Der Schwarzwaldausflug

Im Bühler Tal angekommen nehmen wir uns ein Taxi mit dem Kennzeichen RA NZ 66. Das gefällt mir. Die Frau fährt uns zu unserem Hotel Rebstock und ich sage nach einigen Minuten des interessiert aus dem Fenster Schauens: hier sieht es aus, wie in einer 80er Jahre Ärztesendung. Wir hieß das noch mal. Sie weiß es: die Schwarzwaldklinik. Das Hotel ist am Waldesrand gelegen und umringt von Landwirtschaft, aber keine Tiere. Das braucht man hier nicht so, zumal alles wächst wie im Urwald und die Kirschen Ende Juni schon rot sind. Gegenüber gibt es frische Himbeeren und Stachelbeeren und Kirschen sowie Erdbeermarmelade und eine Kasse für das Geld. Ich hole 2 x Himbeeren (á 2,- €) und eine große Erdbeermarmelade zu 2,50 €. Ich werde zwar mit selbstgemachter Marmelade verwöhnt von Mutter und Schwiegermutter und auch Marmeladenleihmütter (Mütter von Freundinnen), aber eine reine Erdbeermarmelade gehört hier nicht zum Programm. Bei meiner Mutter werden Früchte aus dem Garten verarbeitet, sehr lecker zum Käse ist das Vogelbeergelee oder von mir gerne genommen Sauerkirsche (SK 09 steht dann zum Beispiel auf den Gläsern) und meine Schwiegermutter macht überwiegend Mischtypen, die auch nicht zu verachten sind.

Irgendwie wissen wir nicht, was wir tun sollen und rufen meine Eltern an, mit denen wir uns an diesem Wochenende treffen werden um zu erfahren, dass ihr Navi sagt, dass sie in 21 Minuten bei uns seien werden. Sie holen uns ab. Sonst hätten wir auch schlechte Karten hier irgendwie weg zu kommen, so ohne Auto. Wir fahren dann zu den Gastgebern, die uns eingeladen haben. Andreas, ein entfernter Verwandter von mir väterlicherseits, feiert seinen 50igsten Geburtstag nach. Die Feier ist Morgen, am Samstag. Erst mal sitzen wir bei den Gastgebern auf der Terrasse und trinken leckeren Sekt mit Foto des Jubilars auf der Flasche und dazu gibt es einen selbstgebackenen Hefekranz seiner lieben Frau. Meine Mutter muss Handnäharbeiten für mich erledigen, die ich ihr mitgebracht habe. Dann müssen wir schon los. Der Sohn des Hauses muss als Fahrer herhalten. Wir sind bei meiner Cousine zum Aperitif eingeladen. Sie zeigt uns ihre Wohnung und macht Aperol Spitz, vier weitere Verwandte, aber mütterlicherseits aus Gernsbach (Ort in der Nähe) darunter meine Cousine aus England und ihr Freund sowie der Hund Bean, die dort zu Besuch sind, stoßen zu uns. Dann müssen wir im Bechters Lamm anrufen, um zu melden, dass unsere Ankunft sich verzögern wird, wir also verspätet kommen werden. Beim Eintreffen in der Gastwirtschaft mustert mich die Chefin, die schwarz-weiß kariert zu einem langen Rock trägt von oben bis unten sehr griesgrämig, aber ich mag Leute, die Emotionen zeigen und so freunden wir uns schnell an, zumal Essen und Wein sehr lecker sind und von mir gelobt werden. Alle unterhalten sich gut in dieser ungewöhnlichen Konstellation und plötzlich sind wir die letzten Gäste und müssen zahlen und uns verabschieden. Grob verabreden wir uns mit meinen Eltern für den nächsten Tag, weil sie auch was unternehmen wollen. Sie schlagen Baden-Baden vor, aber ich will rüber nach Frankreich. Gesüßte Kondensmilch in Tuben im Supermarkt ist mein Ziel und zwar am liebsten die von Regilait. Sie lassen mich bestimmen, wie ein Einzelkind, was ich in dem Moment auch bin und die Gastgeber schlagen uns die Rheinfähre vor.

