U wie uneinsichtig

16.12. Die Woche beginnt. Ich bin Beraterin für den Fall: Mutter in der Psychiatrie und habe ein offenes Ohr. Ich kenne die Frau von der Feier einer Kollegin.

In der Mittagspause überlegen wir Spiele für Silvester. Mäxchen und Flaschen drehen sind meine Vorschläge.

In unserer Küche hängt eine Liste mit Bildern der Mitarbeiter unserer Computerfirma, die so grob versagt hat. Die sehen durch die Bank nach Joeys Pizzaservice aus. Alle bis auf 2 sehen aus wie Fahrer und die 2 sehen dafür aus wie Stammkunden, die täglich bestellen. Ich habe die Sache schon fast überwunden. Hatte zwischendurch Gewaltphantasien und dachte bei einem hellblauen Flippchart mit dem falschen Blauton an Taubenblau, Babyblau und blaues Auge Blau auf den Spezialisten bezogen, der hier tagelang herum saß, der immer nicht zurück ruft und nicht mit denkt für 5 Pfennig. Jetzt denke ich nur noch, dass die echt armselig ausschauen, wie Pizzafahrer halt. Mein Kollege hatte die Idee mit dem Küchenaushang und dachte dabei an Darts. Danach ist mir gar nicht mehr. Wie verflogen. Gut, schlechte Laune bekomme ich schon, wenn ich den noch mal in Echt sehe, aber so ergreift mich wieder vorweihnachtliche Milde.

Nachmittags bin ich bei Herrn Maßregelvollzug verabredet und habe Stephan zwei Ernährungstabellen aus dem Internet ausdrucken lassen, außerdem habe ich den Ausweis im Gepäck. Gottseidank entscheide ich mich gegen Fahrrad und fahre dann schön spießig und doof mit dem Bus in Wunstorf. Der Zug ist megavoll und viele mit umständlichen Einkäufen, z.B. Bilderrahmen, finden nur einen Stehplatz. Ich lese Tante Jolesch und freue mich. Noch bevor der Zug losfährt kommt im Sekundentakt eine Durchsage, dass der Ausstieg links ist. Dann eine sehr trockene, niedersächsische Livedurchsage des Zugführers, dass wohl der allerletzte jetzt mitbekommen habe, wo der Ausstieg ist. Das sei der Boardcomputer, der einen männlichen Namen trägt, den er auch nennt und der würde heute viel labern und sei nicht abzustellen. Alle müssen schmunzeln.  Im gemütlichen, ausbruchssicheren Besprechungszimmer der KRH gibt es die große Runde. Meiner ist verzettelt und will immer wissen, wer ihn beruflich fördert und wegen Abi, das macht er dann schneller als es die Regel ist. Ich sage, bevor es um ein Hochbegabtenstipendium geht, muss erst mal eine Butze her. Es ist mal wieder lustig festzustellen, dass es nicht darauf ankommt, was einer sagt, sondern wer und wie. Der Schließer oder Pfleger, die Übergänge sind hier sehr fließend sagt was und Herr MRV sagt nein. Ich sage dasselbe und er willigt ein. Dann sei das so. Erst mal vielleicht Wohnheim anschauen, auf jeden Fall ambulant betreutes Wohnen akzeptieren. Innerlich spreche ich ein Stoßgebet. Außerdem sage ich ihm, zu wackelig wieder zu dem Vermieter, der ihm per Untermietvertrag Unterschlupf gewährt. Geduld reicht keine 3 Tage, dann ist er auf der Straße und Frau A. im Weihnachtsmodus mit Telefon im Flugmodus und nicht zu erreichen. Ich hoffe, er hat es verstanden. In der Bahn ist es richtig voll, dass die Hannoveraner genervt sind und echt Leute nicht einsteigen können, damit ist da für japanische und auch englische Verhältnisse noch viel Platz in der Mitte, aber die Leute rücken nicht vernünftig auf und sind schon am Limit. Eine sehr kleine Frau steht neben mir, die sich beschwert, dass es schon seit Monaten so voll sei. Ja, ist doch lustig, denke ich da. Schön auf Tuchfühlung gehen.

Anruf wegen Rechte am eigenen Bild. Fotos eines Toten. Trauerbewältigungsarbeit der Freundin. Jetzt meldet sich die Familie und ein Anwalt. Mit Lebenspartner ist nicht die uneheliche Freundin gemeint, sondern eingetragene Lebenspartnerschaft, gleichgeschlechtlich, wie Ehe. Ohne Ehe nix Wert, rechtlich, oder? Gottseidank hatten wir die Rechte an unserem toten Hund.
Den haben wir ganz viel fotografiert zur Bewältigung des Schocks und mit den Fotos konnte man auch schon Leute schocken und das war nur ein Hund.

