Archiv für den Monat: Juli 2013
Outfit 24.07.
Die Reihenfolge der Juli-Kinder
B.
23.07. Morgens weihe ich mein neues Handschellenschloss ein und merke, es ist schwer und auch echt unpraktisch für meine Zwecke, weil ich mein Rad nie irgendwo anschließe. Ich mache es dennoch dran und denke, ich habe unpraktischen Schmuck, mein Rad jetzt auch.
Im Büro bekomme ich ziemlich bald einen Anruf von einem mir unbekannten Nachbarn eines Betreuten auf meinem Handy. Der Nachbar fragt, ob ich zuständig sei und ich halte mich zunächst bedeckt. Er erklärt mir dann, Herr PM wäre morgens bei ihnen vorbeigekommen und hätte ganz verrückte Augen gehabt. Er hat zu viel LSD genommen und würde sich jetzt alles in den Kopf hauen, waren seine Worte. Dann habe er angefangen auf dem Grundstück mit Eisenstangen auf die Erde zu schlagen. Er, der Nachbar, habe nicht gleich die Polizei rufen wollen, aber ich solle mich gefälligst schnell mal kümmern. Er wolle nicht, dass seinem Hab und Gut oder seinen Kindern etwas passiere. Ich merke bei der Gelegenheit, dass ich eine SMS bekommen habe. Da steht: Hallo (Männername)! Für den Fall dass wir uns heute nicht sehen, ich wünsche dir Alles Gute zum Geburtstag! Hoffe du kannst den sonnigen Tag genießen. Viele Grüße, H. (auch Männername).“ Ich kann damit nichts anfangen und denke, Schwachsinn, falsche Nummer. Ich habe jetzt anderes zu tun.
Ich rufe erneut bei der Beratungsstelle des Vortages an und bitte um einen Rückruf. Beim Durchgeben der Personalien merke ich, mein Schützling hat heute Geburtstag. Das kann natürlich immer Anlass für eine Krise sein. Die Ärztin meldet sich nach knapp über einer Stunde sagt, ja, sie hat Notdienst, aber wenn einer mit Eisenstangen hantiert, dann fährt sie da nicht hin. Das ginge nur über die Polizei und dann würde sie ihn ggfls. auf der Wache begutachten, wenn das vor 19 Uhr sei und sie noch Dienst hätte. Ich rufe also bei der zuständigen Polizeidienststelle an und erkläre den Sachverhalt und sage, ich habe kein Interesse, dass eine Streife dort hin fährt und meinen Betreuter mit maximaler Brutalität zu Boden gebracht und dann verhaftet wird. Die Antwort kommt prompt: so seien sie doch gar nicht. Ich dann: „Das weiß ich doch, aber nicht jeder Polizist ist psychiatrieerfahren und der Mann ist krank und nicht kriminell“ und es sei mein Schützling, da hätte ich eben mütterliche Gefühle. Ich wolle ohnehin dabei sein. Wir treffen uns 30 Minuten später vor Ort. Ich schmunzele darüber, dass ich die Handschellen am Fahrrad habe. Es passt irgendwie.
Das 1-Familienhaus ist eine Baustelle und meiner muss zum 30.09.2013 ausziehen. Der neue Eigentümer, der dort mit seiner Freundin einziehen will, ein junger Typ, ist auch vor Ort. Meiner hat im Keller ca. 8 Räume, die voll mit Werkzeug und Fahrradteilen und anderem Kram sind und die er belegt hat sowie eine Doppelgarage, auch voll. Ich betrete das Haus und gehe ins Dachgeschoss, wo er wohnt. Ich klopfe und sage meinen Namen. Der Vorhang bewegt sich und Herr PM sagt, er habe doch Geburtstag. Ich sage, ich weiß, ich sei da zum Gratulieren. Nein, im Ernst, ich müsse mich davon überzeugen, dass es ihm gut gehen würde. Er macht auf und sagt, er sei gefrustet gewesen, dass keiner zu seinem Geburtstag gekommen sei auf seine Rund-SMS und habe das Bier in den Container gepfeffert und er sei etwas durch, aber friedlich und würde jetzt schlafen gehen. Der eine Wachtmann fragt ihn nach dem heutigen Datum (das hat er vielleicht mal so gelernt, dass man das fragt) und meiner antwortet mit 17. August. Das finde ich schon komisch, weil er normalerweise seinen Geburtstag kennt. Die beiden Polizisten gehen wieder, weil er weder Blut überströmt ist noch rumrandaliert. Ich gehe mit dem