From angry to Angri

04.07. Mein erstes Mal Süditalien. Karin ist in Trauer, trägt schwarz, sieht aber trotzdem sexy aus (ist auch durchsichtig) und hat schönen altmodischen Schmuck um, einen Goldanhänger mit Aquamarin. Im Flieger sitzen wir vorne bei den niedersächsischen Möchtegernpromis. Papa trägt Slipper, schläft eine Runde mit offenem Mund, trinkt dann zum Wachwerden einen Prosecco und will „Bambi“, die weiter hinter sitzt, was anbieten und die kleine Pulle nach hinten durchreichen und gibt den Kindern die Bild zu lesen. Die 2 Familien sehen aus wie Freunde von Bettina und Christian. Der Flug ist ultrakurz und gefüllt nur knapp länger als Wien. Während die Hitze in Deutschland unerträglich ist und mich immer ins Haus treibt, kann man es hier gut draußen aushalten und der Sommer macht gute Laune. Eine 50er Jahre Limo-Werbung auf dem Parkhaus und eine Freiluftbar für die Taxifahrer sowie Laternen in Fliegenpilzoptik begrüßen uns am Flughafen von Neapel und machen mir gleich gute Laune. Wir fahren mit dem Leihwagen und Karin und Georg durch die Büffelmozzarella-Straße, überall Käsereien und kaufen eine Tüte voller Käse, überwiegend Büffelmorzarella, aber auch Caciocavallo dolce, sehr lecker und kräftig im Geschmack. Tomaten und Pfirsiche gibt es – wie in Kalifornien – am Straßenrand zu kaufen. Ich bin verliebt in die Nadelbäume, die ganz exakte, lange Borsten haben, wie frisch vom Friseur. Als wir in Castellabate ankommen sieht die Straßenbeleuchtung nach Weihnachtsmarkt aus, schön kitschig mit Delfinen, aus denen Wasserfontänen kommen und Herzen darüber. Die ganze Familie sitzt vor dem Haus im Dunkeln auf einer Steinbank und wartet auf uns. Von mir aus hätte es auch schon viel früher los gehen können und ich habe mühsam auf den Flieger gewartet und das es endlich los geht mit dem Sommerurlaub. Im Scheinwerferlicht des Fiat erstrahlen sie und die Freude könnte nicht größer sein. Die Villa ist perfekt. An diesem ersten Abend gibt es Caprese und Rotwein auf der Terrasse. Die Therme ist undicht in unserem privaten Bad, sonst ist alles so, dass es besser nicht gehen würde.

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05.07. Unter dem Mosquitonetz ist es stickig, aber gemütlich wie in einer Höhle. Ich sitze ab jetzt jeden Morgen im Garten, gerne auf der Steintreppe und beobachte die vielen verschiedenen Schmetterlinge und die kleinen Greifvögel oder eine Armeisenstraße bei der Arbeit. Wie schlau die kleinen Viecher sind, die Baumstämme transportieren und wenn es nicht weiter geht bzw. hakt, sich umdrehen und das Hindernis rückwärts weiter ziehen. Am ersten Tag lernen wir den Alimentari kennen. Hier gibt es den tollsten Hund der Welt und alles was man braucht, vor allem leckere Wassermelone (Anguri) und Brötchen mit Fußballmuster. Außerdem Nagellack an der Kasse und das bei dem überschaubaren Sortiment. Das finde ich beachtlich und es zeigt, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert. Hier wurde ein Film gedreht „Benvenuti al Sud“ und etliche Paare halten an dem Ortsschild bzw. dem Filmplakat und machen ein Selfie bzw. Marc hilft aus mit dem rosa Smartphone. Der Pizzabäcker an der Ecke steht vor seinem Laden und begrüßt die Neuen „amici“ und die „Bambini“. Unten in Santa Maria de la Castellabate ist es wie Travemünde der Italiener. Hier würde ich einen Knall kriegen. Dicht an dicht drängen sich die Gäste in der Bucht, so dass man vor lauter Menschen und menschlichem Zubehör (Liegen und Schirmchen) nichts mehr sieht. Es gibt allerlei für die Kleinen (tollstes Plastik, Pizza in Stücken und den runden Pizzaschneider dazu, was ich mir aber verbiete zu kaufen) und zum Plantschen und auch heiße Fummel (Frauenstrand- und Urlaubsmode) und totleckeres Eis ohne Spießerkugeln. Cassata und Amalfi, ein Zitronencremeeis sind meine Favoriten. Abends fahren wir zum historischen Ortskern und ich kaufe eine geschnitzte Schrotflinte von einem einheimischen Künstler/Rentner. Der Typ hat auch Liebesromane geschrieben und zeigt mir sein Foto hinter auf dem Einband, die auch in Deutsch zu lesen sind, aber daran habe ich kein Interesse. Er schnitzt auch allerlei Vögel und malt sie bunt an, aber ich kann mich nicht entscheiden und hätte sie wenn dann für die Freunde aus Hamburg gekauft und hier war ich mir zu unsicher. Da ist das Gewehr die sicherere Option und hilfreich für Neapel. An der Piazza gibt es Tischfußball und ein Kaltgetränk und dazu kleine Würstchen im Schlafrock und Nüsschen und Chips. Wie in Frankreich wissen die hier was sich gehört und servieren nicht nur so eine Cola mit Glas, sondern mache für den Kneipengast ein Gedeck, wie sich das gehört. Marc trinkt einen Crema di Caffè und der macht sofort süchtig.