Ich frühstücke eigentlich nicht, aber an diesem Samstag esse ich 2,5 dick belegte Brötchen und nehme ½ mit. Wir sind alleine im Wintergarten und es gibt sehr leckere Wurst, frisch und geräuchert sowie drei verschiedene selbstgemachte Marmeladen, die durchprobiert werden wollen und ein frisches Ei und viel leckere Butter, nicht so geizige kleine Stücke, sondern 3-4 100 Gramm Scheiben. Dann geht die Reise los. Die Laune ist bestens. Ich habe wahnsinnig Glück, dass ich noch so „rüstige“ Eltern habe, mit über 75. Die wollen nicht rumsitzen und sich ausruhen, sondern was erleben und es macht auch noch Spaß mit ihnen unterwegs zu sein. Der Vorteil des Landkreises Rastatt wird mir schnell klar. Es ist als würde man von Linden nach Wunstorf fahren und dann ist man an einer deutschen Außengrenze. Das ist schon sehr reizvoll. Man wird als Autofahrer direkt zur Fähre gelenkt auf die 10 Fahrzeuge passen. Das Ding pendelt im Sommer zwischen 6 Uhr und 22 Uhr ständig hin und her über den Rhein und der Spaß ist umsonst. Dann fahren wir über Dörfer mit kleinen Verkehrskreiseln und knallbunten Häusern nach Bischwiller und direkt in den Supermarkt. Neben gesüßter Kondensmilch kaufe ich allerhand Kekse und eine große Packung Creme Fraiche. Die Butter ist nur Supermarktbutter und erscheint mir nicht kaufenswert, zumal wir vor wenigen Wochen aus einem Pariser Käseladen die leckste Salzbutter (nicht zu salzig) namens Prairie importiert haben und ich jetzt noch Gänsehaut bekomme, wenn ich an die denke. Ich bewundere das Sortiment, u.a. riesige Dosen mit Froie Gras, wie Thunfischdosen, aber 5 x so groß und Schnecken und so was. Halt französisch. Leider lasse ich die runden weißen Zuckerwürfel (!) zurück, aufgrund ihres Gewichts für den Koffer und mangels einer Verwendung. Das werde ich später bereuen, weil es mir keiner glaubt, dass es so was gab. Nach dem Supermarkt fahren wir zum historischen Markt, wo gerade ein historisches Haus abgerissen wird. Irgendwie ist hier der Hund verfroren. Wir bekommen aber noch einen guten Tipp und landen in einem nette, urigen Lokal mit tollen, detailreichen Scherenschnitten statt Gardienen an den Fenstern und obwohl ich noch total satt bin, kommt kneifen nicht in Frage und ich esse einen leckeren Salade Nicoise mit warmen gebratenen Fischen und teile mir ein Glas Süßwein mit meinem Vater. Anschießend 2 Kaffee, damit es weitergehen kann. Bei den Gastgebern eingetroffen nutzen wir die Ruhe vor dem Sturm für eine Siesta. Ich teile ein Bett mit meiner Mama und mein Vater schläft als einziger sofort ein. Der alte Power-Naper und Mittagschlafkönner. Das Ruhen tut auch gut. Die andere Gäste treffen ein, u.a. mein Bruder und Familie und wieder gibt es leckeren Sekt vom Nachbarn und Kuchen und Kaffee. Draußen regnet es mittlerweile wie unter der Dusche und der herrliche Blick übers Tal nach Strasbourg bietet einen Anblick der anderen Art. Im Konvoi geht es nach Baiersbronn zum Hotel Löwen. Diese Schwarzwaldhochstraße mit den Serpentinen verursacht bei mir leichte Übelkeit und ein paar Kilometer fühlen sich an wie ein Tagesausflug. Im Ort angekommen, sind wir nun wirklich im Schwarzwald- hardcore. Das Hotel liegt an der Straße, gegenüber steht ein Haus, dessen Bewohner immer vor der Tür sitzt auf einer Bank und guckt, wie die Stadtmenschen älteren Datums z.T. mit Kissen bewappnet am Fenster hängen. Umziehen und vor der Tür treffen. Der Shuttleservice bringt die Gäste, die überwiegend in Tracht gekleidet sind, was ich vorher wusste, weil das Thema Bergfest lautet, nach und nach zur Hütte. Oben ist Heidi-Flair und es lichtet sich. Geheimnisvoll hängt der Nebel in den dichten, dunklen Wäldern gegenüber. Die Aussicht ist super, die Wippe aus dem alten Wagenrad wird gleich ausprobiert und es gibt Hugo mit leckeren Schnittchen. Schwarzwälder Schinken ist Ehrensache, aber ich stehe auf die in Streifen geschnittene Blutwurst. Es folgt ein vorsichtiges Annähern mit den anderen Gästen. Spätestens nach der herzzerreißenden Ansprache des Gastgebers und seinem Vorstellen der Gäste ist das Eis gebrochen. Die Gäste sind überwiegend so ca. im Alter des Gastgebers und fast durchweg sehr sportlich, sympathisch und aufs gut Essen und Trinken und Feiern bedacht. Die Nachbarn mit dem eigenen Sekt, ich nenne sie mal „Naaber“, werden in der Rede erwähnt mit den Worten, dass sie, die Gastgeber, manchmal in den Naab-Falle geraten würden. So nennen sie es, wenn sie Sonntagmorgen um 10 Uhr mit dem Hund Gassi gehen wollten und nachts um 1 angeschickert und gut gelaunt wieder werden nach Hause kämen. Wer will nicht solche Nachbarn, mit einer eigenen Sektmarke? Uns gegenüber sitzt ein gutaussehender, korpulenter Mann aus Peru, der begnadet gut kochen soll („der kocht Sachen, die man nicht mal in der Sternegastronomie zu essen bekommt“, so der O-Ton des Gastgebers) und seine Frau, die Direktorin einer Grundschule ist und strahlend blaue Augen hat. Auf Nachfrage: Die beiden haben sich in Italien auf einer Hochzeit kennen gelernt. Sehr romantisch, wie ich finde. Gruselig am Tisch sind die Zeckengeschichten, von kleinen Töchtern, von denen man jeden Abend 10 – 20 absammeln müssen, dafür reiche es einmal ums Haus zu gehen, das hänge mit dem Efeu zusammen und die seien hellbraun und ganz klein, so dass man sie ertasten müsse. Mich zuckt es überall. Mein Beitrag zur Konversation besteht daraus, dass ich keinen Hehl daraus mache, dass mir der Schwarzwald Angst macht und ich unter keinen Umstände bei Dunkelheit überhaupt oder auch tagsüber alleine vor die Tür treten würde. Das löst Erstaunen aus. Warum lautet die Nachfrage. Meine Antwort lautet, dunkler bedrohlicher Wald, undurchdringbar, steile Hängen mit igelförmigen Schokoladentrüffeln und Kindermissbrauch, das seien meine Assoziationen. Die Einheimische schmunzeln. Dann erkläre ich ihnen auch, was schön ist am Norden. Die Landschaft ließe zu wünschen übrig, aber zwischen Hannover und Hamburg gäbe es ganz viel Himmel. Ich werde dann aufgefordert außerhalb der überdachten Terrasse der Hütte nach oben zu sehen. Ja, schon klar, dass es hier auch einen Himmel gibt, aber eingezwängt zwischen die Berge und nicht in Froschaugenperspektive. Das einzige was nervt, ist Party-DJ Markus aus Karlsruhe, der davon ausgeht, dass die 50-jährigen die Hits ihrer Jugend hören wollen und zwischendurch Animationsdurchsagen macht um die Stimmung vermeintlich anzuheizen. Ich habe mich schon angemeldet für den Shuttelbus und dann spielt er den einzigen Hit des Abends, den ich echt hören will von der neuen Daft-Punk. Ich lasse den Bus ohne mich fahren und schlussendlich geht es erst gegen 3 Uhr wieder ins Hotel.

