29.09. Wir werden sehr früh wach, aber ich fühle mich ausgeschlafen, weil ich wirklich so tief und fest geschlafen habe. Zuerst höre ich den älteren Sohn (den ich für diesen Text einmal Qualle nenne, weil er immer stundenlang Quallen gerettet hat an der Ostsee durch wieder ins Meer werfen) und dann Marc, wie er sehr laut mit einem Tennisvater telefoniert (wir schlafen in einem Spitzboden, der offen ist, so dass der Schall uns ohne Barriere erreichen kann). Am Vorabend war vergeblich versucht worden den Vater des Mitspielers zu kontaktieren um es so zu organisieren, dass dieser Jürgen (?) Qualle mit abholt und dann mit beiden Jungs zu dem Turnier fährt und Marc zuhause bei uns bleiben kann, aber irgendwie hat der Vater und alte Tennisspieler auch Hummeln im Hinten. Ja, „die Jungs sind weiter gekommen“ und nicht ausgeschieden und er wird Qualle zum Turnier fahren, „alles klar“, wird immer wieder laut gesagt und „ja gut, bis dann“. Ich gehe eine Treppe tiefer, wo die Familie in trauter Einheit im elterlichen Bett versammelt ist und kuschelt. Ein herrlicher Anblick von Säugetieren im Rudel und so richtig gemütlich mit Körperkontakt, dass man sich dazu legen will. Häh stellt fest, dass er auch mit will, aber nur wenn Franziska auch mit fährt. Wer kann da schon nein sagen und wach bin ich eh und Lust auf einen Ausflug habe ich auch. Dann will Häh wissen, ob Steffi wach ist. Er will ihm nur sagen, dass wir mit fahren zum Tennis. Ich sage, den lassen wir noch schlafen. Als oben vom Dachboden Stephans Stimme zu hören ist mit den Worten „pupsen kann ich auch im Auto“, gibt es kein Halten mehr für Häh, der leicht hysterisch wird schon beim Klang der Stimme und sofort oben ist beim Chef. Beim Tollen am Vortag als er oben auf dem Bär geritten ist, hat Häh festgestellt, „Du hast wenig Haare hier“ und er streichelt zärtlich die Stelle oben an seinem Kopf. Stephans Antwort: Räude.
Die Gastgeberin weiß was ich am meisten liebe, kennt mich lange und gut und immer steht eine Kanne mit kaltem Kräutertee für mich in der Küche bereit. Herrlich. Andere schütten den alten Tee weg. Das ist ganz böse. Ich fülle meine Sigg-Flasche und bin reisebereit. Jasmin und Stephan lassen wir zurück. Stephan schläft sogar noch eine Runde. Marc und die Jungs und ich fahren an der Ruhr entlang nach Mühlheim und sind bald in dem Sport- und Tenniscenter angekommen. Auf dem Weg dorthin passieren wir die Mühltalautobahnbrücke. Sehr eindrucksvoll. Viele Pfeiler, sehr hoch. Das Wetter ist sonnig und wir fahren unten hin durch. In Mühlheim angekommen sehe ich, dass heute Trödelmarkt ist, zum einen anhand der Plakate und dann sieht man auch schon den Konvoi mit Fahrzeugen mit Kartons hinten drin und bin noch freudiger gestimmt. Die Jungs spielen in der Halle, die farblich ausgesprochen gut zu meinem Outfit passt, zumindest der Teppichboden zu meinem Kleid und meiner Strumpfhose und in Strümpfe bewegen wir uns darauf. Mit Handschlag begrüße ich Jürgen, den anderen Vater und wir nehmen auf den Zuschauersesseln Platz. Ich gehe in das angrenzende Café auf der Suche nach mehr Koffein. Der Bordcomputer der vollautomatischen Maschine spinnt und verlangt immer „Trester ausleeren“ obwohl die Schublade bereits entleert wurde. Dann werden die Shops eröffnet und Tennis- und Sportklamotten vor die Tür gestellt in eine kleine Passage wie im Arosa-Hotel in Travemünde. Soll ich mir eine Dunlop-Hose kaufen für Yoga? Das muss nicht sein. Dafür gehe ich um 10:15 Uhr zu dem Trödelmarkt und sage Marc, dass ich in einer Stunde wieder da bin. Jürgen hatte mir zwar die falsche Richtung erklärt, aber ich folge einfach dem Strom der Menschen. Erst bin ich irritiert über die Neuware, Billigklamotten aus China und Lebensmittel und stelle dann fest, dass der Trödel in der zweiten Reihe verkauft wird, also ein gemischter Markt irgendwie, mit teilweise Trödel. Der