Malvasia in der sinkenden Stadt

22.10. Fast 21 Jahre ist es her, dass wir geheiratet haben und sind nach Venedig gefahren ins Hotel Rialto, das weinrote direkt an der Brücke und morgens die Holzläden aufgemacht und dem frühmorgendlichen Treiben der Versorger zugesehen, Zement, Baustoffe, Lebensmittel, alles muss per Boot angefahren werden. Hat uns Marc damals zum Flughafen gefahren? Der Boot hing tief im Wasser, gefühlt unter der Wasseroberfläche. Die Palazzi am Fluss und damals war Maskenball und es war wie für einen Film gestellt. Im Flugzeug sieht die Wolkendecke aus wie eine Schneelandschaft. Dann im Sinkflug Berge schroff und spitz mit Nebel dazwischen in ein rosa Licht getaucht, spektakulär, wie ein asiatisches Gemälde. Viel Wasser, dazwischen Inseln, aber unbebaut. Heidekraut bildet ein Teppichmuster, dazwischen schlängeln sich Wasserstraßen wie Schlangen. Stephan erkennt den Lido, langgestreckt. Eine abgesteckte Fahrstecke für Schnellboote. Nein, der sind keine Fischer, die Spalier stehen, der sich Holzpfeiler. Alle wollen mit der blauen Linie fahren, wir warten auf Orange. Der Verkehrsverbund fordert einen auf das schönste Vaporetto-Foto einzusenden für einen Kalender. Das passt doch. Der Mondschein glitzert auf der Wasseroberfläche, das Abbiegen in den Kanale Grande, dieser Blick, am Ufer laufen schwarze Gestalten, der morbide Charme der Stadt hat einen gleich wieder im Griff.

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Antonio trifft uns an der Rialto-Brücke und nimmt uns mit (Stephan kennt der Eingang von Google) und stellt uns seiner Frau vor. Er hat viele Regeln und zeigt uns die Sicherungen und die Gummistiefel unter dem Waschbecken im Bad. Die Stangen, die die Stoffbahnen an den Fenstern beschweren. Er will uns zeigen, wie das funktioniert und hat lange daran getüftelt, aber die Metallstange fällt heraus und zu Boden. O.k., das dann nicht machen stellt Stephan fest und wir müssen alle lachen. Ich würde das gerne zunähen und ihn überraschen. Seine Frau macht sich etwas über ihren Mann mit seinem Vortrag und Regeln lustig. Seit 40 Jahren sind sie ein Paar, die erwachsenen Kinder leben in Mailand, der Sohn ist Architekt und die Tochter Ärztin, in der Wohnung hängen Kinderbilder. Er hatte schönes Haus bei Mailand, aber es zieht sie in die Berge. Cortina? Ich frage erst „is that a cheese“ (in Deutschland Frischkäse no name Konkurrenz zu Philadelphia fällt mir später ein), dann weiß ich es wieder: da war ich schon Skifahren mit Schwoerers in den Dolomiten, damals. Sie wohne an unterschiedlichen Orten. „When does that happen“ will Stephan wissen, so ca. nach 30 Jahren offenbar, dann haben wir noch 3. Irgendwas von einem heiligen Berg, den er brauchte und ich sage: „you’re a mountain guy“ und er muss lachen, er sieht aus wie ein Bergsteiger, lang, hager, zäh und der schwer bepackte Rucksack steht aus dem Sessel im Wohnzimmer. Wir sollen die Tür nicht aufmachen für Fremde gibt es uns noch mit und wenn er es ist, will Stephan wissen.

Wir verlassen zusammen die Wohnung, das Wasser ist nur wenige Meter entfernt, durch seine Bewegung, die nachts durch das Funkeln der Lichter bestimmt wird, lockt es einen. Hier am Platz, umringt von alten Arkaden war mal ein Markt, nebenan ist Wochenmarkt. Es gibt einen eckigen Turm und es sieht aus wie der Markusplatz in Klein. Ich bin gleich verknallt.

