07.06. Ich wundere mich über diesen Tattoo-Kult. Klar kenne ich auch tätowierte Leute bzw. habe tätowierte Freunde, aber ich denke immer, früher war das anders, d.h. die Motivation dafür und die Szene, die sich hat tätowieren lassen. Wer sich heutzutage alles beliebig zutätowieren lässt, wundert mich immer wieder. Das sind ganz spießige, penible Leute, die sich über Tags an der Hauswand aufregen und zeitgleich ihren ganzen Körper zutagen lassen. Ich bin vielleicht altmodisch, aber ich kann es einfach nicht verstehen. Es scheint jedenfalls bald ein Zeichen der Spießigkeit und Anpassung zu sein, wenn man auf eine bestimmte Art tätowiert ist und von Underground keine Spur mehr. Es ist genau das Gegenteil von vermeintlich individuell, nämlich uniformiert.
Langes Telefonat morgens. Mir fällt es vergleichsweise leicht den Willen einer anderen Person zu respektieren, auch wenn er gegen meine ethischen Vorstellungen oder meine Wünsche oder was auch immer verstößt. Ich denke, dass dicke Fell bzw. die konsequente Einstellung kommt von meinem Beruf, weil ich hier viel aushalten muss, was nicht meine Entscheidung gewesen wäre. Wenn jemand nicht will, dass ich etwas weiß, wie es um ihn steht, dann ist das so und wäre derjenige z.B. bei einer total riskanten OP abgekratzt und ich hätte ihn nicht mehr gesehen oder gesprochen, hätte ich das respektieren müssen, weil derjenige diese Entscheidung so für sich getroffen hat. Was ich beruflich einhalte, kann ich auch privat umsetzen.
Heute steht Grillen auf dem Programm. Wir treffen meine Schwägerinnen in der Bahn und nehmen ihr Gruppentagesticket in Anspruch. Nein, sie waren nicht beim Bierfest in der Altstadt, aber Prosecco bei Mövenpick gab es schon. Den neuen Bewohnern von Eilvese, die nach einer Exkursion nach Köln aus Hannover dort hinziehen (jetzt in promoviert) wollen wir einen Besuch abstatten und schauen, wie sie die Wohnung eines verhassten Missbrauchsonkels, der gestorben ist, umgestaltet haben. Sie hat evangelische Religion studiert und wird als Lehrerin arbeiten und er macht in seiner Freizeit in Bienen. Sie sind nett und sympathisch, aber richtig adoptiert hatten wir den Bruder Constantin, der in Berlin gestorben ist. Sie sind jedenfalls nicht zuhause.
Der weiße Schimmel mag mich nicht mehr oder es ist ihm zu heiß. Jedenfalls verlässt er seinen Unterstand nicht.
Das Grillen und im Garten herumsitzen ist entspannt. Ich mache ein paar Übungen, worauf mein Schwiegervater kommentier, ich „könne ja richtig was“. Ich habe noch nicht so viel Grillfleisch gegessen und bin richtig scharf drauf und lass mich mit Bratwurst nicht abspeisen. Der Lavendel ist so stark frequentiert, dass es wirklich sehr erstaunlich ist. Alles voller Bienen und Hummeln, die auch nicht Feierabend machen wollen und auch nach 20 Uhr noch die ganzen Blüten absuchen. Das reinste Gewusel. Die eine Hummel stirbt und nein, es ist kein Geschlechtsakt, sondern sie zuckt nur, ist aber überwiegend bewegungslos und stirbt am Stängel bzw. Arbeitsplatz.

Es gibt frische Erdbeeren vom Feld. Die sind totlecker, aber Spühsahne dazu tut etwas weh. Auf dem Rückweg steigen wir in Leinhausen aus und fahren über den schönen Radweg am Bad entlang nach Linden. Auf dem Spielplatz gegenüber von unserem Haus essen wir ein Eis vom Kiosk.
