21.07. Hot Stuff

Angesichts dessen, dass wir in der Kaffeebar zum frühstücken verabredet sind, packe ich meine Sachen, die überall im Zimmer verteilt sind zusammen. Alles macht Geräusche, weil es entweder in einer Plastik- oder einer Papiertüte ist und ich habe auch den Eindruck, wenn ich versuche leise zu sein, wird es umso lauter und ich raschele als wäre ein Verstärker im Spiel. Stephan moniert meine Aktivitäten und ich sage: wir müssen eh aufstehen.

Nach einem völlig opulenten Frühstück, verabschieden sich die Hamburger Jungs. Mit den Freunden aus Lübeck geht’s weiter in die Prinzesinnengärten zum Flohmarkt. Da hier nur Elfenkleidung in Gr. 36 im Angebot ist, muss ich nichts kaufen. Nur 2 Ringe gehen ins Netz. In Kunstharz gegossen, ein Hahn mit rotem Kamm und ein grüner Faden vor goldenem Hintergrund. Als die Verkäuferin mir von ihrer Da Wanda Seite erzählen will, lehne ich dankend ab.

Als wir gehen wollen, möchte ich auch noch mal aufs Klo. Diese sind in einem Bauwagen untergebracht und ich bewundere die Griffe an die Toilettentüren, die aus gebogenen Gartenschläuchen in grün-gelb gemacht wurden und freue mich über den Ideenreichtum und das gekonnte Improvisieren. Ich bin an der Reihe und positioniere mich vermeintlich über der Kloschlüssel in Skifahrerbergabschussfahrposition und lass laufen. Dann merke ich zu meinem Entsetzen, dass ich irgendwie die Schüssel wohl verfehle und in einer Lache aus Urin stehe, die aufgrund der Neigung des Wagens schnell Richtung Ausgang fließt unter der Tür hindurch. Ich greife nach dem Klopapier und versuche den Strom aufzuhalten, was utopisch ist. Den Urin unterbrechen kann ich aus anatomischen Gründen nicht. Dann klingelt mein Handy in der Tasche. Unpassender geht nicht. Ich stürze aus dem Wagen weil es mir so peinlich ist, was ich da angerichtet habe und sage zu Stephan, wir müssen ganz schnell abhauen. Ich habe hier Hausverbot oder bekomme gleich welches. Ich schaue dann nach um verwundert festzustellen, dass mich „home“ angerufen hat. Meine leer stehende Wohnung?  Ich sage, das kann nur der Nachbar sein, der die Blumen gießt, Stephan soll mal zurück rufen und in der Tat hatte sich dieser aus der eigenen Wohnung ausgeschlossen und suchte den Zweitschlüssel in unserer. So gesehen, alles gut und dafür darf man auch mal die Nachbarn im Urlaub anrufen. Der Gute konnte ja nicht ahnen, in welcher Lage er mich gerade erwischt.

Avocado

Wir ziehen weiter an einem schicken Kücheneinrichtungsladen

Berlin Anna  passend vor buntem Geschäft

und öffentlichen Pflanzenzäunen

Berlin gehängte Blumen Berlin Blumen aufgehängt

zu einer Eisdiele und nehmen ein paar Kalorien zu uns. Jetzt fahren auch die Lübecker.

Berlin Steinziege

Die Sanduhr erinnert uns daran, dass auch unsere Zeit in Berlin bald abgelaufen ist.

Berlin Admiralssanduhr

Wir bringen die Fahrräder zurück und kaufen einem Alki eine Tageskarte für 2 Personen für 4,- € ab. Ich bin erst dagegen, weil wir gar nicht wissen, wie die überhaupt aussehen müssen, aber stimme dann doch zu. Gepackt war ja schon. Der letzte kalte Tee wird in die Sigg-Flasche gefüllt und dann gehen wir vollgepackt mit unseren Sachen und mehr Taschen als sonst. Die Eitelkeit ist ja schon dem ein oder anderen zum Verhängnis geworden. Ich bestehe darauf, dass Stephan mein Tagesoutfit fotografiert und hänge meine Basteltasche an den praktischen Metallzaun, der als Haken fungiert. Schließlich habe ich heute ein neues Hütchen auf, gefilzt und genäht von Heike. Es sollte ein Auto werden, hat aber nun seine wahre Bestimmung gefunden….

