Leidenschaftslos gibt’s bei mir nicht

14.10. Als ich neulich zu meiner Tante sagte, da sei ich ganz leidenschaftslos, lachte die und sagte: Du und leidenschaftslos. Das gibt es gar nicht und irgendwie hat sie Recht.

Am Wochenende habe ich schon reichlich Wutanfälle bekommen wegen Herrn Maßregelvollzug, der mich wegen einer Monatskarte auf dem Handy tyrannisiert und es nicht versteht, dass ich am Wochenende nicht arbeite und es kein Notfall ist, wenn er zu einem Elektronik-Markt in Wunstorf möchte und die Klinik ihn darauf verweist, dass er dort zu Fuß hingehen kann. Seit Freitag und übers Wochenende bekomme ich bestimmt 5 SMS mit Dingen, die sofort von mir zu erledigen sind. Meine Reaktion? Vor dem Essen gehen zu Frau Hoppe am Samstag schalte ich mein Handy in Flugmodus und hoffe so, dass ich weder Sprachnachrichten noch SMS empfangen kann. Wohl ein technischer Irrglaube, aber es ist zumindest ruhig. Montagmorgen mache ich mich daran, dass alles abzuarbeiten und die ersten Anrufe erreichen mich vor 8 Uhr zuhause über die Rufweiterleitung. Ran gehen tue ich erst um 9 Uhr. Konditionierung ist alles.

Ich trage mein silbernes Taschenhütchen, was sehr gut ankommt und mehrfach gelobt wird. Auch mit selbstgenähtem Band aus dem schlimmen Stoffladen neben dem Nähmaschinenladen. Ich habe den Lurexstoffrest für 1,- € gekauft, aber es wird mein letzter Kauf dort gewesen sein. Die Stimmung ist sehr schlecht und die Mitarbeiter werden nicht gut behandelt und daher will ich den Laden nicht unterstützen, zumal mir mein Querulantentum an anderer Stelle Stoffreste per Spende meiner Freundin Andrea einbringen wird. Also Konzept voll aufgegangen. Ich werde höchstens im Fairkaufhaus zukünftig schauen,

Am Wochenende habe ich auch aus der Tischdeko meiner Schwiegermutter ein Hütchen gebastelt. „Stachelige Marone als Nadelkissen“, heißt die Arbeit.

DSC01383

Ich fahre in die MHH und der Mann hat keine Demenz, aber dafür eine organische Psychose bei Primärem Parkinsonsyndrom, Zustand nach Implantation eines Tiefenhirnsimulators. Das klingt nicht gut und sieht auch nicht gut aus. Er ist nicht auf einer geschlossenen Station, hat aber dafür eine Bettwache, die allerdings nicht zugegen ist. Begründung, er schläft und ist tatsächlich kaum bzw. nicht ansprechbar. Das sind die sedierenden Medikamente. Lustig ist dieser Termin nicht.

Auf dem Rückweg brauche ich Schokolade und kann meiner Schwägerin melden, dass die Kokos offenbar doch das Rennen gewonnen hat und am besten beim Verbraucher ankam, zumal sie hier schon im Handel zu kaufen ist.

Noix de Coco Noix de Coco 100g

Auch ja, Kinokarten für die Perlen kaufe ich auch. 3 Filme, wenn schon die Party ausfällt, ins Kino können wir vorher trotzdem. Leider bin ich unaufmerksam und lasse mir Karten für die 11. Reihe andrehen. Als Stephan dann noch für einen 4. Film über Divine nachkauft und umtauschen will gegen die 3. Reihe, behauptet der Typ vom Kartenverkauf (der über das Vornesitzen sagt: „Tennis“ wäre das) das ging nicht und sei mit mir abgesprochen gewesen. Hallo. Ich war zu bräsig und mein Mann weiß schon, was mir gefällt. Außerdem Tennis? In dem kleinen Kino im Künstlerhaus? Ähhh?

15.10. Im Büro angekommen ruft die Hausärztin von Herrn W. an und wir besprechen den Einsatz eines palliativen Dienstes, die dann qualifizierteres Personal haben als das recht überforderte und schlechte Heim. Er hat zunehmend Luftnot durch den Tumor und das wird nicht besser und es geht darum, ihm Angst und Schmerzen zu nehmen. Wohl wahr, aber alles nicht leicht. Schön ist es nicht, Hals- und Gesichtstumore und der Weg des Sterbens an sich und in so einem Fall besonders. Manchmal denke ich, dass schon der Gedanke des Todes mich trauern lässt, auch wenn die Personen, z.B. Eltern noch leben. Das geht mir beim Meditieren oft so, es sind vielleicht Gefühle, die ich sonst wegdrücke oder nicht zulasse. Es ist die Vorstellung, dass wir alle Staub sind, mit der ich meine Probleme habe, aber wenn das alles gut so und der Gang der Dinge sein soll, blah, blah, sage ich nur. Scheiße ich das, wenn man mich fragt.

