04.11. Heute fahren alle weg. Steffi und Sabine nach New York und Jörg und Charlotte nach Spanien.
Es ist ein langweiliger Tag, an dem ich viel Schreibkram erledige. Morgens wird die Rampe von Herrn W. abgeholt von Brandes und Diesing, die ich seit dem 03.07. mein Arbeitszimmer dekoriert.
Andrea hat schon 2 Röcke fertig von meinen Auftragsarbeiten.
So ein schnelles Mädchen und so gut. Morgens kommt das erste Foto, dann nachmittags das zweite. Die haut einen Rock nach dem anderen raus. Ich freue mich und kann es kaum erwarten meine neuen Lieblinge in Empfang zu nehmen. Ich meine, der schöne mit der Antik-Tristesse ist so was von herrlich (und es war einst ein Stoffrest vom Fairkaufhaus für 1,50 €) und der andere, da steht ja schon „Wien“ drauf.
Herr Maßregelvollzug ist wieder in die Einrichtung geflüchtet und wollte dort erst mal Essen und Schlafen und als er jetzt wieder Kräfte gesammelt hat, mischt er sie wohl richtig auf. Stationswechsel, Fixierung, alles was man sich vorstellen kann. Sozialamt droht mit Hausverbot. Es ist Chaos pur.
Abends als ich zum Sport gehe, habe ich heftige Unterleibskrämpfe (und zwar ohne erkennbaren Anlass). Da ich schon in der Umkleide bin und keinen Rückweg sehe, schlucke ich eine Schmerztablette und komme mir etwas pervers vor und ziehe dann schön durch. Ich glaube, keinen Sport zu machen, hilft auch nicht weiter. Wenn ich eines Tages aufgefunden werden und das Alien ist auch meinem Bauch ausgebrochen, dann können alle auf Buttermusch nachlesen, was Sache war.
Was ich an Hannover liebe ist, dass hier die Radwege kontinuierlich ausgebaut werden. Der reinste Luxus. Wenn man was gemacht wird, dass wird es schön aufgemotzt, knallrot wird ein breiter Streifen der normalen Fahrbahn entrissen und als Radfahrer kann man schön bequem und nebeneinander fahren oder auch mal überholt werden. Das ist herrlich.
05.11. Auf dem Weg ins Büro, wundere ich mich über die Marktständerbetreiber, die morgens um 8:30 Uhr schon Bier und auch Schnaps am Kiosk trinken. Für den Perser, der mir immer die Taz mitgibt, ein willkommenes Geschäft.
Der junge Richter, der neu im Amt ist fragt mich, ob ich eine Verfahrenspflegschaft im Friederikenstift übernehmen will, kurzfristig, heute Nachmittag. Es geht um eine 82-Jährigen und eine Unterbringung und dann auch Auflösung der Wohnung. Bevor mich wieder Herrn PM versetzt mit dem Wohnungsamt, sage ich zu. Das Ganze findet auf der 2 Süd statt, wo ich vor einigen Jahren fast drauf gegangen wäre. Gemischte Gefühle als ich die Station betrete. Ach ja, das war die Hepatitis-Toilette, wo man nicht drauf sollte und da war mein Zimmer. Ich frage nach Frau W. Das Personal sagt: sschhh. Sie weiß von nichts. Ich stelle mich vor. Ihre Freundin mit den kleinen Füßen (sie erinnert mich an meine Schwiegermutter) ist zu Besuch. Dann kommt der Richter und wir erklären ihr, dass die Betreuerin, das ist offenbar die Schwiegertochter der langjährigen Freundin (beide kennen sich seit 30 Jahren) eine Heimunterbringung für sie beantragt hat, weil die Wohnung nicht mehr tragbar sei und sie nicht mehr alleine zu Recht kommen würde. Frau W. fällt aus allen Wolken. Wer ihr da was anhaben wolle, sie habe immer ihre Rechnungen bezahlt und ihr Leben gelebt und das komme nicht in Frage, dass andere über sie bestimmen. Ihr Vater war bei der Schutzpolizei und sie mussten früher „gerade gehen“. Sie könne jedem in die Augen schauen. Das sagt sie beides mehrfach. Sie habe 19 Jahre lang als Geschäftsführerin bei Edeka gearbeitet. Sie sei Drogistin und habe ihr Leben bisher gut gemeistert. Diese Betreuerin meine es nicht gut mit ihr. Natürlich, sie trinke mal ein Bierchen, das dürfe sie doch und sie gehe gerne am Platz frühstücken, weil was solle sie alleine in der Wohnung. Ein Gutachter, den das Gericht beauftragt hat, war wohl in der Wohnung und spricht auch von Gefahrenquellen und dass es ein Wunder sei, dass noch nichts passiert ist. Der Richter will