Wir bekommen 2 von 13 Plätzen. Die Franzosen am Nachbartisch, zwei Männer eine Frau, wollen noch eine zweite Flasche Rotwein, aber die mit den Schwänen ist alle, in Richtung Bordeaux, teuer und schlecht also. Ich lästere viel. Das Lager ist um die Ecke und von dort holen sie Sachen. Die Inhaber sind ein Pärchen, sie macht eine ernste Miene, es läuft Schweizer Jazz-Radio, überhaupt läuft oft anstrengende und traurige Musik zum Essen. Sie bekommen Streit, den sie draußen vor der Tür austragen. Touristen, ein unscheinbares Paar mit Teenagertochter haben sie um die Zeche geprellt (was man sich nicht so recht vorstellen kann) oder irgendwie hat die Bezahlung nicht geklappt, sie rennt raus nachdem sie in den Umschlag geschaut hat, aber die sind schon vor 10 Minuten gegangen. Sie müssen ganz viel außen abbauen, die Tafeln, die Glaslampen, die vielen Pflanzen, z.T. Hängepflanzen und immer dort zickigen sie sich an, man hört es nicht, sieht es nur. Es gibt Butterkekse, die man in Süßwein dippt in S-Form, d.h. ein recht offenes S mit wenig Kurven nach außen. Es ist die Form des Canale Grande. Noch ein schneller Sprung aufs Vaporetto, wir schlendern zurück durch ein studentischen Stadtteil. So was haben wir damals, als wir selber Studenten waren gesucht und nicht gefunden. Sehr große Kirche, die wir am nächsten Tag für 3,- € besichtigen. So was haben die hier gebaut als Columbus Amerika entdeckt hat stellt Stephan zu Recht bewundernd fest.

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Das Schlafzimmer ist schön dunkel und die Gardinen in den venezianischen Farben, wie ich sie nenne, blau, rot grün. Die Wohnung ist geschmackvoll eingerichtet und es gibt auf ein Schlafzimmer 2 Bäder und einen Bewegungsmelder mit einem dezenten Licht im Flur. Meine Eltern würden es lieben hier. Schöne Details, auch Murano lässt schon grüßen u.a. an den Türgriffen.

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23.10. Morgens stehe ich immer früh auf und mache Collagen. Es ist die schönste Zeit des Tages. Ich koche mir Tee. Die Gastgeberin hat uns Kekse in den Schrank gestellt „con burro“ von einer Mathilde Vincenzi und die nehme ich am Ende der Reise mit nach Hause und genieße sie in Hannover.

Der Platz hinter dem Wohnzimmer ist beliebt für Touristenfotos (wie wohl fast ein jeder Platz der Stadt) und man kann sie beobachten, wie sie sich wechselseitig ablichten und hat eine öffentliche Toilette (die Hinweisschilder führen uns nach Hause), es gibt außerdem einen Laden mit stylischen Lampen sowie einen Blumenladen, der unseren Namen trägt. An der Rialtobrücke ist eine riesige Dieselwerbung, die auch sehr beliebt ist als Fotomotiv.

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Wir suchen das Café auf Stephans Plan, was bei uns um die Ecke ist und schon um 8 Uhr geöffnet hat und gehen in ein Eckcafé als ich die Geduld verliere. Gehen in den ersten Palazzo mit polnischer Kunst. Eine Installation, die aus geschnittenen T-Shirt Fahnen bastelt, mal polnisch und mal deutsch. Dahinter läuft ein Video. Dann der erste Palazzo (Tiepolo Passi) mit Glas. Kissen aus Glas, die man sogar vorsichtig anfassen dürfte. Der Glasstuhl steht auf dem Kissen. Herrliche Räume, der Blick, der Fußboden und de Türen sehen aus wie ausgehängt, aber die sind schräg und im Fußboden befestigt. Leider habe ich das nicht vernünftig fotografiert.

