Die Georgs aus Hannover für England

05.04. Auf zur Goldenen Hochzeit meiner Schwiegereltern im kleinen Kreis. „Erwarte das Beste“ steht auf meinem Teebeutelanhänger. Das soll mein Motto des Tages sein. Ich habe die große Tasche gepackt , die mir mein Paps mal geschenkt hat von einer Messe, schön schwarz-weiß und die schönen Maschinenteile, die darauf zu sehen sing. Ich muss den Bus etwas aufhalten für meinen Mann und der Fahrer ist wieder so schön lakonisch, dass es eine wahre Freude ist. Ich habe eine Schwäche für Busfahrer. So souverän wir sie vorne hinten den großen Fensterscheibe in die Welt blicken und alle im Überblick haben und nichts kann sie aus der Ruhe bringen, meist haben sie noch einen guten Spruch drauf, zumindest die heimischen. Ich genieße es am Lindener-Markt-Gewusel aus sicherer Distanz und inkognito im Bus vorbeizufahren. In der S-Bahn lese genüsslich „Tante Jolesch“. Nachdem wir hier umgestiegen sind, diese Station ist heute noch Programm und sie ist superhässlich, aber irgendwie sehe ich sie heute mit anderen Augen.

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Im letzten Kapitel von „Tante Jolesch“ geht es um jüdische Emigranten aus Österreich und ein Zitat von Ödön von Howarth, der sich in Zürich an einen dort beheimatetet Freund wendet und wissen will: „Bei euch hier ist alles so entsetzlich sauber? Woher nehmt ihr eigentlich die Kultur?“ Ich liebe dieses Buch, was mir meine Freundin Claudia geschenkt hat und kann immer wieder darin lesen. Es ist mein „Grand Budapest“ in Buchform. Das Zitat muss ich meiner Schwägerin vorlesen. In Kirchrode angekommen kaufen wir Brot bei Frau Gaues und anschließend entdecke ich einen tollen Schreibwarenkiosk und kaufe ein Papier-Ei, von dem ich dachte, die werden nicht mehr hergestellt. Das Motiv mit der Hühnerfamilie, die Mutter am Herd, der kleine Bruder ist frech und die Tochter hat einen Stoffhasen als Spielzeug, gefällt mir zu gut. Eine versteckte Hausarztpraxis, idyllisch wie ein Gartenhäuschen, vor dieser Seite habe ich mich dem Laden noch nie genähert.

Beim Tropeano werden Gläser poliert und Besteck und außer uns sind keine Gäste da. Das bleibt auch so. Wir essen und beraten bei der Essensauswahl. Der Konfirmand wählt die Ochsenbäckchen mit den Selleriestreifen, frittiert „gesund Pommes“ wie er es kommentiert und es schmeckt ihm nicht. Dafür gibt es einen neuen Witz: „er stellt gerade seine Ernährung um….Kekse von rechts nach links.“

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Irgendwie vergeht die Zeit wie im Flug und wir sind verspätet und lassen unseren Führer an den Herrenhäuser Gärten warten, während wir uns durch den Verkehr quälen und an den roten Ampeln geht der Blutdruck immer nach oben, zumindest bei entsprechender Veranlagung. Die Landbevölkerung stellt am Aegi fest, dass man hier nicht Rad fahren würde in der Großstadt und Auto fahren auch nicht und das U-Bahn-System sei auch verwirrend und man würde sich nicht auskennen. Das ist eine Frau, Mitte 70, die ihr ganzes Leben ca. 20-30 km außerhalb von Hannover gelebt hat. Fremde, unverständliche Welten. Michi schenkt meinen Schwiegereltern formvollendet ein Buch und gratuliert. Ich habe das Gefühl, dass mein Buch nur so mäßig angekommen ist, aber ich habe es auch nur so lapidar wie eine Speisekarte auf den Tisch gelegt und auch noch die Überraschung mit Herrenhausen verraten (schlechte Schwiegertochter, halt nur gut gemeint kommt da öfter unterm Strich bei raus). An der Übersichtstafel mischt sich ein Junge „von oben“ ein und gibt eine Antwort auf die Frage, wie groß ein Ar sei.

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Ich lerne von unserem Freund Neues über die Barockgärten, die damals keine Blumen enthielten, sondern nur die Ornamente aus Buchsbaum und die konisch geschnittenen Bäume und dazwischen bunten Kies, der mal mit Tonscherben und mal mit Kohle versetzt wurde. Wir schauen uns das Ganze von oben an und hier kann man die Motive und Muster erkennen, wie im Petersdom von der Empore das Fußbodenmosaik. Der Durchgang durch einen Seiteneingang und den Gift Shop ist schon sehr peinlich. Da gebe ich unserem Führer Recht. Eine türkische Braut lässt sich mit theatralischem Ausdruck an einer der Gittertüren fotografieren. Der Bräutigam ist weit und breit nicht zu sehen. Ich tue es ihr nach.

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Ich mag aber die Niki de St Phalle Grote, auch wenn die Alte esoterisch war und einen Sockenschuss hatte, was man auch merkt. Trotzdem. Ich stehe zu der Verbindung von ihr zu Hannover und manche Stilelemente sprechen mich an und für bunt bin ich ja auch zu haben.

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Und der blaue Elefant mit dem Springbrunnen aus dem Rüssel und dem Nabel gefällt mir heute besonders.

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Die Gärten sind in ihren ursprünglichen Form noch erhalten (zumindest zum Teil), weil man sich lange Zeit nicht dafür interessiert hat. Ich stelle fest, dass dies immer ein Garant für die Erhaltung ist, wenn man Dinge einfach liegen lässt. Hinter den Hecken wurden Gemüsegärten angelegt zur Selbstversorgung.