Eigentümer in den Keller um zu gucken, wie die Räumungsarbeiten voran kommen. Herr PM steigt uns nach. In dem einen Keller stellt er fest, dass ein Fahrrad umgefallen sei. Hier müsse jemand drin gewesen sein. Nicht, dass was geklaut wurde, so seine Angst. Das ist angesichts der Berge von allem und des Chaos eine nicht nachvollziehbare Annahme. Ich und der Eigentümer gehen raus auf die Straße und stellen uns an den Container mit den zerschlagenen Wiglo-Wunderland Bieren drin. Auf einmal taucht Herr PM wieder auf. Er steht da mit nacktem Oberkörper und hat eine Gitarre umgebunden. Es kommt raus, er hat 5 Tage nicht geschlafen und kommt nicht zur Ruhe und will jetzt einen Schrebergarten anmieten. „Ständig diese Sex-Partys und ich werde gar nicht mehr richtig geil. Das ist ein Chemie-Skandal.“ Dann fängt er an zu weinen und stützt sich an den Rand des Containers und fragt: „Bin ich denn der letzte Überlebende in meiner Familie?“. Dann sagt er, dass er Angst habe vor etwas, was er im Fernsehen gesehen habe und wir seien doch nicht etwas Roboter? Der Vermieter erzählt mir dann, dass er vor einigen Tagen was von Hühnermaden erzählt habe. Es habe einmal Hühnerställe im Garten gegeben und er war nun der Meinung, dass ein Typ seine Truhe mit Klamotten mit Hühnermaden verseucht habe. Das sei ihm schon komisch vorgekommen. Ich erkläre dem Vermieter, dass ich nicht glaube, dass das Problem sich von alleine löst und er einfach wieder schläft und es ihm dann wieder gut geht, sondern dass ich vermutlich handeln muss. Wieder im Büro angekommen faxe ich der Beratungsstelle meinen Bericht um zu sagen, es besteht noch Handlungsbedarf und beantrage beim Gericht die Unterbringung meines Schützlings nach einem Telefonat mit der Ärztin mit der ich mich für den kommenden Dienstag dort verabrede, aber in dem Glauben, dass es sich wohl vorher weiter zuspitzen wird.
Ich muss wieder los und habe eine Anhörung beim Amtsgericht wegen der Verlängerung einer Betreuung. Ich kann die zuständige Richterin nicht besonders gut leiden, sie weiß immer alles besser. Wir haben zusammen studiert. Die Betreuung wird um 2 Jahre verlängert. Dann bin ich 50, stellt Frau V fest und die Richterin erklärt ihr, das sei ein tolles Alter, sie sei schon 50 und werde 51. Woraufhin Frau V ihr ein Kompliment macht und sagt, das sehe man ihr nicht an und die sagt doch glatt: „ich weiß“. Musste das sein, frage ich mich? Der gesunde Lebenswandel und das geregelte zu Bett gehen haben sich ausgezahlt und sie sieht jünger aus als meine Betreute. Tolle Wurst. Glückwunsch. Wenn das hilft um das eigene Ego aufzumöbeln, außerdem macht der gesunde Lebenswandel, das viele Radfahren und Gesundheitslatschen tragen spaßfrei, zumindest in ihrem Fall und sie sieht vielleicht jünger aus als ihr Alter in Jahren, aber dafür wie ein Kerl und wer will das schon?
Wieder im Büro sehe ich eine SMS. Es ist der Vermieter der sich meldet mit: „Hoppla! Diese SMS war natürlich nicht für Sie bestimmt. Sorry! War eine Verwechslung. Gruß, HW“. Ich muss lachen, weil ich jetzt die erste SMS zuordnen kann.
Ich habe am 20.07. Geburtstag, dann ist ein Tag Pause, dann der Nachwuchs aus dem englischen Königshaus und dann Herr PM. Das passt irgendwie.
Die Woche in A, B, C, D und F
Ich hatte immer schon ein Faible für Gliederungen. In vielerlei Hinsicht ist meine Logik stark beeinträchtigt bis behindert, z.B. bei der Orientierung, aber für wissenschaftliche Arbeiten eine Gliederung zu machen von I. bis 1. a, aa, aaa oder 800 Fußnoten in einen Text hinein zu arbeiten, das hat mir immer viel Spaß gemacht.
Die Buchstaben oben hingegen sind meine neue Art die Arbeitswoche einzuteilen, A ist Montag, B ist Dienstag und F. ist Freitag. E gibt es nicht.
A.