Der Mond ist schon schön. Ich bin immer wieder verliebt. Mit den Wolken als Beilage. Gerahmt vom Fenster meines Sportstudios. Es sieht traumhaft aus. Letztes Mal mein Montagssportkurs in diesem Jahr.

Wir liebäugeln mit Wien schon im Jänner. Letztes Jahr waren wir auch 2 x Anfang des Jahres dort und wenn so eine „Tradition“ erst mal Einzug erhalten hat. Schön Naschmarkt und Kaffeehaus und die Lucian Freund Ausstellung. Das wäre schon eine feine Sache und mein Schatz und ich sind uns Gesellschaft genug, auch wenn ich die Wiener Freunde sehr liebe, sollte man sich nicht in Abhängigkeit begeben und auch keinem auf den Zeiger gehen. Das muss nicht sein, oh nein. Da kann man schön unabhängig hin, was Schönes anmieten und herrliche Stunden dort verbringen, wo die Zeit stehen bleibt. Im Café Sperl z.B. Und da sehe ich auch schon das perfekte Apartment. Die Frau schreibt geiles Englisch mit deutschem Satzbau: „Fridge and Waschmaschine are hiding behind red courtains“ ist dort zu lesen. Dusche in der Küche, alles gut. Lustig schaut’s aus und gleich neben dem Sperl. „Super clean“ sei es dort, preist die Vermieterin ihre Bude. Ähhh: next to Sperl = super clean! Zumindest in meiner Definition der Dinge.

17.12. Nein, ich meine nicht heute, wo ich schwitze im Wintermantel mit Wollschal und meine Riemchenschuhe wieder ausgepackt habe und die Handschuhe bleiben in der Tasche, ich meine Freitag auf dem Weg ins Kino, Spätvorstellung. Es war eisig kalt und Stephan trägt bei eisigen Temperaturen auf dem Fahrrad eine dünne Sommerhose und zwar extremdünn und ist stolz darauf, freut sich, dass er so männlich ist. Lange Unterhosen werden abgelehnt. Schon als Kind sei es demütigend gewesen eine Strumpfhose zu tragen. Wie Leander, der mir verrät, die müsse er nur tragen, wenn er in die Hose gemacht hat. Ich sage, Schatz, eine lange Baumwollunterhose, schön gemütlich, es müsste Dir ein Bedürfnis sein und dann sitzt Du wie gepolstert und warm auf dem Fahrrad. Meine Worte verhallen ungehört.

Ich habe keinen anwaltlichen Killerinstinkt. Es geht mir ab mich darüber zu freuen, wenn die Gegenseite einen Einlauf bekommt. Ich habe Mitgefühl. Heute mündliche Verhandlung in meiner Mietsache. Die behinderte Mandantin wurde krank durch den Kontakt mit Behinderten (quasi Hund mit Hundehaarallergie) und hat fristlos gekündigt, was der Vermieter ablehnt, wobei vorher gesagt wurde, dass es mit ärztlichem Attest kein Problem sei.  Vorgerichtlich wollte ich mich einigen und hatte mich noch geärgert auf ein Angebot 2/3 in Raten zu bezahlen nicht eingegangen zu sein. Jetzt fragt die Richterin die Gegenseite, einen dünnen Mann mit Outdoorkleidung über dem Anzug nach Untervollmacht. Nein, der Typ ist aus Berlin angereist. Dann nach Einigungsbereitschaft. Gottseidank sage ich nichts an dieser Stelle. Sie will mal sagen, wie sie das sieht. Meine Argumente greifen alle. Mietverhältnis endet zum 30.11. und nicht erst 3 Monate später. Nicht wegen des Kündigungsgrundes meiner Mandantin, sondern hier gab es einen anderen, vertraglichen Kniff auf den ich aufmerksam gemacht hatte. Es gab einen zweiten Vertrag, den die Behinderten mit einem Pflegedienst abschließen müssen und diese waren aneinander gekoppelt. Beim Pflegevertrag war es mir jedoch gelungen, diesen zum 30.11. aufheben zu lassen. Die Renovierungskosten sind verjährt, weil Verlängerung der Verjährungsfrist in den AGB nicht zulässig. Keine Abweichung vom Gesetz, nur in Ausnahmefällen. Die liegen hier nicht vor. Wir vergleichen uns so, dass die Klage insgesamt hinten runter fällt. Dafür behalten sie die Kaution, die sie schon haben. Meine Kosten müssen sie auch zahlen, außer der Vergleichsgebühr. Dafür hat die Mandantin Prozesskostenhilfe bekommen. Mal sehen, ob der Vergleich hält, sonst Risiko Landgericht, was alles anderes sehen kann. Hey, das ist ja mal besser gelaufen als erwartet. Der Vermieter ist ein Arschloch, aber für den Kollegen, der extra angereist ist, tut es mir leid. Ich gehe zur Belohnung ins Fairkaufhaus und da ist heute „Adventskalender“ Türchen 17. Dezember, 30 % auf Damenkleidung. Hey, heute ist mein Tag! Dafür muss ich schon in der Adolfstraße auf dem Weg zum Gericht über das Plakat von Scooter lachen. 20 Jahre Hardcore. I don’t think so. Was hat das mit Hardcore zu tun? Kann mir das bitte mal einer erklären.