Frühstück am nächsten Morgen in skurriler Schwarzwaldoptik. Riesige braune Lampen wie rostige Absaugrohre und an der Decke statt eines weißen Plastiktülle ein riesiger geschnitzter Holzsockel an der Decke, massiv, ca. 1 Meter Durchmesser. Ich mache mich darüber lustig und kann auch die Einheimischen auch zum Lachen bringe und mache Fotos. Gegenüber vom Parkplatz sitzt der Typ wieder vor dem Haus. Abschied. Auf dem Rückweg halten wir noch in Gernsbach, idyllisches Städtchen mit Fluss und besuchen dort die ganze Familie mit weiteren Verwandten. Dort nehme ich eine Edeka-Werbebeilage mit, die mir dazu verholfen hat die Wurstfamiliencollagen zu machen. Der aufmerksame Leser weiß, was gemeint ist. Solche herrlichen Fleisch- und Wurstbilder gibt es bei uns nicht mehr als Zeitungsbeilage. Früher ca. 2000-2002 habe ich große Serien mit Wurstfamilien gemacht, aber damals taugte dazu der Real-Prospekt. Das kann man heutzutage bei uns alles vergessen. Blasse, kleine Bilder. Nicht zu gebrauchen. Meine Eltern fahren uns in Gernsbach zum Zug. Ich mag es bei solchen Gelegenheiten, wenn es nur ein Gleis gibt. Der Abschied ist irgendwie wehmütig von meiner Seite. Das liegt bestimmt am fortgeschrittenen Alter der Beteiligten und weil es wieder mal so schön und intensiv war und die Vergänglichkeit präsent ist.