22.07. Ich bin morgens gerädert und habe gleich einen Termin mit Herrn T. in der sozialpsychiatrischen Beratungsstelle in Linden zur Hilfeplanung. Vorher muss ich jedoch meine Kette in Ordnung bringen, die in Berlin gebrochen war. Da konnte ich nicht die eigentlich passende zum Outfit anziehen, sondern 2. Wahl. Die Lindt & Sprüngli und die gehäkelte mit den Bambusperlen aus Plastik.
Jetzt ist die Welt wieder outfittechnisch in Ordnung. Herr T. hat Architektur studiert und auch mal in Berlin gelebt. Ich nehme ihm übel, dass er mir das „Du“ aufgezwungen hat, was ich geradezu wiederwillig mit ihm praktiziere. Das ist auch das erste und letzte Mal, dass mir das beruflich passiert ist. Er ist auf eine gewisse Art und Weise sehr schlau, aber lebensuntüchtig. Er berechnet ganz komplizierte Dinge, aber mit dem Ergebnis kann keiner was anfangen. Immer wenn wir in der Vergangenheit z.B. beim Jobcenter zu einem Termin verabredet waren, kam er völlig verschwitzt an. Er ist leicht zwängig und Hypochonder und hat immer alle möglichen Erbkrankheiten, Muskelschwund usw. Er sagt selber, dass er ein Problem damit habe, einzuschätzen, was seine Mitmenschen denken, fühlen und von ihm erwarten. Er sei im Job immer angeeckt und es habe im mitmenschlichen Bereich Probleme gegeben. 2010 gab es einen stationären Aufenthalt. Da hat er den anderen Patienten beigebracht, wie man ordentlich die Tische wischt und eindeckt, die Aschenbecher ausleert usw. und es gab auch dort – wen wundert’s? – Konflikte.
Letzten Sommer hat es sich zugespitzt, dass er nach einem Umzug nach über einem Jahr immer noch keinen Telefonanschluss hatte und sich immer mehr zurück gezogen hat. Wenn ich dann auf Spontanbesuch vorbeigeschaut habe, machte er mit tiefen, dunklen Rändern unter den Augen die Tür auf und fragte wie spät es sei und erschrak dann, was schon wieder 16 Uhr? Er wollte sich dann um ganz viel kümmern und am Ende blieb alles liegen, Schlafstörungen, Kaffee trinken, schon wieder war ein Tag rum. Es musste sich was tun. Ich holte ärztliche Hilfe ins Haus durch o.g. Beratungsstelle und das endete dann Anfang des Jahres in einer Hilfeplanung. Da eine sog. fachärztliche Stellungnahme, die hierfür erforderlich ist nicht vorlag, weil nur Hausarzt vorhanden, musste das vor Ort gemacht werden und ich war anwesend, was recht aufschlussreich für mich war. Wie Fliege an der Wand bei einem Therapiegespräch. Er berichtete als Kind ständig umgezogen zu sein mit seinen Eltern. Der Vater war beim Militär. Die Mutter hat ihn und seinen kleinen Bruder ständig und grundlos verprügelt. Sie hätte ihnen gesagt, dass fremde Erwachsenen Kinder nicht schlagen dürften, Eltern hingegen schon bzw. hier sei es sogar Pflicht und erforderlich, damit die Eltern sich abreagiere könnten. Wenn Muttern einkaufen war, hätten sein kleiner Bruder und er sich viele Schichten Klamotten übereinander gezogen und Bücher unter die Pullover gestopft, damit sie etwas gepolstert waren gegen die Schläge, die es dann setzen würde, wenn sie wieder kam. Da war die Ärztin nun der Meinung, dass sich so etwas schon auf die Empathiefähigkeit auswirken könne.
Fazit war, das es nicht nur ambulant betreutes Wohnen gab, sondern ambulante psychiatrische Pflege, was über die Krankenkasse läuft (andere Kostenstelle) und viel intensiver ist, da die täglich kommen. Nach einer Woche war Telefon vorhanden und er hatte Glück, wie er sagte, weil sein Pfleger auch gelernter Tischler war und ihm so mit dem Möbelaufbau und dem Einrichten der Wohnung behilflich sein konnte. Alles sehr gut, aber diese Maßnahme läuft Anfang August ab und dann greift das abW mit 1-2 besuchskontakten und dafür war das erneute Treffen am 22. erforderlich. Als die Ärztin ihm Ergotherapie vorgeschlagen hat um die Konzentration zu steigern, weil er wieder ins Berufsleben einsteigen möchte und das als Ziel angibt, guckte er so was von angewidert. Das kenne er aus der stationären Therapie. Das sei nur basteln, Tonarbeiten, Papier falten und Buch binden. Schwachsinn für den Papierkorb. Man höre es ja immer wieder, dass Rentner, die zeitlebens Kunstmaler waren nun im Altersheim in irgendwelchen Malgruppen sitzen und für den Papierkorb zeichnen und 3 Wochen später tot sind. Das war sein Resümee, also liebe Heike, anders als bei uns gibt es auch die Einschätzung, dass Basteln sehr gefährlich ist und man damit die Gesundheit aufs Spiel setzt. Ich habe das natürlich verteidigt und ihm meine Meinung dazu gesagt, dass es bis hin zum Arbeitsleben ein weiter Weg sei. Er meinte jedoch, das Ziel nicht mit diesen Mitteln erreichen zu können. Im Wartezimmer hat er mir gesagt, dass er seinen Vermieter mal ansprechen wollte und die Regenrinne flicken. Sich quasi einen kleinen Auftrag an Land ziehen.