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Der nette Typ mit dem Retroschmuck, der mein gutes Auge lobt. Der Goldring, der nicht aus Gold ist, was auch klar ist beim Preis, muss noch mal rausfinden welches Metall das ist. Lobe wieder den Terrazzoboden. Der sei mit Schweineblut und Sand gemacht, ist das Seemannsgarn frage ich mich. Ich kenne mich aus mit Blut und das verliert die Farbe. Anderseits in Lübeck erzählen sie was von Ochsenblut. Vielleicht ist da was dran. Er betont immer Männerschmuck. Wächst mir dann ein Penis, wenn ich den Ring trage. Er empfiehlt sein Stammcafé an der Ecke. Da ist ein Plan der ganzen Collateriali mit Beschreibung und Öffnungszeiten an der Wand. Den sehen wir nicht, aber gibt es tolle Tramezzini (unsere ersten) und ein Sandwich mit frittierter Zucchini-Blüte, von dem ich die ganze restliche Zeit schwärmen werde. Ein Dandy sitzt am Tresen und trinkt ein Bier, er hat zwei sehr gut frisierte Cocker und die Cocker auf dem Tertazzoboden ist ein Traum (leider ohne Foto, außer in meinem Kopf). Ich glaube wir gehen noch in ein Museum (Ca‘ Rezzonico) und ich denke, Fotos sind verboten und das war aber nur auf den Blitz bezogen und mache keine Bilder von den tollen Intarsien-Tischen mit Tieren, u.a. Hase, Ratte und Schnecke. Es gibt Meißen-Tassen wie Alice im Wunderland und eine alte Frau mit hängender, faltiger Brust in die eine Schlange beißt in Marmor. Auch schön.

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Basilica Santa Maria Gloriasa dei Frai und noch eine Kirche dabei mit sehr perspektivischem Deckengemälde (San Pantalon), unerwartet und „Learn by the Masters“ im Palazzo Bembo, gleich bei uns gegenüber. Große Ausstellung, bekomme Stofftasche geschenkt vor einer Frau, die da arbeitet und mich offenbar sympathisch finde. Sie erzählt, dass sie es einen Teil 2 gibt und erklärt wo der ist und, dass sie eine Stiftung seien, die ich mit den Themen „space, time and existence“ (wenn ich es mir richtig gemerkt habe) auseinander setzen würde und ich: na dann, das ist ja quasi unerschöpflich. Stephan gefällt Eternal Light und sie erzählt, es waren gestern Russen da und der Typ will sich das für zuhause machen lassen. Seine Frau mochte es gar nicht, aber er solle machen. Ins Apartment und den Prosecco töten. Dann essen gehen. Auf dem Weg kaufe ich zweifarbige Schuhe, die hier gefertigt werden. So bequem. Handschuhe habe ich morgens gekauft und neben mir eine Frau, die mit ihrem Freund österreichischen Dialekt spricht. Sie haben die Koffer dabei Ich sage: die Handschuhe hätten Sie auch in Wien kaufen können. Sie versteht den Witz und sagt: sie sei aber nicht aus Wien. Sie ist humorlos, der Freund guckt interessiert.

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Die Suche nach dem Restaurant, wir laufen systematisch die Gegend ab, ich wäre hier verloren. War eine Empfehlung aus Slow Food, aber irgendwie Nepp, sehr schwer zu finden, so dass wir es dann sofort nehmen. Tischsets aus Papier, ein Kellner, der in allen Sprachen schreit und einen Meeresfrüchtesalat bei dem die Tintenfische mit Gehirn serviert werden. Stephan macht auf Hardcore, aber noch nicht mal mir schmeckt es. Der Kellner an der Aufschnittmaschine tut so als würde er vögeln, wenn er Schinken aufschneidet. Der Limoncello ist lecker. Wir kriegen zwei, weil sie die Beilagen nach dem Essen serviert haben.

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Ich habe eine Idee für meinen Biennale-Beitrag. Cocker gegrillt, in der Mitte aufgeschnitten mit Gehirn und die Kellner die servieren haben Cocker-Frisuren.

24.10. Beim Basteln fällt ein Groschen. Vor 25 Jahren habe ich ein Foto gemacht vor einem Plakat: Caputo und Grundig. Das ist eine Elektrofirma in Venedig und die gibt es immer noch.

Das Eckcafé was ab 8 Uhr geöffnet hat serviert keinen Kaffee, nur Wein. Das ist auch gut. Die kleinen Schnittchen sehen toll aus, aber wir gehen weiter. Wir denken bis mittags, dass wir eine Stunde länger hatten, aber die Zeitumstellung ist erst Morgen. Haha. Wir entdecken ein tolles Café mit Croissants Integrali con Miel und hier ist alles lecker und schön im Stehen. Die machen Kaffee für andere Häuser entdecke ich im Laufe der Zeit und haben es echt drauf.

