Archiv für den Monat: Juli 2013

Die blumige Ausdrucksweise der Frau C.

Frau C. kam schon das zweite Mal zu mir ins Büro und es lief immer gleich ab. Sie beschwerte sich über die faulen und unfähigen Betreuer, Sozialarbeiter und Ärzte usw., die so viel Pfusch mit ihr gemacht hätten, bat mich um Hilfe und heulte. Beim zweiten Mal fragte ich sie, warum ich denn nun ausgerechnet ihren Fall übernehmen sollte, wo doch absehbar sei, dass ich dann auch bald auf der Liste dieser unfähigen Idioten stehen würde und ich hätte genug Arbeit, da sei die Tür. Sie hörte sofort auf zu heulen, ich übernahm den Fall und sie ist entgegen meiner Befürchtungen unproblematisch, d.h. ich sehe sie nicht oft und wir verstehen uns ausgezeichnet. Sie ist gut lenkbar und regelrecht ein Fan von mir ohne, dass ich weiß warum und ich musste mich beim letzten Mal umarmen lassen (was ich höchst ausnahmsweise, eigentlich nie geschehen lasse). Ich mache so gut wie nichts, bin aber der Held, der alles regelt. Frau C. hat eine etwas andere Art und stößt bei vielen ihrer Mitmenschen auf Unverständnis und eckt an; sie ist sehr hektisch, geht im Zimmer beim Reden auf und ab oder im Kreis und gestikuliert wild. Außerdem hat sie eine merkwürdige Sprache. Ich jedoch liebe gerade ihre Ausdrucksweise und finde eigentlich, dass sie einen Blog schreiben sollte.
Ein Thema seit geraumer Zeit ist das Dach in dem Mietshaus, in dem sie wohnt. Das sei nur provisorisch geflickt worden und nicht gedämmt, obwohl die anderen Dächer der Genossenschaft gedämmt seien (faule Handwerker, böser Vermieter, immer nur kassieren, aber nichts tun für die Mieter). Sie hat vorsorglich Eimer auf den Dachboden gestellt, falls es rein regnen sollte. Zu Beginn habe ich es geschafft, dass der Vermieter eine reparierte und alte Wohnungseingangstür gegen eine neue ausgewechselt hat (Frau C. wollte eine einbruchsichere und keine alte Tür und die anderen haben auch…). Das war einer meiner Heldentaten. Mit dem Dach ist es schwieriger, aber auch da habe ich schon bei der Dachdeckerfirma angerufen, um Frau C. wenigstens nach fachlicher Beratung beruhigen zu können. Beim letzten Mal erzählte sie mir, dass die Handwerker da gewesen seien. „Die sind eingefallen wie die Tiere“. Dazu macht sie ausladende Bewegungen. Der Lärm, alles ganz schlimm. Dann habe sie einen was fragen wollen und die seien „abgehauen, wie die Flöhe“. Ich finde für dieses Sprachbild hätte Frau C. eine Auszeichnung verdient. Später in der Unterhaltung kam noch die Redewendung in Bezug auf die Handwerker, die sie etwas habe fragen wollen, „abgehauen, wie die Frösche“, so dass ich schlussendlich gar nicht wusste, welche Redewendung ich nun anschaulicher finde.
Zu Beginn der Woche rief mich jetzt der Vermieter an, dass Frau C. einem Nachbarn einen Brief geschrieben hätte, der unter die Gürtellinie gehen würde. Heute erhielt ich das beigefügte Schreiben mit einer Kostprobe der sprachlichen Besonderheiten, die ich so liebe.

Die Fortsetzungsgeschichte des Herrn W.

