10.11. Der Blätterteppich vor dem Fenster. Aus Gelb wird Orange.
Ich habe unterschätzt wie sehr mit London fehlen wird, Stephan nicht.
Ambulante Wohnbetreuung meldet sich. Frau aus Hameln heult und alles Trauma und Gerichtsverfahren, die jahrelang dauern und aus denen ihr Leben besteht, dabei will sie nur einen Abschluss, dabei prozessiert sie mittlerweile selber. Das Leben besteht aus anderen Dingen. Ich bin da immer recht rigoros und unterstütze die Leute nicht dabei sich in ihrem Elend zu suhlen, sondern sage auch ehrlich meine Meinung. Fast wie beim Hund, „they don’t follow weak energy“ und es bringt nichts, wenn man da ganz viele Emotionen reingibt, das macht es noch schlimmer. Man muss stattdessen einen anderen Weg aufzeigen. So mache ich es zumindest und auf mich hört sie dann mehr. Ich vermittele zwischen ihr und der Wohnbetreuung, die immer versucht alles richtig zu machen und damit an ihre Grenzen stößt. Sie hat eine Ausbildung in Traumabehandlung und lobt meinen Ansatz.
Kollegin, die Schwiegermutter hat Demenz und ist jetzt im Heim, weil sie zuhause nicht mehr zurecht kommt. Betreuung anregen, für die Wohnungskündigung braucht man eine Genehmigung. Krebs hat sie auch. Brustkrebs, die eine Brust steht und ist hart und die andere hängt. Der Pflegedienst hat nichts gemeldet. Das kann auch aufbrechen. Schwierige Person, schon vor der Demenz, Künstlerin, kann fies sein und raucht wie ein Schlot.
Erfolge in der neuen Betreuungssache, neue Ärztin, am Jobcenter vorbei das Beschwerdemanagement. Der Betreute braucht ein Schlafmedikament und was zu Rauchen.
Termin beim Jobcenter fällt aus. Betreuten mit dem Sparbuch (die Bank hatte gestresst und ich habe alles organisiert) haben sie wieder weggeschickt, weil sie einen gerichtlichen Beschluss brauchen. Nein, brauchen sie nicht. Mitarbeiterin fragt beim Amtsgericht und ich hatte Recht, sie will trotzdem Zustimmung, brauchen wir gerade nicht. Das würde den Irrtum nähren. Sie soll mal ein Rundschreiben machen und die Mitarbeiter schulen. Das ist falsch und eine Diskriminierung.
Mutter von Herrn Diazepam kommt vorbei mit dem abgelaufenen jordanischen Pass und der Fiktionsbescheinigung und ich will meine Erfolge zeigen und sehe, dass die von der Staatsanwaltschaft die fehlenden 10,- € doch wollen und dann die Kosten von 155,- € ausbuchen. Das war aber telefonisch anders abgesprochen. Gut, dass ich es noch mal genauer lese.
Der Typ mit der versäumten Frist kommt Morgen vorbei.
12.11. Der Freund, der heute Geburtstag hat ist in Amsterdam und schreibt: „Mir gefällt Amsterdam total, -wir gehen jetzt Frühstücken, dann ins Rijks-Museum, dann vielleicht High Tea im Greenwoods, dann haben wir einen Tisch in der Seafood-Bar, und danach umme Ecke in ein klassisches Konzert im Concert Gebouw. Volles schönes Programm, bei bisher täglich scheinender Sonne (wahlweise Sonnenauf-Untergang von unserer Dachterrasse zu bestaunen (da oben will ich heute auch noch den kleinen Schampus wegschlürfen). Ja, alles sehr romantisch, da bin ich ja der Typ für…“ Ich hatte ihm geschrieben, dass ich Amsterdam romantisch finde und wir müssen da auch mal wieder hin, gerade das Museum steht dringend auf der Liste.
Höre meinen AB ab. Sachbearbeiterin beim Arbeitsamt ist krank. Termin fällt aus.
Kaffee auf dem Markt. Mein Ärger mit den Mitmenschen im Haus ist wieder verflogen.