Ich freue mich auf die Musik Morgen, einmal nicht mit Mozart gequält werden. Ich bin da doch wie die Junkies, dass Mozart mein Autan ist und ich mir echt keinen Druck dazu setzen könnte. Die Musik ist eine Qual für mich. Wir haben die Idee zu Cron und Lanz zu gehen vor der Oper und Stephan findet sogar noch einen Flohmarkt in Göttingen. Ich habe im ersten Staatsexamen dort mündliche Prüfung gehabt zu der ich Windpocken hatte. Der Prof am Lehrstuhl hat mich angesteckt, weil sein Kleinkind sie hatte und das war noch nicht mal mit an der Uni (seit dem weiß ich, wie sie ihren Namen bekommen haben). War leicht anderer Stamm als in Kalifornien und meine Immunabwehr unten, so dass ich sie bekomme habe und mit wässrigen Pusteln im Nacken und unter den Armen in der Prüfung gesessen habe und auf einer schwitzigen Luftmatratze bei ätzenden Uni-Strebern übernachtet hatte, die ihren Namen in alle Bücher vorne reingeschrieben oder sogar einen Stempel dafür hatten, so doll haben sie sich damit identifiziert. Es war ein Alptraum und seit dem ist Göttingen für mich gestorben. Gut, es war mir auch sonst damals nicht sympathisch. Nur Uni, Studentenwohnheimkasernen. Ich habe danach immer gesagt: „Göttingen kann dem Erdboden gleich gemacht werden bis auf Cron und Lanz“.
08.06. Kaum habe ich eine gekaufte Kette wiederentdeckt, die ich bestimmt zuletzt in den 80ern getragen habe, stirbt sie an Altersschwäche und ich nur noch doppelreihig. Ich deponiere eine Schere im Briefkasten, damit ich besser Minze schneiden kann im Garten. Wir nehmen den ICE nach Basel und Zürich.
Göttingen ist nach wie vor schlimm. Stephan stellt fest, dass er bestimmt eines Tages als alter Mann bei so einem Wetter sterben wird.
Alles Uni, dieses Bildungsgedönse nervt. Das kann Leute beeindrucken, die Komplexe haben. Wenn man vom Prof. gewickelt wurde hält sich die Hochachtung in Grenzen und vor allem das überkandidelt damit umgehen, das fehlt ganz. Wir schauen uns eine Ausstellung an im alten Rathaus, die mich an Helnwein erinnert und die Bilder finde ich ganz sehenswert. Immerhin kommen Kröte und Meerschweinchen darin vor.
Dann der Flohmarkt. Es ist so heiß, dass sich eine Kampfhündin sofort auf den Boden legt bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Beim Flohmarkt finden sich Verkäufer und Käufer. Ich sage, was sind das denn für schöne Plastikketten und die Frau (beleidigt) „das ist Holz“. Dann weiß ich, dass ich mit der keine Geschäfte machen will. Leute die Plastikkette als Schimpfwort begreifen und meine, dass sie ganz tolle Ware haben und das auch noch so blöd betonen müssen und dann total utopische Preisvorstellungen haben, können mich mal. Ein anderer Typ ist nett und ich kaufe eine Sonnenbrille, eine Brosche, ein Porno-Heimwerkerbuch mit dem Titel „Liebe auf den zweiten Blick HEIMWERKEN“ (die Männerfotos haben was von Porno) sowie zwei Tuschkästen, der eine ist hoffentlich versiegelt, weil alle Farben schwarz sind.
Stephan hat sein „Spaß beim Töpfern“ T-Shirt von der Santiago Sierra Ausstellung an und der Typ bietet ihm spontan eine Töpferscheibe an. Er hat eine tolle Therapeutenliege, aber die können wir nicht mitnehmen. Eine alte Frau spricht mich mit Mäuschen an. Komm kauf einer alten Frau doch was ab, damit ich meine Standgebühren bezahlen kann. Das tue ich doch glatt und nehme eine schöne Plastikkette, die Perlen sind sogar einzeln geknüpft und eine zartrosa Baskenmütze- jeweils 1,- € und wir freuen uns beide. Im nachhinein hätte ich einem Schwulenpaar noch eine Handtasche abkaufen sollen.
Viele bedeutende Wissenschaftler werden hier verehrt u.a. Herr Gauß. Der sagt sogar mir was, weil Paps immer die Normalverteilungskurve von dem zitiert.
Dann Cron und Lanz dort und für zuhause. Eiskaffee ohne Ende. Vor allem der Eismokka schmeckt Hammer, aber auch die Quiche ist nicht von schlechten Eltern. Die Bedienung sagt, es gäbe keine Quiche. Ich hatte aber unten welche gesehen, in der Vitrine rechts und lasse mir da nix vormachen. Hier sitzen wieder schlimme Bildungsbürger, die wir gleich in der Oper sehen werden und dann auch sehen.
