10.07. Wahlwiederholung oder lieber so

Morgens kleiner Frust, weil ein Schützling nicht auftaucht zu einem wichtigen Termin, den ich ausgemacht habe und ich mir dann dort allerlei neunmal kluge Erkenntnisse zu der Eigenmotivation usw. anhören muss. Da werde ich manchmal bockig wie ein Kind.

Nachmittags fahre ich zur Wohnung von Herrn W. und treffe dort den Entrümpler. Die zweite Firma hat abgesagt, weil der Chef wegen seiner schwangeren Frau ins Krankenhaus musste. Ein mehr als respektabler Grund den Termin nicht wahrzunehmen. Ich wähle den Weg durch die Eilenriede. Ich liebe diesen Radweg vom Lister Turm an der Walderseestraße entlang. Ein grüner Tunnel und es flimmert vor den Augen. Stadtwald eben. Ich muss allerdings immer daran denken, dass mir nicht nur ein Mal Hannoveraner, wenn ich meine Bewunderung für den Englischen Garten in München kund getan habe, den Hinweis darauf gaben, dass wir ja die Eilenriede hätten. Da denke ich immer, das sind Leute die einen Stadtwald von einem höchst präzise angelegten Kunstgarten nicht unterscheiden können (Dabei bin ich hier auch nicht vom Fach und musste in New York unsere Gärtner- und Gartenbaufreunde fragen, was sie mit „Staudenpabst“ meinen, bezogen auf einen Garten in New York, mir fremde Welten so was). Aber die Gleichsetzung Eilenriede – Englischer Garten ist moderne Kunst nicht von Barock unterscheiden können oder eher ein Restaurant mit Rewe vergleichen, aber egal. Schön ist es trotzdem durch den grünen Wald zu fahren. Zu jeder Jahreszeit machen die Blätter ein anderes Farbspiel und es ist die reinste Eyeball Massage, um Pipi zu zitieren. Ich habe mir die Fahrbeschreibung von Stephan ausgedruckt und dann über den Kanal und an den Gärten vorbei. Alles klappt gut und es regnet nur ein ganz klein wenig. Eigentlich nur ein Problem für Dauerwellenträger. Höhe Constantinstraße muss ich kurz anhalten um ein Foto von einem Bäckershop zu machen Coffee to go XXL. Sehr lustig. (Seit ich entdeckt habe, dass mein Handy für diese Fotos taugt und ich sie irgendwie für Buttermusch verwenden kann, tue ich das vermehrt und hoffe, dass ich Euch nicht zu sehr mit unscharfen Bildern auf den Geist gehe).
Der Weg mit Erinnerungen an frühere Fälle gepflastert. Ich fahre vorbei an der Wohnung der ehemaligen Pelikanmitarbeiterin. Der Frau ohne Geruchssinn mit der Katze in der Wohnung, die Möbel und Tapeten völlig zerstört hatte vor lauter Eingesperrtseit oder Frust oder Verhaltensstörung, wo mir immer Stunden danach noch übel war von dem Gestank der Katzenpisse und der Wohnung von Frau R., der früheren Radiomoderatorin, die getrunken und gekokst hat und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder schon verloren hatte, als sie nach einer Zechtour einen Schlaganfall hatte, nur dass der Typ mit dem sie nach Hause ging das nicht erkannte oder erkennen wollte und sie erst 3 Tage später in die MHH gebracht hat. Da war Vieles schon zu spät. Unterlassene Hilfeleistung war ihm nicht nachzuweisen. Sie hat den Schaden und kann nicht mehr sprechen und ist halbseitig gelähmt. Das sind beides Ex-Fälle. Sie habe ich aus der Wohnung eines Freundes mehrfach völlig desolat durch Alkohol ins Krankenhaus einweisen lassen müssen. Einmal hat mich das Patenkind von Stephan dort hingefahren, weil Gefahr im Verzug war. Das sind Bilder, die mir durch den Kopf gehen. Sie hat sich stabilisiert, wobei die Behinderung geblieben ist und wohnt jetzt auf dem Land und ich habe den Fall abgegeben.
Ich bin recht nervös, weil ich nur einen Schlüssel bekommen habe von die Wohnung W. von dem Sozialarbeiter und noch nicht mal weiß, ob der passt oder ob da vielleicht ungebetener Besuch sich eingezeckt hat und die Wohnung bewohnt und wann ja, in welchem Zustand (der Besuch und die Wohnung). Die Alkis vor der Tür sind uns behilflich mit der Hauseingangstür zu der Wohnanlage. Oben passt der Schlüssel und die Wohnung ist unbevölkert, der Balkon aber nicht. Auf dem Balkon, der recht schlecht mit einem grünen Netz abgehängt ist, was große Löcher aufweist, ist alles voller Taubendreck und die Dinger haben da noch Nachwuchs gemacht. Ich bin am Kreischen, aber der Mann für die Kostenvoranschläge ist Taubenzüchter, Brieftauben allerdings und wundert sich über meinen Ekel und meine Hysterie.
Auf dem Rückweg merke ich, dass heute ein besonders effektiver Tag ist, weil andauernd parallel Dinge passieren, die ich eingefädelt habe, aber bei denen ich nicht dabei bin. Übergabe eines Gewerbeobjekts in Stadthagen, Begutachtung zur Berentung mit Begleitung durch das betreute Wohnen. Das ist wie geklont sein und es passiert alles gleichzeitig und doppelt, wenn man gut organisiert. Toll.

