25.07. Speeddating aus der Haftzelle

D.

Vor dem ersten Kaffee will ich schon im Krankenhaus anrufen, tue es aber erst danach, weil vor 8 Uhr muss auch nicht sein und ohne Koffäin bin ich weniger überzeugend. Frage, ob Herr PM gut angekommen ist. Ja, er ist da. War wohl doch Polizei nötig und er wurde nachts fixiert. Noch mal den Pfleger briefen über den Stand und wieder die Bitte, ihn unter alle Umstände da behalten, sonst war der ganze Einsatz umsonst.

Auf zum Amtsgericht und in die Kellerkatakomben zu den Haftzellen. Ich biege falsch ab und frage eine Frau, die Akten wegsortiert nach meinem Schützling. Sie darauf: ich kenn nicht jeden, der hier arbeitet. Es stellt sich heraus, dass ich im Archiv der Nachlassabteilung gelandet bin. Ich nehme den anderen Weg und eine gutaussehende dunkelhaarige Geschäftsstellenmitarbeiterin (Sekretärin), die 50er Jahre Retro Sachen trägt, aber solche, die nachgenäht werden mit Pünktchen und Streifen und Rock mit viel Stoff, aber enger Taille und Schuhe mit Keilabsatz weist mir den Weg. Gegenüber den Haftzellen ist ein langes Steinwaschbecken, wie ein Trog. Meiner wird aus der Zelle geholt, die er mit einem anderen Häftling teilt und wir bekommen eine freie Zelle als Besprechungsraum. Er freut sich mich zu sehen und sieht sehr aufgeräumt aus. Unser Besprechungsraum hat einen schönen Holzfußboden und die Wände sind künstlerisch gestaltet.

Haftzelle Graffittis Haftzelle

Er will mir erzählen, wie es wirklich gewesen sei. Ein Algerier, den er nicht kannte, wollte irgendwelche krummen Dinger mit ihm abziehen, was er aber abgelehnt hat. Dieser sagte, er habe gesehen, dass eine Frau gegenüber soo einen Stapel Bargeld hat und meiner daraufhin, sie ist Junkie, vielleicht hat sie einen Freier abgezogen. Dieser Frau sollte meiner was in das Getränk tun, was meiner vehement abgelehnt: „spinnst Du, ich kenn die Frau“. Das war der Anfang der Geschichte, die für meinen im Tatvorwurf des gemeinschaftlichen Raubes endet, weil er ein Handy, was bei einer körperlichen Auseinandersetzung an der er nicht beteiligt war, zu Boden ging aufgehoben hat und das leider später eingeräumt hat als es von der Polizei gefunden wurde. Ich sage ihm, interessante Geschichte, aber darauf wird es heute nicht ankommen, sondern nur auf die Haftgründe. In seinem Fall Fluchtgefahr. Ich rede noch eine ganze Weile mit im und sage ihm dann, dass ich nun den Verteidiger suchen gehe und dann wieder komme. Dann muss man durch die Gitterstäbe hindurch greifen und nach der Krankenschwester klingeln, um wieder rausgelassen zu werden.

Apropos Krankenschwester. Die Klinik ruft mich auf dem Handy an wegen Herrn PM. Der sei freiwillig da. Das wundert mich etwas. Von gerade noch fixiert und Polizeieskorte bis tragfähiger Freiwilligkeitserklärung ist normalerweise ein längerer Weg. Ich äußere Zweifel gegenüber der Ärztin, aber es ist ihre Entscheidung.

Ich gehe rüber zu den Sekretärinnen von davor und frage nach, ob der Kollege schon da sei. Der Termin sei erst um 10:30 Uhr. Sie hätten sich auch gewundert, warum ich schon da bin. Ich sage, der Termin ist mir nicht nur von meinem Schützling, sondern auch von Sozialarbeiter der JVA gesagt worden. Ich hatte keinen Grund daran zu Zweifeln. Dann sagen mir die beiden Grazien, dass sie nicht glauben, dass die Richterin mich daran teilnehmen lässt, weil das sei eine Haftsache und nicht öffentlich. Ich sage, ich bin keine Öffentlichkeit, wenn er das will, dann entfällt der Schutzzweck, dem der Ausschluss Dritter dient und außerdem, ich kann auch zum Sozialamt und für ihn Anträge unterschreiben und das ist rechtlich so, als wäre er das gewesen wegen Vertretung in Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten und überhaupt: das werden wir schon sehen. Rufe im Büro des Kollegen an um den Zwischenstand durchzugeben an das Sekretariat. Dieser will um 10 Uhr beim Mandanten sein. Dann werde ich auch da sein und mich so lange beschäftigen.

Telefonat mit dem Büro, Stephan, dass es wohl länger dauern wird als geplant. Er sagt, die Haftzellen im Keller seien bestimmt angenehm bei dem Wetter und ich sage, ich gehe wieder rüber und lass mir ein paar andere Kandidaten aus dem Boxen rausholen. Speeddating aus der Haftzelle oder Tierheim. Irgendwie hat es genau so was.