Scooter

Ich verschiebe Zahlungsfristen und meine Betreute fragt sich, warum? Ich sage entweder weil mir langweilig ist oder weil sie sonst nichts zu essen hat im Januar und wir jeden Euro gebrauchen können. Ja, auch ein Abschlag der Stadtwerke von 35,- €, der erst am 13.02. fällig ist. Ihre Idee war, sich in der MHH einweisen zu lassen, damit sie dann warmes Essen hat. Das ist noch weniger sinnvoll und ich bin gegen eine unbegrenzte Aufstockung des Dispo, der die 2.000,- € Marke schon gesprengt hat. Ich bin sauer, aber sie kann es wohl nicht besser. Es täuscht mich, dass sie alle Zahlen auf dem Schirm hat, nur danach handeln gelingt ihr nicht. Das meint auch die MHH. „Frau Arnhold, ich habe gute Nachrichten für Sie. Das Blindengeld wird erhöht im April“ oder so ähnlich lauten ihre Worte. Warum sind das gute Nachrichten für mich, lautet meine Gegenfrage. Ich bin nicht sehbehindert.

Ich verrichte die Dinge, die vor Weihnachten noch sein müssen. In der Erbschaftssache war ein Vergleich schon beschlossen. Die Gegenseite hat ihre Anwältin gekündigt. Ist jetzt alles wieder offen und kann von vorne anfangen? Habe ich nicht schnell genug den Vergleich angenommen? Hätte nichts genutzt. Die müssen zum Notar. 35.000,- € zahlen und dann nicht in der richtigen Form, dass es auch beim Grundbuchamt anerkannt wird, wäre auch keine Lösung gewesen. Scheiße ist es trotzdem. In der Familiensache ruft mich die neue Freundin an, ob mein Mandant den Dauerauftrag für Kindesunterhalt ändern soll. Ja, so haben wir es besprochen lautet meine Antwort. Er versteht es manchmal nicht richtig. Gut, dass sie noch mal nachfragt. Überzahlten Unterhalt bekommt man nicht zurück. Sie lobt mich, dass ich viel besser sei als ihr Anwalt, weil ich schneller bin und ihr Freund schon geschieden. Das ist mal wieder ein Blick auf die Sichtweise der Klienten.

Dicke Akten vom Versorgungsamt und ein großer Kalender werden zur Post gebracht. Lange Schlange. Bei den Akten ist es mir ein Einschreiben Wert.

Morgen lerne ich meinen neuen Hasen kennen für den der Strafverteidiger mich vorgeschlagen hatte. Ich klingele bei ihm zuhause. Das ist mit dem Bewährungshelfer, der Stille Post für uns macht, so vereinbart. Morgen haben wir auch Büroweihnachtsfeier. Bis zuletzt war unklar, wie viele Personen teilnehmen 11 oder 12. Wie im Großraumbüro geht das hier zu. Hintergrund sind aber immer irgendwelche Krisen, also nicht so lustig, auch wenn ich nicht direkt betroffen bin. Schrottwichteln hatte ich letztes Jahr initiiert im Titus. Da mochte man den Anblick nicht besonders. Ich habe das beste Geschenk ever bekommen und daher keine Ambitionen das zu wiederholen. Könnte nur eine Enttäuschung sein. Von Schwiegermutter aus dem Osten, Glas mit Griff und Sandlandschaft und künstlichem Vogel und echten, aber toten Kakteen sage ich nur.

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Schnell zu Sport, außerhalb der Reihe, aber letzte Chance überhaupt in 2013, also auf. Danach essen und Haare waschen nach Wochen. Kopf kratzt nachher schlimmer als vorher. Stephan schneidet die Spitzen.

18.12. Morgens viel Telefonate u.a. mit der Grundbuchabteilung eines auswärtigen Gerichts in meiner Erbschaftssache. Der eine sagt so, der andere so. Dort anfragen, wo der Entscheider sitzt.