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Am nächsten Morgen frühstücken auf der Piazza, weil ich den kleinen Eiskaffee trinken will und dann zum Hafen. Ich bringe einen großen Teller mit kleinen Törtchen mit aus einer Konditorei.

Büffelmozzarellabutter ist weiß. Apropos weiß. Man waren meine Zehennägel sauber beim ganzen Barfuß laufen und Pool. Herrlich. Im Pool spielen wir Ente. Das ist wenn die Jungs und ich auf der Luftmatratze sitzen. Leander ruft dann „Lorca“ und Stephan macht einen Köpper und schwimmt unter Wasser um uns runter zu stürzen.

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Am späten Vormittag fahren wir gerne in den Ort um Eis zu essen oder ein Panini um uns dann wieder zur Villa zurück zu flüchten. Hier ist es am schönsten und der Pool ist ein Traum. Ich tusche Postkarten, mache einen Gästebucheintrag und sticke die Hausordnung. Die Süßigkeiten, die es vor allem in Neapel dann geben wird, Croissants, die knuspriger sind und gerne mit Ricotta gefüllt, der Teig ist geformt wie eine Muschel heißen Sfogliatelle, phonetisch: Sojatelle. Karin fängt auch an zu Häkeln und eine Frau in Santa Maria leiht ihr Häkelgarn und eine Nadel und will kein Geld dafür. Sie soll den Rest wiederbringen, wenn sie fertig ist. Keiner fährt so dicke, neue Autos wie bei uns und die auf 3 Rädern gefallen mir besonders. Leander sieht aus wie eine negativer Vampir mit seinen fehlenden Schneidezähnen. Die Kinder bringen mir Minion-Sprache bei. Babble heißt Apfel. Also sagen wir immer, Babbel?, Banana! Yam Yam!

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Dienstag besichtigen wir den Garten bzw. bekommen eine Führung. Die wichtigste Station sind die Zitronenbäume. Ab jetzt gibt es Soda Zitrone und zwar vom leckersten. Das schmeckt nicht so ätzend wie zuhause, wie Vitamin Industriepulver, sondern weich und süßlich und aromatisch. Ich sehe eine lange schwarze Schlange, wie sie abhaut. Ich mache eine kleine Installation mit meinem Nachthemd, was dann doch tagsüber lüften muss. Wir machen Frauenauto und Männerauto und ich kaufe eine schöne Glasflasche mit Tragehenkel, italienisches Glas und bunte Wäscheklammern mit Blumenmotiv und verteile sie unter den Frauen. Außerdem einen gelben Sparschäler aus Plexiglas und Karin macht Limoncello mit den Kindern. Abends grillt Georg. Steak und Schwertfisch, den er zuvor eingelegt hat. Die Kräuter im Garten sind derart aromatisch, gerade das Basilikum, aber auch Salbei und Rosmarin. Sonnenuntergang a la grande gibt es hier jeden Tag. Das schönste an dem Urlaub ist das Leben ohne Uhr. Handy ist die ganze Zeit im Flugmodus. Ich liebe es!

