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29. Dezember 2013

Die Weihnachtsreise 13

20.12. Wir fahren schön nach Würzburg. Im Zug nur kurzes Generve mit einer Frau, die nicht akzeptieren will, dass ich zwei Sitzplätze benötige, weil wir zu zweit reisen, mein Mann aber nicht so schnell durchkommt mit dem ganzen Gepäck und meint fragen zu können, ob wir alle Bahncomfort Kunden seien. Selbstverständlich antworte ich. Sie bekommt gegenüber einen Sitzplatz, belegt aber auch gerne 3, wenn es geht. Neben ihr auf dem Sitz die Tasche und gegenüber die Beine ausgestreckt.

In Würzburg angekommen erwartet den Besucher eine trostlose Unterführung. In dem eckigen Tunnel wird man zum Hauptausgang geleitet. Es sind zwei „Jungbullen“ in alten tarngrünen Uniformen gerade dabei eine Gruppe Punker zu filzen und sich die selbstgedrehten Zigaretten genau anzuschauen. Sofort fühlt man sich in die 80er Jahre zurück versetzt. Wer sehen will, wie es in der ehemaligen DDR ausgesehen hat, der muss nach Wolfsburg in die Innenstadt, sage ich oder nach Helmstedt, meint zumindest unser Freund Marc. Wer wissen will, wie es in den 80ern war, der kann nach Bayern fahren. Wir haben ein Ziel. Schließfächer. Das eine nimmt kein Geld, also müssen wir die riesigen Koffer in die obere Etage hochwuchten. Ein Rentner beobachtet das alles und nervt mich schon. Das eine Schließfach hat Stephans Geld geschluckt und weigert sich das anzuzeigen, geschweige denn das Geld wieder herauszugeben. Schließlich ist alles verstaut. Stephan geht zur Information, wo der Typ seinen Schalter verlässt und uns zu den Schließfächern folgt und Stephan bekommt seine 4,- € wieder. Meine Laune ist bestens. Ich bedanke mich und fasse den Typen dabei am Oberarm an. Wir verlassen den Bahnhof und gehen entlang der Bahngleise durch die dunkle Stadt. Gegenüber ist ein Park. Irgendwann biegen wir rechts ab. Es ist schwer die Straßen zu überqueren und sehr fußgängerunfreundlich. Ich schimpfe schon wieder. Dann führt eine Treppe den Berg hoch und man geht direkt an den Weinstöcken, die beleuchtet sind, vorbei. Irgendwann ist da eine Treppe und es stehen junge Menschen draußen (unsere späteren Bedienungen). Wir erst mal weiter. Oben ist eine Hütte mit weihnachtlicher Beleuchtung, die ausschaut wie eine Skihütte und ein Plateau. Vorne eine Glasbau, in dem Weinverkostung und –verkauf stattfinden und ein spektakulärer Blick auf die Stadt und die Festung Marienberg gegenüber. Dann gilt es herauszufinden, wo wir einen Tisch reserviert haben. Alles heißt hier gleich Winzer am Stein, Weinhaus am Stein. Ich bin schon wieder am Schimpfen. In dem Restaurant angekommen, ist keine Bedienung weit und breit und ich hänge mein Zeug erst mal an die falsche Garderobe. Mein Hut muss mangels einer Hutablage in den Weingläserschrank verfrachtet werden. Wir sitzen, der Raum besteht aus Wänden mit offenem Mauerwerk und schlechter Kunst. In der Mitte ein eingemauerter Kessel, wie zum Bierbrauen. Die junge Bedienung mit den kleinen Plugs im Ohr schlägt einen Winzersekt vor. Pur oder mit weihnachtlichen Aromen, Bratapfel z.B. Wir nehmen jeweils eines und die Laune ist wiederhergestellt. Das Zeug ist echt gut und wird auch durch die gefälligen Aromen, die nicht künstlich schmecken, nicht versaut, sondern eher aufgewertet bzw. man kann immer abwechselnd trinken. Ich eher mehr als Stephan. Dann die Entscheidung, was gegessen wird. Das Menü ist nicht näher definiert. Auf einer Seite stehen die Inhaltsstoffe, aus denen es gemacht wird. Wir entscheiden uns dafür, dass Stephan das Menü nimmt und ich ausnahmsweise á la Karte esse. Erst mal kommt der Gruß aus der Küche. Stockbrot, was draußen am Feuer vor der Tür gemacht wurde und fettig und lecker schmeckt, mit einem Frischkäse gefüllt und an kleinen Holzstöcken, dazu Entenrilette, eine Zitronenbutter und einen kleinen Salat aus Rotkraut.