Markt hat laut Plakat Öffnungszeiten von 11 bis 17 Uhr. Natürlich ist es schon knallvoll bei dem herrlichen Wetter, aber irgendwie eine komische Stimmung. Zwischendrin überall Autos, die noch einparken und ausladen und aufbauen und die rangierenden Autos zwischen den Trödelsuchenden. Das nervt. Dann heißt es, offiziell dürften sie erst ab 11 Uhr verkaufen. Das hätte letztes Jahr richtig Ärger gegeben und es wären welche rausgeflogen. Wo gibt es denn so was, frage ich mich. Ich binde mir gleich einen sauschweren roten Blumenübertopf ans Bein. Zum Glück finde ich später die passende rote Reisetasche für 3,- €. 5 sehr schöne farbige Eierbecher und eine Butterdose kommen hinzu. An diesem Stand sehe ich auch die dekorativen Sammelteller aus Baden-Baden und denke an unsere Freundin dort, aber die sammelt keinen Kitsch. Ein Foto muss genügen.
Alles findet vor der Kulisse eines alten Förderturms statt. Man merkt doch, dass man im Pott ist. Auch das will ich fotografieren, den Gesamteindruck, die Stimmung auf dem Trödelmarkt in Mühlheim festhalten, aber die Batterie ist leer. Ich schaffe nicht alles, d.h. laufe nicht über den gesamten Markt, der zum Fluss hin sich erstreckt (Auen) und kehre um wieder zurück an den Hockey spielenden Frauen vorbei.
Ich sehe das letzte Spiel von Qualle. Er kann richtig gut spielen und ist talentiert und die Kinder entscheiden selber ohne Schiedsrichter, ob ein Ball im Aus ist. Qualle macht zusätzlich zu seinem anstrengenden Spiel die Ansage des Spielstandes und das bewundere ich schon. 15 zu 40, usw. muss er sich merken und richtig ansagen. Marc, der nebenbei mit Häh Tennis spielt, der einen Schläger mit sehr kurzem Griff hat, passt auf. Der blonde Junge ist kräftiger, aber Qualle spielt sehr elegant und macht immer Tricks mit dem Schläger und dem Ball, sehr gekonnt. Die Jungs sind sehr höflich und fair und einmal entschuldigt sich V. für einen „Netzroller“, wie man das wohl nennt und ich denke, warum, hat er nicht absichtlich gemacht, kann er nichts dafür, aber das mache man so, erklärt mir Marc. Die Väter sind schon auch ehrgeizig und sagen ihren Kindern, dass sie sich auf ihr Spiel konzentrieren sollen. Ich frage hingegen in einer Pause, ob sie nicht mal was trinken sollten. Nach dem zweiten Tie-Break scheidet Qualle aus. Ich lobe ihn, dass er toll gespielt hat, aber wir ihn auch so mögen, egal wie er spielt und sage als erstes: Jetzt ist endlich Frühstück angesagt. Die Jungs können nicht genug kriegen und wollen am liebsten weiter spielen, was sie auch noch eine Runde tun bis ich als treibende Kraft ermahne, dass wir uns angesagt haben zuhause.
Qualle lobt meine rote Tasche und nur 3,- € habe die gekostet. Die würde seine Mutter für 60 kaufen.
Zuhause hat die Gastgeberin die tollste Frühstückstafel aufgebaut mit Rührei, das einem schon entgegen duftet und kleinen Salaten (Humus, Tabouleh) bis hin zu einer beträchtlichen Käseauswahl, frischem Obst und Gemüse, geschnitten und selbstgemachten Marmeladen sowie einer Brot- und Brötchenauswahl. Sie hat sogar liebevoll eingedeckt mit dem Sonntagsgeschirr mit Goldrand, was dann von ihr von Hand gespült werden muss. Sie tut alles für ihre Gäste, das merkt man und fühlt sich sehr umsorgt und wohl. Da bleibt kein Wunsch offen. Doch: Häh wünscht sich nach dem Frühstück eine Runde Memory und die spielen wir auch. Mitten im Spiel stellt er fest: „Steffi liebe ich am meisten“ und ab da betätigt er sich als Hofsänger für Stephan und singt Lieder, die er spontan betextet und klatscht dazu: „Stephan ist ein schlauer Mann, der so gut Memory spielen kann“. Er ist eine richtige Rampensau und wenn ich mitgehe und auch klatsche oder Tanzbewegungen mache, dreht er noch mal extra auf. Häh hilft gerne im Haushalt und beim Kochen. Da sehe ich großes Potential. Während dessen macht die Tante lustige Fotos mit seinen kleinen Putzutensilien.