sie zur Kurzzeitpflege überreden, aber sie bleibt hart. Droht damit, sich was anzutun. Dann beschließen wir in die Wohnung zu fahren mit dem Taxi, zu viert mit der Freundin. Frau W. hakt sich bei mir ein, im Alter tue alles weh, daran müsse man sich gewöhnen sagt sie zu mir. Sehr süß. Ich helfe beiden Frauen mit den Gurten beim Anschnallen. Wir fahren nach Oberricklingen. Es stinkt nach Katzenurin, aber die Stubentür ist zu, so wie sie es uns gesagt hatte. Die Viecher haben irgendwo hingepisst, auf die Teppiche, aber sonst ist es eine ganz normale Wohnung, eher spartanisch eingerichtet, Wäsche hängt und ist nicht weggerämt, Klo braun, Kühlschrank auch, aber das kann ja nicht der Grund sein. Die Nachbarin schaut gleich, was sich in der Wohnung tut und kündigt an mit Frau W. morgen zu Edeka fahren zu wollen, wenn sie entlassen werden. Frau W. ist ganz aus dem Häuschen, ihre Püppies, das sind die beiden Katzen in der Wohnung, die Babies für sie sind. Wir fahren zurück ins Krankenhaus. Ich schlage Betreuerwechsel vor und Frau W. will das auch und die andere offenbar überfordert sei. Der Richter hat die Schnauze voll von den Ehrenamtlichen, denen man erklären müsse, dass sie nur wegen des Aufgabenkreises Aufenthaltsbestimmung hier trotzdem nicht schalten und walten können wie sie wollen. Und ich denke mir, Geld sparen durch ehrenamtliche Betreuung, so hatte das die jetzige Frau W. schmackhaft gemacht und die meldet einen dann im Heim an. Das spart nun auch kein Geld! Alle schauen auf mich und bitte, bitte, also sage ich ja und bin dann ab Morgen früh im Amt. Frau W. bedankt sich überschwänglich bei mir. Wie können sie mir danken, ich habe sie gerettet. Und ich denke, wenn ich mit Demenz (diagnostiziert 2009) und 82 Jahren noch solche Plädoyers halten kann, dann klopfe ich mir auch auf die Schulter und sage zu ihr, alles gut.
Sport muss ich heute sausen lassen. Ich rufe statt dessen meine Vorgänger an, wie wir das mit dem Schlüssel machen, weil Frau W. hat keinen und einen braucht , weil sie Morgen entlassen werden soll. Die zu mir: „Ich lege Beschwerde ein dagegen. Ich übernehme keine Verantwortung.“. Ich daraufhin. Da ist schon ihrem Wunsch entsprochen worden. (Sie ist abgelöst und hat keine Verantwortung mehr. Da braucht sie nicht Beschwerde einlegen). Erneut frage ich nach dem Schlüssel oder dem Namen der Nachbarin, die einen hat. Sie wieder: „Ich wirke bei gar nichts mit. Ich sage Ihnen den Namen der Nachbarin nicht. Ich gebe den Schlüssel nicht heraus. Ich bin enttäuscht von der Justiz und mache jetzt gar nichts mehr. Morgens heißt es, ich bekomme den Beschluss. Dann ist alles anders. Ich sehe das nicht ein…“. Ein echtes Schätzchen also.
06.11. Ich lasse mir morgens den Beschluss zufaxen und rufe bitte dann die Polizei um Mithilfe, dass sie es telefonisch mal versuchen, weil sie vielleicht überzeugender sind als ich. Die ist uneinsichtig. Da sei nichts zu machen, heißt es. Also auch der Polizist, der erst gar nichts machen und mich auf den Zivilrechtsweg verweisen will, beißt auf Granit. Ich erstatte Anzeige wegen Unterschlagung. Da wird nichts bei rumkommen, aber das muss ich schon tun, um meine eigenen Ärger Luft zu machen. Die blöde Kuh. Dann ruft der Polizist mich noch mal an, weil die Ex-Betreuerin ihm den Namen der Nachbarin gesagt hat. Ich recherchiere und finde eine Telefonnummer mit dem Namen 10 Hausnummern weiter. Das sind die Eltern der Nachbarin, die eine Geheimnummer hat, die nicht herausgegeben werden darf. Tochter arbeitet bis 15 Uhr. Dann bitte im Krankenhaus auf Station melden. Ich frage schon mal beim Schlüsseldienst was es kostet. Dann fahre ich um 13:20 in den Friederikenstift. Frau W. sitzt am Fenster und ist schon aufgelöst. Ich sage, alles gut. Sie kommt heute nach Hause, so oder so. Dann kommt der Anruf der Nachbarin. Dann Taxi und Transportschein. Ich soll mitfahren, habe aber einen Termin beim Gericht und muss sie alleine schicken.