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Das schmeckt schon mal super und ich sage beim Abräumen, dass ich mich gerne zu dem Sommerlager anmelden möchte, bei dem das Stockbrot so lecker schmeckt. Es geht weiter und ich bekomme geräucherte und gebratene Gänseleber und einen Süßwein und Stephan eine lange Schwarzwurzel, die mit Lauchasche schwarz gemacht wurde, geräucherter Aal und anderen kleines Deko-Zeug. Beides sehr lecker.

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Der Koch kommt an den Tisch und wirkt sympathisch. Er kennt sich auch mit den Weinen sehr gut aus. Das gehört hier dazu. Dann der Zwischengang mit Pasta. Ich Kaninchen, er Kalbsbries. Gut, aber nur zwei kleine gefüllte Pastateilchen. Das empfinde ich immer als unbefriedigend. Es muss ja keiner Pasta anbieten, der kein Italiener ist, aber wenn, dann esse ich schon gerne einen kleinen Teller voll und nicht nur zwei. Stephan bekommt noch Fisch.

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Zum Hauptgang gibt es den einzigen Fremdwein, also der kein Hauswein, selbst hergestellten hauseigener Wein ist. Ich esse Reh mit Artischocke und Stephan Rind, Bürgermeisterstück, geschmorte Bäckchen und ein kleines Stück Zunge. Beides wiederum sehr lecker.

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Ich will eine Rauchpause vor der Tür machen. Stephan schaut beim Weinverkauf rein. Ich frage nach dem herrlichen Bauwerk gegenüber, was so schön mit blauen Lichterkette beleuchtet ist. das sei ein Baukran, lautet die Antwort. Ich verlasse daraufhin den Weinshowroom. Ich schaue auf mein Handy, schon wieder diese 0911-Nummer, die es gestern oder heute Morgen schon versucht hatte und ich war darüber hinweg gekommen zurück zu rufen. Das Hotel? Ich rufe zurück, es ist 20:02. Der Sommelier vom Essigbrätlein ist am Telefon, dass wir heute einen Tisch für 4 Personen bei ihnen reserviert hätten. Ich sage, das kann nicht sein, mein Mann hat noch versucht für Morgen einen Tisch zu bekommen. Es muss ein Missverständnis sein. Ich gebe den Hörer an Stephan ab. Jetzt ist die Stimmung deutlich getrübt, weil das unser Lieblingsladen ist und das echt scheiße ist. Der Sommelier hat zu Stephan gesagt, dass man da nichts machen könne und wir doch immer so zuverlässig gewesen seien. Wir haben beide ein schlechtes Gewissen, aber irgendwie bin ich mir keiner Schuld bewusst. Es stimmt schon, dass wir vorletztes Jahr für letztes Jahr vor Weihnachten gleich einen Tisch bestellt haben, mit der Angabe, mindestens 4, vielleicht auch 12 Leute. Dann wurde im Vorfeld telefoniert und es blieb bei 4. Es mag auch sein, dass ich letztes Jahr Weihnachten gesagt habe, dass beim nächsten Mal der Sommelier wieder da sein soll, aber das war nur so ein Spruch und keine verbindliche Tischbestellung. Es wurde so eingetragen, dass ich das gesagt habe. Hilft nichts, weiter im Hier und Jetzt. Ich werde denen einen Entschuldigungsbrief schreiben, dass sie keine Tischbestellungen von der betrunkenen Tante mehr entgegennehmen sollen, nur noch per Fax. Beim Nachtisch können wir uns nicht entscheiden. Ich will fränkische schwarze Walnuss und der gebackene Camembert mit Preiselbeere, der ganz anders sei als gedacht und von der Bedienung empfohlen wird, klingt auch wie ein Must. Wir nehmen beides. Stephan bekommt den Nachtisch aus dem Menü, ein Cheesecake mit deutlicher Salznote. Die schwarze Walnuss ist sehr lecker, mit Eis dazu, aber der Camembert, der von einer kurzhaarigen, tätowierten Frau serviert wird, ist der Oberhammer. Sie stürzt das Törtchen. Es ist ein sehr fluffiges Sufflé, wie ich es noch nie so gegessen habe mit einem flüssigen Käsekern, sehr flüssig, fein und dezent und dazu frische Preiselbeeren und etwas Birne, sehr dünn geschnitten. Toll, toll, toll.

