Alte Äpfel

10.10. Frau S., die unfrankierte Briefe verschickt und für die ich nicht mehr zuständig bin ruft an, dass ich sie besuchen soll mit den Rentenunterlagen. Freundlich, aber bestimmt, muss ich sie darauf verweisen, dass ich es nicht mehr bin, gar nicht mehr. Ihr alles Gute wünschen und auflegen. Hart, aber geht nicht anders. Diese Bärenmutter muss ihr Junges wegtreiben im beiderseitigen Interesse. Interessanterweise gibt es eine Kollegin mit dem gleichen Nachnamen und die spürt genauso instinktiv wenn mein Kollege im Urlaub ist, wie Frau S. das Jahrzehnte lang bei mir praktiziert hat. Kaum ist der Kollege weg, gibt es Faxe mit kurzen Fristen und dann Telefonate, in denen alles möglichen an prozessualen Schritten angedroht wird, alles in familienrechtlichen Verfahren und ich darf mir dann anhören, dass sie meinen Kollegen ja mag, aber ihre Geduld wirklich am Ende ist und sie sich verarscht fühlt usw. und das auch bereits über mehrerer Urlaube und mittlerweile Jahre verteilt, so dass ich das schon lange nicht mehr ernst nehmen kann und schon die Vermutung geäußert habe, dass sie verknallt ist in meinen Kollegen und was von ihm will, die alte Stalkerin.

Der Kandidat Maßregelvollzug  hatte in der Gerichtsverhandlung und auch mehrfach danach gesagt, dass er mich nicht beanspruchen wolle und pflegeleicht sei. Nach meinen Erfahrungen ist es oft so im Leben, dass Leute die etwas besonders betonen, was sie gerade nicht sind oder auf gar keinen Fall tun werden und sich dann umdrehen und genau das verkörpern oder machen was vehement verneint wurde. Diese Weisheit bewahrheitet sich einmal mehr. Hier gibt es tägliche Anrufe mit Ansagen: Sofort zurück rufen, wenn irgendwas nicht schnell genug geht, dann gerne frustriert den Hörer aufknallen hätte ich beinahe geschrieben, aber es ist ein wegdrücken. Also wieder die alte Regel. Als er sagte, er wolle mich nicht beanspruchen, meinte er das Gegenteil. Er hatte sich gar nicht angemeldet bei der Meldestelle für Wohnungslose. Da lässt sich Frau A. nicht verarschen und ruft an und überprüft das. Jetzt hat er es angeblich getan (1/2 Std. später) und kommt heute vorbei mit seiner Ummeldung und ich soll einen Untermietvertrag stricken und dann auf seine Entlassung aus der „Ballerburg“ pochen, beim Landgericht die Beendigung der Maßnahme beantragen. Das muss alles sofort sein. Frustrationsgrenze gleich null, teilweise unverständliche Ansagen am Telefon. Termin sagt er dann wieder ab und ruft mich bis in eine private Abendveranstaltung hinein an, ob ich ein Fax bekommen hätte, weil ich ihm sagte, dass mein Faxgerät 24 Stunden am Tag für ihn geöffnet sei. Oh mann, oh mann. Auch dieser Fall will mir was sagen. Da bin ich mir sicher.

Wohnbetreuerin, die Schwangerschaftsvertretung macht ruft in einer Betreuungssache von mir an. Es geht um die Tochter, die vom Jobcenter aufgefordert wird sich um eine Lehrstelle zu bewerben , aber weiter zur Schule gehen will. Die soll selber aus dem Quark kommen und sich kümmern oder Hilfe holen. Das ist nicht zu viel verlangt. Das Ding wird bald 18 und früher haben sie mit 13 schon eine Lehre begonnen. Das schult, wenn man Dinge selber in die Hand nimmt und sie soll nicht in Watte gepackt werden, die Mutter hat selber eine Betreuung und ich kümmere mich laufend um die Leistungssachen mit der ARGE, stillschweigend, aber Anschreiben wegen Bewerbungen und Schule, da ist das junge Mädchen gefragt um die es geht oder sie soll gefälligst wenigstens selber bei mir anrufen. Bin ich zu streng, frage ich mich da.