Mein Betreuter, der persönlich geladen wurde, kann nicht zur Verhandlung, ist krank. Der Arzt kommt um 11 Uhr zum Hausbesuch. Der Richter ist es nette junger Schwuler, der mal als Staatsanwalt in seiner Strafsache tätig war. Ob ich Bedenken habe wegen Befangenheit. Nein, habe ich nicht. Wir haben schlechte Karten. Die Gegenseite hat eine Referendarin geschickt. Sie freut sich. Ich erkläre, dass der Titel theoretischer Natur sein wird, weil man nichts vollstrecken kann. Sie sollen das von der Mietkaution entnehmen. Das hatte ich vorher schon angeboten. Neben den Raten an die Staatsanwaltschaft kann ich keine weiteren anbieten und ich weiß nicht, was für Reparaturen wieder auf uns zukommen, weil die aus dem fernen Berlin das Nottelefon einfach nicht behindertengerecht installieren lassen in ihren Servicehaus mit der teuren Miete. Denen ist es egal. Ja, er ist Grobi. Als ich im Büro bin meldet sich der Pflegedienst, er hat eine dicke Backe und muss ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Sehr teuren Sattel gekauft, das neuste von Brooks, wartungsfrei, weil nicht aus Leder. Das hat mich natürlich angesprochen. Ich bin beratungsresistent, weil der passt nicht auf mein Fahrrad, Lenker muss tiefer und nicht der aufrechte Sitz. Ist auch für Männer, egal, schaffe ich schon. Neuer Sattel muss her, meiner liegt nur noch oben auf den Federn nachdem sich alle Verankerungen gelöst haben und der neue sieht cool aus, die Auswahl ist gering. Schnell merke ich: so ist das ohne Federungen. Man merkt alles und selbst auf kürzesten Strecken schmerzen meine Sitzbeinhöcker. Oh, den Kauf werde ich noch bereuen. Verstehe jetzt den Sinn von Federn…
Der neue Betreute sieht aus wie Robert De Niro, aber mehr Boxernase. Ganz sympathisch. Er ist 51 und lebt seit 42 Jahren in Deutschland. Seine Töchter sind 30 und 26. Er war im Maßregelvollzug und lebt im Heim mit Anbindung an Tagesklinik und Arbeitstherapie. Er nimmt strake Neuroleptika, die Herr Ihme auch bekommen hat und soll in die Türkei abgeschoben werden. Dort kennt er keinen und hat Panik. Was denken die sich? Ich bin mal wieder geschockt. Telefoniere mit Betreuungsrichterin und dem Arzt aus der Institutsambulanz. Dann mit meinem Kollegen, dessen Kollege die Frist verpasst hat und der Ausländerstelle mitteilt, dass er freiwillig im Januar ausreisen wird, aber Dinge vorbereiten muss, da die Türkei ein fremdes Land für ihn ist. Der Strafrechtler und ich sind uns einig, dass Härtefallkommission keinen Sinn macht. Die Kollegin, die ich auf dem Markt traf hat das empfohlen und damit gute Erfahrungen gemacht. Die Verfahren dauern über 2 Jahre und haben aufschiebende Wirkung. Schmalstieg hat meinen Antrag nach 2 Wochen abgelehnt. Wenn sie straffällig geworden sind, dann mögen die das nicht. Man muss aussehen, wie die Babytiere am Flughafen mit den riesigen Augen, wie auf Droge oder Mangas, dann sind sie ein Fall für diese Kommission bin ich mir später mit Stephan einig. Der Strafrechtler und ich sprechen in der Sache Ihme. Die Verfahren werden eingestellt, Kosten des Verteidigers werden nicht übernommen. Macht nichts, sagt mein Kollege, Hauptsache eingestellt. In einer Sache wurde er schon als Pflichtverteidiger bestellt. Ich habe ohnehin die Arbeit gemacht. Lese gerne einen Aktenvermerk und denke, ist der ausversehen da reingeraten. Zustellung war fehlerhaft, wie Betreuerin schreibt. Er war in Klinik mit Beschluss und es hätte ihr zugestellt werden müssen. Rechtsmittelfrist wurde nicht in Gang gesetzt, über Wiedereinsetzungsantrag der Betreuerin muss daher nicht entschieden werden. Neu zustellen. Der Herr Verteidiger wird voraussichtlich Beschwerde einlegen ist so richtig in 18 Punkt-Schrift geschrieben. Sie meinte, die blöde Sau sage ich dem Kollegen und er lacht, ja, lieber einstellen bevor man einen teuren Verteidiger bezahlten muss. Ich soll es ihm schicken, weil es ihn auch interessiert. Ich mag den Mann und mit ihm lässt sich gut arbeiten. Er arbeitet gut und reagiert schnell. Das gefällt mir.
