30.09. Morgens der totale Alptraum. Bei uns bricht die komplette Wohnung auseinander. Ähnlich vom Gefühl her, wie diese Träume, bei denen einem die kompletten Zähne nach und nach aus dem Mund krümeln. Die Fenster samt der Fensterlaibungen fallen raus. Stephan versucht eines der Fenster, das außen an einem seidenen Faden hängt nach oben zu drücken, wo der Nachbar es in Empfang nehmen soll und schneidet sich an dem zerbrochenen Glas die Hand. Ich denke, der Depp hätte sich Handschuhe anziehen sollen. Alles ist auf einen Wasserschaden zurück zu führen. Die Decke besteht aus Holzbrettern, die nach und nach herausbrechen und den Blick auf die Wohnung darüber freigeben. Keine Versicherung zahlt, die Gewährleistung ist abgelaufen, die Ansprüche gegen den Architekten verjährt, nur unsere Wohnung ist betroffen und es kostet in etwa so viel wie seinerzeit die Sanierung. Meine Laune ist bestens als ich wach werde.
Wieder einmal Anhörung wegen Betreuungsverlängerung. Meine Betreute ist superschwer zu erreichen und ich sehe sie kaum. Sie attestiert dem Gericht, dass Frau A. sich den Arsch für sie aufreißen würde. Manchmal kann ich nur staunend daneben sitzen. Ich bekomme neu den Bereich Gesundheitssorge. Das wird schwierig und ich sage ihr, dass ich auf ihre Mitarbeit angewiesen sei. Noch bevor der Tag zu Ende geht, hat sie sich tatsächlich bei mir gemeldet und wir haben am 07.10 bei ihrem langjährigen Haus- und Substitutionsarzt ein gemeinsames Gespräch. Das hatte ich vorgeschlagen. Der Beginn einer neuen Zusammenarbeit? Ich bin gespannt. Den Richter duze ich und er war 2007 wie mein Kollege auf dem Police-Konzert in Hamburg. Das Plakat ziert sein Dienstzimmer.
Mittags treffe ich Stephan kurz in der Bar auf einen Toasti und Kaffee. Hier staune ich über einen Flyer der Infa, auf dem für Infalino geworben wird. Eine Hausfrauenbabymesse. Wie doof geht es noch?
Nachmittags kommt der Mann aus Ghana, den ich schon seit Jahren begleite und der sich ebenfalls gegen eine Aufhebung der Betreuung wehrt. Mit seiner neuen Wohnung hat geklappt. Wir sprechen durch an was bei der Übergabe zu denken ist.
Es sind nicht nur die Betreuten, die an mir hängen. Ich hänge auch an ihnen. Eine, die ich Jahrzehnte hatte, hat mir das Gericht „weg genommen“. Sie wohnt jetzt im Heim und da ist jetzt nichts mehr zu regeln (lustige Einweisungen, Finanzen etc. das gehört der Vergangenheit an) und das ist echt nichts für eine Berufsbetreuerin. Ich habe es eingesehen. Ich hatte nur Angst, dass sie dann trotzdem bei mir anrufen würde (was gerne mal 5 mal die Woche passierte) und ich das halt nicht abrechnen kann. Es macht jetzt eine Frau von einer Landesbehörde, die aber ganz fit zu sein scheint. Meine Betreute hatte immer einen siebten Sinn dafür, wenn ich im Ausland war. So sicher wie das Amen in der Kirche, sobald ich gelandet war oder in Oberitalien im Zug saß, kam der Anruf. Sie hat immer gerne obszöne Sachen am Telefon gesagt, dass ihr Leute an der Fotze herumprökeln würden und Ähnliches. Für mich hatte sie immer Tipps, dass ich mich mal richtig ausspannen soll mit meinem Mann, wenn mich die Arbeit überfordert, Urlaub machen oder wenn ich sie im Heim aufgesucht habe (sie saß immer rauchend auf ihrem Zimmer) kommentierte sie meist meine Frisur, die ihr nicht gefiel. Ich nehme an wegen der Filzanteile. Sonst sah ich immer „flott“ aus, aber die Haare gefielen ihr nicht. „Frau A. nehmen Sie mal eine Kräuterspülung“ riet sie mir dann. Sie schickte und schickt mir regelmäßig Post ohne Briefmarke. Komisch, bei mir klappt das nicht. Sie nimmt einen Schuhkarton und schneidet eine Postkarte daraus oder eine Umsonstpostkarte vom Heim mit einem deprimierenden Foto des Hauses und schreibt keinen Absender drauf und nur „bez. Empfänger“ und das Zeug kommt an und zwar 30 mal.