Nachmittags kommt noch ein Anruf der Mitarbeiterin der Kollegin (Empfang steht auch meinem Telefon). Sie hat jemanden dran von einer Anwaltswerbung und der lässt sich nicht abschütteln. Das wird demjenigen noch leid tun, dass er sich hat verbinden lassen mit mir. „Hier spricht Frau Nerv von Jurio-sonstwas, ich will gar nicht Ihre  Zeit in Anspruch nehmen“. Ich: „Das haben Sie bereits getan als Sie der Kollegin nicht geglaubt habe, dass wir kein Interesse haben. Das Gespräch ist für mich beendet und die Anfrage für Sie hoffentlich damit ausreichend beantwortet.“ Ich lege auf. Stephan wäre stolz auf mich.

Als ich das Büro verlassen will, meldet sich die Sparkasse und vergewissert sich, ob ich es bin. Es geht um meine Anfrage wegen einer Immobilie. Ob das Interesse noch bestünde. Sie haben hier notiert 50-60 qm, möglichst in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung. Stimmt alles. Sie haben zwar nichts im Angebot, wollen aber wissen ob ich eine Obergrenze hätte. Was hätte ich da antworten sollen 500.000,- €? Die Obergrenze ist da, wo ich den Kaufpreis nicht gerechfertigt finde oder ihn nicht nachvollziehen kann, oder? Wir sind doch nicht in Manhattan, auch wenn alle auf Linden Mitte durchdrehen.

Heute hat Schwägerin Geburtstag und es wird gegrillt, das macht mein Schwiegervater, Fleisch und vegetarische Grillware aus der Schweiz von Migros. Wir fahren zum Flughafen und holen sie mit ab, d.h. wir treffen dort ihren Ex, mit dem sie eine Freundschaft verbindet. Meine Schwiegermutter hat echt lieb die Tafel dekoriert. Herbstlich.

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Die Maronenverkleidungen sind sehr stachelig und haben innen ein Samtfutter eingenäht. Es kommen Freunde von früher, eine Clique, die ich nicht kenne mit Nachwuchs und es wird ein kurzweiliger Abend. Wir testen Schweizer Schokolade. Die Erdbeer mit dunkler Schokolade gewinnt, dabei mag ich die Kokos mehr. Wir werden dann sogar mit dem Auto nach Hause gefahren vom netten Ex. Wir sprechen über meine Probleme mit Versicherungen, denen ich misstraue und, dass wir generell nicht an sie glauben. Dafür haben wir schon eine Grabstelle gekauft. Das sei eine viel bessere Investition.

11.10. Ich gebe die Worte Kamel und Spinne ein und so was gibt es: eine Kamelspinne. Voll der Horror. Ich bin weit von Heilung entfernt und total geschockt für den Rest des Tages.

Die Arztpraxis von Elisabeth von früher ruft an. Die vergeben keine Termine und erwarten, dass die Leute 1,5 Stunden vorher kommen und warten und dann kommen sie ran. Elisabeth will trotzdem wechseln und behauptet der Arzt brauche meine Zustimmung zum Arztwechsel. In Wirklichkeit wollen sie sie nicht mehr behandeln.

Es regnet in Strömen und Stephan zwingt mich in den Regenponcho.

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Im Büro angekommen weiß ich, das Ding werde ich nie wieder anziehen und nicht nur, weil die Mitarbeiterin der Kollegin sich tot lacht, sondern weil ich mich so was von unwohl fühle und damit nicht zu Recht komme mit so viel Funktionskleidung und die Arme sind in Schlaufen. Es ist nichts meins. Dann kann ich ja gleich in die Fraktion Fahrradhelm wechseln.