Beim Sport war es so voll, dass es mir vor kam wie eine Grace-Sekte, wenn ein ganzer Raum voller Frauen sich synchron bewegen und klatschen. Das hat schon eine gewisse Energie und sieht auch gut aus. Ich sage der Trainerin in der Umkleide als alle schon gegangen sind bis auf eine Mitturnerin, die aber auch Spaß versteht, das sei wie Scientology mittlerweile. Mein Fahrradhändler schließt gerade ab als ich vorbei fahre und ich übergebe ihm reumütig mein Fahrrad. So tapfer bin ich doch nicht. Nehme doch den schwarzen Ledersattel von Brooks mit Federung und mache eine Plastiktüte darüber gegen Regen und nutze Lederfett und was es braucht. Warum nicht Gel? Das gibt es gar nicht bei ihm weil es zu unstylisch ist und gezahlt habe ich schon, umtauscht wird nur hier gehen. Nächstes Mal. Ich muss jetzt zu Fuß laufen. Er ist angetrunken und läuft ein Stück mit mir. Er hat Morgen erst ab 14 Uhr geöffnet, aber ich bin auch selber schuld.
Handnäharbeiten an einem neuen Sakko. Schweizer Städtenamen in Glitzer. Repariere ein Hütchen, neues Papierschwein muss ran, war als Partypieker gemeint, jetzt hat es blaue Ohren, statt rosa und ist das letzte in der Schublade. Wenn das kaputt geht, was dann? Habe Haarausfall, es wird mir ergehen wie meiner Mutter. Wenige Haare. Ich will nicht drei Haare auf einen Wickler rollen und versuchen Mehr draus zu machen, habe aber trotzdem Panik, vor allem weil ich meine Kunst flöten gehen sehe. Nur noch ganz kleine Haarkugel. Kann meine großen Hütchen nicht mehr tragen, ich mache ein kleines und schiebe weiter Panik. Vielleicht muss ich wieder auf große Ohrringe umsteigen. Das will ich aber eigentlich nicht oder Hütchen mit kurzen, offenen Haaren. Würde das gehen? Soll ich mal zu dieser sympathischen Friseurin und die ran lassen?
Abends meldet sich Claudia, dass sie Tickets bekommen hat (hatte sie wohl vergessen, aber bekommt es noch hin und ich sage, kein Problem, wäre auch so nicht schlimm gewesen). Wir fahren nach Hamburg.
13.11. Packtraum. Irgendwie fliegen wir wieder Business und haben ganz viele Koffer. Eine Hälfte des Koffers ist voll mit Stephans dreckiger Wäsche. Ich packe in einem Apartment und gleichzeitig ist es der Terminal eines Flughafens und Leute schauen zu. Die sitzen da mit ihren ordentlich gepackten Koffern. Ich prüfe ein Glas mit trüber Flüssigkeit, was Dunkles schwimmt in der Mitte, es ist verdorben. Ich will es in den Mülleimer werfen und treffe nicht. Sage dem Mann, dass ich keinen Kommentar will. Vorher hatte mein Vater meiner Mutter fasziniert beim Packen zugesehen. Sie faltet alles ganz ordentlich, so dass es ganz klein wird. Irgendwie magic. Unsere neuen Koffer sind in den alten mit ganz viel Platz drum herum. Es ist wie Hohlraumpacken.
Werde wach. Soll ich Claudia mein Calexico T-Shirt anbieten? Macht das Sinn?
Die Bäume werden kahl. Ich muss einsehen, dass der Sommer vorbei ist.
Streit mit Stephan, weil ich mein Fahrrad zum falschen Händler bringe und nicht zu RadUp nebenan. Es nervt. Ich gehe zu Fuß ins Büro. Mir wird ein Franzbrötchen angeboten von einem jungen Vater und er hat Recht, ich konnte ihn erst nicht zuordnen.
Telefonat mit der Oberärztin wegen Herrn Diazepam und wie es weiter geht. Er wird auch wieder substituiert, hatte einen Monat nichts genommen, quasi kalter Entzug, aber ohne geht auch nicht. Wenn ich mir jetzt noch die Haare von wem anderes schneiden lasse ist ganz der Ofen aus.