Auch andere tolle Schriftstücke habe ich von ihr u.a. eine Kalenderblatt Oktober, wo sie jeden Tag notiert hat, was sie gegessen hat um es mir dann zu schicken. Ja, da werde ich ganz wehmütig, wenn ich daran denke.
Unsere Freunde aus Kriftel sind auf dem Heimweg und holen ihr Auto in Hannover ab. Sie fragen um ca. 17 Uhr nach Mittagsschlaf und ich rechne fest damit, dass ich sie antreffen werde nach dem Sport. Das ist aber nicht der Fall.
01.10. Morgens bekomme ich eine MMS oder so was ähnliches vom Susann, einer Freundin aus Köln, die wir Freitag auf einen Kaffee treffen. Sie ist auf der Durchreise. Ich freue mich, dass wir uns wenigstens sehen und sie sich auch und schickt mir ein süßes Foto von sich, wie sie geguckt hätte, wenn wir uns nicht gesehen hätten.
Die Frau, deren Wohnung gekündigt werden soll, ruft mich aus dem Büro des Heims an, dass sie heute nach Hause geht. Ich telefoniere mit der Rechtspflegerin, die mir sagt, der Betreuer sei gerade bei ihr gewesen. Der soll sich um seine Betreute kümmern verdammt noch mal! Dieser Fall macht mich wütend. Ich versuche mit der AOK zu klären, wie das abgerechnet werden kann bei einem ruhenden Heimvertrag. Das wäre gar nicht meine Aufgabe. Dann erkläre ich der Rechtspflegerin, dass ich Beschwerde gegen den Einwilligungsvorbehalt eingelegt habe. Dafür sei ich nicht bestellt sagt sie. Das ist mir egal. Ich war mandatiert. Sie soll die Akte der Richterin vorlegen. Nachmittags ruft die Rechtspflegerin mich an, dass sie bei ihr zuhause war. Das sehe noch ganz manierlich aus. Es soll jetzt Essen auf Rädern geben und sie gebe ihr eine Karenzzeit von 2 Wochen und stimme der Wohnungskündigung erst mal nicht zu. Sie sei aber schon hirnorganisch eingeschränkt und viel Fassade. Sie kenne das von ihrem Vater. Ja, es spricht viel persönliche Betroffenheit aus dem was sie sagt. Ich sage, immerhin bekommt sie es gebacken mich anzurufen aus dem Büro des Heimes. Sie weiß, wer ich bin und kann sich ausreichend durchsetzen. Für eine Wohnungskündigung gegen den Willen ist nach meinem Dafürhalten kein Spielraum.
Eine Hausärztin von Elisabeth ruft mich an, dass sie einen Asthmaanfall hatte und eine Bronchitis, weil sie im Baggersee baden war im Langenhagen um sich abzuhärten. Sie habe sie ins Nordstadtkrankenhaus eingewiesen, aber dort sei sie wieder gegangen. Heute ginge es ihr wohl wieder besser, aber sie kann aus psychiatrische Bild nicht richtig einschätzen und wann ich sie sehe. Ich sage: Morgen und, dass ich es mit ihr besprechen würde.
Die Kollegen sind jetzt zwei Wochen weg, da mache ich heute mal früher Feierabend und bastele den Jahreskalender für meine Freundin Susann. Leider vergesse ich beim Einkleben den Februar. Hier hatte ich ein Bild gewählt mit wenig Blättern an den Bäumen vor dem Neuen Rathaus. Dadurch ist meine Faschingscollage mit tollen Gerhard Polt und Gisela Schneeberger Bildern in schwarz-weiß aus Kehraus (als Taschenbuch) in den Februar und damit den falschen Monat geraten und in März habe ich meine Ostercollage reingeklebt, dabei ist das erst im April. Ich ärgere mich über den Bastelunfall. Zu doof zum Basteln. Da passt ja der Juli, „mein Monat“ mit der Demenz-Collage ganz gut.