Der Gerichtstermin, wieder eine Verlängerung dauert ca. 2 Minuten. Dann versuche ich das Scrabble-Spiel umzutauschen, weil da nur 4 mal der Buchstabe „H“ drin ist, dann 5 mal, wie in dem Buch beschrieben und daher nur 118 Steine, statt 119 und erfahre, dass die Frau von Oxfam mir nur anbieten kann, mir ein „H“ aus Pappe zu basteln. Das hätte ja irgendwann mal verloren gehen können nach dem Kauf am 01.11. Sie könne nichts machen. Ich raste aus und kündige an, nie wieder was in dem Laden zu kaufen, in dem ich schon viel Geld gelassen habe und Stammkundin bin seit der Eröffnung und sage, es ist anders: sie müssten beweisen, dass der Fehler nicht da war beim Kauf und nicht umgekehrt. Ich gehe schließlich und nehme das Spiel wieder mit und mir vor, daraus ein Mottohüttchen mit dem Scrabble-Buchstaben zu basteln und dem Satz: Ein „H“ fehlt, aber die Frau von Oxfam kann mir nur anbieten, ein „H“ aus Pappe zu basteln und das trage ich dann und einen Brief an Oxfam wird es auch geben. Ich bin richtig sauer und koche vor Wut und kann mich das so reinsteigern, dass ich denke, das ist querulatorisch.
Abends kommt eine langjährige Mandantin. Die hat auch so was, lieb, aber kann sich auch reinsteigern, wo man sich fragt, ob sich das lohnt. Deswegen mögen wir uns vielleicht auch so. Sie ist sehr reich, hat eine Immobilie verkauft und streitet sich jetzt um 60,01 € Grundsteuer. Daneben erzählt sie mir ihre Krankengeschichte, weil sie jetzt eine Zeitlang weg war vom Fenster. Darm-OP. Die Klammern am Bauch, Entzündung, es habe ausgesehen wie bei einem Schweinebraten, so gekräuselt. Und dann immer Spülen. Das habe weh getan (und ich weiß, was sie meint, lasse mir aber nichts anmerken) und ein Schwamm war da drin, der immer kleiner und unter Vollnarkose gewechselt wurde.
07.11. Heute kann ich nicht zu meiner neuen Betreuten, weil ich zu viele Termine habe. Morgens gleich Sozialgericht. Vorher hatte ich zuhause mit den Scrabble-Buchstaben gebastelt und festgestellt, der Satz geht nicht, weil es nur ein „P“ gibt und ich 3 brauche. Dabei erfahre ich von Wiki, dass Scrabble in der deutschen Version nur 102 Buchstaben hat, ich habe also 16 zu viel und die meisten davon Vokale. Alle Aufregung umsonst. Ich werde das Spiel spielen und räume es weg. Doch kein Querulantenbrief, Schade eigentlich.
Dann Sozialgericht, meine Betreute ist ausnahmsweise da und wartet schon. Es geht um eine Schilddrüsenerkrankung und ernährungsbedingten Mehrbedarf. Ein ehrenamtlicher Richter wird vereidigt und sie will wissen, ob das ernst gemeint sei. Wir haben schlechte Karten, d.h. Prozesskostenhilfe gibt es, so dass ich mir um meine Gebühren keine Gedanken machen muss. Leider hat ihr Arzt, der eine Stellungnahme für das Sozialgericht machen sollte gesagt, Übergewicht, weniger Essen hilft schon. Teurer sei das nicht. Die Richterin ist einfühlsam und meine Betreute kommt ganz viel zu Wort und erklärt, was sie alles im Internet nachgelesen hat und wie die Ärzte alle keine Ahnung haben. Ergebnis wie erwartet.