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Wir schauen uns das Theater an. Die Goldfiguren haben zum Teil hinten etwas Bürzel oder Schwanz um das animalische zu betonen.

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Heute ist der ehemalige große Saal gegenüber der Orangerie geöffnet, den wir alle nicht kennen und er hat tolle Wandbemalungen, aber vor allem sehr schönen, verschlungenen Deckenstuck. Hier stehen Büsten römischer Kaiser auf Sockel an den Wänden. Leibniz hatte wohl auch den Auftrag einen Stammbaum der Welfen zu fertigen, der eine Verwandtschaft mit den römischen Kaisern nachweisen sollte und er wusste wohl , was er seinen Auftraggebern schuldig war.

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Füße gibt es auch:

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Die Welfen wurden irgendwann Kurfürsten und haben dann ca. 130 Jahre lang, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, die englischen Thronnachfolger bestimmt. Das waren immer die Georgs ab Georg dem ersten und dann vier oder fünf Mal.

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Es fängt an zu regnen und wir gehen zum Abschied Kaffee trinken im Schlosscafé oder wie das heißt. Ich wundere mich immer, auf was die Menschen so achten. Bei meinem Schwiegervater und seinem Bruder ist in jeder Gastronomie am Wichtigste, dass die aneinandergestellten Tische eine Kante bilden und man das mit Bierdeckeln hätte besser machen können.

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Es hat gefallen, glaube ich zumindest, das kann ich nicht genau sagen an diesem Tag, weil Gefühle nicht so durchbrechen. Es wurde jedenfalls festgestellt, toll, was wir da haben und was man gar nicht so kennt.. Ich mag Else, die Frau vom Dorf, die geduldig über die Frage, Handabwasch oder Geschirrspülmaschine mitredet, aber auch andere Interessen hat. Sie fragt Michi, ob das eine neue Züchtung Goldlack sei in dem einen Beet. Überhaupt kommen die schönen Bepflanzungen gut an, so farblich abgestimmt und schräg gepflanzt.

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Ein Brunnen, den wir heute das erste Mal sehen. Alte Figuren reiten auf Schildkröten oder Delfinen, neu in Szene gesetzt.

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Dann heißt es Abschied nehmen und wir werden bedauert, dass wir Bahn fahren müssen und kein Auto haben, unser Bedauern richtet sich aber an die, die mit ihren Karren jetzt aufs Land zurück fahren müssen. Ist doch eigentlich schön so. Mit Dankbarkeit stelle ich fest, was ich für einen liebevollen und romantischen Mann ich habe, so im Vergleich, der mich viel anfasst und zum Ausdruck bringt, wie sehr er mich liebt, statt auf die Bemerkung, dass heute ein wichtiger Tag sei zu sagen, „na ja, geht so“. Die Frau Beck, die Bedienung hatte gesagt, dass es heutzutage die wenigsten auf 50 Jahre bringen würden, die meistens nur 2 oder 3, oder sie würden gar nicht erst anfangen damit. Ich hätte einen guten Mann bekommen, meint Else. Ich muss ihr zustimmen. Wir seien das perfekte Paar, sagt ihre Tochter und ich frage mich, woher die das weiß, die kennt uns gar nicht. Ich muss allerdings die Einladung für morgen, die bei der Verabschiedung nebenbei ausgesprochen wird, ausschlagen, weil wir andere Pläne haben. Meine Schwägerin unterstützt mich und ist auch der Meinung, wer Besuch will, muss das artikulieren und auch bei Zeiten einladen und kann nicht damit rechnen, dass Leute einfach so kommen, weil sie nichts anderes vor haben. Ich fahre viel lieber Bahn und bin unter Menschen. Wir gehen weitestgehend vom Regen verschont zu Kaufhof einkaufen und treiben uns lange in der Lebensmittelabteilung herum und kaufen viele überflüssige Dinge, weil es uns Spaß macht. Wir treffen die Bedienung vom Marktkaffee und ich stelle fest, dass wir lange nicht mehr da waren und was es hier alles gibt. Kren, fein gerieben, in der Tube, natürlich mit einer österreichischen Flagge an der Seite und Koriander, auch in der Tube, außerdem Marillenmarmelade von Stauds, sogar mit den Sammelmotiven oben drauf. Ich komme mir dämlich vor, warum exportieren wir die noch per Flieger aus Wien? Die Picknick-Brote werden lecker u.a. habe ich Pastrami eingekauft und Erdnüsse in der Schale, weil man im Garten so schön krümeln kann. Zuhause gibt es erst mal einen Tee mit frischer Minze und Zitrone und Honig. Köstlich, auch der Joghurt aus Österreich mit Amarena-Geschmack mag ich. Der Einkauf hat sich schon mal gelohnt.

Den Regen mögen die Pflanzen. Man kommt abends nach Hause und hat den Eindruck, dass die Blätter an den Bäumen im Garten ca. 1/3 größer sind als morgens, als man das Haus verlassen hat.

Wir schauen eine Folge „Parks and Recreation“, eine Serie, die Michi empfohlen hat und ich finde sie sehr lustig.  Die städtische Mitarbeiterin Frau, die ein spielendes 4-5 jähriges Kind im Sandkasten interviewt, nachdem sie sich vorgestellt hat „are you a) having very much fun und enjoying yourself a lot or b) having some fun and a little enjoyment or c) not enjoying yourself at all and no fun“ und beschließt dann „I guess we can take a). Dann heißt es „drunken person in the slide“ und sie muss mit einem Besen helfen. Um vor 22 Uhr gebe ich allerdings auf.

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