Kleines Mitbringsel für die Stuttgarter, der Künstler, der gut kocht und seine Frau (alte Serviette mit Stadtplan, habe ich bei meiner Tante mitgenommen). Soll mein Kollege überbringen. Ich will meine Sachen überallhin verteilen. Die Weihnachtsfeier steht auf tönernen Füssen. Es ist offenbar schwierig mit dem Termin und die Kollegin und ich meiden uns auch mehr oder weniger. Am 18. hat mein Kollege einen Auftritt. Stephan ist sauer, dass es nicht ins Clichy geht. Oh Mann, auch hier oh Mann.
Oberärzt in der Forensik ruft mich an in der Betreuungs-/Abschiebungssache und sagt mir, er könne kein Gefälligkeitsgutachten schreiben nur weil ein Anwalt eine Frist versäumt hat. Er weiß ganz offensichtlich nicht um was es geht. Ich versuche es ihm zu erklären und seine Stellungnahme ist aber so dünn, dass es für eine vorläufige Bestellung nicht ausreicht. Ein ganz unsicherer Typ, wie so einer Oberarzt wird ist mir schleierhaft. Nachmittags hat er bei meiner Kollegin einen Steuertermin und kann mir seine nicht hilfreiche Stellungnahme noch mal im Original vorbeibringen. Ich habe schon alles mit der Ausländerstelle geklärt und hole eine Duldung für ihn ab am 27.11. Der Richterin sage ich, dass mein Maß an ehrenamtlicher Arbeit irgendwann erschöpft ist und ich dann nötigenfalls den Termin absage, wenn es bis dahin nicht geklappt hat mit der Betreuung. Ich ärgere mich, wenn nicht alles so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe.
Ich muss 300,- € nachzahlen für das Atelier, wo ich so froh war, dass es gekündigt ist. Dann dieser schlechte Sattel und das ich kein Fahrrad habe. Ich will mir eine günstigen, der nach meinem Geschmack ist im Internet suchen. Selle oder wie dieser Sattelhersteller heißt und Naturmaterialien, schön beige, kostet 59,- €. Scheiß auf stylisch. Schlussendlich ist der Brooks-Sattel schon festgeschraubt und ich kriege 25,- € wieder und bequemer ist er auch und ich gebe mir selber die Schuld und will es nächstes Mal besser machen und jetzt erst mal Augen zu und durch. Das Lakritze-Eis auf dem Weg dorthin hat geholfen das alles zu schlucken und vielleicht wird der Sattel auch bald geklaut und ich kriege noch eine Chance.
In der Post ein KSD-Jahreskalender in deren Zeitschrift. Für Claudia denke ich gleich. Sie hatte immer den hässlichen vom Schädelspalter in Hamburg an der Küchenwand. Das hat mich immer gefreut. Da hat sie die ganzen Konzerttermine eingetragen und wer zu Besuch kommt. Das lässt sich noch steigern optisch und die neue Wohnung ist auch kleiner, außerdem ist es lustig.
Der Beamtenmusiker bricht die Reha ab. Das ist so Ballermann und die sind alle gesellig und er außen vor. Dem netten schwulen Therapeuten und mir gelingt es nicht, ihn umzustimmen.
Herr Grobi ruft an und hatte eine Zyste im Kiefer. Ich sage, er wird zahlen müssen. Wir können 100,- € Gerichtskosten sparen durch das Anerkenntnis. Er will es sich überlegen und wir telefonieren noch.
Herr Balzac kommt, der Mann aus Ghana, heute leger in Trainingshose. Schöne Scheiße mit meiner Steuererklärung für ihn. Der neue Pass war auch so teuer. Er hat vielleicht wieder einen Nebenjob in der Pflege. Den soll er bloß ohne Steuerkarte machen und pauschal versteuern lassen. Wir geben nicht auf und ich mache die Steuererklärung für 2014 (bzw. Stephan) und da wird er was wieder bekommen und so arbeiten wir uns langsam wieder ins Plus. Es muss ja weiter gehen.