Den restlichen Tag verbringe ich mit Post, meinem Eilantrag vor dem Sozialgericht und anderen Dingen. Etwas länger beschäftigt mich ist ein 17-seitiges ärztliches Gutachten, was mir Stephan aus dem Gerichtsfach holt. Da geht es um die dauerhafte Unterbringung einer Betreuten und der externe Gutachter schlägt vor, entweder alle paar Wochen, Wohnung aufbrechen und einweisen und mit einer Spritze zwangsbehandeln oder geschlossenes Wohnheim, aber nur ein geeignetes, da gäbe es viel Pflegemissstand und das gewählte Behandlungsmodell hänge vom Gusto der Betreuerin ab. Da habe ich aber noch ein paar Nachfragen und versuche den Gutachter zu erreichen. Er antwortet auf meine mail, dass dies am bestens abends ab 18 Uhr möglich sein. Ich merke abends, um ca. 18 Uhr wie viel Extrazeit ich diese Woche habe, da mein Sportstudio zu hat. Nicht jeden Abend dort hinhetzen, sondern ich kann in Ruhe arbeiten und dann etwas schreiben.
wenn die Party vorbei ist…
gekühlte Getränke – so muss das ausschauen
herzhaftes zwischen Brot und Rock
21.07. Hot Stuff
Angesichts dessen, dass wir in der Kaffeebar zum frühstücken verabredet sind, packe ich meine Sachen, die überall im Zimmer verteilt sind zusammen. Alles macht Geräusche, weil es entweder in einer Plastik- oder einer Papiertüte ist und ich habe auch den Eindruck, wenn ich versuche leise zu sein, wird es umso lauter und ich raschele als wäre ein Verstärker im Spiel. Stephan moniert meine Aktivitäten und ich sage: wir müssen eh aufstehen.
Nach einem völlig opulenten Frühstück, verabschieden sich die Hamburger Jungs. Mit den Freunden aus Lübeck geht’s weiter in die Prinzesinnengärten zum Flohmarkt. Da hier nur Elfenkleidung in Gr. 36 im Angebot ist, muss ich nichts kaufen. Nur 2 Ringe gehen ins Netz. In Kunstharz gegossen, ein Hahn mit rotem Kamm und ein grüner Faden vor goldenem Hintergrund. Als die Verkäuferin mir von ihrer Da Wanda Seite erzählen will, lehne ich dankend ab.
Als wir gehen wollen, möchte ich auch noch mal aufs Klo. Diese sind in einem Bauwagen untergebracht und ich bewundere die Griffe an die Toilettentüren, die aus gebogenen Gartenschläuchen in grün-gelb gemacht wurden und freue mich über den Ideenreichtum und das gekonnte Improvisieren. Ich bin an der Reihe und positioniere mich vermeintlich über der Kloschlüssel in Skifahrerbergabschussfahrposition und lass laufen. Dann merke ich zu meinem Entsetzen, dass ich irgendwie die Schüssel wohl verfehle und in einer Lache aus Urin stehe, die aufgrund der Neigung des Wagens schnell Richtung Ausgang fließt unter der Tür hindurch. Ich greife nach dem Klopapier und versuche den Strom aufzuhalten, was utopisch ist. Den Urin unterbrechen kann ich aus anatomischen Gründen nicht. Dann klingelt mein Handy in der Tasche. Unpassender geht nicht. Ich stürze aus dem Wagen weil es mir so peinlich ist, was ich da angerichtet habe und sage zu Stephan, wir müssen ganz schnell abhauen. Ich habe hier Hausverbot oder bekomme gleich welches. Ich schaue dann nach um verwundert festzustellen, dass mich „home“ angerufen hat. Meine leer stehende Wohnung? Ich sage, das kann nur der Nachbar sein, der die Blumen gießt, Stephan soll mal zurück rufen und in der Tat hatte sich dieser aus der eigenen Wohnung ausgeschlossen und suchte den Zweitschlüssel in unserer. So gesehen, alles gut und dafür darf man auch mal die Nachbarn im Urlaub anrufen. Der Gute konnte ja nicht ahnen, in welcher Lage er mich gerade erwischt.