Unser Zug macht viele außerplanmäßige Halts u.a. kurz nach Mannheim. Dann die Durchsage, dass es einen Brand an den Schienen gibt und der Zug zurück fährt nach Mannheim und von dort umgeleitet wird nach Frankfurt mit Verspätung über 1 Stunde. Und tatsächlich fahren wir nach ca. 40 Minuten einfach rückwärts. Der Schaffner ist älter, dick und lustig, aber auch kurzatmig. Immer setzt er sich auf einen freien Platz, wenn er in seine Maschine gucken muss, weil die alleinerziehenden Mütter jetzt ganz viel Informationen zu ihren Anschlusszügen nach Siegen usw. brauchen. Die erste fragt nach einem Kindereis, ob es dieses Angebot der Bahn noch gehen würde. Er nein, aber im Bistro gäbe es so eine Art Happy-Meal mit einem ICE drin. Dann zu der Tochter, ob sie eine Mädchen oder eine Jungsfahrkarte haben wolle und sie dürfe jetzt was ganz besonders, was die Mama nämlich nicht dürfe, ihre Fahrkarte selber abknipsen. Als er bei uns ist frage ich ihn, wann er seiner Frau Widerworte geben würde. Das hätte ich nicht ganz mitbekommen, was er dazu erzählt hätte. Er daraufhin: „Ich bekomme ja nur 5,- € Taschengeld in der Woche und samstags soll ich immer Blumen für 5,50 € mitbringen, aber seit es diese Maschinen gibt und die Fahrgäste mit Karte zahlen, kann ich mir das da immer abbuchen, ohne dass es auffällt.“ Nachdem wir schon über 30 Minuten stehen wundere ich mich über die Boxen mit dem Fastfood und frage mich, wie die aussteigen konnten und zu Mc Donalds gehen für ihre Brut, aber dann sehe ich die kleinen dicken Plastik-ICEs. Eine Mutter ist ganz pfiffig und fordert ihn nach einer erneuten Fahrplanauskunft auf, die Verspätung auf ihrer Fahrkarte zu notieren. Er darauf: und was soll das bringen? Sie will natürlich ganz viel Geld zurück und das weiß Santa Claus auch, aber er erklärt ihr: ein Feuer, höhere Gewalt und Feuer und Strom vertragen sich nicht und Strom und Wasser noch schlechter. Die Bahn müsse im Brandfall den Betrieb einstellen, weil geröstete Feuerwehrmänner würden auch nicht so lecker aussehen.

Das Wochenende fühlte sich an wie eine knappe Woche und das lag sicher an den vielen Begegnungen, den sie machen das Leben aus, worauf der Gastgeber in seiner Ansprache zu Recht mehrfach hingewiesen hat. Als Pärchen reisen ist auch schön, aber Bekannte und Unbekannte Menschen treffen macht doch mehr Erlebnishorizont, so mein Fazit.

Nach unserer Heimkehr läuft unten im Hauptbahnhof das Fahrgastfernsehen der üstra mit Bildern über den Schützenausmarsch und da fällt mir wieder etwas ein, was mir schon zu Beginn der Reise eingefallen war. Ich sage zu Stephan: lass uns diesen Schützenausmarsch als Fristsache in den Kalender eintragen, damit auch zukünftig sicher gestellt ist, dass wir nicht da sind.

Ein Gedanke zu „Der Schwarzwaldausflug

  1. Karin Alma

    Ganz, ganz herzlich habe ich gelacht über deinen tollen Bericht! Schade, dass wir nicht schon am Freitag zusammen saßen. Aber da wärest du mit Sicherheit in die Naab Falle „voll neidappt“! Das war ein sehr schöner Abend, sehr abwechslungsreich und wenn Du den entfernten Verwandten wieder besuchst, schau einfach Um die Ecke, auch dir würd die Nab Falle gefallen. Liebe Grüsse vom Badischen,

    Karin Naber

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