Ich tue nicht nur lästern über medizinische Einrichtungen, quasi Sauerrahmbutter, nein. Heute, am 03.07.2013 war ich mit meinem Schützling in der Radiologie am Raschplatz verabredet und es dauerte zwar auch von 11:15 Uhr bis ca. 13:00 Uhr für mich und bis ca. 16:20 Uhr für Herrn W., aber das lag nicht an der schlechten Organisation, sondern an der Untersuchung selber, Knochenszyntigraphie stand auf dem Programm. Die Praxen (sie waren mal zusammen und haben sich getrennt, wie man mich telefonisch informierte) sich geräumig und mit dekorativer Kunst eingerichtet und die Frauen die dort arbeiten sind auf Zack. An der Wand hängen Zertifizierungen für Mammographie und so was in Peterburger Hängung. Herr W. und ich auf dem Fahrrad kommen fast zeitgleich an unter hässlichen der Brücke zum Ärztehaus, die an Autobahnunterführung erinnert und ich parke meinen Drahtesel auf dem Mittelstreifen. Oben in der 3. Etage haben wir einen Extraraum zum Warten als Seuchenstation. Dort hocken wir zwar ¾ Stunde, aber das passiert ja in jeder Hausarztpraxis. Er erzählt mir, dass er gerade was Kitschiges im ZDF geguckt hätte als er abgeholt wurde. Eine Arztpraxis, es seien Schwestern oder Ärzte gewesen, vermutlich Schwestern, wie er dann resümiert und die eine Frau hatte Tränen in den Augen gehabt und dann ging es um einen Lottoschein, der in der Mitte durchgeschnitten wurde und das war dann der Hauptgewinn. 4 Millionen. „Tippgemeinschaft“ war sein Kommentar. Ich will später Smalltalk machen und zeige auf das Standfahrrad und sage, hier wird EKG gemacht und frage ihn, ob er weiß, was das ist. Seine Antwort: „eisernes Kreuz in Gold“. Das hätte es bei Hitler gegeben für die Höhergedienten, aber es sei auch bei Hitler nicht aus Gold gewesen, Kupfer oder Messing, er ist sich in dieser Frage unsicher und so am schwarz-rot- goldenen Band, erzählt er mir und zeigt auf seine Hals. Ich sage ihm, dass ich diesen Monat seine Wohnung auflösen muss. Er kann sich kaum noch an sie erinnern. Er wird nächste Woche 55 Jahre alt und hat zwei Söhne, aber keinen Kontakt und kein Interesse. Dann wird ihm die schwach radioaktive Substanz gespritzt für die erste Ausnahme (das dauert 6 Minuten, wie wir vorher erfahren). Danach, es ist ca. 12 Uhr heißt es, wir hätten bis 13 Uhr Zeit und könnten „Erledigungen machen“. Der Mann mit den Masken über Hals und Gesicht kann sich nur an der Wand entlang balancierend fortbewegen und würde auch nicht zurück finde, wenn er das Gebäude verlässt. Welche Erledigungen? Herr W. will eine Rauchen. Das Rauchen lasse er sich nicht nehmen oder „solange er noch rauchen könne“ in Bezug auf seinen Gesundheit bzw. die Krebserkrankung und er rauche alles, wie er mir glaubwürdig angibt. Wir fahren mit dem Fahrstuhl nach unten. Er raucht dunkle Zigarillos für 1,90 € 17 Stück. Die „Stühle“ bestehen aus Betonpollern und ich muss mir eine Zeitung unter den Hintern legen um eine Blasenverkühlung zu vermeiden. Ich lasse die Zeitung liegen, aber zum Glück ist in diesem Punkt mein Begleiter aufmerksamer als ich. Wir scheinen ein gutes Team zu sein. Anschließend begleite ich ihn nach oben wieder in den Extraraum und nehme schon mal die Wasserflasche mit. Ab 13 Uhr muss er innerhalb einer Stunde diese leeren und dann folgt der zweite Teil der Untersuchung. Ich gehe nach nebenan. Dort hat er am 19.07. einen Termin und ich bin in Berlin. Schön alles vorbereiten, Krankenhausberichte kopieren lassen,Einwilligung vorsorglich unterschreiben, Versichertenkarte einscannen, Visitenkarte da lassen. 5 nach 1 schaue ich noch mal kurz bei ihm rein und halte ihn zum Trinken an und verabschiede mich. Er bedankt sich. Am 01.07. erhielt ich vom Pflegeheim ein Fax mit dem Inhalt: „bei Herrn W. hat sich eine Wucherung an der Trachealöffnung gebildet, die wir gern auch fotografisch dokumentieren würden. Dazu benötigen wir Ihr Einverständnis“. Aber nicht für facebook, sage ich zu der Mitarbeiterin, weil ein blöder Spruch irgendwie helfen soll.

ida ahlo

28.06.2013 9:41 ICE nach Basel über FFM, Zielort Baden-Baden. Bin um 6 Uhr schon wach und fahre noch ins Büro. Wenn das Sozialamt am Donnerstag um 14:58 Uhr schon Feierabend macht, wie die Sachbearbeiterin, die ich noch am Telefon erwische mir sagt unter Hinweis auf die Öffnungszeiten auf dem Briefpapier, trotz einer von mir vorgetragenen Dringlichkeit, dann entwickele ich hier einen gewissen Ehrgeiz. Mein Betreuter, Herr I. hat 2 Nächte nicht geschlafen und kann nicht mehr gerade aus laufen. Er war der Zimmergenosse von Herrn A. und ist seit Mittwoch obdachlos. Zum Glück konnte ich die anvisierte Unterkunft überzeugen, dass ich mich um das Kostenanerkenntnis kümmere und alles bereits gefaxt ist und ich so was kann und verlässlich bin und Profi. Da will ich jetzt schön hinterher telefoniert und um vor 8 erreicht man am Freitag die Mitarbeiter, die mittags schon ins Wochenende wollen. Alles bestens. Mission erfüllt.