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Dann auf zur U-Bahn und noch mal zu Brigitte. Sie und Arnd haben sich angeboten, die unersättlichen Gäste noch mal zu ihrem Stammfranzosen zum Essen zu begleiten. Da ich in der Küche Flyer ausschneide, fragt mich Arnd, ob ich Sammelmarken ausschneiden würde. Ich darauf, nein, ich bastele Collage-Postkarten. Dann stellen wir fest, dass ich das super im Zug machen kann und ich will Brigitte noch welche zeigen. Die ich aus dem Mind Cookies Flyer mit dem geilen Zitat, was sie gefunden hat gemacht habe, komme aber darüber hinweg.

Wir sitzen auf der Eberswalder Straße und machen mal was ganz Neues, wir essen zur Abwechslung was Leckeres. Es gibt Blätterteig mit Kapern, Oliven und Schinken gefüllt und eine kalte Ratatouille sowie ein Carpaccio aus Ente- und einem andern Fleisch. Ich weiß es nicht mehr. Creme Brulée in sehr lecker.

Les Valseuses gef Crepes Les Valseuses Carpaccio Les Valseuses Burrata

Just als wir los wollen, ist der Taxistand gegenüber auf einmal verwaist und es fahren auch keine Taxen vorbei. Die Gastgeber, die uns zum Essen eingeladen haben, werden nervös. Jetzt ein Taxi per Telefon bestellen, dauert auch zu lang. Arnd geht vor zur Kreuzung und ich wundere, dass ein Taxi vorfährt und anhält, obwohl ein Gast drin sitzt. Es ist Arnd, der das Taxi besorgt und mit ihm vorgefahren ist. Sehr coole Aktion.

50 Euro Streetart

Der Abschied in Etappen hat die letzte Etappe erreicht. Ich bin traurig, aber auch erfüllt von den ganzen Eindrücken. Der Taxifahrer erklärt uns, warum auf einmal alle Taxen wie vom Erdboden verschluckt waren, weil die Sonne gleich untergeht und es Ramadan ist und die Fahrer dann alle nach Hause fahren zum Essen. Auch verständlich.

Berlin Hbf

Unser Zug, der 21:07 fahren sollte hat 40, dann 45, dann 50, dann 55 Minuten Verspätung. Ich ärgere mich über die Durchsagen der Bahn, die Verspätung sei wegen eines Defekts an einem anderen Zug. Und der gehört wohl nicht zur DB oder was? Gute Ausrede. Ich fotografiere eine Frau vor mir, vor einem Nilpferd, vor dem Vollmond.

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Ich sitze am Gleis auf meinem blauen Hartschalenbeautycase und schneide mit der kleinen Reiseschere weiter klitzekleine Graefe-Kiez Girlanden aus einem Flyer. Auf einmal merke ich, meine schwarze Basteltasche ist nicht mehr da. Panik. Wo ist sie? Bei Brigitte in der Küche unter dem Tisch. Dann fällt mir das Posen ein und ich weiß, dass ich sie am Biergartenzaun habe hängen lassen und einfach nach dem Foto gegangen bin. Der Akku vom Handy ist leer und Stephan geht sofort die Vermieter anrufen. Der hat gerade Hochbetrieb in seinem Biergarten und kann nur rausschauen und feststellen, dass da keine Tasche mehr hängt. Er meint, vorhin eine gesehen zu haben bzw. wie jemand sie abgehängt hat. Jetzt ist sie weg, meine See’s Candies Tasche aus Tokio mit See’s Candies Tokio Button und einem selbstgemachten See’s Candies Button aus Kalifornien in metallic grün und der Inhalt. Ich kann es mir schön noch mal auf dem Foto anschauen, wie sie da hängt und ich dämlich daneben stehe.