Wir ziehen weiter an einem schicken Kücheneinrichtungsladen
und öffentlichen Pflanzenzäunen
zu einer Eisdiele und nehmen ein paar Kalorien zu uns. Jetzt fahren auch die Lübecker.
Die Sanduhr erinnert uns daran, dass auch unsere Zeit in Berlin bald abgelaufen ist.
Wir bringen die Fahrräder zurück und kaufen einem Alki eine Tageskarte für 2 Personen für 4,- € ab. Ich bin erst dagegen, weil wir gar nicht wissen, wie die überhaupt aussehen müssen, aber stimme dann doch zu. Gepackt war ja schon. Der letzte kalte Tee wird in die Sigg-Flasche gefüllt und dann gehen wir vollgepackt mit unseren Sachen und mehr Taschen als sonst. Die Eitelkeit ist ja schon dem ein oder anderen zum Verhängnis geworden. Ich bestehe darauf, dass Stephan mein Tagesoutfit fotografiert und hänge meine Basteltasche an den praktischen Metallzaun, der als Haken fungiert. Schließlich habe ich heute ein neues Hütchen auf, gefilzt und genäht von Heike. Es sollte ein Auto werden, hat aber nun seine wahre Bestimmung gefunden….
Dann auf zur U-Bahn und noch mal zu Brigitte. Sie und Arnd haben sich angeboten, die unersättlichen Gäste noch mal zu ihrem Stammfranzosen zum Essen zu begleiten. Da ich in der Küche Flyer ausschneide, fragt mich Arnd, ob ich Sammelmarken ausschneiden würde. Ich darauf, nein, ich bastele Collage-Postkarten. Dann stellen wir fest, dass ich das super im Zug machen kann und ich will Brigitte noch welche zeigen. Die ich aus dem Mind Cookies Flyer mit dem geilen Zitat, was sie gefunden hat gemacht habe, komme aber darüber hinweg.
Wir sitzen auf der Eberswalder Straße und machen mal was ganz Neues, wir essen zur Abwechslung was Leckeres. Es gibt Blätterteig mit Kapern, Oliven und Schinken gefüllt und eine kalte Ratatouille sowie ein Carpaccio aus Ente- und einem andern Fleisch. Ich weiß es nicht mehr. Creme Brulée in sehr lecker.
Just als wir los wollen, ist der Taxistand gegenüber auf einmal verwaist und es fahren auch keine Taxen vorbei. Die Gastgeber, die uns zum Essen eingeladen haben, werden nervös. Jetzt ein Taxi per Telefon bestellen, dauert auch zu lang. Arnd geht vor zur Kreuzung und ich wundere, dass ein Taxi vorfährt und anhält, obwohl ein Gast drin sitzt. Es ist Arnd, der das Taxi besorgt und mit ihm vorgefahren ist. Sehr coole Aktion.
Der Abschied in Etappen hat die letzte Etappe erreicht. Ich bin traurig, aber auch erfüllt von den ganzen Eindrücken. Der Taxifahrer erklärt uns, warum auf einmal alle Taxen wie vom Erdboden verschluckt waren, weil die Sonne gleich untergeht und es Ramadan ist und die Fahrer dann alle nach Hause fahren zum Essen. Auch verständlich.
Unser Zug, der 21:07 fahren sollte hat 40, dann 45, dann 50, dann 55 Minuten Verspätung. Ich ärgere mich über die Durchsagen der Bahn, die Verspätung sei wegen eines Defekts an einem anderen Zug. Und der gehört wohl nicht zur DB oder was? Gute Ausrede. Ich fotografiere eine Frau vor mir, vor einem Nilpferd, vor dem Vollmond.