Viele Palazzi, der Palazzo Fortuny ist toll und ich hätte länger ausharren sollen, die Sonnenterrasse und auch der Aquarellfilm auf roten Kinostühlen wie ein animiertes Stillleben, At Night heißt der Film und zeigt Szenen, die einen berühren aber auch die Vergänglichkeit. Fängt an mit brennender Kerze Holzhaus, Lichter gehen an und aus, Boote aus dem Wasser, erleuchtete Brücke, Riesenrad, Sterne, immer wieder Menschen, die die Augen schließen und die Falten werden tiefer und die Entspannung wohl auch, das loslassen, Schlaf, ein Weihnachtsbaum mit Lichtern, am Ende geht die Kerze aus und es gibt Rauch, der auch vergeht. Den hätte ich noch mal schauen sollen. Er war das schönste für mich. Man Raysee ist ein Franzosen, der nur bedingt Sachen machte, die mir gefielen. In dem Pavillon von Aserbeisschan ein Verarschungsvideo, in dem erklärt wird, dass man einen Stoff gefunden hat, der sich um die Holzpfeiler legt und diese versteinern lässt um Venedig zu retten. Ein anderer Tourist hält es für echt. Das ist Kunst und keine Wissenschaft. Eine Katze im Garten entdeckt den Spiegel.

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Glasstress beeindruckt mich schwer. Der 5 Meter hohe Lüster aus schwarzem Glas mit gläsernen Überwachungskameras, auch die Hieronymus Bosch artigen Tiere, das Wurstkreuz vom Erwin Wurm, die gläsernen Krücken, die Spielothek Kirche und die bösen Marionetten. 4 Tramezzini und 4 Cafe für 10,- € im Stehen am Tresen. Überall spielen sie zum Essen traurigen Jazz. Musik, dass man heulen will.

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Um 16 Uhr nach Hause und dann auf die Insel zum Essen. Zuerst noch die Gegend um das Krankenhaus. Flohmarkt macht keinen Sinn, wenn man die Sprache nicht kann. Second Hand ist mir zu teuer, 250 € für alten Wollmantel. Da habe ich besseres und ja auch schon eingekauft. Schönes Pflasterparkett haben sie hier, gut zum Laufen. Die Bootsfahrt ist toll und an kleinen Inseln vorbei auf denen nur Ruinen stehen. Außerdem uns nur 6 andere Gäste. Die Frauen, die hier kochen sollen haben schlechte Laune und Streit mit den männlichen Kollegen. Die Wassergläser sind schön und passen gut in die Hand (nicht rund, sondern angepasst). Mit den Dorfjugendlichen und einem Hütehund fahren wir zurück.

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Zuhause merke ich, ich habe mein Seidentuch verloren, was ich immer auch nachts trage, (und was ich jetzt noch mehr liebe, ist klar). Im Bett fällt mir ein, dass Stephan in der Kirche bei uns um die Ecke war und die kostete Eintritt und das wollte ich nicht und habe auf den Stufen gehäkelt und zu ihm gesagt: Du gibst den falschen Leuten Geld. Mein Hintern wurde kalt und ich hab das Seidentuch untergelegt und er kam raus und fragte, ob ich schon Geld bekommen hätte. Ich springe auf und wir gehen Schokoladenwerkzeug einkaufen für einen Haufen Geld, aber es ist toll gemacht und die Schrauben sind funktionstüchtig, außerdem hoffen wir damit Daheimgebliebenen eine Freude zu machen. Mein Schwiegervater bekommt eine Wasserzange, weil er davon wohl eine Sammlung im Keller hat, laut Stephan. Dabei ist es passiert. Ob es Sinn macht jetzt zu schauen, mitten in der Nacht. Stephan verneint und steht dann halb wütend, weil ich nerve auf, ich springe in eine Leggings und begleite ihn. Das Metallgitter vor der Kirche ist offen, auch wenn sie geschlossen ist, das hatten wir schon mal ausprobiert und mein Tuch liegt auf den Stufen, farblich getarnt. Ich kann mein Glück nicht fassen und Stephan meint, ich soll Morgen eine Kerze anzünden.