02.10. Kalenderbasteln macht mich manisch. Ich muss echt aufpassen. Werde um vor 7 Uhr wach. Es ist dunkel. Als ich Viertel vor 9 aus dem Haus gehe, steht eine Polizistin vor der Tür. Nicht erschrecken sagt sie als erstes und dass sie zu meinen Nachbarn wolle. Die hätten einen Bulli und da sei eine Scheibe halb herunter gekurbelt, so dass man den aufmachen und Sachen entwenden könne. Ich: ist das nicht deren Problem? Nein, wenn sie Kenntnis davon hätten, müssten sie das Fahrzeug bewachen und da das nicht geht dann teuer abschleppen lassen. Ich gehe in die Wohnung zurück und versuche meinen Mann mit den Worten, „es stehen zwei Bullen im Hausflur“ aus dem Bett zu treiben. Handynummer der Nachbarin. Sie will gleich in eine Besprechung und hat keine Zeit, ob ich den Wagen nicht einfach abschließen könne. Ähh. Wie soll das gehen, gebe den Hörer weiter. Ich bin überfordert mit dieser praktischen Lösung, auf die die Ordnungshüter offenbar auch nicht gekommen sind (nicht ausermittelt, nehme ich an). Sie verbleiben so, dass die Polizei das versucht, durch die Scheibe durch zu greifen, die Tür aufzumachen, die Scheibe hoch zu kurbeln und den Knopf nach unten zu drücken und die Tür wieder zu. Eigentlich ganz einfach.
Morgens Schreibkram und Telefonate. Mein Erbschaftsfall gestaltet sich schwieriger, weil der Typ nicht imstande ist das selber zu regeln und kurz vor der Klinikeinweisung, weil ihn das alles überfordert, nicht intellektuell, aber so halt. Telefonate mit der Sparkasse Recklinghausen, ob und wie wir das alles schriftlich machen können. Was die brauchen. Termin mit der Wohnbetreuung und dem Mandanten am Freitag. Wollte eh nicht den ganzen Tag frei machen. Telefonat mit dem Bruder, der enterbt wurde, aber die 4 Sparbücher hat ohne die wir nichts anfangen können. Er willigt ein, sie beim Sachberater abzugeben.
Ich fahre in die MHH. Das Fahrrad lasse ich am Kröpke stehen und steige in die Bahn. Es ist eindeutig zu windig und das nervt, gerade wenn man mit Hütchen fährt, was einem immer fast vom Kopf geweht wird.
Verfahrenspflegschaft für eine junge Frau, die fixiert ist und nach PsychKG untergebracht. Hatte gestern angerufen. Telefonieren geht nicht, muss ich mich hinbewegen. Auf dem Weg dorthin kaufe ich 2 weitere Kalender und neue Bettwäsche, die mich total glücklich macht. Mit der schweren Einkauftüte Einrichtung Bettenburg. Sie ist nicht nur fixiert, sie hat auch jemanden der am Bett sitzt und sie bewacht, ein indisch aussehender junger Mann, der Student ist. Sie hatte in der Fixierung, die nicht kurz genug war, die Klammern aus einer 20 cm langen Bauchnarbe entfernt und die wieder aufgemacht. Sie hat wohl auch versucht Feuer zu legen auf Station. Jetzt ist sie sediert. Im Bett liegt eine sehr kräftige junge Frau, persischer Abstammung. Der dralle Körper ist übersäht mit Narben, die sie sich selber zugefügt hat. Ihre Stimme ist sanft. Irgendwie sieht sie es ein, dass die Angst haben, sie loszubinden, aber Fixierung seit Freitag ist auch doof und die Betreuerin soll sich mal blicken lassen. Immer wieder nickt sie weg von den starken Beruhigungsmitteln. Sie wollte eine Traumatherapie machen und hier kam es zum Eklat. Das Personal spricht mit Respekt vor ihrer ungeheuren Kraft, die sie dann hat und dem unbedingten Zerstörungswillen, sie sei sehr rabiat gegen sich selber und blitzschnell. Jetzt wird sie für Klogänge defixiert, wenn ausreichend Personal da sei. Sie hätte heute Morgen auch rauchen dürfen, sie fragte danach, wollte sich dann aber von sich aus wieder ins Bett legen. Ich versuche ihr das zu erklären und, dass eine Beschwerde nichts bringt. Der Fixierungsbeschluss läuft bis zum 05.10. und ich melde mich Montag noch mal. Immerhin hat sie schön Bettwache und kann interessante Gespräche mit den Studenten führen, wenn sie nicht vor sich hin dämmert. Das rate ich ihr zumindest. Jetzt sitzt eine junge Frau an ihrem Bett. War wohl Wachablösung. Sie schläft wieder als ich gehe und sieht aus wie ein großer Engel mit weichem Gesicht und dunklen Haaren.
Mittags kurz ein Honigbrot und einen Kaffee zuhause und die braune Bettwäsche mit leichten Retromustern Stephan vorführen, aber vor allem zuhause abladen. Irgendwie sieht es aus, als wäre die Eckkneipe, die aufwendig renoviert wurde und jetzt offenbar wieder eröffnet kurz davor. Es werden Gläser poliert. Auf den Schildern heißt es: Astra im Exil. Der Name ist geblieben, der Laden wurde offenbar in eine GmbH umgewandelt und aufgehübscht. Ich hatte ja auf was völlig Neues gehofft.