Weiter geht’s ins Theater.
Ist klein und viele Rentner sind gekommen. Ich frage mich, warum hier nicht der ganze CSD aus Hannover zu Besuch ist so transgender wie es in der Oper und Inszenierung zugeht. Zwei Countertenöre und die dritte männliche Hauptdarstellerstimme wird von einer Frau gesungen (Mezzosopran oder Alt heißt das dann). Ich mag diese „Kastratenstimme“ seit Klaus Nomi, den ich sehr verehrt habe, aber es scheint ein sehr anstrengendes Genre zu sein und es gibt kaum Sänger, die das drauf haben. Dann auch noch 4 Stunden durchhalten und im Pelz singen als König der Schwaben. Keine festgelegten Klischees, wenn die besonders männlichen Männer mit Frauenstimme singen oder Frauen den Mann spielen. Hier sind Küsse auf den Mund offenbar eine Zumutung, so dass nur Wangenküsse verabreicht werden. Ich nehme an, dass es an der launischen russischen Sängerin liegt, die uns hat melden lassen, dass sie erkältet ist, aber trotzdem für uns singt. Die Amerikanerin, Emily Fons, die den Mann verkörpert, spielt es einfach zu gut und überzeugend, so dass ich es nicht ihr unterstellen will. Ihr nehme ich ab, dass sie in Rosimonda verliebt ist. Sie ist echt gut und ich frage mich, wie so ein junges Ding aus Michigan auf den Trichter kommt männliche Opernrollen singen zu wollen. Ich mag Händel, d.h. gerade auch instumental ist es meine Musik und viel effektiver und sparsamer als Wagner (man braucht nur einen Bruchteil der Musiker). In Hannover läuft ein massenkompatibles Stück „Chaplin“ im Opernhaus. Das sehe ich wer reingeht und weiß, was man davon erwarten kann. Gefälliger Tanzkram halt.
Statt Binden mache ich Karamell in meine Bindendose aus Paris.
Nachher gehen wir Essen im Gauß. Das ist recht mittelmäßig und baut kontinuierlich ab. Vorspeise noch am besten. Ein vegetarisches Menü finde ich eigentlich super, aber das kann man viel leckerer machen z.B. In Potsdam zuletzt gegessen. Auf zum Bahnhof. Der Mond steht am Himmel und wir werden von einem jungen Studentenpärchen angesprochen, dass man bei Rot stehen und bei Grün gehen soll. Was soll man dazu sagen. Ich kann es gar nicht erwarten aus dieser Stadt wieder weg zu fahren. Gauß hat es ganz hart erwischt: in Braunschweig geboren und in Göttingen gestorben.
09.06.Wenn mich einer länger mit seinen krassen Eheproblemen belastet, fällt es mir offenbar schwer neutral zu bleiben und die Vorstellung einem vermeintlich harmonischen Familienfrühstück beiwohnen zu müssen, ist mein Alptraum. Ich entziehe mich auf allen möglichen Wegen der Situation, die direkt vor mir sich abspielt. Mit diesen Szenen wache ich auf.
Pfingsten wird neuer Schmuck gemacht aus meiner Pariser Flohmarktware, insgesamt 2 Ketten und 2 paar Ohrringe. Auch die ineinander hängenden Skelette, die ich mir vor über einem Jahr beim vorletzten Parisbesuch gekauft habe werden endlich zu einer Kette verbastelt. Diesmal keine Perlen und keine Klamotten. Habe zu viel davon. Das Maß ist quasi voll. Was allerdings noch aussteht ist die Verarbeitung einer Serie französischer Briefmarken für Inlandsbriefe. Sie zeigen die verschiedenen Kuhrassen und auf der Rückseite aus welcher Region in Frankreich sie beheimatet sind. Das war teures Bastelmaterial und hat 7,40 gekostet. Da habe ich 2 Tüten voller alten Schlüsselbundanhänger bekommen, aber ich konnte nicht widerstehen und es hat auch seinen Reiz quasi Geld oder zumindest Währung direkt zu entwerten, sprich zu verbasteln.
Ich bin stolz auf mich, dass ich mein Alterstagebuch schreibe am Pfingstsonntag bis mir der Hintern weh tut.