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25.10. Bemerkenswert sind Menschen, die alleine in einer Gondel fahren bzw. sich fahren lassen und sich ausschließlich mit dem Selfiestick beschäftigen. Stephan verrät mir als wir schon losgegangen sind, dass ich heute zuständig sein soll. Ungünstig. Dann machen wir erst mal die beiden Palazzi, die ich gestern nicht mehr geschafft habe. Museum Academia, ich denke, dass gefällt ihm. Alte Meister. Wimmelbilder der Renaissance-Zeit. Guggenheim hätte man sich sparen können. Voll mit Touristen und ich wollte rein wegen Jackson Pollock. Das sind 3-4 Bilder. Eine Möwe glotzt dreist zum Fenster rein. Erst hat mein Mann keine Meinung und anschließend dann schon und weiß, dass hätte auch Montag offen gehabt.

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Ich verstehe die Länderpavillons nicht. Scheinen einzelnen Geldgeber zu sein, die einen Kurator sich nehmen oder sich irgendwelche Künstler holen, wie Manchester United. Ich bin vielleicht zu sehr Expo, dass ich denke, es sollte einen Länderbezug geben. Ich hätte auf jeden Fall Harland Miller genommen. „Wake up and smell the coffin“. Die Bilder hätten herrlich in einen Palazzo gepasst, überhaupt sieht hier gut aus, auch Altpapier an die Wand genagelt hätte was Erhabenes. Apropos Altpapier. Ich liebe die Müllabfuhr auf Booten.

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Mit dem Boot fahren wir am Bahnhof vorbei. Schlimm, wir haben Autos gesehen. Krankenwagen, die sammeln die Reste vom Marathon ein. Wir fahren vorbei am jüdischen Stadtteil, Menschen essen Vorspeisen am Kanal. Ich will aussteigen. Restaurant Ganm Gam. Es gibt Hummus mit Fleisch und Pinienkernen, was Larissa und Sabine neulich für mich gekocht haben und totleckeren Tee aus Ingwer, Minze und eine Zimtstange, dazu koschere Kekse. Der iranische Pavillon gefällt mir am besten. Saddam Hussein in Space, die Assemblagen zur Seidenstraße und eine Video mit Filmausschnitten von heulenden Frauen mit Scheibenwischern davor. Das würde Christoph Giradet gut gefallen könnte ich mir vorstellen.

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Boote wie Autos von der Tür parken, große Schlüsselbundanhänger mit einem Außenbootmotor von Honda (wollte ich mir eigentlich kaufen, aber gut, das nicht), die oben schwimmen, wenn man sie ins Wasser fallen lässt, wie mir Stephan erklärt, falls man sie vor der Haustür fallen lässt. Die wirklich vielen Hunde haben keinen Baum zum gegenpinkeln und wenn sie Dominanzscharren ist es zugleich Nagelpflege. Die Hundekacke ist mitunter auf den Brücken verteilt wie Nutella. Manche Häuser haben eine private Brücke aus Stein zu ihrem Haus. Das Geheimnis der Thunfischtramezzinis ist mir jetzt auch klar. Es ist die feine Creme, die sie daraus machen, wahlweise mit Olive oder Perlzwiebeln. Die italienischen Männer erinnern mich langsam an Cocker, gute Frisur, große Nase und Ohren, nahe am Wasser gebaut, also emotional und selbstverliebt. Die Italiener lieben sonst Dackel, die unerzogen alle tyrannisieren. Das macht allerdings die allerbesten Mischlinge. Da sind wir uns einig, mehr kurzbeinig und wenn der Dackel sich durch die Cocker vögelt, tut es beiden Rassen gut. Der Cocker ist nicht mehr so dröge und der Dackel entspannter und verträglicher.

Der riesige Drahtkopf in der Kirche San Gorgio Maggiore und die verzerrten Marmorköpfe nebenan sind sehr toll. Daneben klassisches Glas und man versteht, wie die Fährte gelegt wurde für die Glasstresskunst von heute. Auch in den 50ern hat man hier schräge Sachen aus Glas gemacht. Dann die Fotoausstellung in der Galerie Tre Oci aus der Perspektive von Frauen, auch hier schaue ich im Nachgang gesehen, nicht gründlich genug. Stephan bekommt auch einen tollen Mosaikfußboden.