Die Hilfeplanung sage ich ab, weil ich schnalle, dass es um meine Ausnahme für die Übergangsregelung zwischen Heim und Draußen geht und habe mich genug mit denen angelegt und für anderer Leute Bezahlung gekämpft. Wenn sie sehen wollen wie krank mein Betreuter ist, sollen sie das alleine hinfahren. Ich bin bereits im Bilde. Wenn sie was mit mir klären wollen, wissen sie ja wo sie mich finden können und von der Region Hannover lasse ich mich nicht zu einem Termin laden. Es folgen erklärende Telefonate, aber das schafft mir viel Freiraum zum Arbeiten. Einer Spielsüchtigen, die ihrer Tochter geliehenes Geld nicht zurück zahlt Geld leihen. Das geht wohl nicht blöder, aber ich hatte es leichtfertig angeboten und mache keinen Rückzieher, wie bei dem teuren Sattel. Sie hat ein Vorstellungsgespräch in Tiefenbrunn und für mich hängt es mit Vertrauen zusammen und ist ein Experiment. Ich bekomme eine Schweigepflichtsentbindung für die Ärztin und ab nächsten Monat soll ich ihr Geld mit einteilen, wenn es gar nicht klappt habe ich 25,- € verloren. Sei’s drum. Bevor wir fahren ziehe ich meinem Sattel, der wirklich edel ist und man rutscht so gut darauf eine Plastiktüte über. Ich muss ihn lieben, so wie ich mich auf einmal reinhänge. Die Logik ist halt verkehrt, weil ich mir aus so was nichts mache und schon gar nicht einen Gebrauchsgegenstand, ob Klamotte, Möbel oder sonst was in neu benötige. Ich wusste keinen Ausweg, weil mein Mann gut anfassen kann, aber technisch/handwerklich, Nagel in die Wand schlagen ist nicht so seine Sache. Statt zu sagen, Schatz, bestell einen im Internet und ich mach Dir den ran, sagt er: Sattel anschrauben, das ist nicht ohne und heikel und ich denke, scheiße, ich bin auf Profi-Hilfe angewiesen und anders als teuer bekomme ich das nicht hin.
Zug nach Hamburg, nutze ich Zeit für Tagebuch und rege mich schon im Zug über die Leute auf, die viel glotzen und Entschuldigung sagen, aber vorwurfsvoll, wenn ihr Koffer klemmt. Ich steigere mich gerne in so was rein und bin total geladen. Wir fahren nach Altona und gehen durch den langen Zug. Mit so was kennt sich mein Mann aus. Ein kleiner türkischer Mann ist Zugführer. Überhaupt fällt mir diesmal was Positives an Hamburg auf. Sie haben viele Türken, bestimmt noch mehr als in Hannover, aber wir haben zum Glück auch welche abbekommen. Dann 2 Stationen mit dem Bus. Wir kommen bei Claudia an und es gibt viel und lecker zu essen (das Pastinaken-Sellerie-Gemüse ist superlecker) und für mich einen Tee. Claudia ist eine Gastgeberin der Extraklasse. Meine USA-Karte auf der drei Frauen vorne „Sex, sex, definitely sex“ sagen und innen heißt es: „What would you rather do without: sex or cake“ kommt nur mittelmäßig an. Ich erfahre, dass die Hooligan-Demo in Hannover genehmigt wurde, auch deswegen müssen wir zurück wird gewitzelt. Elena wünscht sich keinen Teddy, sondern eine gestrickte Babydecke, aus Baumwolle. Ich versuche mir alles vorgeben zu lassen. Material, Farben, Größe. Ostern zusammen nach London. So ist der Plan. Molotov, Innenhof mit bunter Beleuchtung. Den Molotov-Button als Pfandmarke werde ich nicht los, weil ich kein Glas damit zusammen wiedergegeben habe. Eine bleibt übrig und wir nehmen ihn ausversehen zurück nach Hannover. Die Band ist poppig, aber taugt. Die Musiker sehen super aus, einer asiatisch, einer mit einem Pornoschnauzer, wie gecasted aber die Sängerin ist die Hauptattraktion und sie singt in einem sehr süßen Englisch. Es ist voll, aber ich lasse mich nicht wegdrängen und reiche kein Bier durch für Studenten. Die haben selber lange Arme. Die Sängerin ist echt megasüß mit ihren Grübchen und sieht aus wie eine Mischung aus Steffi (unserer Freundin) und Blondi (der Sängerin). Claudi meint auch, sie sehe aus wie Steffi in jung. Sie macht auf 80er und hat einen Neon-BH an und ein weit an den Seiten ausgeschnittenes T-shirt. An Steffi erinnern mich die schmalen Händen und filigranen Finger, lackierte Nägel und sie nutzt sie um damit zu gestikulieren oder mit den Fingern zu posen. Sehr wirkungsvoll jedenfalls. Claudia ist es zu Mainstream und alles klinge gleich. Ich war schon immer für Mainstream bei Musik, muss an Mattafix denken, deren Name mir nicht einfällt und die wie auch mal in Hamburg gesehen haben, im Knust wie ich erfahre, außerdem ist es schwerer als man denkt Popmusik zu machen. Mein Kollege probiert das. Ich weiß Bescheid. Ich finde das junge Publikum wieder spießig, aber die Band war zu meiner Zufriedenheit. Sie haben 2008 schon mal hier gespielt, verrät uns die Sängerin. Sie sieht so jung aus, wie geht das? War sie letztes Mal minderjährig?