Wir haben uns leider bis Baden-Baden 12 Minuten Verspätung eingefangen und der Anschlusszug nach Bühl konnte nicht warten (fährt auch 2 mal die Stunde, schon o.k.). In der Bahnhofsunterführung denke ich, mich laust der Affe. Immer noch hängt dort das Plakat auf dem eine Frieda Kahlo Ausstellung in Baden-Baden in einem mir unbekannten Museum beworben wird. Das hing das schon vor 2 oder 3 Jahren! Das kann gar nicht wahr sein. Wir sehen es als Zeichen, zumal Stephan und ich beide große Fans sind. Gepäck ins Schließfach an Gleis 1 (4,- € für 72 Stunden). Das können wir da jetzt drin lassen bis zum Heimfahrt, wie Stephan zu Recht feststellt, weil es ist doch eine Erleichterung so ohne die Gewichte bei der Wärme und ein verlockender Gedanke. Am Bahnhofsausgang beginnt die Schnitzeljagd. Das erste Plakat verspricht: Frieda Kahlo nur 7 Minuten zu Fuß und dann muss man den schwarzen Schildern mit weißer Schrift (Frieda Kahlo und manchmal ein Pfeil) einfach folgen, vorbei an einem staubigen Parkplatz und durch ein kleines Industriegebiet. Vorbei auch an der Bahnhofszene hinter dem Bahnhof. Einer der Alkis trägt die Aufschrift Security auf seinem T-Shirt und wir überlegen kurz, ihm unseren Schließfachschüssel anzuvertrauen, lassen es aber. Auf dem Weg durch die Einöde an den Gleisen entlang kommen uns vereinzelt Passanten, aber noch mehr Radfahrer entgegen. Hier sollen die Bilder der Meisterin hängen, die wir in Wien im Forum Austria verpasst haben? Wir treten ein in die Baracke in einen sehr umfangreichen Gift-Shop mit Frieda Kahlo Hausschuhe und Ringen und allem nur erdenklichen Gedönse, mexikanische Blechskelette für 20,- €, die im Einkauf 50 Cent gekostet haben. Ich verstehe 10,- €, aber das ist der ermäßigte Preis. Ich drücke 30 ab für 2 und wir passieren die Kasse. Vorher bekommen wir noch die Erklärungsbücher in die Hand gedrückt. Kopierte Heftchen, die es umsonst dazu gibt, wie die Hausfrau an der Kasse uns die Sache schmackhaft machen will. Man solle sie aber wieder abgeben, sonst stehe auch Herr Soundso für Fragen zur Verfügung. Es scheint der Chef des Hauses zu sein, der sich durch eine Geste zu erkennen gibt. Es gibt einen Innenhof mit einem Brunnen und Kakteen und vielen Fotos von Frieda und der Familie und alles ist liebevoll-hausfraulich dekoriert. Es dauert nicht lang bis ich erkenne, dass hier kein einziges Bild meines Idols hängt, dafür lauter „lizensierte Reprographien“ oder wie sie das nennen. Es war auch klar und ich naiv, wie sollten hier jahrelang Originale von Frieda Kahlo hängen??? Zahlen wir jetzt 30 Euro für ein paar Kalenderblätter? Nicht ärgern. Es lustig finden. Dafür kostet auch der Kaffee aus dem kleinen Krankenhausautomaten 2,- €. Das sind hier halt die Preise. Als wir gehen fragt die Hausfrau, ob es uns gefallen hat. Hier ist jetzt noch mal Zähne zusammen beißen und Lügen angesagt. Auf dem Rückweg nehme ich das kaputte Schild aus der Gosse mit und stecke es ein. Darauf steht ido ahlo. Das passt und ich finde es lustig. Im Frieder Burda Museum gibt es Nolde, aber die haben den Bahnhof hier außerdem der Stadt gebaut. Das wäre auch doof gewesen. Wir nehmen den Vorortzug um 14:05 Uhr, der nur auf Verlangen hält, wie die Durchsage vor jeder Station ankündigt. Mein Erinnerungsschild wird später im Hotelzimmer als erstes unter fließend Wasser mit Seife gesäubert.