In Wirklichkeit mache ich Gerichtspost. Der Taubenschlag der Anwälte. Der Raum mit den ganzen Postfächern. Dann steht mir der Sinn nach einem Kaffee und ich fahre mangels anderer Örtlichkeiten, die geöffnet haben Richtung Zoo-Viertel zu einem beliebten Stadteilitaliener. Vor der Tür sitzen Handwerker und andere und machen Frühstückspause. Ich nehme ein Brötchen mit Rosmarinschinken und einen Cappuccino. Das Brötchen schmeckt alt und zäh. Man muss beim Abbeißen Stücke herausreißen wie ein Raubtier aus seiner Beute. Es ist lieblos belegt ohne ein Salatblatt oder Butter. Ich nehme mir vor, mehr Kritik zu üben. Sonst habe ich so etwas für mich behalten und gebe mir nun die Mitschuld am schlechten Niveau der hiesigen Gastronomie. Wenn alle das immer kommentarlos aufessen, dann denken die wo möglich, es schmeckt auch. Ich zahle 3,- € und sage, das Brötchen habe alt geschmeckt. So als hätte ich mir gestern eine Stulle gemacht und die jetzt gegessen. Die Frau sagt, das sei aber frisch geliefert worden. Ich rate dazu, den Lieferanten zu wechseln. Durch die List zurück zum Gericht. Dort wird auch gerade irgendwas modernisiert…..

Bauschutt

Vor den Haftzellen warte ich etwas und bewundere die Lastenaufzüge, Baujahr 1966, die schönen Holztüren und das liebevoll arrangierten Plastikbesteck für die Häftlinge.

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Ich lausche den Gesprächen der Mitarbeiter, die soll tolle Dinge sagen wie: „Heute ist wieder Kilometergeld angesagt“, weil wohl viel aus den Zellen geklingelt wird und sie dann aus der Amtsstube rüber müssen.

Ziemlich bald taucht der sympathische Kollege auf, der legere in Jeans und einem bunten Hemd gekleidet ist, sich meinen Kuli leiht und mir die Wasserflecken auf seiner Brust damit erklärt, dass er gerade vom Sport kommt und etwas nach schwitzt. Ich erzähle ihm, dass die blöde Richterin verhindern will, dass ich teilnehme und er sagt, dann stellen wir für Sie eine weitere Verteidigervollmacht aus. So einfach kann die Lösung sein, denke ich mir da. Wir gehen zu Herrn I. und dieser erzählt wieder seine Story und der Kollege fragt ihn, ob wir uns darauf einigen könnten, dass er die Klappe hält und uns reden lässt. Er stimmt zu und ich denke, das wird schwer für ihn, weil er immer sehr impulsiv ist. Das mit der weiteren Vollmacht wäre auch cool, wie ein Prominenter, mehrere Verteidiger.

Nach kurzem Warten empfängt uns die Haftrichterin, die aussieht wie Prinzessin Lillifee und die dunkelhaarige Sekretärin führt Protokoll und sitzt am Rechner. Die Richterin hört sich das alles an, wie gut er angebunden ist und sich immer überall meldet, bei mir, der Bewährungshelferin, lässt sich freiwillig sein Geld einteilen. Wer macht schon so was? Echtes Lamm. Er kann nirgends hin, hat keinen Ausweis, kein Geld, würde auch als Meldeauflage sich täglich bei der Polizei vorstellen. Dann sagt sie uns, wie sie die Sache sieht. Das sei alles schön und gut, aber angesichts des dringenden Tatverdachts, dass die Geschädigten ihn wiedererkannt hätten bei einer Lichtbildvorlage und der drohenden Strafe und des Bewährungswiderrufs von 3 Bewährungen und ein Wohnheim sei kein richtiger fester Wohnsitz, will sie die Haft fortdauern lassen. Dagegen gäbe es das Rechtsmittel der Beschwerde. Der Kollege dann ganz trocken: „dann nehme ich meinen Antrag zurück“. Ich schreie innerlich: Beschwerde. Das werden wir schon sehen, was das Landgericht sagt und denke dann kurz, hat ihn Prinzessin Lillifee so verzaubert? Der Aufklärung folgt danach. Beschwerde ist aussichtslos. Landgericht entscheidet nach Aktenlage. Wenn er es entscheiden lässt, kann er innerhalb von 2 Monaten keinen neuen Antrag auf Haftprüfung stellen. Die Sache ist ausermittelt und die Anklage wird innerhalb weniger Wochen voraussichtlich kommen. Dann wechselt die Zuständigkeit des Richters und wir beantragen erneut Haftprüfung. Das haben sowohl ich als auch Herr I. verstanden. Guter Kollege.