Ich will noch in eine Bar und was trinken. Wenn man was in Hamburg gut kann, dann das. selbst das Wasser im Molotov kommt in stylischen Glasflaschen daher. Wir landen im Landgang. Daneben ist voll was los und alle Gäste stehen vor der Tür. Die aufgeblasenen Ballonzahlen drehen sich im Schaufenster und ich sage mehrfach: da feiert einer seinen 52zigsten Geburtstag und freue mich über meinen Witz. Es gibt einen Moscow Mule (schön krass Ingwer, die leckere Brause in den kleinen Flaschen) und einen Dark and Stormy (mit ganz viel Rum) und dann angeregte Gespräche mit dem Barmann und Inhaber. Man soll immer vorsichtig sein, was einem die Fremden ins Getränk rühren! Nachdem ich schon festgestellt habe, jeden Abend die selber Lieder runter dudeln und so tun als hätte man Spaß, da würde ich lieber Leichen waschen stelle ich das hier auch fest. Arbeiten im Nachtleben, dann doch lieber Steinbruch. Das wäre so gar nichts für mich. Ich komme wohl nicht von hier. Nein, aus Hannover. Dann hätten wir das auch geklärt. Ein weiblicher Gast will mein Hütchen erklärt bekommen, da kann der Barmann mit seiner Brille aus dem Yps-Heft nicht anstinken dagegen. Ein Monatsprogramm, ich kann die HipHop Schrift nicht entziffern und lese „Krankenhaus St. Pauli“ und denke, das ist abgekürzt. Der Barmann fragt, ob er mir mit dem Flyer helfen kann. Sie haben noch einen zweiten Laden. Kraken heißt der und Morgen gibt es Punkrock. Da kennen wir uns mit aus, wir kommen ja aus Hannover. Wie finanziert ihr eigentlich den DJ will ich wissen, weil es nur ca. 7 Gäste sind. Sie sollten eine Zwangsabgabe für die Musik machen schlage ich vor. Da hätten alle Verständnis für und in Wien machen sie das auch für den Drehorgelspieler. Sonst wäre mehr los, am Wochenende, Morgen ist eine krasse Party. Nein, das sei schon gut, dass wir heute da wären das wäre mir lieber. Er kann es sich nicht merken, wo wir her kommen und fragt erneut und will dann wissen, ob wir es da gut finden. Ja, sonst würden wir da nicht wohnen. Wir kommen schon ziemlich viel rum und wenn es scheiße wäre, würden wir woanders hinziehen. Gut, so Profi-Bars mit leckeren Drinks und rauchen und DJ gibt es nicht so, aber selbst die eine, die es gibt wird von uns nicht frequentiert. Claudia hat an diesem Abend ein anderes Thema, was mir erst verborgen bleibt, aber ich hatte ihr schon gesagt, dass der DJ mit den phantasielosen Bildern auf den Armen ausschaut wie ihr Ex und die Richtung stimmte schon mal. Taxi und schlafen. Bett ist hart, einmal muss ich pinkeln und der Boden quietscht und ich muss an Claudia vorbei, die auf der Erde liegt. Bloß nicht über das Kabel stolpern.
14.11. Dann Musik, das muss der Wecker sein. Claudia liegt mit verrutschtem Augenmakeup auf der Matratze als hätte sie in ihren Klamotten geschlafen. Sie sieht süß aus und tut mir leid. Ich erzähle ihr von meinem Traum, der Club brennt und Stephan geht betrunken noch mal rein und will irgendwas von ganz oben. Erst Rauch, die Türen brennen rot durch und alle filmen mit ihrem Handy (der Traum scheint mit dem gestrigen Abend unmittelbar zusammen zu hängen). Es glüht und scheint durch an den Rändern und oben an der Decke. Gleich werden die Wände einstürzen. Ich bin an der Stelle wo alle rausrennen und denke, ob Stephan noch kommen wird, ob er es schafft. Ich bin erschüttert über meine Haltung im Traum, dass ich nicht reinrenne und ihn suche. Ich erzähle Claudia von dem Traum und denke, weiterschlafen alles andere macht keinen Sinn, Stephan schläft auch noch und es gelingt und ich wache glücklich und zufrieden auf und es ist 9:20 Uhr. Toll!! An der Wand hängt Everlast unplugged oder so. Verkehrte Welt. Das ist doch mein Held und nicht Claudias. Ist doch nicht Poison Ivy oder so.