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Unsichtbar für den Betrachter ist sie gefüllt mit ca. 24 Tuben Acrylfarbe, einmal Wasserfarbe Hautfarben extra. Eine Schachtel Buntstifte, die sich mit Wasser verwischen lassen aus Wien in einer Papierhülle, ein Anspitzer der Hagia Sofia aus Istanbul aus Holz mit 2 Größen, 4 Gel-Stifte von Top Modell, 3 schlanke Highlighter in Neon-Farben aus Paris, 2 Pritt-Stifte, ein Pinsel, zwei Kugelschreiber, einer mit 4 Mienen in unterschiedlichen Farben, rot, grün, blau, schwarz und ausgeschnittene Schnipsel, Postkartenrohlingen, eine selbstgebastelte Urlaubspostkarte der Hannoveraner Gäste aus Mallorca (mit unserer Adresse) sowie die Collage-Postkarte, die ich in Berlin gebastelt habe. Ich könnte heulen und merke die ganze Übermüdung in mir aufsteigen. Die Füße fühlen sich an als würde Sand in den Schuhe an ihnen kratzen, überempfindlich. Ich habe noch nie selbstgemachte Postkarten verloren und nehme die immer mit ins Handgepäck, weil ich sie nicht aus der Hand geben will. Ich bin ein Kontrollfreak mit 1 Milliarde Sache. Die Erinnerungsstücke sind schon schlimm genug, aber die gebastelten Berlin-Collagen sind bei weitem das schlimmste. Ein Appell an meine Berliner Freunde, wenn ihr jemanden mit einer schwarzen kleinen Jutetasche mit weißem See’s Candies Aufdruck und zwei Buttons darauf seht…. oder soll ich ein Lösegeld anbieten. Ich weiß es nicht. Ich habe richtig Kontrollzwang und will mir alles noch mal besorgen und es nachbasteln. Das Schwunz (?) Magazin, Schwules Berlin, den Mind Cookies Flyer aus der Pappelallee, die Tim Raue Beilage in der Rechnung mit pinker Schrift und Vögelchen und der Anfrage, ob man den News-Letter will. Alles was ich zum Basteln benutzt habe, aber das geht schon nicht, weil ich Überschriften aus der Haz mit „brutalster Drogenhändler gefasst“ mit Ausschnitten aus der Apothekenzeitschrift verwurstet habe und Leibniz auf einem Segway mit einem Hepatitisvirus usw. Das kann ich gar nicht rekonstruieren, aber wenn ich es jetzt mit noch so viel Ehrgeiz tun will, damit die Welt wieder in Ordnung kommt. Es waren sogar noch Ausschnitte vorheriger Reisen, Überschriften der Kronen-Zeitung aus Wien, die noch unverbastelt waren drin. Immerhin habe ich jetzt Buttermusch als Schreibtherapie. Ich verliere selten was, aber wenn ist es immer mit einem schweren Traums verbunden. Heike hat mir einen goldenen Fliegenflügel geschenkt an einer langen Perlenkette, der auf meinem Bauch hing. Da ich diesen mit der Zange abgemacht und probehalber an ein Hütchen befestigt und dann wieder rangemacht und die Öse nicht richtig verschlossen habe, will ich ihn im Biergarten vorzeigen und es baumelt nur die leere Kette um meinen Hals, die so schön im Wind geflattert hat. Er ist weggeflogen. Meine Begleiter merken meine Betroffenheit und schlagen vor zurück zu fahren. ich lehne nur ab angesichts der Sinnlosigkeit der Unterfangens, suche aber noch die unmittelbare Umgebung ab. Ich sage, so Elfenkram will einfach nicht bei mir bleiben und versuche es zu überspielen weil schon das schwer zu verkraften ist, aber meine eigenen Collagen, die jemand mitgenommen hat und nicht wieder rausgibt, das ist zu viel für mich. Werde ich jetzt in der Psychiatrie landen? Immer wieder stelle ich mir verschiedene Szenarien vor, was passiert ist. Es ist zwanghaft, aber ich finde keine Ruhe. Ich würde viel Geld dafür geben, wenn ich sehen könnte, wo die Sachen abgeblieben sind. Ob mich das dann allerdings wirklich befriedigt weiß ich nicht, da auch das nur in meiner Phantasie geht (Lola rennt mäßig, in Zeitraffer, sehe ich, wer sie abhängt, nach Hause nimmt, dem Kind die Stifte gibt, den Rest ins Altpapier)…..