Nachmittags weitere Termine. Der letzte ist mit Elisabeth. Sie bekommt schwer Luft und stöhnt aber übertrieben bei mir im Zimmer herum. Dann, sie muss was trinken. Oh, ist das Safran-Tee? Lecker. Nein, Früchtetee. Bekomme ich eine Tasse? Ja, ausnahmsweise. Lecker. Sie zeigt mir einen Ausdruck von Erwin J. Dezernent für Soziale Infrastruktur bei der Region Hannover, ob ich ihr da einen Termin machen könne. Sie will was mit ihm besprechen von früher. Seine Söhne, die damals zusammen in der WG gewohnt haben und der Oliver, der weiße Adidas-Sachen getragen hat, auf den sie stand, ob sie von dem schwanger war. Ihr Haus soll verkauft werden, die beiden Männer die da waren, waren Makler. Sie will jetzt in eine Mädchen-WG. Ich will zu den gesundheitlichen Themen kommen. Die Hausärztin hat sie ins Nordstadtkrankenhaus eingewiesen und sie ist dort wieder gegangen. Was haben die denn mit ihr gemacht? Ja, gar nichts. Eine Frau, die sah aus wie eine Putzfrau wollte ihre Versichertenkarte. Sie hatte Streit mit der Oberärztin. Die hat sie drei Mal gefragt, ob die Hausärztin ihr Penicillin gegeben hat und dann wurde es ihr zu blöd und sie hat gesagt, das haben sie schon drei Mal gefragt, ich gehe jetzt und die hat sich aufgeregt: Ich bin hier Oberärztin. Insgeheim bin ich stolz auf meinen Schützling. Dieses arrogante Ärztepack. Ich sage nur: wenn alle Schizophrenen zusammen stehen, habe die Ingenieure keine Macht mehr über uns. Ich sage, Antibiotika soll sie nur nehmen, wenn sie einen bakteriellen Infekt hat. Das sei grün in ihrer Nase. Hatte sie denn Temperatur, frage ich. 34 °. Ich sage, das sei Untertemperatur. Das habe ihre Mutter auch gesagt. Wie kann sie 99 Kilo wiegen bei Untertemperatur? Das passe doch nicht zusammen. Im Laufe unseres erbaulichen Gesprächs merke ich, dass wir vereinbart hatten, dass sie in der ersten Woche immer kein Geld bekommt, weil die Vermieterin ihr da 100,- € gibt und damit eine Schuld bei ihr abzahlt. Ich entschuldige mich, dass ich sie umsonst herbestellt habe und frage, ob sie denn Geld hat. Sie sagt, 100,- € von der Mutter zum Geburtstag, davon soll sie sich eine Spüle kaufen und von der Vermieterin bekommt sie auch noch Geld und das macht doch nichts, sie komme gerne zu mir und unterhalte sich gerne mit mir.
Beim Sport fragt mich Luisa, ob ich einen Veranstaltungstipp für sie hätte. Ich sage, nein, weil wir Morgen zu meinen Schwiegereltern fahren und ich gar nicht geguckt habe. Kurz darauf stellt sich heraus, dass sie vom Tanz in den Mai ausgeht. Eine süße Verwechslung der Perserin, die allerdings hier sozialisiert wurde, die ich gerne unterstützen würde. Lieber 2 x im Jahr Tanz in den Mai und den Deutschen Feiertag dafür streichen. Auf dem Weg nach Hause vom Sport ist es dann so weit. Das Exil „neu“ ist in Betrieb.
Zuhause schauen wir Österreich Nachrichten. Erste Meldung ein Erdbeben, bei dem nichts passiert, keine Sachbeschädigung mit einem Experten im Studio, der Auskunft darüber geben soll, was denn bei so einem Beben passieren kann oder könnte. Was sind das für Nichtmeldungen? Ich sage zu Stephan, es kann eine Kaffeetasse zu Bruch gehen, die z.B. ziemlich auf der Tischkante steht bei so einem Ereignis. Dann geht es um die Wahlergebnisse in Österreich. Ein deprimierendes Thema. Stephan stellt die Theorie auf bzw. fragt, ob das bedeutet, dass Österreich jetzt ausstirbt, weil bei den Frauen unter 29 wählen 30 % grün und ca. 10 % FPÖ und bei den Männern sei es umgekehrt. Welche vernünftige gebärfähige Österreicherin lässt sich von einem Vollpfosten schwängern? Berechtigte Frage.