Will man gut gelaunte Hamburger treffen muss man zu Edeka. Ich kaufe Butterkekse mit Salzbutter, 2 Türen Chips und Kindershampoo, also lauter nützliche Dinge, die man unbedingt morgens in Hamburg einkaufen musste. Dann Kleidermarkt, gut sortiert, vorbei an der Internetbank meiner schwierigen Betreuten. Die Netbank. Hier sitzen sie also. Kann verstehen, dass Steffi den Laden – Kleidermarkt- liebt. Kaufe einen japanischem Übergangsmantel. Sehr edel, das merkt man schon beim Anfassen. Leider kennt sie die Personen, die die Preise hier macht auch gut aus, was Schnäppchen verhindert. Wie er hergekommen ist? Das wird man sich auch nach meinem Tod fragen, wie die ganzen Klamotten nach Hannover gekommen sind. Kaufe außerdem ein kariertes kurzes Wollsakko aus England. Dann Portugiesen. Leider leckerer als meiner in Hannover. Das muss ich zugestehen, will trotzdem nicht tauschen. Stephan entdeckt ein cooles Motiv in der Nähe der Roten Flor. Wir wandern durch die Stadt und genießen den freien Tag.
Dann Beckmann-Ausstellung und die ständige Sammlung im Keller. Hängt alles wahllos nebeneinander. Das Ambiente macht doch viel aus (siehe KHM). Uns gefällt am besten ein Otto Dix Bild. Die Nachbarn haben vielleicht ihren Munch oder Klimt, aber wir lieben Otto Dix.
Pensionierte Lateinlehrer im Bucerius Kunstforum, das nervt. Da war ich noch nie. Ausstellung: Wandmosaike im Rahmen. Die Stimmung geht dabei flöten. Rathaus, war ich hier schon mal? Alster, lauter Schnösels unterwegs. Das Messer geht mir in der Tasche auf. Schönes Schaufenster, schlimme Mode bei Dolce und Gabbana. Den Weihnachtsmarkt bauen sie hier wesentlich früher auf. Dann Glückwunsch Hamburg. Aber die Baustelle an der Alster gefällt mir dann wieder.
Waren lange nicht mehr im Marinehof. Nett ist es hier und man sitzt schön und das Essen ist total lecker. Hühner-Zitronen-Suppe mit Einlage, Eierstich und Reis, eine riesige Portion, Walnusstarte mit einer leichten Salznote. Nette Kollegen, gerade die neuen Frauen im Service. Die Claudia mit blauen Augen mit einer dunklen Umrandung.
Franzbrötchen für zuhause, leichte Zugverspätung. Das können wir öfter machen, gerade so Donnerstag auf Freitag und den Freitag schwänzen (80% halt) und dann schön das Wochenende trotzdem noch haben. Danke Claudia für die Konzerteinladung und das ganze leckere Drumherum und für Deine Freundschaft und dass Du so viel bei mir durchgehen lässt. Wir sind so verschieden, aber es taugt dann doch.
Die armen Neandertaler hatten viel zu wenig leckeres Essen und gar keine Franzbrötchen.
Nachts tobt die Party von oben. Erst schlaf ich, aber als ich nachts wach werde ist es vorbei. Muss ins Gästezimmer ziehen. Stephan hat Ohrstöpsel drin. Es ist keine Musik und kein Tanzen, sondern eine Herde, die oben Rundlauf spielt und in unregelmäßigen Abständen fällt ein Schrank auf den Boden und das Haus bebt. Man muss standhaft bleiben und darf hier nicht rumspießen. Das sehe ich ein. Schreibe dem Stiefvater trotzdem am nächsten Morgen was sie in aller Welt gemacht hätten, weil da wäre ich neugierig und ob sie nicht ruhig in der Ecke sitzen und Drogen nehmen könnten wie andere junge Menschen. Er war mit der Mutter selber nach Hamburg geflüchtet.