Abends treffe ich Psychologenkollegen mit Teenagertochter im Kino. Perlen im Frühling. Sie waren Eis essen und gehen wohl vorzeitig aus dem Film. Ist nicht jedermanns Sache so eine Doku über behinderte und psychisch kranke Dragqueens. Der Filmemacher ist da. Die Hauptfigur erinnert an Leigh Bowery, aber ich mag vor allem seine Kunst, die er in der Kunsttherapie macht, vor allem die Tonarbeiten. Braucht er noch eine gesetzliche Betreuung? Schade bis Niederlande ist nicht mein Einzugsgebiet. Ich muss noch mal an die Van Gogh Ausstellung denken. Hier hatte ich anhand der Selbstporträts festgestellt, wie krank er ausgesehen hat und habe dann an Krebs oder eine ähnliche Krankheit gedacht, aber nein, er hat sich ja umgebracht. Er war aber trotzdem von seiner Krankheit gezeichnet. Der Dragqueendarsteller erzählt offen, dass sich seine Mutter das Leben genommen habe. Die hatte auch eine Psychose, aber noch keine modernen Medikamente dagegen. Da ist wohl viel dran, dass hier die moderne Medizin wirklich hilft Menschenleben zu retten, gerade auf dem Gebiet der Psychiatrie. Bei dem Darsteller Murat habe ich Zweifel an seiner Geschichte. Kindheit total glücklich, alle haben sein Schwulsein und seine Behinderung akzeptiert und er war ein ganz „normaler Junge“. Er habe nicht gemerkt, dass er anders war bis er nach Deutschland kam. Es wäre ihm zu wünschen, dass es so gewesen ist. Gleichzeitig hält er seine Familie konsequent raus aus dem Film. Ich bin da misstrauisch, ob die Geschichte echt ist oder Wunschvorstellung.
Dann der Film „Test“. San Francisco der 80er Jahre und man weiß nicht, wie Aids übertragen wird. Es geht Panik um. Es geht um eine Tanzgruppe und die eine hysterische Tänzerin geht nicht mehr im Castro essen, weil sie Angst hat, dass es sich wie Hepatitis über Lebensmittel überträgt. Es gibt noch keinen Test und dann doch. Kondome sind noch ganz neu für die Schwulenszene. Der Film ist o.k. Ich muss an Filme aus den 80ern zu dem Thema denken, die aber eher fiktional damit gearbeitet haben. In dem einen ging es darum, dass den Virus nur Leute bekommen, die Sex haben ohne sich wirklich zu lieben (eine etwas romantische Vorstellung) und in dem anderen, der mir gut gefallen hat, erinnere ich mich noch an den Titel. Liquid Sky. So Außerirdische haben immer Freier im Moment des Orgasmus getötet. Ihr Gehirn hat ihnen eine Art Kokainkick verliehen und die Prostituierten blieben am Leben, weil sie nicht gekommen sind
Was mir nach Paris noch mal neu deutlich wird ist, wie gut die jeweiligen „Ausländer“ zu dem jeweiligen Einwanderungsland passen. Ist das Absicht, dass jemand mit einer bestimmten Veranlagung dann nach Deutschland oder Frankreich zieht oder assimilieren sie sich doch so gut. Eher wohl Letzteres, zumindest mehr, weil oft ist es Zufall oder man kann es sich gar nicht aussuchen. Jedenfalls die Afrikaner in Paris sind so was von Französisch und die Türken hier sind so was von Deutsch. Unsere „Ausländer“ passen so was von gut zu uns und bei den Franzosen dito. Die zweite Dragqueen im Film Murat bzw. BayBJane ist so was von Kölsch.
Ich entdecke in meinen heißgeliebten Carambar Karamelsticks kleine Rätsel oder Witze. Mir fällt aus, dass die Innenseite immer verschieden bedruckt ist. Wenn eine Leserin Französisch kann, bitte helfen:
Quel est le sport préferé des nourrissons?
Résponse: Le baby-foot.
Das verstehe ich noch: welcher Sport wird von Säuglingen bevorzugt? Der Baby-Fuß.
Aber jetzt kommt es:
Quel basketteur retient le mieux ses lecons? (am c fehlt ein Komma darunter)
Résponse: Tony par coeur.
Que craint le plus un électricien?
Résponse: Le coup de foudre.
Das war ein schöne Wochenende und zuhause bleiben ist auch mal total schön!
Ob Wissenschaft oder Sprachen, etwas Geheimnis muss bleiben.

















