Stephan und ich packen die Koffer und dann wollen wir noch mal einen Spaziergang machen. Erst geht es durch die Wohnsiedlung. Hier will ich für künftige Kalender eine Serie von Nachbarhäusern machen. Im Kalender 2014 gibt es ein Foto von mir auf einem weißen Elefanten vor einem geklinkerten Haus sitzend. Dieses Haus ist 3 Häuser neben dem unserer Freunde. Ich denke, ich mache mal eine lustige Yogastellung vor dem Haus auf dem Bürgersteig, auf den Rasen traue ich mich nicht und wer macht gleich mit? Unser kleiner Freund Häh.
Dann geht es in den Wald, der richtig schön ist, auch wenn diese Fotos es nicht wiedergeben.
Hier wird man immer wieder von Downhill fahrenden Männern überholt, die in ihrer Freizeit die gelbe Radlerhose anziehen und entweder mitten auf der Straße fahren wie Jan Ullrich und mit dem Auto überholt werden müssen (das hatte wir ständig auf dem Weg nach Mühlheim, wahnsinnig gefährlich und es gibt doch Radwege) oder eben durch den Wald pesen ohne Rücksicht auf Verluste. Immer wieder Zeichen der Industriekultur. Auf dem großen roten Förderrad machen wir einige Fotos. Die schöneren kann ich aus Datenschutzgründen hier leider nicht zeigen, sondern nur die von mir alleine (langweilig).
Zwei ältere Männer haben sich verfahren mit ihren Rädern. Sie suchen die Ruhrquelle oder so. Ich sage Marc, er hätte die fragen müssen, wie viel sie heute schon getrunken haben. Die wirkten leicht verwirrt. Je näher wir an den Balderney-See kommen, desto voller. Immer wieder lärmende Motorräder trotz der Schilder: Naherholungsgebiet, Lärm vermeiden. Ich sage den Gastgebern, die sich lustig machen über die Hobbyradfahrer, die das Fahrrad oben auf dem Auto zum See fahren um dann dort um den See zu fahren, was ich noch peinlicher finde als die sind mittelalte dicke Männer, die sich gegenseitig ihre Motorräder zeigen und davon gibt es am See hunderte. Die Motorräder sind ca. 500 Meter aufgestellt in Reihe, alle auf dem Ständer, leicht in Schräglage und ich sage mehrfach laut „Domino-Day“ und habe die tollsten Phantasien dazu. Wenn ich jetzt eines anstoße, wann wird die Fallkette unterbrochen? An der nächsten Kurve? Ich bin für Sozialismus. Verbot von Motorrädern, Zwangsverkauf der Harley und mit dem Erlös eine Verhaltens- und Sexualtherapie finanzieren, damit diese Männer lernen sich sinnvoll zu beschäftigen in ihrer Freizeit. Allein die Freiheits-Biker-echter-Kerl-Uniformen, die sie tragen finde ich lachhaft. Marc sieht es ähnlich, sagt mir aber, dass dann hier die Revolution ausbrechen würde, weil der Rubi und sein Auto, verstehe ich zuerst und denke Abkürzung für Ruhrgebietler, aber es heißt Ruri. Im Kindergarten hätten sie was für die Umwelt tun wollen und das wäre dann eine Initiative für mehr Parkplätze in Essen-Werden gewesen. Unsere Gastgeber wollten dabei lobenswerterweise nicht mitmachen. Die Jungs haben Kickboards dabei und der Tante tun langsam die Füße weh. Häh will sich an den Händen von uns nach vorne schwingen lassen. Das tun wir einige Male und wieder brechen seine Lobgesänge aus ihm hervor.“ Stephan ist ein schlauer Mann“ usw. Klatschen dazu oder er greift Stephans Hand und küsst sie einfach spontan. Ich finde das so süß und sage zu Stephan, das sei Päderastentum in umgekehrt. Der kleine Junge wird körperlich und aufdringlich. Er ist verknallt in Steffi. Aber wir auch in ihn. Wir kehren ein im Haus am See. Hier ist der Blick frei auf den See und die Segelboote, Villa Hügel gegenüber nicht verstellt von den spießigen Campingplätzen und ein DJ legt loungige Musik auf. Man steht lange an für sein Getränk und hört immer wieder: Kuchen? Das dauert ½ Stunde und man denkt, warum, da stehen doch die Bleche mit dem Kuchen, aber Auflösung: der muss noch auftauen. Nicht nur TK-Kuchen, sondern es auch nicht schnallen wann man welche rausholen muss, weil dass bei dem T-Shirt Wetter am Sonntag Gäste kommen würden, war nicht vorherzusehen. Das ist peinlich. Die Kinder wollen zu Mohammed. Das ist ein kleinerer Stand mit Kaffee und er macht Crêpes selber, aber heute auch nicht und das Haus am See musste sich bei ihm schon Kaffeebohnen leihen.