Bis zu meinem nächsten Termin habe ich Luft, gehe zum Arzt, der Blut von mir will. Lese im Geo-Heft einen Artikel über einen einsamen Schäfer in den Abruzzen oder war das Apulien? Die haben Hunde wie Kangals, aber nicht zum Hüten der Schafe sondern gegen die Wölfe. Gegen so einen Wolf kann ein Hund nichts ausrichten, heißt es so schön, aber der Wolf jagt nicht so gerne, wenn er dabei ausgekläfft wird. Sie tragen Stachelhalskrause mit Nägeln, die nach außen zeigen als Schutz am Hals. Ich werde nach meinem Gewicht gefragt. Was habe ich denn letztes Mal angegeben frage ich. Dann wieder so. 76 kg. Sie schaut so. Ich sage, das ist doch nicht kriegsentscheidend und gehe auf die Waage 77,6 mit Schuhe, also genau wie ich gesagt habe.
Termin bei dem Psychiater. Meine Betreute wartet unten schon, weil sie mich wohl auf dem Fahrrad gesehen hat. Es geht um die Verlängerung der Betreuung. Wir kommen nicht zu ihrem normalen Arzt, sondern eine Kollegin. Eine kleine Yoga-Fee. Grober Strick, zierliche Figur, niedliche Perlenarmbände mit diversen religiösen Symbolen darauf. Auf dem Rückweg halte ich bei Rossmann, weil ich meine Wollmütze, die ich in Berlin mit Heikes Hilfe genäht habe färben will. Sie sieht skurril aus und kommt gut an, nur die Farbe (beige, wie die Klamotten der Ärztin) steht mir nicht. Kann man wohl im Topf färben und Salz ist mit drin. Das habe ich nicht mehr gemacht seit Abiturzeiten.
Der dritte Rock von Andrea ist fertig!
Abends geht Stephan zu den Musikern der Scala in CCL und ich färbe im Topf. Schön blau wird das. Früh ins Bett, da Morgen Zahnarzt um 8 Uhr. Ich Angstpatientin und fand keine Ausrede als es hieß, da könne ich doch schön anschließend arbeiten gehen und jetzt habe ich den Salat. Ich meine um 8 Uhr kratzt da schon einer an meinen Zähnen. Das ist auch nicht so ganz meine Uhrzeit. Schlafe schlecht ein. Bin echt nervös und ein Angsthase. Seit Tagen esse ich weniger Süßes, weil ich die Wurzelbehandlung vor Augen habe….
08.11. Erst finde ich die Praxis nicht (war auch erst ein Mal da und das ist fast 2 Jahre her), dann liege ich auf dem Stuhl und wir hören NDR 2. Ich sage nach der letzten Zahnreinigung hätten meine Zähne tagelang weh getan, weil mein Mann verkaufe mir das immer als Wellnessprogramm. Sie tut ihre Arbeit und sagt, es sehe gut aus, mit Ausnahme der Zahnzwischenräume. Wenn ich noch anfangen zu flossen, bekomme ich eine eins.
Als dann die Ärztin mich nur nach meiner Cousine fragt und sagt, es sei nichts, bin ich in Hochlaune. Mit der Bahn fahre ich vom Lister Platz nach Oberricklingen. Erst zum Pflegedienst. Da riecht es nach Zigarettenqualm und ich lese in einer Pflegezeitschrift, ob der Einsatz von Pflegerobotern sinnvoll sein kann. Sie haben wieder einen Schlüssel. Wir sprechen über die häusliche Versorgung. Ich bekomme einen Gutschein mit für Essen auf Rädern für Frau W. Dann fahre ich zu ihr. Es stinkt erbärmlich in der Wohnung nach dem Katzenurin. Sie will zum Platz frühstücken und ich will neues Katenstreu kaufen. Ich sage, hier muss geputzt werden. Das soll die Nachbarin unter ihr machen. Ich soll die mal gleich fragen. Da ist nur der Mann zuhause und sagt, seine Frau macht es erst nach einer Grundreinigung der Wohnung. Ich wieder hoch. Frau W. ist beleidigt. Dann kann sie ihr gestohlen bleiben. Wir schauen uns ihre ganze Fundstücke, afrikanische Schnitzereien und so was an. Die seien von ihrer Nichte. Die war beim Auswärtigen Amt in Brüssel, ist aber schon tot. Herzinfarkt mit 62. Wenn die noch da wäre, würde es ihr anders gehen. Ich stimme zu. Dann stellt Frau W. fest, dass sie nur noch 5 Euro im Portemonnaie hat. Zur Bank hat sie immer die 30 Jahre alte Freundin begleitet, aber die ist jetzt nicht zu erreichen und vielleicht auch sauer, weil ihre Schwiegertochter abgesägt wurde. Na dann, würde ich doch mitgehen, oder? Was bleibt mir. Es ist Freitag um 11 Uhr. Zur Station. Fahrtkarte kaufen, kennt sie nicht. Ich kaufe nur Kurzstrecke, weil ich mich verzählt habe. Am Schünemannplatz steigen wir aus. Frau