Hafen, Kiefern, Hauskontrolle

Schöner Herbst. Anbei der Ausblick vom Arbeitszimmer meines Mannes:

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18.10. „Hafen, Kiefern, Hauskontrolle“ stand in der Kochstraße bei uns im Durchgang. Unser Freund Klaus hatte das dort hin gesprüht anlässlich eines Besuchs bei uns. Das fand ich damals schon mehr als grenzwertig und wusste auch gar nicht was gemeint war. Die Kiefernstraße in Düsseldorf war mir kein Begriff.

Die Fensterputzer kommen eine halbe Stunde zu früh und vertreiben mich. Ich bin doch wie eine Spinne und sie machen mir alles kaputt und ich muss dann mühsam die Fenster wieder einspinnen mit meinem Nippes, wenn sie wieder weg sind. Im Badezimmer habe ich mich entschlossen den Nippes weg zu lassen. Wahnsinn wie das ausschaut, wenn der Vorsprung vor den Fenstern mit den kleinen Glaskacheln ganz leer ist. Irre. Ich weiß theoretisch wie gut einrichten funktioniert. Halt wenig hin machen. Nur eine Sache oder so, aber das ist nicht meins, d.h. ich habe einen innere Trieb alles schön voll zu stellen. Wisst ihr ja.

Um 9:30 Uhr schlage ich zu meinem Hausbesuch auf. Da die Wohnung im Vorderhaus, Erdgeschoss gelegen ist, kann ich mir von außen schon denken, wo ich gleich sein werde und so ist es auch. Die Wohnung besteht aus einem Wohnzimmer und gegenüber einer kleinen Küche, zusammen weniger als 40 qm, ich würde eher sagen etwas über 30. Der Fernseher läuft. Es ist eine Raucherwohnung, deshalb ist das Fenster offen, das Rollo schützt vor Blicken und die Heizung läuft auf Hochtouren, weil die Raucher ganz viel Frischluft brauchen, aber es auch warm mögen. Die Herren sind beim Frühstück und ein Brötchen wird geschmiert, mit ganz dünn Butter. Ich erkläre dem Vermieter, dass die Klinik misstrauisch sei ob so viel Gutmenschentum, weil er Herrn Maßregelvollzug hier in seiner kleinen Bude aufnimmt ohne Gegenleistung. Die denken sich dann: Gibt es diesen Vermieter überhaupt und wenn ja, was hat Herr Maßregelvollzug ihm angetan, um ihm den Untermietvertrag auf den Rippen zu leiern und wenn er ihn kennen lernt, wird er prompt wieder rausfliegen und auf der Straße landen. Ich sage, ich werde der Klinik berichten, dass er ein ganz gemütliches Nest gefunden hat, warm genug um eine Babyküken auszubrüten. Während Herr Maßregelvollzug guckt wie ein Auto, muss der Vermieter, ein ca. Ende 50-jähriger Mann, jetzt spätestens lachen. Er wird Herr Maßregelvollzug Montag zu den Ämtern begleiten. Er wolle mir Arbeit abnehmen. „Sie melden sich bei mir, wenn sie mich brauchen.“ Für diese Fälle sollte ich eine Nadel parat haben, die ich verleihen kann, quasi Hilfssheriff. An den Wänden sind Teppiche und Leuchtbilder, d.h. Städtemotive und viele Phantasiemotive mit bunter Beleuchtung (LED?) und davon eines neben dem anderen, als raumfüllende Tapete oder Installation. Es hat viel von einer Höhle. Gegen die Wohnungstür ist von innen in Sofa bzw. das Oberteil davon gedübelt. Marke Eigenbau. Irgendwie Dämmung. Ich will mich verabschieden und der Vermieter stellt fest, dass ich gar nicht gefragt hätte, warum er das macht. Er es mir aber auch nicht verraten hätte. Frau A. macht auf ganz cool und sagt, das Ergebnis sehe ich ja und die Motivation habe ich nicht zu hinterfragen, damit gehen tausend Fragen durch meinen Kopf. Was kann es für Gegenleistungen geben? Sexueller Natur und deswegen muss man die Tür so irre dämmen wegen dem ganzen Krach? Herr Maßregelvollzug kommt mir sehr hetero vor wie er immer von Weibern und Nutten spricht, aber vielleicht ist es einfach flexibel. Während meine Phantasie droht mit mir durchzugehen, glaube ich, dass man mir äußerlich nichts anmerkt und ich mache mich vom Acker.

Als ich im Büro ankomme sitzt mein Kollege mit einem Kaffee im Flur. Den habe ich seit 2 Wochen nicht gesehen. Ich sage, dass ich heute nur halb arbeite, weil eine Betreute, die geistig behindert ist, mich gebeten hat an einer Aufführung teilzunehmen. Es geht um einen Kurs bei der VHS mit dem Namen Musik erleben und da ich hier sonst wenig zu tun habe, ist das drin im Kontingent und Stephan habe ich ja auch in die Wagner Opern begleitet. Ich glaube, das wird tendenziell interessanter für mich und es geht um 14 – 16 Uhr, also auch nicht so lang wie Wagner, aber doch ordentlich. Habe schon angekündigt, dass ich nicht wüsste, ob ich die ganze Zeit bleiben könnte. Erst mal sehen, wie es mir gefällt. Theater mit Behinderten, genauso wie Kunst von denen, mag ich sehr.

