegentlich der Prostitution nachgehen, Nebenerwerbsnutten. Wir hingegen sind nur zahlende und zufriedene Freier.