Ich sitze am Gleis auf meinem blauen Hartschalenbeautycase und schneide mit der kleinen Reiseschere weiter klitzekleine Graefe-Kiez Girlanden aus einem Flyer. Auf einmal merke ich, meine schwarze Basteltasche ist nicht mehr da. Panik. Wo ist sie? Bei Brigitte in der Küche unter dem Tisch. Dann fällt mir das Posen ein und ich weiß, dass ich sie am Biergartenzaun habe hängen lassen und einfach nach dem Foto gegangen bin. Der Akku vom Handy ist leer und Stephan geht sofort die Vermieter anrufen. Der hat gerade Hochbetrieb in seinem Biergarten und kann nur rausschauen und feststellen, dass da keine Tasche mehr hängt. Er meint, vorhin eine gesehen zu haben bzw. wie jemand sie abgehängt hat. Jetzt ist sie weg, meine See’s Candies Tasche aus Tokio mit See’s Candies Tokio Button und einem selbstgemachten See’s Candies Button aus Kalifornien in metallic grün und der Inhalt. Ich kann es mir schön noch mal auf dem Foto anschauen, wie sie da hängt und ich dämlich daneben stehe.
Unsichtbar für den Betrachter ist sie gefüllt mit ca. 24 Tuben Acrylfarbe, einmal Wasserfarbe Hautfarben extra. Eine Schachtel Buntstifte, die sich mit Wasser verwischen lassen aus Wien in einer Papierhülle, ein Anspitzer der Hagia Sofia aus Istanbul aus Holz mit 2 Größen, 4 Gel-Stifte von Top Modell, 3 schlanke Highlighter in Neon-Farben aus Paris, 2 Pritt-Stifte, ein Pinsel, zwei Kugelschreiber, einer mit 4 Mienen in unterschiedlichen Farben, rot, grün, blau, schwarz und ausgeschnittene Schnipsel, Postkartenrohlingen, eine selbstgebastelte Urlaubspostkarte der Hannoveraner Gäste aus Mallorca (mit unserer Adresse) sowie die Collage-Postkarte, die ich in Berlin gebastelt habe. Ich könnte heulen und merke die ganze Übermüdung in mir aufsteigen. Die Füße fühlen sich an als würde Sand in den Schuhe an ihnen kratzen, überempfindlich. Ich habe noch nie selbstgemachte Postkarten verloren und nehme die immer mit ins Handgepäck, weil ich sie nicht aus der Hand geben will. Ich bin ein Kontrollfreak mit 1 Milliarde Sache. Die Erinnerungsstücke sind schon schlimm genug, aber die gebastelten Berlin-Collagen sind bei weitem das schlimmste. Ein Appell an meine Berliner Freunde, wenn ihr jemanden mit einer schwarzen kleinen Jutetasche mit weißem See’s Candies Aufdruck und zwei Buttons darauf seht…. oder soll ich ein Lösegeld anbieten. Ich weiß es nicht. Ich habe richtig Kontrollzwang und will mir alles noch mal besorgen und es nachbasteln. Das Schwunz (?) Magazin, Schwules Berlin, den Mind Cookies Flyer aus der Pappelallee, die Tim Raue Beilage in der Rechnung mit pinker Schrift und Vögelchen und der Anfrage, ob man den News-Letter will. Alles was ich zum Basteln benutzt habe, aber das geht schon nicht, weil ich Überschriften aus der Haz mit „brutalster Drogenhändler gefasst“ mit Ausschnitten aus der Apothekenzeitschrift verwurstet habe und Leibniz auf einem Segway mit einem Hepatitisvirus usw. Das kann ich gar nicht rekonstruieren, aber wenn ich es jetzt mit noch so viel Ehrgeiz tun will, damit die Welt wieder in Ordnung kommt. Es waren sogar noch Ausschnitte vorheriger Reisen, Überschriften der Kronen-Zeitung aus Wien, die noch unverbastelt waren drin. Immerhin habe ich jetzt Buttermusch als Schreibtherapie. Ich verliere selten was, aber wenn ist es immer mit einem schweren Traums verbunden. Heike hat mir einen goldenen Fliegenflügel geschenkt an einer langen Perlenkette, der auf meinem Bauch hing. Da ich diesen mit der Zange abgemacht und probehalber an ein Hütchen befestigt und dann wieder rangemacht und die Öse nicht richtig verschlossen habe, will ich ihn im Biergarten vorzeigen und es baumelt nur die leere Kette um meinen Hals, die so schön im Wind geflattert hat. Er ist weggeflogen. Meine Begleiter merken meine Betroffenheit und schlagen vor zurück zu fahren. ich lehne nur ab angesichts der Sinnlosigkeit der Unterfangens, suche aber noch die unmittelbare Umgebung ab. Ich sage, so Elfenkram will einfach nicht bei mir bleiben und versuche es zu überspielen weil schon das schwer zu verkraften ist, aber meine eigenen Collagen, die jemand mitgenommen hat und nicht wieder rausgibt, das ist zu viel für mich. Werde ich jetzt in der Psychiatrie landen? Immer wieder stelle ich mir verschiedene Szenarien vor, was passiert ist. Es ist zwanghaft, aber ich finde keine Ruhe. Ich würde viel Geld dafür geben, wenn ich sehen könnte, wo die Sachen abgeblieben sind. Ob mich das dann allerdings wirklich befriedigt weiß ich nicht, da auch das nur in meiner Phantasie geht (Lola rennt mäßig, in Zeitraffer, sehe ich, wer sie abhängt, nach Hause nimmt, dem Kind die Stifte gibt, den Rest ins Altpapier)…..