Auf dem Weg halte ich bei der Frau, deren Wohnungskündigung durch den Betreuer jetzt von der Rechtspflegerin genehmigt wurde. Selbst die 14 Tage Probezeit hat sie nicht abgewartet. Wir besprechen die Beschwerde. Ich kann ihr allerdings nicht versprechen, dass es gut ausgehen wird.

Theodor Lessing als Mitgründer der VHS.

Bärtiger

Erst sind es weniger Zuschauer als Mitwirkende. Es kommt noch eine schnöseliger Vater und 2 junge Burschenschaftler in Wachsjacken sowie eine dreier Gruppe Mädchen und ein Techniker der Hauses dazu, so dass es sich dann doch in etwa die Waage hält. Immer wieder ergreift es mich Rentnermütter zu sehen, deren behinderte Kinder auch schon graue Haare haben. Ein Ehepaar vor mir macht viele Fotos. Die Tochter lässt sich leicht ablenken und steuert immer wieder auf die Eltern im Publikum zu und will denen was mitteilen oder ihren Haarreif geben, der sie stört. Frau K. freut sich und will mich der Leiterin des Kurses vorstellen auch wenn die Zuschauer noch gar nicht rein dürfen. Meine ist nicht musikalisch, aber sie tritt gerne auf. Insofern hat sie wieder Ähnlichkeiten mit mir. Erst gibt es Musik. „How many roads must a man walk down“ mit englischen und mit deutsche Texten und dazu Bändergymnastik, meine macht mit und verdrängt mit ihrem Eifer fast die beiden anderen, die so an den Rand gedrängt werden, dass sich ihre Bänder immer wieder verheddern und sie durch Blick die Kursleiterin um Hilfe rufen. Dann wird gesungen: „Allein, machen sie Dich klein“… Auch sehr schön. Es gibt ein männliches Gesangstalent, der mit Mikro arbeitet und so ansatzweise Leute aus dem Publikum ansingt bzw. Gesten in ihre Richtung macht: „ob Du Metzgermeister bist oder Medizin studierst, ob die Zugereister bist oder kommst Du aus Berlin“ und jetzt der Refrain: „Egal was Du machst, Hauptsache ist, es macht Dich glücklich“. Sehr schön und  sehr wahr. Frau K. gehört zur besseren Hälfte bei der Begabung bzw. Eignung für diesen Kurs, d.h. es gibt welche die können Gitarre spielen, einer sogar Klavier, aber es gibt auch eine Frau im Rollstuhl, die spastisch gelähmt ist und eine Begleitung sitzt neben ihr und führt ihr die Hand, weil sie das Instrument, bestehend aus Metallplättchen durch einen Holzstab zum Klingen bringen soll, was gerne vor den Stücken als Intro passiert. Dann gibt es mindestens 3 weitere Frauen, die kaum was machen, singen oder sagen und einen Mann, der Bass spielt, aber auch nicht richtig singt, wenn er soll und dessen Mutter im Publikum ist. „Hier gibt es jetzt Kultur“, wie der männliche Kursleiter sagt und „alle bitte die Operngläser rausholen“. Ein schwarzer Vorhang mit verdeckten Löchern. Da werden Socken als Handpuppen durchgeschoben und dazu läuft bekannte Opernmusik. Ich meine, es ist Carmen. Es ist ein bekanntes Stück bei dem sich eine Sängerin und der Chor abwechseln. Mit der Solisten in der Mitte (Socke mit Schleife im Haar) und dann kommen alle raus (Chor). Wenig aufwendig und macht viel her. Dann gibt es ein Märchenstück, bei dem mit einem Erzähler (dem männlichen Kursleiter) gearbeitet wird als Schattenspiel. Auch tolle Effekte. Die Prinzessinnen, eine davon die Frau im Rollstuhl sind mit ihrer Zofe (der Begleitung der Frau) im Wald unterwegs. Meine ist die Hexe, die einen Apfel kleiner und dann wieder größer zaubern kann.

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Die Königin, die ihrem Mann eine Krawatte häkelt piekst sich mit einer Häkelnadel und schläft ein. Der Hofstab holt den Jahrhundertwecker. Das ist ein Ballon, der aufgeblasen wird bis er platzt. Auch ich erschrecke mich, wie zu erwarten war.