Die Vegetarierin hat sich krank gemeldet für die Weihnachtsfeier. Erst eine Extrawurst und dann unpässlich. Ich muss das anders sehen. Ich bin dankbar, dass ich so wenig gesundheitliche Probleme habe. Da gibt es Rücken oder Magen, kein Sekt- oder Weißwein darf mehr getrunken werden und das sind Leute, die jünger sind. Ich denke immer, ich strotze vor Kraft und der Zenit ist noch nicht erreicht. Klar, ich bin faltig geworden um die Augen und sehe nicht mehr so prall aus im Gesicht wie früher und auch nicht mehr so niedlich, aber ich bin zufrieden.

Der Hase ist nicht im Hochhaus. Mittags sollte eine gute Zeit sein. Die Tante steht unten vergeblich vor der Tür. Ich bekomme seine Nummer vom Bewährungshelfer und er kommt vorbei. War erst in einer anderen Straße. Da ist unter der Hausnummer 10 auch ein grünes Haus. Er schaut mich mit großen Augen an und erzählt mir was von den Magneten in den Wänden und der Bewährungsauflage eine ambulante Therapie zu machen.  Nach Familie gefragt gibt es eine Oma und die Pflegeeltern und -schwester. Ich rufe gleich den Betreuungsrichter an. Der will ihn noch mal begutachten lassen. Dann ruf ich ihn noch mal an und frage ihn, ob ich dem Gutachter seine Handynummer geben darf. Dann tue ich das und der hat zufällig nur noch heute Termine in Linden. Alle Vorzeichen stehen positiv bzw. was bin ich nur für ein resolutes Organisationswunder.

Auch in meinen anderen Fällen läuft alles super. Fotos für die neue Versichertenkarte. Eine ruft an, dass sie mir die Urkunde vorbei bringen will. Welche Urkunde, frage ich. Ach ja, eingetragene Lebenspartnerschaft. Sie hat geheiratet. Wie unsensibel von mir. Sie will ein Praktikum in der Pathologie machen. Das sei immer ihr Traum gewesen. Auch wenn sie da nich arbeiten könne, dann wenigsten ein Praktikum. Nachmittags kommt eine neue Betreute und lacht als ich schnell alles erledige und sage, dass mit der Stadtwerkenachzahlung reichen wir erst mal nicht ein, haben die überhaupt Zündstrom für die Therme gezahlt? Ich merke mal wieder, was es den Leuten für eine Last nimmt, wenn ich Ihnen die Dinge abnehme. Erst mal dem Amt schreiben, was sie überhaupt meinen. Sie schreiben Reha und schicken Rentenanträge und wegen der bevorstehenden Weihnachtsfeiertage sowieso Fristverlängerung bis Mitte Januar. Auf die 2 Wochen kommt es wirklich nicht an. Wie kann man meinen Hasen so viel Stress machen vor Weihnachten. Das werde ich nicht dulden! Zumal das diejenige ich, die nicht so sehr am Leben hängt, wie sie mir anvertraut hat und seit dem 9 Jahr regelmäßig Suizidversuche unternimmt. Ich höre mir das an, weil es mir so fremd ist als am Leben Klammernde, habe aber keine Gesundheitssorge.

Dazwischen ein loyaler Mandant, der immer kommt und bar zahlt und dann soll ich was machen. Er ist sehr zufrieden mit meinen Leistungen. Er lobt mich und sagt immer: viel besser würde ich arbeiten, als die, die er früher hat arbeiten lassen. Ich bin auch mit unserer geschäftlichen Liaison. Er ist zuverlässig. Kommt pünktlich, sagt ab, ist freundlich. Manchmal bringt er mir Essen. Schnelles Schreiben, 50,- €. Das geht. Jeder bekommt den Dienstleister, den er verdient hat. Das ist schon lange mein fester Glaube.

Bekomme Fax. Ich glaube, die familienrechtliche Klage wird sich doch nicht abwenden lassen.  Manche Anwälte verstehe ich nicht, aber vielleicht vertreten sie die Interessen nur besser oder anders. Einen anderen Kollegen, der mir bis heute eine Frist gesetzt hat, rufe ich nur an. Mehr als Ratenzahlung wird schwierig und dann ohne seine Kosten und Zinsen. Er wirkt sehr umgänglich. Mittellosigkeit ist manchmal ein tolles Argument. Auf die Weihnachtsfeier bin ich auch gespannt, weil es dieses Jahr auch bedeutet, neue Leute, zumindest eine neue Mitarbeiterin kennen zu lernen. Eine wird in Kürze wieder ausscheiden. Mal sehen, ob ich jemanden beleidige oder wie der Abend läuft.

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