Im Zug lese ich eine Email von Heike, die sich für den Abend bedankt und mir schreibt, dass ihr Taxi-Fahrer ihr nachts bei der Heimfahrt den komischen Lagerfeuergeruch erklärt hat. Der Festsaal Kreuzberg ist abgebrannt. Muss ich das jetzt relativieren, weil wir noch leben und nur meine Sachen, also ein Teil von mir fehlen? Ich habe keine Enkel, denen ich spannende Geschichten erzählen kann, wie wir um Haaresbreite dem Feuer entkommen sind oder auf dem letzten Hip Hop Konzert im Festsaal Kreuzberg waren. Ich bin einfach nur traurig und denke, ich war offenbar überfordert oder sowas kommt von sowas.
Es ging mir in der Vergangenheit schon so, dass ich dachte, Berlin ist zu viel für mich. Eine Reise ist schön, aber dann ist der Akku auch leer und muss wieder aufgeladen werden zwischen Grünflächen und Kleingärten und es gibt Platz auf den Radwegen. Dort leben könnte ich nicht, weil es mich zu viel Energie kosten würde. In der Provinz kann ich mich mehr erholen und habe keine Reizüberflutung. Ich habe das Gefühl, dass sich hier um die Hasen gekümmert wird, während in Berlin einfach viel mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Es ist wie Krieg und überall liegen Verletzte, aber es gibt zu wenig Helfer und man stumpft ab. Hannover ist meine Wohnung mit Putzfrau. Etwas Chaos, aber im Rahmen. Es gibt noch eine Instanz, die dem etwas entgegen setzt. Berlin ist meine Wohnung ohne Putzfrau oder anders: Hannover ist wie Hangover Teil 1, es kann zwar ordentlich aus dem Ruder laufen, aber es ist dann irgendwie noch lustig und geht gut aus, Berlin ist drüber, wie die Apokalypse oder eine Vorstufe davon. Das sollen mir die Berliner Freunde nicht übel nehmen, weil Urlaub in der Hölle mache ich schon gerne.
Ich muss nur zusehen, dass ich nicht zu lange am Feuer bleibe, weil ich mich sonst verbrenne. Der letzte Berlinbesuch vor ca. 1 ½ Jahren dauerte 1 Übernachtung. Diese 4,5 Tage kommen mir vor wie 6 Wochen. Ich muss die Sache vorsichtiger dosieren. Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Apropos Hölle. Was richtig Hölle ist, ist bei dem heißen Wetter Armreife tragen 5-7 Plastikarmreife links und mehrere Elastikarmbänder rechts. Es ist schwitzig unter den Dingern ohne Ende und mein linker Arm sieht in der Mitte käseweiß und fast abgestorben aus, als wäre er im Gips gewesen und das alles wegen der Dingern. Ich nehme mir vor, sie hin und wieder zumindest beim Fahrrad fahren in die Tasche zu tun, damit die Sonne an die entsprechende Stelle kommt und Wind usw. Das ist dann herrlich, ohne. Aber dann will ich die passenden Farben wieder und mein Outfit geht nicht ohne und quäle mich weiter. Diese Eitelkeit ist schmerzhaft. Selbst unter den Plastikringe an den Fingern schwitze ich und will sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ablegen, aber weglassen? Das kommt nicht in Frage, durchziehen heißt die Parole. Ich bin ohne Armreife nicht lebensfähig.
Postkarte aus Wien – tolle message
20.07.2013 Hausnummernfotos zum Jahrestag
Vor ein paar Jahren hatte ich die Idee, dass ich mich an meinem Geburstag immer vor der entsprechenden Hausnummer fotografieren lasse. Das mache ich seit ca. 8 Jahren, leider nicht jedes Jahr regelmäßig. Ich fand es dann auch schade, dass ich nicht früher damit angefangen habe und das nahm mir den Ehrgeiz und irgendwie fehlt mir auch die Konsequenz. Hier das diesjährige Foto mit einem neuen Hütchen sowie einer neuen 2,- € Bluse:
Nach einem Frühstück im Graefe-Kiez, geht es wieder zu Heike zurück. Stephan findet dieses Programm nur mäßig abwechslungsreich, aber er ist geduldig. Hier wird weiter gebastelt und es gibt leckeres Mittagessen (nur eine Kleinigkeit, wie Georg betont).