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Abends nach dem Sport erwartet mich eine Einladung zum fünfzigsten Geburtstag unseres Freundes Markus. Sehr toll gemacht und mit ganz viel nettem uns sympathischen Text. Ich freue mich auf das Ereignis nächsten Monat. Als wir neulich bei uns in der Küche zusammen saßen mit dem Mann aus Hamburg, der in Frottee macht sowie den Fürther Jungs und jeder hatte einen Jahrgang von 1963 bis 1969 war Markus der älteste und nächstes Jahr kommt Stephan dran. Dann steht da ein unscheinbares, braunes Paket, aber Stephan ist ganz aufgeregt. Das sei für mich. Ich mache es auf und bin wahrhaftig überrascht. Er hat mir See’s Candies aus den USA bestellt. Toffee-ettes, meine Lieblingssorte mit Butterkaramel mit leichter Salznote und vielen kalifornischen Mandeln, köstlich und mit so vielen süßen Erinnerungen belegt. Er hatte die Bestellung losgeschickt, als ich an meinem Geburtstag bzw. dem Tag danach meine Bastelsachen samt der See’s Candies Tasche in Berlin-Kreuzberg an einem Zaun hängen ließ; (das Abschiedsfoto davon gibt es noch) und musste so lange Dicht halten. Er ist ein Held. Eine Tasche hat er mir auch mit bestellt. Die kann meine kleine, schwarze aus Tokio nicht ersetzen und ist ästhetisch fragwürdig, aber der Willen zählt. Mein Mann ist toll.

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Weil wir italienisch Essen fahren, bleibt die Packung zu, aber einer wird im Laufe des Samstags aufgefuttert unter vielen Stöhnlauten von uns beiden. Beim Italiener sagen wir Benny, es gibt was zu Feiern. See’s Candies, amerikanische Süßigkeiten sind heute angekommen. Er kennt sich aus und will diese auch kennen. Jedenfalls sagt er Twinkies, Trashfood, was wir er zu Recht sagt nach Diabetes schmeckt. Er schlägt „Flasche Schampus?“. Wir halten uns an den Wein. Ich esse Vorspeise und zwei Pasta-Gänge, mal wieder die Lasagnette mit Zicklein und Salsiccia (köstlich). Zum Nachtisch gibt es eine Parfait mit Kürbiskernen. Sehr lecker.

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Samstag verlasse ich das Haus nicht. Ich bastele erneut Kalender. Jetzt, wo ich entschlossen habe kleinere Modelle für eigene Verwandte, u.a. meine Tante in Travemünde und die amerikanische Verwandtschaft zu machen, werden es dieses Jahr doch eher 15 Stück und die Produktion läuft auf Hochtouren. Die kleinen sind nur ca. 1,50 € günstiger und der Bastelaufwand ist auch ähnlich, aber sie nehmen nicht so viel Platz weg, sind nicht so dominant und lassen sich besser verschicken. Stephan trifft sich mit meinem Kollegen auf einen Kaffee. Die Sonne scheint. Beide Spinnen haben die Fensterputzer überlebt. Die Dicke vor der Terrassentür hat Stephan noch gesehen danach, aber ich sehe sie nicht mehr. Sie sucht sich vielleicht ein anderes Plätzchen, wenn sie jetzt von Null anfangen muss. Die vor dem Küchenfenster bleibt und macht dort wieder weiter. Mein Kollege wird nächstes Jahr 4 x beruflich in Stuttgart sein, so dass wir dort mal ein gemeinsames Treffen planen können. Dann können wir auch meine Tante besuchen. Nach dem Basteln wird gekocht und eine Runde gebügelt. Den Bügelwäscheberg schafft man nicht auf einmal. Das dauert mehrere Stunden den abzuarbeiten, so habe ich den anwachsen lassen. Am späten Abend bastele ich noch ein Hütchen für die Dürerausstellung mit einem Nashorn vom Flohmarkt letzte Woche. Dazu läuft eine Doku über Lemmy von Motorhead. Der Typ ist schon cool. Er sammelt „Stuff“ und mag’s auch gerne voll bei sich. Der Typ muss sich fühlen wie ein lebendiger Jesus. Junge Mütter, die sich erst das Dekoltee von ihm signieren lassen um das Autogramm dann anschließend genau an der Stelle eintätowieren zu lassen und ihm vorher bezeugen, wie sehr seine Musik ihr Leben verändert hat. Die sind im Ausnahmezustand, weil sie ihn getroffen haben und würden ohne mit der Wimper zu zucken auch ihr Baby tätowieren lassen, wenn Lemmy den Befehl dazu erteilt und das geht die ganze Zeit so für ihn. Das ist viel Verantwortung, dabei macht er doch nur Musik. Dafür, dass er dazu noch richtig kräftig Drogen nimmt und das seit Jahrzehnten, kann der Typ sich zu sich selber beglückwünschen, d.h., er hat das physisch und psychisch gut überstanden. Er wurde geprägt von seiner Mutter und seiner Oma, wie es auf Nachfrage nach wichtigen Personen angibt. Der Vater hat sie im Stich gelassen, aber ihm fehlte auch keine übermächtige Vaterfigur. Das weiß ich psychologisch nicht, jedenfalls macht er seinen Sohn glücklich als er auf die Frage nach dem wertvollsten in dem Raum und es eigentlich um seine Sammlungen geht antwortet: „my son“. Dem hat er gesagt, kein Koks nehmen, lass die Finger davon, Speed ist viel besser für Dich. Süß.

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