15.11. Auf zur Demo. Das hat Vorrang vor den Kalendern. Wir müssen Hannover verteidigen oder halt Spaß haben. Die blöde Pelztussi, die mir einen Lederrock genäht hat und einfach von meinem Auftrag abgewichen ist und statt ein rosa Futter habe ich Baumwollstoff mit 70er Jahre Apfelmuster, der an jeder Strumpfhose hängen bleibt! So viel zu Auftragsarbeiten, die nicht von Andrea kommen, da ist kein Verlass drauf. Sie belästigt mich mit ihren Werbemails und heute, statt zur Gegendemo aufzurufen, soll man bei ihr Pelze kaufen kommen. Sie beruhigt ihre Leder- und Pelzkunden, dass die Polizei ihr gesagt habe, dass man sicher bei ihr Pelze shoppen kann und man ruhig vorbei schauen soll. Wohl kaum, blöde Kuh. Das schreibe ich ihr auch noch mal und, dass sie mich gefälligst aus dem Verteiler nehmen soll und ich nie wieder was bei ihr kaufen werde. Da bin ich ja nachtragend. Zu früh am Steintor, dumm rumstehen, aber die Musik ist gut. Gegenüber bei den Älteren werden Gewerkschaftsansprachen gehalten. Dann doch lieber die Zeit nutzen, Wollladen, Wolle für die Babydecke. Dämliches Gespräch. Die Strickkundin: Punker sind dumm, kennt sie von damals, als ihre Kinder auf die Tellkampfschule kamen und außerdem wohnt sie in der Nordstadt. Die pinkeln überall gegen und machen Sachbeschädigungen, aber nicht gegen Menschen. Früher haben die Hippies gestrickt und nicht so was! Im dritten Laden kaufe ich endlich, dann bürgerliche Stärkung vor der Demo. Ich liebe die holländische Kakaostube. Katja ohne Detlef. Zwei Mädchen haben diese Metallicheliumballons. Der eine ist mit Hello Kitty gegen Holgesa. Hekigehogesa. Der andere ist ein Unicorn mit Edding steht darauf „Einhorn frisst Nazis“. Das finde ich sehr lustig. Die Stimmung ist gut. Wir laufen durch die Innenstadt und dann zum Pavillon durch kleine Straßen, die ich noch nie lang gelaufen bin. Die Tochter einer Freundin war bis 7 Uhr bei uns. Die Mutter spricht uns an, dass wohl Party bei uns im Haus war. Als ich nach Hause kommen treffe ich den jungen Mann von oben, der Gastgeber war. Ob er mal gleich runter kommen soll, unsere Terrasse sauber machen. Ist da was? Uns ist noch nichts aufgefallen. Ist was passiert? Schlimm, frage ich. Das wird bejaht. Ich errate es: Kotze? Es ist ihm peinlich und er kommt mit einem Eimer mit Seifenwasser und wir versuchen Smalltalk. Leipzig zum Studieren. Er bedankt sich für unsere Toleranz. Ist eher meine, Stephan findet das dann alles immer nicht so lustig. Halb so schlimm tröste ich ihn. Das passiert ja nicht jede Woche, nicht einmal so oft im Leben. Fange mit Strickprojekt an. Zigmal wieder aufmachen. Das fängt ja gut an.
16.11. Alptraum mit Susann, die nicht mehr mit mir redet und ich weiß nicht wieso. Sind das die alten Kamellen weil ich mich bei einer krebskranken Freundin zu aufdringlich verhalten haben soll? Eine gemeinsame Freundin aus Hannover, mit der versteht sie sich noch blendend. Was habe ich verbrochen? Sie soll es mir sagen, ich habe ihr sogar noch einen Kalender gemacht, aber eben nur einen kleinen, weil wir uns kaum gesehen haben im letzten Jahr. Der Grund, warum ich in Ungnade gefallen bin: ich habe bei einem Sommerfest nicht mitgeholfen. Stellt sich heraus, ich wusste nichts davon, sie hatte mir nicht Bescheid gesagt. „Dieser Film“ schreibe ich schon, beschäftigt mich den ganzen Tag auf einer emotionalen Ebene. Schiffe, Lkws fahren gegen ein Gebäude im Hinterhof als Verschrottung.
Kein Flohmarkt in Gehrden, basteln, packen. Kalender für meine Schwester und Schwiegereltern wird fertig und ich spiele mit den Motiven für unseren eigenen. Das ist immer die Krönung.