Auf dem Rückweg lasse ich mich leider anlocken von einem neuen Doughnut-Laden, der Ballons vor der Tür gehisst hat. Schon der Hinweg kostete Überwindung daran vorbei zu fahren. Jetzt denke ich, vielleicht besteht die Möglichkeit, dass die mal lecker sind wie bei Krusty Kreme in England. Man machen die leckere Doughnuts. Die Regale sind fast leer und das junge Mädchen will mir was erzählen zu den Doughnuts. Da hätte ich eigentlich schon rückwärts rausgehen müssen. Nein, ich will nicht mit Gummibärchen und Nutellafüllung. Ich will erst mal die normalen mit Zucker probieren. Die sind superschlecht, alt und in schlechtem Fett gebacken. Ich muss sie mit zwei Kugeln Eis in Linden herunter spülen. Das ärgert mich etwas. Kann das nicht einmal lecker sein bei uns? So schwer kann es nicht sein und die Materialkosten sind überschaubar. Ich glaube schon, dass die Hannoveraner es auch zu schätzen wüssten, wenn es mal lecker wäre. Ich denke Keu-Deli, den Banh-Mi Laden in London in der Old Street mit den thailändisch gefüllten Baguettes. Der Flyer hängt in meiner Küche. Man müsste ja nicht 7 Varianten anbieten, sondern nur zwei und die gut z.B. mit mariniertem Schweinebauch und frischem Koriander und süß und scharf und eingelegter Rohkost gefüllt, etwas Fischsauce vielleicht Kimchi, hält sich auch und eine zweite Variante, vielleicht mit Paté. Das ist mein Traum. Ich hol mir mal einen Koch, der das kann und will und stelle ihn ein. Dann weiß ich wenigstens, wo ich mittags hingehen kann. Ich denke auch an die Falafel, die wir in Paris hatten und die mich leider versaut haben, weil hier alles schmeckt wie eine Backmischung. Die waren frisch mit Kräutern und knallgrün. Seit Jahren denke ich daran einen Bratwurststand mit den frischen Bratwürsten aus Bayreuth zu machen (das wäre allerdings auch eine Variante zum reich werden). Das duftet so lecker, da schließen alle anderen Wurstläden im Umkreis. Da bin ich mir sicher. Diese kleine Bude in der oberen Fußgängerzone von Bayreuth, vor der immer eine Schlange von mindestens 8 Personen steht und das hat einen guten Grund. Alternatives Fastfood hat dort keine Chance. Der Mc Doof hat geschlossen. Man isst ein paar frische Bratwürste, wenn man in der Stadt ist, oder auch drei in einem Brötchen, wie ich, mehr Trennkost.