Im Büro werde ich mit Anrufen in Sachen PM bombardiert. Er selber und der Vermieter und der Nachbar machen sich Sorgen um die Katze in der Wohnung und das gekippte Fenster. Ich bin keine Tierrettung, dann ist die eben mumifiziert und es gibt mehr Singvögel ist meine Reaktion. Nein, ich rufe die Schwester an, die sich den Schlüssel holen soll am Samstag, der Vermieter will sie füttern, sie hat noch Futter und einen Wassernapf und es ist weniger als 24 Stunden her. Ich sehe das Tier noch nicht in Lebensgefahr. Morgens beim ersten Telefonat mit dem Pfleger ging es um vollgepisste Klamotten und Wechselsachen. Da sagte ich auch, Herr PM hat 600,- € abgehoben. Da müssen ein neues T-shirt und 2 Unterhosen gekauft werden sowie eine Tube Rei. Ich rate zur Handwäsche. So etwas sprengt meine Kapazitäten und ist nicht mein Job.

Nachmittags schreibt mir eine Freundin aus Wien per Email, dass sie wegen der Hitze und Trockenheit einen Anruf bekommen habe, dass Grillen an der Donau ab Morgen verboten sei und sie ihren Geburtstag nun von der Grill- in die Badeparty ummünzen müsse. Ich bin verwirrt, seit wann wird man angerufen von irgendjemandem nur weil man vor hatte zu grillen?

Es ist wieder eigentlich Sportzeit, aber durch die Sportpause erreiche ich um 19 Uhr den Gutachter, den ich seit Montag sprechen wollte. Es ist ein total nettes und für mich aufschlussreiches Telefonat und ich erfahre neue Dinge über Katatonie bzw. katatone Schizophrenie und Vernachlässigung in der Kindheit. Das passt total, weil meine bis zum 7. Lebensjahr im rumänischen Kinderheim aufgewachsen ist. Er erklärt mir in groben Zügen: Schizophrenie bewirkt einen Zerfall der Persönlichkeit, dass Verfolgungswahn und das Projizieren auf außenstehende Feindbilder mit einem sozialem Helfersystem etwas zu tun haben. In Ghana habe man Schizophrene an schwere Eisenketten gelegt und in die Sonne gestellt. Wenn es keine Bezugspersonen gibt, dann tritt die Katatonie ein. Überhaupt wer bis zum 2. Lebensjahr keine Bezugsperson findet, hat eine irreversible Bindungsstörung und wenn die Vernachlässigung weiter geht, dann tritt ein hirnorganischer Schaden ein und ein Abbau, die Kinder verlernen Dinge, die sie schon konnten, nässen und koten wieder ein und sind irgendwann auf dem Level eines Behinderten. Dann geht es darum, dass die Psychose klare Strukturen verlangt. Bereits ein Zimmerwechsel auf einer Station kann zu einem neuen Schub führen. Ich finde das wahnsinnig spannend. Wenn mein Job nicht so super zu mir passen würde, müsste ich glatt noch mal so was anderes studieren. So bin ich auch in diesem Bereich Autodidaktin und kann gut damit leben. Ich lerne auch neue Dinge bezogen auf meine Probandin. Die klagt nämlich immer über diverse somatische Beschwerden und der Gutachter stellt ganz klar fest, diese körperlichen Beschwerden sind psychotisches Erleben im Körper. Er rät in seinem Gutachten zu einer sehr zurück haltenden Gabe von Schmerzmitteln, nach denen sie immer wieder verlangt. Wer so aufspringt von der Liege, hat nichts am Rücken, sind seine Worte mir gegenüber und insofern sehr aufschlussreich. Außerdem spricht er allgemein über den Fachkräftemangel in der Pflege, die deprimierenden Zustände in Heimen, Demenzkranke würden in nicht individualisierten Zimmern untergebracht werden (was eigentlich ein dringender Bestandteil der Pflege in diesen Fällen sei) und es geht um psychiatrische Unterversorgung auf dem Land usw. Ich sage ihm, dass ich eine Patientenverfügung machen will, um sicher zu stellen, dass ich nicht mit Volksmusik beschallt werde und warum es so sei, dass alte Menschen entmündigt werden und man für sie ein paar praktische Kleidungsstücke auswählen will und ihnen ihre Persönlichkeit nimmt, dabei werden wir alle alt und ich will nicht, dass einer meine Sachen auf praktisch hin zensiert. Er kann es auch nicht mehr hören, die ganzen vermeintlichen Eigengefährdungen durch das Verhungern und Rauchen im Bett. Er bestärkt mich darin, dass meine einen Anspruch auf eine geeignete Einrichtung hat und nicht ich die suchen muss, sondern die Klinik. Auch ein guter Hinweis. Das Gespräch ist so kurzweilig, dass ich deutlich überziehe und schon längst draußen sitzen sollte, wo ich verabredet bin. Hier entstehen wieder Urlaubsträume der Zukunft. Frankreich, die Bretagne, Buchten am Atlantik, Flohmärkte, bei denen man den Schildern mit Pfeil folgt und die auf Gemeindewiesen stattfinden mit Pommes und selbstgebackenem Kuchen, Meeresfrüchteteller mit Ausblick, jeden Tag ein neuer Wochenmarkt. Die Phantasie geht mit mir durch.

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