Ich bekomme einen Brief vom Vermieter für eine Betreute „zur Kenntnis“:  „Beschwerde über Ihr Wohnverhalten“. Sehr geehrte Frau W., uns ist mitgeteilt worden, dass Sie andere Mieter im Haus belästigen. Sie beleidigen andere Mieter im Vorbeigehen und haben sogar gegen deren Wohnungstür gespuckt. Auch sollen Sie desöfteren bei Ihren Nachbarn grundlos sturmgeklingelt haben. Die übrigen Mieter des Hauses fühlen sich dadurch zu Recht sehr gestört. Wir fordern Sie auf, dieses Verhalten umgehend zu unterlassen und sich dem Zusammenleben in Mehrfamilienhaus entsprechend zu verhalten. Sollten Sie dieses Schreiben unbeachtet lassen, werden wir mietrechtlichen Maßnahmen ergreifen! MfG

Ich rufe sie an. Sie hat mit den Nachbarn unter ihr einen Konflikt, weil diese 2008 gedroht hatten, sie einweisen zu lassen und sie sagt manchmal „ihr taugt nichts“, wenn sie dort an der Tür im Treppenhaus vorbei geht. Das hört aber keiner. Sturmklingeln waren wohl die Kinder von unten. Sie wird sich noch mehr zusammen reißen müssen ist ihr Fazit. Ich biete auch Aussprache an, aber sie befürchtet, dass es dadurch noch mehr eskaliert.

Elisabeth geht das Geld aus und sie ist schlecht drauf. Alles klappt nicht, selbst beim Straßenbahnfahren bekommt sie immer Probleme und, dass ihr alter Arzt sie nicht wieder haben will als Patientin und ihr das nicht direkt gesagt hat, beleidigt sie zusätzlich. Als sie gegangen ist, rufe ich an und erfahre, dass sie nicht bei der Spritze war, sondern zuletzt am 10.09. Sie hatte noch gesagt, dass sie die nicht nehmen müsse, sondern freiwillig nehme. Das hatte mich hellhörig gemacht.

Bettnachbarin von Frau J., die ins Wohnheim (geschlossene Unterbringung) soll ruft an und wollte mir nur mitteilen, dass sie jetzt ein Schreiben an das Bundesverfassungsgericht eingereicht haben und dass ich meine Kompetenzen überschreite und auf welcher Rechtsgrundlage ich die Wohnung „wegschießen“ wolle und dass ich „um meine Zulassung bangen“ und mit einem fetten Schadensersatzprozess rechnen soll. Sehr charmant. Ich sage nur: „alles klar“.

Ich habe von unseren Freundinnen so tolle Geschenke bekommen, nämlich die gesüßte Kondensmilch aus Frankreich, die ich mir so gewünscht habe. Vor lauter Suchtdruck, wollte ich Samstag Stephan schon zu Edeka schicken und rückfällig werden mit Nestle und ein lustiges Buch über Stilblüten.

DSC01381DSC01382

Nachmittags kommt Herr Maßregelvollzug mit einem großen, unvorteilhaften Koffer. Ich bin diesmal alleine mit ihm. Er breitet alle möglichen Schriftstücke und Joghurtdrinks auf meinem Schreibtisch aus und entschuldigt sich zugleich mit den Worten. „Sie glauben gar nicht, wie schnell ich das wieder eingepackt habe“. Er wurde zur Erprobung entlassen und wenn alles gut geht, darf er sich Montag ummelden. Er will keinen Hausbesuch durch die Klinik, das lehnt er strickt ab, wenn dann durch mich, habe er denen gesagt. So darf ich Freitag zu dem Kumpel in dessen 1-Zimmer-Wohnung und mir einen Eindruck davon verschaffen, wie Herr Maßregelvollzug in dessen Küche schläft. Den Kumpel muss ich am Telefon noch überzeugen und ihm sagen, dass es nicht meine Idee ist und ich nicht die Wohnungsnanny bin, die Staubschichten kontrolliert, sondern es mache um meinem Schützling einen Gefallen zu tun und der Klinik zu bestätigen, dass alles in Ordnung ist, damit er dann ins Probewohnen entlassen werden kann. Ich komme mir irgendwie vor wie ein Held des Tages, dass ich mich in die Höhle des Maßregelvollzuges traue, quasi Vorstufe zu Hannibal Lector. Wenn ich Angst hätte, dürfte ich den Job nicht machen. Cesar Millan hat auch keine Hundephobie. Meiner ist ein Maulheld, d.h. er provoziert gerne und sagt auch in diesem Nachmittag Dinge wie „die müsste auch schon den Arsch zugekniffen haben. Diese Rumäninnen sind ja immer schnell verbraucht“, aber hier gilt der alte Kinderreim: „sticks and stones may break my bones, but names will never hurt me“. Er hat eine stark eingeschränkte Lungenfunktion und keucht sich die Lunge aus dem Hals, wenn er sich zu mir in den zweiten Stock hoch kämpft mit seinem Koffer mit den Habseiligkeiten. Alles ist Steintor, auch das Bürgeramt in der Leinstraße, weil auf dem Parkplatz die ganzen Luder parken, wenn man ihn fragt und wenn ich mir überlege, wer mir nah ist, dann natürlich meine Familie, aber z.B. mein Bruder führt sein eigenes Leben und die Berührungspunkte sind nur vereinzelt. Es sind schon diese Randgestalten, um die ich mich kümmere, die mir auch sehr nah sind, weil ich tagtäglich mein Leben mit ihnen teile und das überwiegend gerne und freiwillig. Vielleicht sind sie Kinderersatz. Keine Ahnung.

Schreibe einen Kommentar