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Mittwoch fahren wir zu den Grotten und machen eine kleine Bootstour. Am Strand warten wir auf den Kapitän, der über 70 ist und mit Sommersprossen übersät und seine Brille ableckt um sie vom Salz zu reinigen. Am Strand stehen die Machos im Wasser und unterhalten sich. Andere essen Reissalat aus Tupper. Durch den Nationalpark und sehr kurvenreich. Leander kotzt wie ein Vollprofi. In der Mittagshitze sind wir auf dem Wasser und haben abends alle einen Sonnenstich. Dafür haben wir im sehr salzigen Mittelmeer gebadet und historische Ortschaften durchfahren, die romantisch sind ohne Ende. In jedem Ort ist eine Postfiliale und der Mann hinterm Schalter hat eine Fluppe im Mund und kann es kaum abwarten bis zu seiner Pause. Die Zeit scheint stehen geblieben zu sein. Die Pflanze die so heftig blüht heißt Bogouvilie. Jasmin erzählt wie ihr Onkel einmal schwarz geflogen ist nach Damaskus von Ostberlin aus. Man ging noch direkt aufs Rollfeld und bei all den Kindern haben sie den Überblick verloren und immer wieder durchgezählt.

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Donnerstag hat Georg den leckersten Sugo der Welt gekocht und nach einigen Erfrischungen im Pool geht es nach Ravello. Wir halten in Vietri, dem Keramikort und ich könnte mir ein ganzes Service kaufen, lila-rot kariert in komplett gefällt auch Stephan. Stattdessen ein Mitbringsel für Chico und Barbara, die für mich im Brockenhaus waren. In das kleine Espresso-Set verliebe ich mich spontan. In Ravello gibt es den coolsten Spar der Welt, direkt in Stein gebaut am Hang. Wir haben Hunger, aber es gibt eine große Schale Knabbereien mit frittierten Zucchini und Kartoffeln und einen tollen Blick. Erst lästere ich ab, richtig deutsch: wie die haben keine Küche, da ist doch ein Koch und der frittiert gerade was. Das rieche ich doch. Dann ist das für uns. Die können echt gut Drinks servieren mit Knabbereien dazu, wie sich das gehört. Laurie Anderson hat einen großen Klunker am Finger. Das fällt mir und Jasmin auf. Muss ein echter Diamant sein, so wie der aus der Ferne funkelt. Die Texte sind traurig und die Musik verhalten, aber es gefällt mir. Sie spricht von: „We were in the room my mother had died“. „Why are all the animals on the ceiling?“ „Talking of places she meant to go“.„What are the last words you say, before you turn into dust?“. „Thank you for this family experiment äähh experience and thank you for having me“. Texte von Lou Reed werden eingespielt und Alain Ginsberg, der ein Mantra gegen den Vietnamkrieg auf Band gesprochen hat für Philipp Glass. Das letzte Stück handelt von: „What are days for? To put between the endless nights. And what are night for? To slip through time into another world“. Nach dem Konzert gibt es noch ein Kaltgetränk auf der Piazza. Ob man mein Hütchen erleuchten kann, will die Bedienung wissen. Es ist Mitternacht, aber es sind noch reichlich Kinder unterwegs und fahren Fahrrad und spielen Ball und schieben Kinderwägen mit kleineren Geschwistern als wäre es 12 Uhr mittags bei einer Sonnenfinsternis. Als ich mir ein Kinderfahrrad mit Stützrädern greife und damit ein Foto machen will, kommt der rechtmäßige Besitzer an und nimmt es in Sicherheit (Radklau umgekehrt). Wir kommen todmüde nachts um kurz vor halb drei wieder an. Man muss höllisch aufpassen, weil der Schilderwald ist unübersichtlich und zwischen den verschiedenen Abfahrten und Richtungen hängt Hotel- und Gastronomiewerbung alles übereinander mindestens 10 Schilder auf einmal. Georg meistert das. Die letzte halbe Stunde konnte ich auch nicht mehr reden im Auto.

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Am letzten Tag der Schuhkauf in Santa Maria und abends das Abschiedsessen mit der Hausverwaltung. Monika kommt aus Braunschweig wie Marc und hat in den 60er Jahren Silvio kennen gelernt und der sah früher noch besser aus. Sie hat im Kaufhaus gearbeitet und in der ersten Woche kamen die Italiener alle alleine und dann hatten sie Freundinnen. Lass Dir den Pass zeigen, hatte ihre Mutter geraten und da stand drin: „verheiratet“. Dann wollte sie ihn nicht, aber das war ein Irrtum. Silvio ist zurück nach Italien und hat ihn korrigieren lassen und sie haben dann 3 Kinder bekommen und leben hier auf dem Kamm. Können das Meer von beiden Seiten sehen. Ich bedanke mich bei Silvio, dass er Monika aus Braunschweig raus geholt hat. Es gibt Vorspeisen u.a. rohe eingelegte Kartoffeln. Peinlich, wenn man als Deutsche die Kartoffeln nicht erkennt. Streit (d.h. ich ereifere mich über Marcs Meinung) um den Unterschied zwischen Eidechsen und Geckos und nein, es ist nicht die Farbe, die den Unterschied ausmacht. Katzen gibt es auch in schwarz, weiß und braun. Eidechsen hauen so schnell ab, dass man oft nur den Schatten sieht bzw, die Bewegung der Blätter, wo sie gerade durchgelaufen sind. Geckos hängen nachts an der Wand und haben Saugnäpfe an den Füßen und jagen im Licht der Lampen Insekten (spannender als Fußball, mitfiebern und zählen, wer vorne liegt). 