Morgens kommt eine Betreute vorbei, die ich auch lange nicht mehr gesehen habe. Jetzt hat sie offenbar eine Krise und ich bin da. Das zeichnet mich irgendwie aus. Sie hat einen Energydrink in der Hand und neue Geldprobleme angehäuft und ich schreibe in ihrem Beisein und wir führen Telefonate und machen einen Masterplan mit Raten für die nächsten Monate. Sie ist sehr aufgedreht, hat viele politische und religiöse Themen. Der Bischof, „der 300 Millionen für seine Hütte“ ausgibt, warum der kein schlechter Gewissen hat, wenn parallel Menschen in Afrika hungern und wie ist der in die Position gekommen, was hat das mit Jesus-Lehre zu tun. Sie hat keine Manie, die Diagnose war von Anfang an verkehrt, sie ist hochbegabt und daher sehr aufnahmefähig und sensibel (bei mir im Zimmer riecht es muffig) oder wahlweise die Hormone sind schuld und sie muss zur Heilpraktikerin. Von der Arbeit ist sie freigestellt, aber die haben auch alle einen Knall, Perlen vor die Säue. Dann geht es wieder um den Studienabschluss um den sie betrogen wurde. Ich versuche etwas gegen zu lenken, soweit mir dies möglich ist und dringe auch z.T. zu ihr vor. Warum das so wichtig sei mit der Diagnose, ist doch egal, ob Hormone oder Manie. Warum sie das so kränkt? Genauso mit dem Abschluss. Jedem passiert Scheiße, es kommt darauf an, weiter zu machen und darüber hinweg zu kommen, sonst hat man als Rentner noch die Kindergartenthemen und sie hat Berufserfahrung, irgendwann interessiert sich keiner mehr für das Abi-Zeugnis. Sage ihr, dass ich ohnehin glaube, dass wir alle auf einer Skala von 1 -10 hetero- und homosexuell seien sowie krank und gesund. Was spiele das für eine Rolle? Sie lacht oft über was ich gesagt habe und schaut sich alle Collagen und Bilder in meinem Büro genau an und kommentiert sie. Auf einer Postkarte von Rafael, Madonna und Kind, findet sie Jesus ganz schlimm. Sieht aus wie ein alter Mann. Dann geht es um Konzerte, kennen Sie Zytanien, Frau A. fragt sie mich und zeigt mir Autogramme auf ihrer Handyhülle von einer Punksängerin mit einer extrem langen Zunge, die bei ihr im Ohr gelandet sei bei einem gemeinsamen Foto. Sie will die neue Margot Käsmann sein. Die sei ehrlich gewesen und ist weg vom Fenster und dieser Bischof, der wird durchkommen dabei und das regt sie so auf. Ich sage, die Kirche sei eine Institution und nicht eine Ansammlung von Jesus Freaks, ob ihr das noch nicht aufgefallen sei. Ich hoffe, das geht nicht schief. Sie hat einen Freund. Der ist Arzt.

Ich muss los. Fahre ohne die geht-gar-nicht-Regenbekleidung und werde erbärmlich nass, aber alles ist besser als das. Herr W. kommt nicht zum CT. Transportschein war falsch ausgefüllt.

Leberarzt

Mir hat keiner aus dem Heim abgesagt, so dass ich umsonst durch den Regen gefahren bin. Seinen Perso hatte ich gestern beim Amt abgeholt und alles war so schön durchgeplant. Beschwerdefax wird folgen. Das hätte alles geregelt werden können und führt dazu, dass Untersuchung um 20 Tage verschoben wurde auf den 31.10.  zum Nachteil meines Betreuten.

Finde wieder herrliche Wäsche, aber diesmal kaufe ich nicht. Wäre wieder ein Modell Luisa.

Schwitzableiter

Besuchserlaubnis für Herrn I. im Knast ist in der Post. Neue Verfahrenspflegschaft MHH. Der Typ ist erst 1952 geboren und hat Demenz. Lustige Termine nächste Woche sind also garantiert.