Im Zug lese ich eine Email von Heike, die sich für den Abend bedankt und mir schreibt, dass ihr Taxi-Fahrer ihr nachts bei der Heimfahrt den komischen Lagerfeuergeruch erklärt hat. Der Festsaal Kreuzberg ist abgebrannt. Muss ich das jetzt relativieren, weil wir noch leben und nur meine Sachen, also ein Teil von mir fehlen? Ich habe keine Enkel, denen ich spannende Geschichten erzählen kann, wie wir um Haaresbreite dem Feuer entkommen sind oder auf dem letzten Hip Hop Konzert im Festsaal Kreuzberg waren. Ich bin einfach nur traurig und denke, ich war offenbar überfordert oder sowas kommt von sowas.

Es ging mir in der Vergangenheit schon so, dass ich dachte, Berlin ist zu viel für mich. Eine Reise ist schön, aber dann ist der Akku auch leer und muss wieder aufgeladen werden zwischen Grünflächen und Kleingärten und es gibt Platz auf den Radwegen. Dort leben könnte ich nicht, weil es mich zu viel Energie kosten würde. In der Provinz kann ich mich mehr erholen und habe keine Reizüberflutung. Ich habe das Gefühl, dass sich hier um die Hasen gekümmert wird, während in Berlin einfach viel mehr Menschen auf der Strecke bleiben. Es ist wie Krieg und überall liegen Verletzte, aber es gibt zu wenig Helfer und man stumpft ab. Hannover ist meine Wohnung mit Putzfrau. Etwas Chaos, aber im Rahmen. Es gibt noch eine Instanz, die dem etwas entgegen setzt. Berlin ist meine Wohnung ohne Putzfrau oder anders: Hannover ist wie Hangover Teil 1, es kann zwar ordentlich aus dem Ruder laufen, aber es ist dann irgendwie noch lustig und geht gut aus, Berlin ist drüber, wie die Apokalypse oder eine Vorstufe davon. Das sollen mir die Berliner Freunde nicht übel nehmen, weil Urlaub in der Hölle mache ich schon gerne.

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Ich muss nur zusehen, dass ich nicht zu lange am Feuer bleibe, weil ich mich sonst verbrenne. Der letzte Berlinbesuch vor ca. 1 ½ Jahren dauerte 1 Übernachtung. Diese 4,5 Tage kommen mir vor wie 6 Wochen. Ich muss die Sache vorsichtiger dosieren. Mehr fällt mir dazu nicht ein.

Apropos Hölle. Was richtig Hölle ist, ist bei dem heißen Wetter Armreife tragen 5-7 Plastikarmreife links und mehrere Elastikarmbänder rechts. Es ist schwitzig unter den Dingern ohne Ende und mein linker Arm sieht in der Mitte käseweiß und fast abgestorben aus, als wäre er im Gips gewesen und das alles wegen der Dingern. Ich nehme mir vor, sie hin und wieder zumindest beim Fahrrad fahren in die Tasche zu tun, damit die Sonne an die entsprechende Stelle kommt und Wind usw. Das ist dann herrlich, ohne. Aber dann will ich die passenden Farben wieder und mein Outfit geht nicht ohne und quäle mich weiter. Diese Eitelkeit ist schmerzhaft. Selbst unter den Plastikringe an den Fingern schwitze ich und will sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ablegen, aber weglassen? Das kommt nicht in Frage, durchziehen heißt die Parole. Ich bin ohne Armreife nicht lebensfähig.

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