Wieder im Büro bemerke ich eine SMS in meiner Sache I., ehemaliger Mitbewohner von Herrn A. Sein neuer Mitbewohner schreibt an die ambulante Wohnbetreuung: „Mein Name ist S., A. Sie waren gestern in ….haus wegen Herrn I. Herr I. ist seit 2 Tagen verschwunden und ich mache mir sehr Große sorgen, daß Ihn was passiert ist. Sie sind sein Betreuer und wurde Sie gerne bitten, daß Sie ihn suchen. Rufen Sie mal Krankenheuser, JVA, Polizei usw. Ich bin sein Zimmerkollege. Danke für Ihr Verständnis. Sg S.A.“ Ich rufe in der Einrichtung an und tatsächlich sind seine Sache da, aber er nicht. Da stimmt was nicht, denke ich sofort und rufe die Rettungsleitzentrale an als ersten Schritt. Die dürfen mir allerdings telefonisch keine Auskunft geben, so dass ich fluchs ein Fax schreibe mit meinem Anliegen und meiner Legitimation und es aufs Faxgerät lege. Es geht nicht durch und die Mitarbeiterin der Kollegin, Frau G. ist schon leicht genervt: „Frau A., Ihr Fax geht nicht durch“. Ist aber die richtige Nummer, habe nachkontrolliert, vielleicht haben auch andere Anliegen. Das Piepen der Wahlwiederholung nervt erneut und ich werde nervös, so dass ich ans Faxgerät trete und sehe ich habe ein Fax erhalten. Vom Amtsgericht. Es ist ein Haftbefehl. Herr I. sitzt in Untersuchungshaft. Mir fällt ein Stein vom Herzen, weil an die andere Alternative mochte ich gar nicht denken. Ich hatte neulich erst einen Todesfall. Das wollte ich nicht wieder. Er hat auch schon einen Pflichtverteidiger benannt und ich rufe den Kollegen an, der sehr gut und fähig ist und ich spreche die Sache mit ihm durch. Er wird ihn Freitag besuchen. So hat sich das mit dem Fax nicht Durchgehen auch erledigt hat, weil ich dann schön auf Abbruch drücken kann, bevor es uns noch mehr in den Wahnsinn treibt mit seinen akustischen Signalen, wie ein Tamagotchi, was am Verhungern ist.
Am nächsten Tag ruft mich morgens ein tuntig klingender Typ an und will wissen, ob ich zuständig sei für Herrn I. und ob ich wisse, dass er in der Schulenburger Landstraße sei. Ich rede mit ihm, sage was wir vorhaben, Herrn I. rausholen. Fluchtgefahr Blödsinn, dieser Typ hat keine gültigen Reisepapiere. Ausweis von der palästinensischen Autonomiebehörde. Das ist als würde Pipi Landstrumpf einen Pass für das Taka Tuka Land ausstellen und selbst die Landeshauptstadt Hannover schreibt in die Ausländerakte 2004, dass Herr I. wohl frühestens abgeschoben werden kann, wenn es einen anerkannten Staat Palästina gibt, also wenn die Hölle überfriert. Er findet mich wohl nett und sagt dann, sie sind doch auch Anwältin und so darf ich mit Herrn I. telefonieren und ihm Mut zusprechen. Nicht die Nerven verlieren, nichts sagen ohne Anwalt. Die Ohren steif halten. Ich glaube an seine Unschuld (tue ich im Übrigen in diesem Fall wirklich). Den Typen frage ich bevor er mich so kulant verbindet, ob er wohl Sozialarbeiter sei, weil Schließer kommt stimmlich echt nicht in Frage.

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