Heike beschenkt mich mit einer selbstgenähten Bluse und Mütze dazu (sehr bunt, sehr kunstvoll genäht) und näht mir an einer gelben 70er Jahre Nähmaschine eine Hundeschürze mit eine Hundestich, den diese Maschine zur Verfügung hat.
Wir fahren zum Chinesen Tian Fu zu dem ich eingeladen habe nach Charlottenburg. Ich mag die Berliner Kennzeichen. Meine Lieblingskennzeichen sind B: IG; B: UH und B: TM. Ich finde die Radwege katastrophal für deutsche Verhältnisse und unwürdig für die Hauptstadt. Sie sind schmal als wäre man in Stadthagen (d.h. die haben ganz ordentliche Radwege, da muss ich sie in Schutz nehmen, bei allem was ich sonst gegen Stadthagen habe) und mit einer scharfkantigen Trennwand aus Pflastersteinen vom Fußgängerweg abgetrennt, so dass man nicht überholen kann und höllisch aufpassen muss nicht richtig auf die Klappe zu fliegen und ich denke ich die Worte des Taxi-Fahrers vom ersten Abends, der beim Thema Leihräder zu uns meinte, dass wir vorher Organspendeausweise ausfüllen sollten. Wahrscheinlich dient dies dem Schutz der Fußgänger vor den total gefährlichen Radfahrern.Die Aussicht ist schön und in einem Park in X-Berg werden weiße Ballons wie zur Feier des Tages mit Gas gefüllt.
Wir halten kurz in einem anderen Park und ein Mann mit einer altmodischen braunen Kamera um den Bauch kommt auf mich zu und lobt mein Hütchen als originell.
Ich bin erst anti und unfreundlich und denke, der will mich gleich fotografieren. Er fragt mich, ob ich Deutsche sei und sagt, sie seien Franzosen auf sich und seine junge Gruftie-Tochter bezogen. Dann wollen sie meinen Halschmuck anschauen und wissen, ob das chinesische Zeichen seien. Ich bejahe. Und was sei drin? Die Schale von Pumkin Seeds, meine Antwort. Dann die Gothik-Tochter: „Is it for luck?“ und ich zu ihr: „I don’t believe in luck“. Dann geht die Fahrt weiter.
Alle 13 Gäste treffen ein. Sie beschenken mich reichlich mit Fotobüchern, an denen sie mitgewirkt haben,
französischem Aperitif, grünem Tee, einem Jerwitz-Gutschein (Kunstbedarf Hamburg), Handschellenfahrradschloss, was ich in Kopenhagen so toll fand (hier die passende Verpackung):
sowie einem Porträt von mir und das habe ich mir insgeheim immer gewünscht.
Da sie sich unter einander zum Teil Jahrzehnte nicht gesehen haben, ist es ein besonderer Abend. Es ist harmonisch, aber wir hinterlassen ein Schlachtfeld auf dem Drehteller
Das Essen war scharf (szechuan Küche)
die Damentoiletten herrlich dekoriert
und ziehen weiter in unseren hauseigenen Biergarten. Auf dem langen Weg zurück von Charlottenburg zum Kotti riecht es auf den zweiten Hälfte der Strecke total nach Lagerfeuer und Plastik. Einmal müssen wir nach der Richtung fragen. Immer gerade aus, Admiralbrücke und dann immer weiter. Ich bin richtig froh wieder in meinem Kiez zu sein.
Im Biergarten dürfen wir bis 3 Uhr morgens verweilen und lachen und ausfallend und laut sein, weil Arnd die Mitarbeiter kennt. Er gibt eine Runde Obstler aus zum Schluss. Ich genieße den Abend sehr. Alte Freunde, die einen durch’s Leben begleiten. Das ist ein Privileg. Nächstes Jahr will ich in dieser Konstellation in Wien feiern, verkünde ich vollmundig. Ich weiß auch schon in welcher Gaststätte. Das Essen, vor allem die Weine und der Nachtisch wird sich steigern gegenüber dem Chinesen. Es ist gut, wenn man noch Ziele im Leben hat und meine Liebe zu Wien ist ja hinlänglich bekannt. Es ist die Mischung aus tierlieb und pervers auf die ich besonders abfahre sowie das Essen und die Kaffeehäuser: