Archiv für den Monat: Juli 2013

Im Schweiße meines Angesichts

Siegfried und Roy

11.07. Der erste heutige Termin betrifft Frau P. Lange hat sie in der vollgestellten Wohnung zusammen mit ihrem Lebensgefährten gelebt und konnte das Bett nicht verlassen. Sie hat sich immer gefreut, wenn ich zu Besuch kam und in dem engen, abgedunkelten Zimmer auf dem Toilettenstuhl neben ihrem Bett Platz genommen habe. Sie hat gerne von ihrer glücklichen Kindheit erzählt mit ihrer Schwester und dem Vater, der gerne Bierchen getrunken hat, aber nie mehr als 3 und sie mit in die Kneipen genommen hat. Das sei ein lieber und lustiger Mensch gewesen. Da hätten sie ganz viel Glück gehabt. Das Ganze spielt in der Kölner Innenstadt, an den Gleisen hinter dem Hauptbahnhof. Das merkt man ihrer Sprache auch noch an. Dann kamen der Krieg und schlimme Erlebnisse. Heute ist sie übergewichtig und hat schwere Ein- und Durchschlafstörungen. Regelmäßig habe ich mit ihr die Vorteile eines Pflegeheims besprochen, weil man sie dort besser mobilisieren könnte, aber sie hat immer in letzter Minute einen Rückzieher gemacht. Dann ist der Lebensgefährte ins Krankenhaus gekommen und sie in die Kurzeitpflege und jetzt gefällt es ihr dort gut. Ich selber war beeindruckt von dem menschlichen Hebekran, der ans Bett gestellt wird und mittels eines Gurtes, der umgelegt wird, jeden noch so schlaffen, menschlichen Sack aus dem Bett ziehen kann. So kann man dann z.B. auf der normalen Toilette sitzen, was auch schöner und menschenwürdiger ist. Sie blüht förmlich auf, ist jetzt viel draußen, hatte neulich fast einen Sonnenbrand auf den Unterarmen und hat geschwärmt, dass es in den Supermärkten aussehen würde wie in Amerika. Nur die braunen Papiertüten würden fehlen. Ich mag Frau P., sie ist lustig und hat immer zu erzählen. Als junges Mädchen war sie in Griechenland Au Pair und hat dort Kinder betuchter Griechen bereut.

Neulich habe ich mit Schwester A., der beherzten Pflegedienstleitung aus dem Wohnheim Kleidung aus der Wohnung, die gerade 80 Meter entfernt ist geholt und Frau P. hat viel Kleidung. Gerade der Lebensgefährte hat ihr gerne Sachen gekauft und zwar auch nach seinen Wunschvorstellungen. Es ist von Jeans Gr. 38, Miniröcken mit Ketten an den Seiten bis Bauchtanzoberteilen und sehr vielen Kunstpelzen, aber auch echten alles dabei. Schwester A. ist erst mal geschockt wegen der vielen Klamotten und ich sage ihr, da werden sich die Pfleger bei mir auch noch mal wundern und Frau P. soll selber entscheiden, was sie behalten will. Das finde ich normal. Sie leiht mir einen offenen Rollwagen und im Schweiße meines Angesichts und zur Belustigung der Nachbarschaft schaffe ich alles rüber bis das 2-Bett Zimmer, was sie alleine bewohnt halb voll ist. Es ist mühsam und unterwegs verliere ich Sachen und muss sie wieder einsammeln. Frau P. ist happy. Ich mache etwas Modenschau und probiere die ein oder andere Jacke an und zeige ihr Glitzer- und Paillettenteile und sage, das sei ganz schön „Bling-Bling“, woraufhin sie sagt: „das ist für abends“ und ich denke, nee klar und schade, dass das Sommerfest schon vorbei ist, aber die nächste kommt bestimmt. Ich hänge auch alle ca. 30 Bilder im Schlafzimmer ab, viele von den Enkeln gemalte „für Omi“ usw.

Heute habe ich einen weiteren Termin um einige Hilfsmittel aus der Wohnung abholen zu lassen. Der Lebensgefährte hat jetzt auch eine Betreuung und soll die Wohnung übernehmen. Er ist der Sammler und sammelt Phantasy-Figuren, Bücher, Bilder, Schaufensterpuppen mit riesiger Oberweite und so was. Da muss ich mich wenigstens um das Zeug von meiner kümmern. Er ist gerade im Krankenhaus. Etwas Gruselkabinett ist es schon so alleine in der Wohnung. Ich fahre morgens zum früheren mobilen Pflegedienst und hole mir erneut die Schlüssel zur Wohnung; um 9 Uhr bin ich dort verabredet. Auf dem Weg dorthin ist Fahrradrushhour und es müssen sich immer 10-12 Radfahrer an der Ampel organisieren. Ich rege mich innerlich über einen braun gebrannten Rentner auf, der von allen überholt wird, aber dann an der Ampel ankommt und an allen vorbei fährt, auch der Frau mit dem Kinderanhänger und sich wieder in der ersten Reihe platziert, um dann wieder von allen überholt zu werden. Diese Rentner sich echt putzig. Ich bemerke auch immer diejenigen, die auch bei vergleichsweise kühlen Temperaturen ihrer gealterten Körper sofort in Hotpants und Tanktop spazieren führen. In der Pflegedienstzentrale sind alle Pflegedienstmitarbeiterinnen auf dem Balkon und rauchen (das ist Naturgesetz) und es hängen viele Zettel auf denen z.B. sinngemäß steht: Bitte alle Kunden bei dem Wetter darauf aufmerksam machen, dass viel Wasser zu trinken ist. Das bei „dem“ Wetter finde ich sehr lustig sowie die passive Formulierung „zu trinken ist“ statt sie trinken sollen.

Zwei junge Männer und ein Lieferwagen stehen schon vor dem Haus und begutachten das Klingelschild als ich überpünktlich erscheine. Ich gebe mich zu erkennen und sage ihnen, dass mir nachts siedend heiß eingefallen sei, dass ich nicht gemeldet hätte, dass die Wohnung ganz schön vollgestellt sei und ich hatte eine Vision wie sie das Bett hochkant den langen schmalen Flur entlang tragen, also dies sei keine minimalistische Designerwohnung. Ich wüsste nicht, was sie sonst für Klientel hätten. Beide lachen. Natürlich kann man das Bett eins A auseinander bauen in Einzelteile und das mit ganz kleinem Werkzeug und Aufwand, dass ich nur staune. Der eine findet das Scala-Mobil (ich wusste gar nicht wonach ich Ausschau halten sollte) hinter einer Tür und die Rampen dafür auch. Nur das Aufladegerät (auf Nachfrage etwas größer als eine Handy-Station) finden wir nicht wegen Nadel im Heuhaufen. Ich sage, er sei der Finder, er solle mal bitte Strom- und Gaszähler für mich finden, weil die müsse ich ablesen. Er rät zu Keller und da ist Stromzähler auch und Gas findet der Finder in der Küche. Nur meinen Thron, den Toilettenstuhl wollen sie da lassen, weil der einem anderen Sanitätshaus, dessen Namen ich nicht kenne, gehören würde. Ob es den Laden noch gibt ist derzeit unklar. Unter dem Bett sind die total verstaubten Schmuckschatullen und beauty cases der Frau P. Die schaffe ich als erstes rüber und Schwester A. und ich schauen uns interessiert die Sammlung an. Ich sage, Duplé-Armreif. Sie holt eine Lupe und findet einen Stempel und sagt was von Safe. Ich bringe die Sachen erst mal Frau P., die sich total freut mich zu sehen. Ich würde so frisch aussehen und das seien tolle Farben. Endlich mal jemand der nicht in dieser Pflegekleidung ankommen würde. Ich hatte einen Mitarbeiter von Enercity, der mich vor der Tür ansprach, ob ich hier arbeiten würde zu Schwester A. gebracht und dort mit angehört, dass die Baufirma eine Leitung beschädigt hat und 20 Minuten der Strom abgeschaltet werden muss. Ach nein, nur das nicht, hieß es da. Als ich mit Frau P. zusammen etwas ihren Schmuck durchschaue, geht auf einmal das Licht aus und es schreit eine Frau aus dem Fahrstuhl und trommelt gegen die Tür: Hilfe, hört mich keiner. Und ich schreie zurück, doch wir hören sie, der Strom wurde abgeschaltet, ich hole gleich jemanden. Das tue ich und dann muss ich zurück in die Wohnung, ein komisches Bett holen. Das unhandliche Ding ist eine Dekubitus-Matratze mit Schläuchen und einer großen, schweren Pumpe dazu. Die Abhol-Männer haben mir gezeigt, was da zusammengehört und gesagt, dass Frau P. darauf liegen soll. Das Ding sieht aus wie das Alienbaby aus Men in Black Teil II, als hätte eine Luftmatratze mit einem Alien Nachwuchs gezeugt. Auch das trage ich irgendwie auf meinem Fahrrad rüber und hoch. Dies Mal ist eine alte Frau neben dem Fahrstuhl aus dem Rollstuhl gefallen und ruft um Hilfe. Wieder schnell runter rennen und Bescheid sagen. Der Vormittag ist durchaus sportlich. Ich frage mich auch, warum ich diese persönlichen Sachen rüber bringen muss, weil Frau P. doch zwei Töchter hat. Die eine wohnt in Hamburg mit dem Enkel und will immer nach Hannover kommen und dann in den Zoo und sie erzählt mir, dass es so schwer sei Karten für das Kleine Fest im Großen Garten zu bekommen.

Auf dem Rückweg halte ich am Platz mit dem komischen Namen neben dem neuen Rathaus und will einen Antrag abgeben auf steuerliche Anerkennung unserer Wintergartensanierung. Hat schließlich so viel gekostet wie eine Eigentumswohnung in Ricklingen. Ich wollte eigentlich die ersten beiden Seiten des Antrags mit den zusammengefassten Zahlen und den Unterschriften kopieren. Das mache ich jetzt mit Abfotografieren und komme mir sehr cool vor. Ich liebe es, mit Botengänge in lustige Ämter hinein zu gelangen. Vielleicht wäre Fahrradkurier doch eine mögliche Karriere gewesen. Obwohl da spricht meine ausgeprägte Orientierungslosigkeit wohl doch dagegen. Einen Eingangsstempel gibt es auch. Ob ich es nochmal mit Stempel fotografieren wolle, lautet die Frage. So zwängig bin ich nicht, lautet die Antwort.

Nachmittags kommt ein anderer Schützling mit einer Zimmerpflanze und als ich ihn darauf anspreche am Ende des Termins sagt er mir, dass er heute Geburtstag habe. Es sei das Geschenk der Kochgruppe gewesen. Ich entschuldige mich und gratuliere ihm. Ich bin eben doch nicht die Tochter oder Freundin der Leute und weiß die Geburtstage nicht, auch wenn sie aktenkundig sind. Das ist nicht meine Art. Vielleicht unsensibel oder ein Fehler. Nur bei Frau K. bin ich jedes Jahr auf den Geburtstag eingeladen in eine Eisdiele, zusammen mit den beiden Wohnbetreuerinnen, aber die Frau ist geistig

behindert und da sehe ich es ein und gehe hin. Vorher muss man ihr immer was von der hiesigen Fußballmannschaft besorgen, Fanutensilien, eine Tasse oder so. Das mache ich sehr widerwillig. Dann bestelle ich einen großen Eisbecher und sie sagt uns, dass wir ihre besten Freundinnen seien. Das ist irgendwie rührend und irgendwie traurig.

Woran merke ich, dass Sommerferien sind? Es sind deutlich weniger Anrufe im Büro und ich kann auf dem Weg zum Sport die Königsworther Straße auf halber Strecke ohne Ampel überqueren, weil deutlich weniger Autoverkehr herrscht. Ich habe heute Doppelprogramm. Erst ein wenig Pilates und dann das letzte Mal Krass-Kundalini vor der Sommerpause. Ungewiss, ob es weitergeht, weil die Frauen sich eher für Zumba begeistern als für diese Randsportart. Umso dringender muss ich heute noch mal hin. Von Zumba berichtete neulich meine Yoga-Freundin, dass sie den Kurs getestet und nach einer halben Stunde abgebrochen habe und sagte was von ganz schön schnell wechselnden Schrittfolgen, ständig käme was Neues und ich dachte nur, komisch, die ist doch sonst nicht so bewegungsbehindert und gehe in meinen ersten Zumba-Kurs und total fies: Es ist eine von vorne bis hinten feststehenden Choreographie, die alle außer mir drauf haben. Kundalini ist heute Schüttelmeditation und mit geschlossenen Augen bei Armen über dem Kopf Freestyle-Tanzen 11 Minuten lang usw. Zum Schluss gibt es wieder ein gemeinsames Händeklatschen, Hände aufs Herz, dann Wegschütteln und nach oben und dazu singen und nicht nur mich erinnert es an Kindergarten, aber es macht gute Laune. Was ich sehr mag an Kundalini ist, dass es zwar Körperarbeit ist, aber der Blick sehr nach innen geht und man mehr fühlt dabei als zu gucken. Wie sehen die anderen aus und wie mache ich mich im Vergleich welche Übung kann wer wie, das wird da total ausgeblendet und das finde ich herrlich, abgesehen von der Reise, die man dabei macht. Es ist einfach spannend und definitiv mehr als Sport, deswegen nenne ich es ja auch meine Kundalini-Therapie, eine Gruppentherapie wohl gemerkt. Andere Freundinnen machen Grinberg, aber das gibt es in Deutschland nur in Berlin.

Anschließend war ich zu einem Konzert in der Galerie Lunar verabredet, aber leider absolut nicht menschenmengenkompatibel, wie ich merke als ich dort ankomme, so dass ich hinfuhr um Stephan zu sagen, dass ich nicht kann. Für eine Pizza-Mozzarella auf der Limmer Straße hat es noch gereicht. Stephan erzählt mir am nächsten Tag, dass es total nett war und die Frau, Phoebe Kreutz, schön singen konnte und tolle Texte macht. Sie singt auch über Yoga, über ihren Po auf Reisen und beim Yoga. Er spielt mir das Lied vor: „I take my ass to yoga und stretch it on a mat. I don’t mind if it gets bigger as long as it doesn’t get to flat“. Na also. Sehe ich auch so. Mein Hintern bleibt allerdings klein und vergleichsweise flach und da kann ich Übungen noch und nöcher machen, nicht nur beim Yoga, auch an der Ballettstange. Die Muskeln sind wohl da, aber man sieht es nicht. Ein total unscheinbarer Po ist mein Schicksal. Es ist wie vieles Körperliche halt, eine Veranlagungssache. So, das wäre jetzt auch mal gesagt. Was ich noch sagen wollte ist, dass mir in letzter Zeit die hässlichen Spezialisierungen sehr auffallen, Produkte, wie von diesen Firmen, die Fahrradkörbe herstellen oder Velux-Fenster. Ist ja nützlich und brauchen tun wir es auch irgendwie.

Am 12.07. frühstücke ich mit Stephan was selten vorkommt und lese dabei Haz. Ein Artikel über Hannovers wahre Kunstschätze, die auf den Straßen stehen würden und es ging darum, Menschen neu darauf aufmerksam zu machen. Ich lese gerne das, was ich mir denke oder lesen will oder worüber ich mich aufregen will und nicht das, was da steht und so lese ich, dass man Samstag dazu eingeladen wird, sich den Nanas via Hubschrauber zu nähern. Ich lese es Stephan vor und denke, was soll das denn? Das ist ja überkandidelt. Neue Perspektive schön und gut, aber aus einem Hubschrauber die Kunst neu entdecken? Da wird ja reichlich Andrang sein, weil teuer ist das sonst auch. Stephan klärt mich später auf, dass es sich irgendwie um einen Hubsteiger handelt, der dort angeboten wird.

Haz lesen lohnt sich an diesem Morgen, da ich auch den Artikel über die Kühe super finde. Er fängt mit dem Satz an, dass man bei Verwaltungsgerichtsprozessen allerhand Neues lernen können, so hätte der Vorsitzende Richter die Verhandlung damit begonnen, dass er ausführt, dass Kühe schwimmen könnten, aber nur ca. 20 Minuten, dann würden sie aufgrund einer Schließmuskelinsuffizienz voll Wasser laufen. Deswegen sieht man diese Bilder von toten Kühen auf dem Wasser, die aussehen wie Kuhballons, denke ich mir.

Abends fahren wir am Maschsee entlang und es hat sich nach einer Kurve ein Unfall auf dem Radweg ereignet. Ich sehe nur im Vorbeifahren, dass die Frau Inlineskates trägt. Stephan, den das mitnimmt, weil er an seinem Radunfall denken muss, hat gesehen, dass sie wohl eingenässt hat und meint, aus Angst. Ich sage, eher aus Schmerzen oder wenn irgendwas mit den Nerven geschädigt ist (das wäre ganz schlecht) oder durch den Sturz, den Aufprall. Frauen sind da ein bisschen wie Kühe. Die können zwar länger schwimmen, aber der Vorne-Schließmuskel hält nicht immer bombenfest. Apropos Frauen, ich werde immer krawalliger, prolliger und das ist meinem Mann schon peinlich. Ich vermute allmählich, dass das mit den Wechseljahren zusammenhängt. Gefühlt ist alles wie immer, nur etwas unberechenbarer, aber die TCM-Ärztin sagt ja, wenn das anfängt, werden die Frauen unregierbar, weil das Oestrogen hat sie gefügig gemacht und quasi domestiziert. Sie fragte mich, ob ich mehr zu Wutanfällen neigen würde, was ich bejahen musste. Außerdem schimpfe ich in letzter Zeit gerne vor mich hin auf andere Verkehrsteilnehmer und sage ganz laut, „das sieht beknackt aus“, während uns eine Gruppe dieser stehend Roller entgegen kommt, Höhe Sprengelmuseum. Das ist nun echt die Pest aus meiner Sicht.

Außerdem fällt mir immer wieder auf: Ich stehe echt auf Männer in meinem Alter und finde das irgendwie beruhigend. Dieser Griff zu Teenagern ist mir ein Rätsel. Wenn vor mir ein Mann auf dem Rad fährt, der ordentliche, männliche Attribute hat, finde ich das graue Haar sexy. Ist das ein Georg Clooney-Phänomen? Keine Ahnung. Ich habe bei einem Video von Talking Heads wieder festgestellt, dass ich finde, dass David Byrne heute besser aussieht als in den 80igern, früher hätte ich das bestimmt anders bewertet. Der Geschmack wächst halt mit.

Im Büro bekam ich vom Jobcenter eine Email, die offenbar nicht für mich bestimmt ist mit einer Excel-Tabelle voller Daten, Namen. Später bekomme ich von derselben Frau eine Email, dass sie die Nachricht an mich zurückrufen will. Ein Fehler kann jedem passieren, aber was hilft die zweite Nachricht? Dass die erste nicht für mich war, habe ich auch so gemerkt, sie ist aber deswegen nicht verschwunden von meinem Rechner oder war das indirekt die Aufforderung sie zu löschen oder der NSA weiterzuleiten?

10.07. Wahlwiederholung oder lieber so

Morgens kleiner Frust, weil ein Schützling nicht auftaucht zu einem wichtigen Termin, den ich ausgemacht habe und ich mir dann dort allerlei neunmal kluge Erkenntnisse zu der Eigenmotivation usw. anhören muss. Da werde ich manchmal bockig wie ein Kind.

Nachmittags fahre ich zur Wohnung von Herrn W. und treffe dort den Entrümpler. Die zweite Firma hat abgesagt, weil der Chef wegen seiner schwangeren Frau ins Krankenhaus musste. Ein mehr als respektabler Grund den Termin nicht wahrzunehmen. Ich wähle den Weg durch die Eilenriede. Ich liebe diesen Radweg vom Lister Turm an der Walderseestraße entlang. Ein grüner Tunnel und es flimmert vor den Augen. Stadtwald eben. Ich muss allerdings immer daran denken, dass mir nicht nur ein Mal Hannoveraner, wenn ich meine Bewunderung für den Englischen Garten in München kund getan habe, den Hinweis darauf gaben, dass wir ja die Eilenriede hätten. Da denke ich immer, das sind Leute die einen Stadtwald von einem höchst präzise angelegten Kunstgarten nicht unterscheiden können (Dabei bin ich hier auch nicht vom Fach und musste in New York unsere Gärtner- und Gartenbaufreunde fragen, was sie mit „Staudenpabst“ meinen, bezogen auf einen Garten in New York, mir fremde Welten so was). Aber die Gleichsetzung Eilenriede – Englischer Garten ist moderne Kunst nicht von Barock unterscheiden können oder eher ein Restaurant mit Rewe vergleichen, aber egal. Schön ist es trotzdem durch den grünen Wald zu fahren. Zu jeder Jahreszeit machen die Blätter ein anderes Farbspiel und es ist die reinste Eyeball Massage, um Pipi zu zitieren. Ich habe mir die Fahrbeschreibung von Stephan ausgedruckt und dann über den Kanal und an den Gärten vorbei. Alles klappt gut und es regnet nur ein ganz klein wenig. Eigentlich nur ein Problem für Dauerwellenträger. Höhe Constantinstraße muss ich kurz anhalten um ein Foto von einem Bäckershop zu machen Coffee to go XXL. Sehr lustig. (Seit ich entdeckt habe, dass mein Handy für diese Fotos taugt und ich sie irgendwie für Buttermusch verwenden kann, tue ich das vermehrt und hoffe, dass ich Euch nicht zu sehr mit unscharfen Bildern auf den Geist gehe).
Der Weg mit Erinnerungen an frühere Fälle gepflastert. Ich fahre vorbei an der Wohnung der ehemaligen Pelikanmitarbeiterin. Der Frau ohne Geruchssinn mit der Katze in der Wohnung, die Möbel und Tapeten völlig zerstört hatte vor lauter Eingesperrtseit oder Frust oder Verhaltensstörung, wo mir immer Stunden danach noch übel war von dem Gestank der Katzenpisse und der Wohnung von Frau R., der früheren Radiomoderatorin, die getrunken und gekokst hat und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre Kinder schon verloren hatte, als sie nach einer Zechtour einen Schlaganfall hatte, nur dass der Typ mit dem sie nach Hause ging das nicht erkannte oder erkennen wollte und sie erst 3 Tage später in die MHH gebracht hat. Da war Vieles schon zu spät. Unterlassene Hilfeleistung war ihm nicht nachzuweisen. Sie hat den Schaden und kann nicht mehr sprechen und ist halbseitig gelähmt. Das sind beides Ex-Fälle. Sie habe ich aus der Wohnung eines Freundes mehrfach völlig desolat durch Alkohol ins Krankenhaus einweisen lassen müssen. Einmal hat mich das Patenkind von Stephan dort hingefahren, weil Gefahr im Verzug war. Das sind Bilder, die mir durch den Kopf gehen. Sie hat sich stabilisiert, wobei die Behinderung geblieben ist und wohnt jetzt auf dem Land und ich habe den Fall abgegeben.
Ich bin recht nervös, weil ich nur einen Schlüssel bekommen habe von die Wohnung W. von dem Sozialarbeiter und noch nicht mal weiß, ob der passt oder ob da vielleicht ungebetener Besuch sich eingezeckt hat und die Wohnung bewohnt und wann ja, in welchem Zustand (der Besuch und die Wohnung). Die Alkis vor der Tür sind uns behilflich mit der Hauseingangstür zu der Wohnanlage. Oben passt der Schlüssel und die Wohnung ist unbevölkert, der Balkon aber nicht. Auf dem Balkon, der recht schlecht mit einem grünen Netz abgehängt ist, was große Löcher aufweist, ist alles voller Taubendreck und die Dinger haben da noch Nachwuchs gemacht. Ich bin am Kreischen, aber der Mann für die Kostenvoranschläge ist Taubenzüchter, Brieftauben allerdings und wundert sich über meinen Ekel und meine Hysterie.
Auf dem Rückweg merke ich, dass heute ein besonders effektiver Tag ist, weil andauernd parallel Dinge passieren, die ich eingefädelt habe, aber bei denen ich nicht dabei bin. Übergabe eines Gewerbeobjekts in Stadthagen, Begutachtung zur Berentung mit Begleitung durch das betreute Wohnen. Das ist wie geklont sein und es passiert alles gleichzeitig und doppelt, wenn man gut organisiert. Toll.

Auf dem Rückweg lasse ich mich leider anlocken von einem neuen Doughnut-Laden, der Ballons vor der Tür gehisst hat. Schon der Hinweg kostete Überwindung daran vorbei zu fahren. Jetzt denke ich, vielleicht besteht die Möglichkeit, dass die mal lecker sind wie bei Krusty Kreme in England. Man machen die leckere Doughnuts. Die Regale sind fast leer und das junge Mädchen will mir was erzählen zu den Doughnuts. Da hätte ich eigentlich schon rückwärts rausgehen müssen. Nein, ich will nicht mit Gummibärchen und Nutellafüllung. Ich will erst mal die normalen mit Zucker probieren. Die sind superschlecht, alt und in schlechtem Fett gebacken. Ich muss sie mit zwei Kugeln Eis in Linden herunter spülen. Das ärgert mich etwas. Kann das nicht einmal lecker sein bei uns? So schwer kann es nicht sein und die Materialkosten sind überschaubar. Ich glaube schon, dass die Hannoveraner es auch zu schätzen wüssten, wenn es mal lecker wäre. Ich denke Keu-Deli, den Banh-Mi Laden in London in der Old Street mit den thailändisch gefüllten Baguettes. Der Flyer hängt in meiner Küche. Man müsste ja nicht 7 Varianten anbieten, sondern nur zwei und die gut z.B. mit mariniertem Schweinebauch und frischem Koriander und süß und scharf und eingelegter Rohkost gefüllt, etwas Fischsauce vielleicht Kimchi, hält sich auch und eine zweite Variante, vielleicht mit Paté. Das ist mein Traum. Ich hol mir mal einen Koch, der das kann und will und stelle ihn ein. Dann weiß ich wenigstens, wo ich mittags hingehen kann. Ich denke auch an die Falafel, die wir in Paris hatten und die mich leider versaut haben, weil hier alles schmeckt wie eine Backmischung. Die waren frisch mit Kräutern und knallgrün. Seit Jahren denke ich daran einen Bratwurststand mit den frischen Bratwürsten aus Bayreuth zu machen (das wäre allerdings auch eine Variante zum reich werden). Das duftet so lecker, da schließen alle anderen Wurstläden im Umkreis. Da bin ich mir sicher. Diese kleine Bude in der oberen Fußgängerzone von Bayreuth, vor der immer eine Schlange von mindestens 8 Personen steht und das hat einen guten Grund. Alternatives Fastfood hat dort keine Chance. Der Mc Doof hat geschlossen. Man isst ein paar frische Bratwürste, wenn man in der Stadt ist, oder auch drei in einem Brötchen, wie ich, mehr Trennkost.