W. muss sich erst mal orientieren und ich denke, scheiße, ist hier gar keine HVB. Dann weiß sie es wieder. Wir gehen hin, gleich ruft der Mitarbeiter eine Kollegin von hinten. Dann findet Frau W. die Bankkarte nicht und zeigt wahlweise ihren Personalausweis und meine Visitenkarte und fragt, ob das nicht die Bankkarte sei. Das macht mir jetzt Angst und auch, dass sie die Mitarbeiterin so nennt, wie ihre Freundin heißt, obwohl die ein großes Namensschild an hat. Sie holt 500,- € und wir lassen die Vollmachten der früheren Betreuerin löschen und die Karten sperren. Dann wieder zurück. Jetzt will sie wirklich frühstücken. Das ist der Kiez:
In der Bäckerei fragen sie: „wie immer“ und ich schaue derweil nach Post, weil eine Bankkarte verschickt worden sein soll. Nicht mal ihr Name steht am Briefkasten. Dann gehen wir in den russischen Supermarkt, wo es wirklich andere Produkte gibt z.B. geflochtenen Rauchkäse (ich muss ein Foto machen, sie wundert sich):
Essen will man das nicht. Sie kauft ein: 1 Orange, ein paar Weintrauben, 2 Pflaumen, 1 Dose Fischsalat, ein russisches Bier, 2 Piccolo Sekt (zusammen im Karton) und einen einzelnen einer anderen Marke (Riesling), dann Käse, Brot und ein deutsches Bier, 2 kleine Feiglinge und eine kleinen Jägermeister sowie 8 mal Katzenfutter und ein mal Katzenstreu. Ich will erst 2 Tüten, aber das hätte ich nicht geschafft. Die wiegen 10 kg und fühlen sich schwer an wie Zementsäcke. Dann auf zur Wohnung. Die Nachbarin, die putzen will ist zwischenzeitlich nach Hause gekommen. Wir gehen nach oben. Immer wieder fragt Frau W. ob sie Geld geholt habe und ob die alte Betreuerin noch an das Konto dürfe. Während wir mit der Nachbarin das zukünftige Putzen besprechen sage ich, heute könne sie die Anwältin sehen, wie sie das erste Mal in ihrem Leben ein Katzenklo sauber macht. Es gibt einen kleinen Plastiklöffel, das Streu ist ein einzigen fester Klumpen, wie ausgehärteter Beton mit Kotstücken oben drauf. Es riecht beißend, aber ich kämpfe mich durch und entleere alles in die Plastiktüte, die wir vom russischen Supermarkt gerade mitgebracht haben und soll es nun in der Badewanne ausspülen. Dann trocknen mit Klopapier. Dann ist der Abfluss etwas voll und muss wir frei gemacht werden, dann das Katzenklo neu befüllen. Als ich mir die Hände waschen will, ist keine Seife da. Die Nachbarin bringt mir Pril. Während ich am Waschbecken stehe, gehen beide Püppies unter mich schon auf die Box und ich höre sie kratzen. Die haben offenbar sehr darauf gewartet, was ich mir auch schon dachte. Ich glaube bei der Nachbarin macht das schon Eindruck, wenn sie sieht, dass auch andere bereit sind anzupacken. So ist zumindest meine Erfahrung. Mit der Nachbarin geht es dann um das Austauschen der Teppiche. Frau W. meint, sie seien noch in Ordnung und will nicht und weint und fragt immer wieder, ob sie genug Geld habe, dabei hat sie sich den Kontostand zeigen lassen. Das wird noch harte Überzeugungsarbeit. Ich sage, es gibt eine Pflegegeldnachzahlung (weil seit Anfang der Jahres nicht alles gezahlt wurde, worauf sie einen Anspruch hat) und davon machen wir das und wir nehmen genau die Teppiche wie vorher und sie wird es auch toll finden. Sie sagt doch immer, dass sie keine Fernreisen gemacht habe, weil es zuhause am schönsten sei und was solle sie sich in fremden Hotelzimmern herumtreiben. Die Nachbarin sagt Frau W., dass sie bald zusammen ihren Geburtstag feiern, wie letztes Jahr in dieser Gaststätte (nennt den Namen). Frau W. will mir wieder was Gutes tun. „Wie kann ich mich nur bedanken, Schwester?“, fragt sie immer wieder. Ich denke, sie hatte eine gute Fassade und ich bin ihr auf den Leim gegangen, das heißt ich habe ihre Kompetenzen überschätzt. Es ist fast 2 Uhr. Ich fahre noch mal beim Pflegedienst vorbei und sage, dass meine zusätzlichen Betreuungsstunden aufgebraucht seien (eine Anspielung darauf, dass der Pflegedienst diese Sachleistung rückwirkend ab 01.01.2013 abrechnen und verbrauchen kann, weil ich es neu beantragt haben).
Auf dem Rückweg, es stinkt immer noch in meiner Nase, aber ich habe noch nichts gegessen, halte ich endlich bei der Kaffeerösterei mit dem Esel in Ricklingen und esse ein Brötchen und trinke einen Kaffee. Ich hatte das Fluorid einziehen lassen wollen in die Zähne. Mein Fascinator wird gelobt von der Bedienung, die sogar den Namen dafür weiß, was ich erst vor wenigen Monaten beigebracht bekommen habe. Der Laden hat einen Extraröstraum und auch Preise für den Kaffee gewonnen. Der Inhaber in sympathisch, der Laden ist nur etwas weg vom Schuss, so hinter dem Schünemannplatz. Ich rufe Stephan an, dass ich mich abends belohnen will. Fisch im Titus soll es sein.
Dann ins Büro und u.a. einen Schwerbehindertenausweis mit Begleitperson für Frau W. beantragen. Ich mache Witze darüber, dass die Demenz ansteckend ist und frage die Steuermitarbeiterin immer, habe ich das Teewasser schon aufgefüllt? Habe ich das schon gescannt? Und die Fragen sind nicht gespielt. Irgendwie bin ich auch mitgenommen und nicht ganz auf der Höhe.
Abends fahren wir nach Döhren, vorbei an den ganzen Lemmingen. Ich sehe eine Steilküste vor meinem inneren Auge und wie die Massen darauf zulaufen und sich alle in den Abgrund stürzen, aber es ist nur der Maschsee. Neben uns ist eine Weinprobe und die 17 Leute sind etwas lauter, vor allem mit zunehmendem Alkoholpegel. Ich kenne das. Die ca. 60 Jährige, der Rädelsführer ist sagt: „Hartmut sagt Du mal was zu dem vierten Rotwein, was Dir dazu einfällt“ und zu einem Jüngeren sagt er: „Du hast Dich jetzt genug blamiert. Du bist später wieder dran“. Es geht um das Raten der Weine, welcher ist welcher. Daneben bekommen wir zwangsläufig mit, dass das Spiel 0 zu 0 ausgegangen ist. Auf dem Rückweg viel Hubschrauber mit Suchscheinwerfer und ich sage immer wieder zu Passanten, die in Gruppen unterwegs sind und Schal tragen: „ohhh, haben eure Babies es nicht geschafft ein Tor zu schießen?“.
Ich sage zu Stephan: es ist eine Illusion, dass wir so sein werden wie jetzt sind wenn wir achtzig sind. Entweder vorher tot oder man kann sich auf wesentliche Veränderungen einstellen. Da macht man sich immer was vor. Wir werden andere Menschen sein, womöglich mit einem ganz abgeflachten Charakter, auf jeden Fall mit körperlichen Einschränkungen, alles wird mühsam sein und die Leichtigkeit und Arroganz der Jugend verschwunden. Er verweist auf die guten Energien in meiner Familie. Ich sage, trotzdem, wir leben auch hart und man glaubt das immer so, dass man derselbe Mensch sein wird und da macht man sich was vor. Es ist eine Fortentwicklung, so wie man mit 30 auch nicht mehr so war wie mit 3 Jahren. Außerdem ist Frau W. eine tierverrückte, kinderlose, alte Frau. So werde ich auch. Mich beim Bäcker nach jedem Hund verzehren, der vorbei geht. Aus dem Haus bei uns kommt ein älteres Pärchen. Wir kennen sie. Sie entschuldigt sich, dass sie zu viel getrunken habe und kann sich kaum auf den Beinen halten, d.h. sie fällt wie ein gefällten Baum auf die Schienen und ihr Mann zieht sie wieder hoch und legt den Arm dann fest um sie, um sie zu stabilisieren. Auch kein schöner Anblick. Plötzlich fühle ich mich ganz nüchtern und der Amoniakgeruch ist immer noch in meiner Nase.