Da ich quengele wie 5 Kinder, dürfen Marc und die Jungs und ich Frozen Yoghurt mit Toppings essen, während Stephan und Jasmin unser Gepäck holen. Die Waffeln am Stiel sehen aus wie Fischfilets…
Dann geht alles schnell. Damit wir den Zug um 18:23 Uhr bekommen fährt uns Marc zum Bahnhof. Als Marc anhält vor dem Bahnhof, fährt ein Auto vor uns rückwärts und etwas in Marcs Auto hinein. Marc steigt aus und sagt gleich zu dem Fahrer: „nichts passiert“ und zwar so, wie man einem 3 oder 4-jährigen, der hingefallen ist erklärt, dass er keine schwerwiegenden Verletzungen hat und jetzt nicht wegen der Überraschung des Falles oder der Aufmerksamkeit anfangen muss zu weinen. Solche Anwälte liebe ich. Tatsächlich ist an Marcs Auto auch nichts zu sehen, es wird ohnehin als Gebrauchsgegenstand betrachtet, bei dem anderen, der reingefahren ist, ist ein deutlicher Riss vorhanden. Wir bedanken uns für die schöne Zeit bei unserem alten Freund.
Im der Bahn die Nachrichten. Da haben wir den Salat. Die Bahntickets werden teurer, nur weil einige Querulanten Erstattung bei Verspätung haben wollen. Ist doch klar, dass die Bahn sich das von den anderen Kunden zahlen lässt. Danke europäisches Gericht dafür! Dafür bietet der Sonnenuntergang einen herrlichen Blick.
Stephan hatte die Eltern gefragt, ob er seine rote Trinkflasche aus der Fitnessstadt für Häh da lassen könne (das muss man die Eltern vorher fragen). Immer wieder hatte er danach gefragt, ob er die haben dürfe. Jasmin hat uns dann im Nachgang geschrieben, dass Häh mit der Flasche geschlafen hat und sie ganz stolz in den Kindergarten mitgenommen hat am nächsten Tag. Das muss Liebe sein. Von unserer Seite auf jeden Fall auch und auch zu Qualle, der in diesem Text vielleicht zu kurz kommt, aber von den Gefühlen her nicht. Beide sind gleichwertig, wie das bei Eltern oder in diesem Fall Möchtegern-Ersatz-Eltern halt sein muss. Es ist toll, wenn man keine eigenen Kinder hat, aber zumindest alte Freunde, Marc ist unser Trauzeuge, deren Kindern einem so sympathisch sind und auch so nah stehen und mit denen man sich so innig verbunden fühlt. Das intensiviert auch die Freundschaft. Hier tendiert man ja eher dazu sich auseinander zu leben, gerade wenn der Alltag in verschiedenen Städten stattfindet, aber das schafft ein neues Band und einen intensiven Zusammenhalt und es wird ein Mehr durch die nächste Generation, eine Bereicherung der Freundschaft durch die Kinder, statt dass die stören. Ich bin ganz glücklich. Wir wollen 2015 zusammen wieder verreisen und ein Haus in Italien mieten. Da hat Tante Franziska schon mal was zum Drauf freuen.