Verkehrte Welt. Wir drängen uns im Urlaub auf überfüllten Booten und dann denke ich, warum servieren die nicht Chai auf ihren Fähren, wie die Türken. Das ist viel entspannter und besser.

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Langsam schnalle ich auch, wie krass der Kontrast ist: die Menschenmasse, die sich wie aus einer Tube gedrückt durch die Haupttouristraßen drücken und wenn man einmal um die Ecke biegt, ist man alleine. Georgstraße mündet direkt im Dunkelberggang quasi.

Abends gehen wir in eine szenigen Laden (Al Timon) mit leckeren Weinen und Cichetti. Das sind kleine Schnittchen, liebevoll dekoriert, eine Scheibe Weißbrot mit Fischpaste oder Käse und eine Anchovie, die aber nicht fischig, sondern lecker säuerlich schmeckt. Sie kosten alle 1,- € und man sucht sich welche aus am Tresen und wir trinken uns durch die Weine. Sie sind alle gehalten von einem Zahnstocher, was eigentlich praktisch ist, es sei denn man will sie teilen, wie wir. Das jüdische Essen war recht spät und wir sind noch satt. Probieren es trotzdem in einem Restaurant, aber wir bekommen keinen Tisch und Morgen, also Montag, haben die zu. Die einzige Frau, die hier arbeitet mag mich und ignoriert Stephan eher. Es gibt natürlich auch viele Touristen, wie überall und die Studenten gekommen Hauswein in Plastikbechern und setzen sich auf ein angrenzendes Boot. Sehr stimmungsvoll und lecker. Das Trzesniewski von Venedig quasi. Als ich Mirjam in Hannover eine Cichetti-Bar vorschlage sagt sie zu Recht, die Hannoveraner würden lieber für 1,60 € ein Mettbrötchen essen und sie hat Recht. Als wir darauf bei Karin Klemme mittags was essen und die Mettbrötchenauslage sehen müssen wir an sie denken. Wir finden es so toller und der Mond scheint und jeder Teller voll mit den Schnittchen und 2 Gläsern Wein kostet 13,- €.

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26.10. In der Wohnung ist immer ein dezentes Brummen und nach ein paar Tagen schwankt alles. Man steht auf dem Balkon eines Palazzo und schaut aufs Wasser und hat das Gefühl eines Erdbebens, alles schwankt, die Räume schwanken. Das Bett ist ein Ponton und man kracht gegen die Holzstäbe, wie das Vaporetto beim Anlegen. Es fühlt sich an wie Butterfahrt. Morgens gehen wir immer in unseren Stammladen. Es ist einfach lecker dort und wir probieren uns durch die Croissants, die sie hier Brioche nennen. Franzosen verarschen. Gefällt mir. Ich verstehe auch, warum die Italiener hier auch im Tresen Kaffee trinken. Die Profis machen den Espresso so, wie man ihn zuhause nicht hinbekommt. Die Maschine läuft den ganzen Tag und die machen nichts anderes. So kriegt man das nicht hin, wenn man nur einen macht und wozu bei den Preisen und ein Schwätzchen kann man halten und ist dann nach wenigen Minuten erfrischt. Ich mag die bunten Kaffeemaschinen für Zuhause, Tiroler Hut usw.

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Nach dem Frühstück gehe ich in die Bar und da Alkohol noch nicht geht trinke ich fiese Arancina und die Cichetti hier, die noch liebevoller gemacht sind, aber viel mit Fisch, was Stephan morgens zu krass ist. Mit Limo statt Wein kostet dann 12 statt 13,- €. Zweites Frühstück.