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Ich werde um 5 Uhr etwas wach, noch bevor die Familie aufstehen muss zum Flieger. Denke erst, die sind weg, aber da stehen noch ein paar Kinderschuhe und Marcs Tasche, dann: sie haben verschlafen. Es ist weder noch, nach weiteren 15 Minuten springt Jasmin das letzte Mal in den Pool. Es war eine großartige Reise und die ganze Familie ist mir wieder ein Stück näher gekommen, aber vor allem auch die Jungs sind mir ans Herz gewachsen und sie werden mir fehlen. Jasmin, die gute Fee, die immer Klarschiff in der Küche gemacht hat ist so lieb und ausgleichend, Marc mochte das Kindertaschentuch der Weltmeisterschaft von 1954 so sehr…Die Jungs, Leander mit seiner Energie, der alle verzaubern kann und Valentin mit seiner Aufmerksamkeit. Welcher 10 jährige schaut sich Konzertmitschnitte von Laurie Anderson an und will über die elektrische Geige sprechen. Nächstes Mal nehme ich ihn mit. Er ist der Große, der immer vernünftig sein muss und dann seinen Flummi aus dem Kinderflipper seinem kleinen Bruder abtritt, wenn der keinen bekommen hat. Leander ist wie Hulk, wenn er Schmerzen spürt oder wütend wird, verliert er die Kontrolle.

Für uns heißt es Markt in Santa Maria. Hier gibt es Lebensmittel, Haushaltswaren und Klamotten, auch mein „Normal People scare me“ Longshirt für die Hälfte. Es ist heiß ohne Ende. Ich kaufe noch 3 Paar Leggings und eine Strumpfhose in Strickoptik für die kalte Jahreszeit, außerdem Marvis, die italienische Zahnpasta, weil mich die Verpackung anspricht. Die gäbe es teuer bei Liebe in Hannover, weiß Georg. Krass pfefferminzig, wie sich dann herausstellt, aber ich werde da durch müssen. Vor dem Einkauf wasche ich mir doch die Haare, die ganz stumpf geworden sind. Hatte mir Shampoo von Jasmin geliehen. Sie meinte, es wirke nicht (macht keinen Schaum). Bahnhof Agropoli. Karin und Georg bringen uns zum Zug. Vorher gebe ich Karin die violette Baumwolle zum Weiterhäkeln. In jeder kleinen Bahnhofsklitsche gibt es leckeren Kaffee. Das Zitronen-Granité ist so reichhaltig und zu süß, so dass ich vier Portionen essen muss. Hier stehen schon szenigere Frauen am Gleis, eine junge mit Basketball Trikot in XXL und blondierten Haaren sowie ganz verrückten crazy nails, spitz gefeilt und jeder anders gemustert. Unser Zug hat Verspätung, wir nehmen den nächsten und setzen uns ins Abteil der Afrikaner mit gefälschter Ware in riesigen Plastiktüten, die Richtung Neapel unterwegs sind neben ein Zigeunerpärchen, die nein gesagt hatte, aber ich hatte es ignoriert und mich einfach zu ihnen gesetzt und denen das zu viel Aufdringlichkeit ist und der Mann flüchtet immer zum Rauchen aus der engen Umklammerung des vierer Abteils. Ich glaube später das waren die Könige der Taschendiebe, die wir in Angst und Schrecken versetzt haben. Ich häkele während der Fahrt. Lustige neue Ortsnamen habe ich kennengelernt. Eboli, Paestum, Positano, Maiori, Angri. Krank kam ich an und erholt fahre ich wieder. Es war toll und Wasser und Sonne und südländische Lebensart haben entspannt und gut getan. Ich würde definitiv meine Hautfarbe ändern, wenn ich hier wohnen würde und ich habe Lust auf Mehr. Jetzt steigt die Spannung, weil wir in Neapel angekommen sind.

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