Ich freu mich auf das Einigeln am Wochenende bei dem Wetter. Schön basteln und keinen rein lassen und beim Klang des Telefons laut sagen: „ich bin nicht da“. Vorher will ich noch mal zum Sport. Zwei Frauen haben heute mir gegenüber über Kopfschmerzen geklagt und es aufs Wetter geschoben und auch beim Kundalini-Yoga haben 2 von 3 Frauen Kopfschmerzen. Die habe ich nie. Was für ein Glück ich habe,  was für ein glückliches Leben ich führe. Was mir am Ende dieser Woche auch noch mal klar wird. Paare, die alles über ihr Kind laufen lassen, finde ich schwierig. Sie hat Geburtstag und feiert aber ohne Mann mit Schwester und dem Einzelkind auf Sylt. Die Kinder werden als Partnerersatz benutzt oder auch missbraucht. Das haben wir uns gespart durch keine Kinder. Auch wenn ich manchmal schlecht gelaunt bin, ist bei uns in der Beziehung trotzdem noch eine Beziehung vorhanden und wir sind nicht nur Eltern, die um das Kind kreisen. So waren meine Eltern allerdings auch nie. Da habe ich als Kind immer gespürt, dass es diese Paarebene zwischen ihnen gibt und das war auch gut so.

Beim Kauf der Bettwäsche haben wir das Neuste gesehen oder für mich neu: Scary Dolls oder so ähnlich nannte sich das. Es waren Puppen, die Knochenbeine hatten und dann wie Tussis angezogen waren hinter Folie in einem Karton. Stephan sagt, schön magersüchtig. Ich musste die Woche öfter daran denken. In den USA haben wir mal Äpfel in die Schule mitgenommen. Die haben wir auf ein Regal gelegt und trocknen lassen. Dann konnte man prima Alte-Leute-Puppen daraus basteln. Die sahen richtig authentisch aus. Bei uns ist es nicht anders als mit dem Apfel. Wenn die Feuchtigkeit schwindet, dann graben sich tiefe Furchen ins Gesicht und bestimmen den Ausdruck, formen ein neues Gesicht. Meine Oma hat immer gesagt, für Dein Gesicht mit 20 kannst Du nichts. Für Dein Gesicht mit 70 schon. Ich sehe meine fiesen, bösen Stirnfalten und weiß auch, warum ich die habe.

Ich schwänze den Sport, weil es regnet und ich die Uhrzeit auch falsch abgespeichert hatte und läute gleich das Bastelwochenende ein. Der Samstag besteht dann auch konsequenterweise nur aus Kalenderbasteln und Hütchen basteln und Häuslichkeit und abends gehen mit zwei Freundinnen zu Frau Hoppe. Erst um 4 Uhr morgens sind wir wieder zuhause. Das Restaurant ist klein, sehr ansprechend und abgelegen gegenüber der Bahnstrecke an einer Ecke gelegen (geheim, wie der Taxifahrer bemerkte). Wir essen sehr lecker, Rote Beete Carpaccio mit Ziegenkäse, dann Bohneneintopf mit Salsiccia (nicht versalzen die Wurst, sondern köstlich). Die vermeintlich rote Bohnen sind Oliven mit Kern. Wenn man das weiß, hilft es beim Essen. Die warme Vorspeise ist schmackhaft und befriedigend und hätte auch als Hauptspeise getaugt. Dann esse ich Rotbarbenfilets auf einem Orangen-Fenchelsalat. Auch köstlich sowie das Kalbsgeschnetzelte mit Rösti und die geschmorten Kalbsbäckchen, zart und mit köstlicher Sauce. Die Gastgeberin ist unsicher und denkt, es schmeckt uns nicht als wir Teller tauschen, dabei machen wir das immer und natürlich gerade wenn und weil es lecker schmeckt. Wulf wohnt um die Ecke und im Halbstundentakt patrouilliert die Polizei (und wer zahlt das bzw. wie kann das gerechtfertigt werden? Leserbrief?). Auf einen Absacker schauen wir uns Gut im Getränkeladen an. Es gefällt mir besser als in den alten Räumlichkeiten, auch wenn die schöner waren, ist es hier urban und mehr Großstadt. Ich suche allerdings was zum Tanzen. Rumsitzen kann ich auch zuhause.

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