Wir fahren nach Murano. Eine Katze in einer Box auf einer Sackkarre muss auch mit über die Holzstege. Warum machen die eine Mauer um die Toten. Die können doch nicht abhauen. Hier gibt es mehr Bäume und tolles Glas, auch in den Geschäften. Ab einer bestimmten Größe sind die Sachen halt cool. Auch die Gläser von neulich Abend, die eine Marke tragen. Hier ist mein Lieblingsrestaurant dieser Reise, Alla Vecchia Pescheria, zufällig gefunden vor der Ausstellung in die wir wollen und die noch nicht geöffnet hat, an einem Platz in der Sonne und ich esse die besten Spagetti Arabiata meines Lebens auf tollem Glas. Auf dem Klo sind winzige Glastiere in den Fußboden eingelassen. Glasstress Teil 2 und ich quengele, so dass wir nicht noch mal Eintritt zahlen müssen und der Typ uns durchwinkt. Ein Video von schimmelnden Erdbeeren und eine „Duck Church“ neben anderen tollen Tieren aus Glas, Hunden, Affen, Mammuts. Am Strand von Murano lauter vom Wasser bearbeitete Glasstücke. Toll. Die schmeißen bestimmt Tonnen von den Glasresten ins Meer.

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Hier habe ich noch nie ein Eis durchgestrichen gesehen an einer Eingangstür zu einem Geschäft. Das kann man hier nicht bringen, so eine Food-Diskriminierung in der Heimat von Speiseeis.

Ein Opa holt eine Enkelin ab. Die fragt: „la Mama?“ „A casa“. Der Opa trägt dann Schulranzen und Instrument und die Enkelin nimmt seinen kleinen Hund.

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Stephan lässt mich einmal für 5 Minuten alleine und ich werde von einem einheimischem Pärchen angesprochen während ich in einer Seitengasse auf den Stufen einer Kirche häkele, ob sie ein Foto machen dürften, weil das so toll aussehen würde, besser als alles was es auf der Biennale zu sehen geben würde. Er kommt aus Sizilien und lebt seit 5 Jahren hier, sie kommt hierher und war nur zum Studieren weg. Ich sehe eine handgeschriebene Liste mit Preisen. Sie verkauft gerade Sachen ihrer Oma um die Wohnung renovieren lassen zu können. Sie sind beide gläubig und es würde so aus mir heraus strahlen. Wir seien das kreative Werk Gottes und daher selber kreativ, aber viele würden es unterdrücken wegen dem was die anderen sagen, die Konventionen, die Eltern und ich würde einfach zeigen, was in mir steckt. Das sei so toll. Ich bekomme auch viele Zweifel, gerade auch von meinen Eltern, die das alles nicht verstehen. Ich empfinde es als himmlische Botschaft zweier Engel, wie der Engel der Verkündung, die mir eben diese Botschaft verkündigen, dass der, der mich erschaffen hat meint, ich mache das richtig so, schließlich hat er mir die Ideen eingepflanzt was man alles auf dem machen kann was einen umgibt.

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Ein Film auf riesiger Leinwand, wie David La Chapelle als Film und wieder mit die Hieronymus Bosch Tiere. Vorne Mops und hinten Tintenfisch oder eine Möwe mit 2 Babyrobben als Köpfe, Fischkopf auf Schwein. Sehr schräg. Dazu Pradamode und Opernmusik. Das reinste Opernvideo, passte wie eine eins. Toller Film. Draußen ist Vollmond über dem Wasser und der Stadt. Stephan sagt, man würde jetzt gerne eine Schulturnhalle oder eine Parkgarage aus feinstem grau3en Beton sehen, damit sich das Auge etwas erholen kann.

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Abends in die Stammkneipe. Wir warten draußen auf einen Platz und wollen auch das Fleisch und die Pasta probieren (beides köstlich, vor allem die Gnocchi und die Nachspeisen). Venedig-Halloweenmaske am Nachbartisch. Hier ist das gruselig und macht hier mehr her als in der List.

Lampion oder so ähnlich wollen wir wissen. Red and lives in the woods ist die Umschreibung. Der Kellner mit Bart und Hitze, seine warm Hand gegen meine kalte, der immer kurzen Hosen und T-Shirt trägt, bringt uns eine Himbeere. Etliche Deutsche, die aber offenbar davon ausgehen, dass sie die einzigen sind. Am Nachbartisch höre ich „Plastikflasche mit Vogel auf dem Kopf“, wie der junge Mann das sagt, nachdem er sich über seine Vorlieben, wie er gerne Fleisch isst, ausgelassen hat. Gestern war eine da, die hatte ein Stück Holz auf dem Kopf mit 3 Korken. Wer kann das gewesen sein? Ich rege mich auf über den Idioten. Gut, dass ich heute die gegenteilige Botschaft auch hatte und wie Stephan meint, immerhin hat er genau hingeschaut.