Wieder im Büro bemerke ich eine SMS in meiner Sache I., ehemaliger Mitbewohner von Herrn A. Sein neuer Mitbewohner schreibt an die ambulante Wohnbetreuung: „Mein Name ist S., A. Sie waren gestern in ….haus wegen Herrn I. Herr I. ist seit 2 Tagen verschwunden und ich mache mir sehr Große sorgen, daß Ihn was passiert ist. Sie sind sein Betreuer und wurde Sie gerne bitten, daß Sie ihn suchen. Rufen Sie mal Krankenheuser, JVA, Polizei usw. Ich bin sein Zimmerkollege. Danke für Ihr Verständnis. Sg S.A.“ Ich rufe in der Einrichtung an und tatsächlich sind seine Sache da, aber er nicht. Da stimmt was nicht, denke ich sofort und rufe die Rettungsleitzentrale an als ersten Schritt. Die dürfen mir allerdings telefonisch keine Auskunft geben, so dass ich fluchs ein Fax schreibe mit meinem Anliegen und meiner Legitimation und es aufs Faxgerät lege. Es geht nicht durch und die Mitarbeiterin der Kollegin, Frau G. ist schon leicht genervt: „Frau A., Ihr Fax geht nicht durch“. Ist aber die richtige Nummer, habe nachkontrolliert, vielleicht haben auch andere Anliegen. Das Piepen der Wahlwiederholung nervt erneut und ich werde nervös, so dass ich ans Faxgerät trete und sehe ich habe ein Fax erhalten. Vom Amtsgericht. Es ist ein Haftbefehl. Herr I. sitzt in Untersuchungshaft. Mir fällt ein Stein vom Herzen, weil an die andere Alternative mochte ich gar nicht denken. Ich hatte neulich erst einen Todesfall. Das wollte ich nicht wieder. Er hat auch schon einen Pflichtverteidiger benannt und ich rufe den Kollegen an, der sehr gut und fähig ist und ich spreche die Sache mit ihm durch. Er wird ihn Freitag besuchen. So hat sich das mit dem Fax nicht Durchgehen auch erledigt hat, weil ich dann schön auf Abbruch drücken kann, bevor es uns noch mehr in den Wahnsinn treibt mit seinen akustischen Signalen, wie ein Tamagotchi, was am Verhungern ist.
Am nächsten Tag ruft mich morgens ein tuntig klingender Typ an und will wissen, ob ich zuständig sei für Herrn I. und ob ich wisse, dass er in der Schulenburger Landstraße sei. Ich rede mit ihm, sage was wir vorhaben, Herrn I. rausholen. Fluchtgefahr Blödsinn, dieser Typ hat keine gültigen Reisepapiere. Ausweis von der palästinensischen Autonomiebehörde. Das ist als würde Pipi Landstrumpf einen Pass für das Taka Tuka Land ausstellen und selbst die Landeshauptstadt Hannover schreibt in die Ausländerakte 2004, dass Herr I. wohl frühestens abgeschoben werden kann, wenn es einen anerkannten Staat Palästina gibt, also wenn die Hölle überfriert. Er findet mich wohl nett und sagt dann, sie sind doch auch Anwältin und so darf ich mit Herrn I. telefonieren und ihm Mut zusprechen. Nicht die Nerven verlieren, nichts sagen ohne Anwalt. Die Ohren steif halten. Ich glaube an seine Unschuld (tue ich im Übrigen in diesem Fall wirklich). Den Typen frage ich bevor er mich so kulant verbindet, ob er wohl Sozialarbeiter sei, weil Schließer kommt stimmlich echt nicht in Frage.