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27.10. Zum zweiten Mal lasse ich den Prittstift offen und er trocknet ein. So wird man sein Zeug auch los vor der Rückreise. Hat ganz knapp gereicht für die letzten Postkarten.

Morgen ist wieder Geldausgabetag. Ich muss mich wieder da rein denken.

Die haben hier echt leckeren Prosecco. Bei uns ist das immer das allerschlimmste schlecht schmeckende Kopfschmerzzeug was es bei Vernissagen gibt. Würde gerne welchen für Zuhause bestellen, erst karren sie das alles her auf Booten und dann wieder weg zum Ferrovia zu mir.

Man ist am Ende des Tages verwirrt was man alles gesehen hat und kriegt es nicht zusammen, auch die Reihenfolge. Der Schwanz sah noch ganz normal aus und wäre bei der Musterung durchgegangen, aber die Hoden, kreisrund wie zwei Flummies an geraden Bändern aufgehängt. Das war schon auffällig. Wo war das noch mal?

Die letzten Palazzi und 3 Glasringe u.a. der schottischen, in dem die Aquarelltotenköpfe zu den bunten Glaslampen passen und den mit Kunst aus Aserbaischan. Sehr bunt und toll und nach unserem Geschmack und schon 50 -70 Jahre alt. Ich liebe neben der Müllabfuhr die DHL Boote sowie einzelne, luxuriös aussehende Holzboote.

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Stephans T-Shirt von 1994 ist tatsächlich aus dem Palazzo Fortuny. Toll. Er findet den Laden, die Mirjam empfohlen hat, Osteria alle Testiere. Ich würde mich so verlaufen. Die neureichen Russen (älterer Mann mit dunkler Brille, junge, operierte Frau und 12 jähriger Sohn), die eigene Pasta mitbringen, die dem Kellner dunkle Spagetti in die Hand drücken, die sie selber mitgebracht haben. Der Kellner guckt als wäre es Hundescheiße und hält es weit von sich weg. Sie erklärt ihm wiederum, dass sie kein weißes Mehl essen. Wir und die Kellner und die Italiener am Nachbartisch bepissen uns. Der Kellner kommt noch mal raus weil der Koch wissen will wie er das kochen muss. Der Mann bestellt zum Nachtisch den Pistazienkuchen. Noch ein Wein mehr und ich hätte gesagt, „cook at home, bitches“. Neben uns auf der einen Seite Engländer mit den 3 kleinen Kindern, die Tochter isst den Parmesan auf während die Eltern mit den Meeresfrüchten abgelenkt sind. Finde ich mutig mit 3 so kleinen Kindern essen zu gehen, die schnell die Geduld verlieren, Purzelbaum auf der Bank machen und mit denen man nicht verhandeln kann, aber wenn man das irgendwo machen kann, dann hier. Auf der anderen Seite eine italienische Familie mit 2 Töchtern. Es kommt noch eine Freundin mit ihrer Tochter und sie sitzen eng. Ich finde es toll, wenn 7-jährige einen Teller Muscheln als Vorspeise bestellen. Es ist alles totlecker und ich esse was reingeht, sonst muss ich noch in einen Palazzo.

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Mein Resümé: Paris soll die Stadt der Liebe sein? Etwa genauso wie Hamburg oder Barcelona, aber Venedig ist romantisch und dem kann man sich nicht entziehen. Außerdem ist es morbide ohne Ende und der Tod und die Vergänglichkeit sind allgegenwärtig.

Zuhause finde ich den handgeschrieben Empfehlungszettel von Steffi (was ich nach ihren Erzählungen aufgeschrieben habe) und jetzt sagen mir die ganzen Namen von der Liste alle was. Ich sage nur: „The Union of Fire and Water“. Der eine Name, der mir nichts sagt, den haben wir auch nicht gesehen, weil er schon zu war.

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