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Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt und es ist eine tolle Location. Ich bin mir sicher, das wird nicht unser letzter Besuch gewesen sein. Wir nehmen den Zug um 21 Uhr etwas, der leicht Verspätung hat. Christian Wulf arbeitet jetzt offenbar in Würzburg bei der Bahnhofsmission.

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Stephan will unbedingt ins Essigbrätlein und noch eine Nachtisch essen und sich entschuldigen. Im Hotel sollen wir einen Gutschein vorzeigen, den wir zugeschickt bekommen, aber nicht dabei haben. Wie gucke ich wohl? Auf dem Zimmer sind die Betten getrennt. Das war’s dann für heute. Wir schieben sie zusammen. Ich genieße noch einen Blick nach draußen und dann heia. Hier ein Foto vom Fenster am nächsten Morgen. Etwas Nebel, aber auch Stimmung. Vor uns der Handwerkerhof mit einem Bratwursthäuschen mit rauchendem Kamin.

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21.12. Gutes Frühstücksbüffet im Victoria, mit Käse-Wurstsalat mit Essig-Öl Dressing und leckeren Früchtequarks und – joghurt und Birchermüsli, sowie Frenchtoast. Es sind viele schwule Amerikaner da. Gut, auch ein Pärchen was wir kennen sammelt alten tschechischen Christbaumschmuck… Das Hotel ist ausgebucht. Die Heteros fahren zum Münchner Oktoberfest, aber die Rentner, die Schwulen und die Familien pilgern nach Nürnberg. Home of Christmas. Christmascapital of the world. Ich habe mein Dürerhütchen auf. Neben mir eine gepflegte Rentnerin, die sagt, wunderschön. Ich sage: danke. Sie stiert mich weiter von der Seite an: beautiful und dann: verstehen Sie deutsch und ich: ja, deswegen habe ich danke gesagt, merci, thank you. Ich soll nicht immer so genervt sein, aber ich will nur in Ruhe frühstücken. Sie gesellt sich zurück an den großen Familientisch mit amerikanischen Kindern und Enkeln. Neben Amerikanern, sind auch Japaner stark vertreten. Wir sind um 10 Uhr im Café Neef verabredet mit Christian und Andreas. Auf dem Weg dorthin immer wieder Touristen. Japaner, die Metzgeien filmen, in denen eine Frau hinter dem Tresen (Straßenverkauf) steht und der Rauch der Bratwürste sie umgibt. Ich sage zu Stephan: wie wir in Japan. Alles ist different und interesting. Im Neef kann ich nicht noch mal frühstücken. Stephan nimmt einen Lebkuchenstrudel mit Vanillesoße zur Einstimmung.

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Ich sage den Jungs, dass mich hier alle anstarren in Nürnberg und ob sie da bitte etwas dagegen unternehmen könnten. Ich übergebe den Kalender, der mäßig gut ankommt, obwohl viele Fotos der Beschenkten enthalten sind und zu diesem Zweck nachgemacht wurden. Wir gehen auf den Christkindlesmarkt und beobachten, wo die Einheimischen Lebkuchenware für Hamburg einkaufen. Ich rede etwas Englisch und kommentiere Tücher und anderes textiles Zeug „this is not really Christmassy, it’s just stuff they’re selling“. „These are the really small local sausages“. Ein Stand mit kitschigen Tieren aus Stein. Ich fasse eine Robbe an und bekomme gleich einen Anraunzer aus dem Hintergrund, „nicht mit Handschuhen“. Ich sage, dass ist doch besonders vorsichtig und fröhliche Weihnachten auch. Der Typ ist ein Arsch. Ich muss trotzdem eine weinrote Vogelspinne mit gelben Augen kaufen. Ich glaube, er hat mir falsch rausgegeben und habe den Tag über noch viele Phantasien, die davon handeln, wie ich mir noch eines kaufe und es demonstrativ auf den Boden zu werfen, wo es in Stück zerbricht bis hin zu, ich bin auf dem Pferd und trampele seinen Stand kaputt. Wir gehen zu Lösch, einem legendären Küchenausstatter und suchen eine neue Pfeffermühle aus. Unsere ist die Pest und ich wünsche mir eine neue. Am liebsten mag ich die meiner Eltern, die sie zur Hochzeit geschenkt bekommen haben aus dem Jahr 1966, schlicht, aus Holz. Wir finden eine ähnliche. Gute Beratung. Das Mahlwerk wird ausgetauscht, Pfeffer bekommt ein Keramikmahlwerk. Die Pfefferkörner sollen nicht zu groß sein, weil sie sonst nicht durchfallen und der rote Pfeffer verklebt die Mühle. Es ist das Weihnachtsgeschenk meiner Eltern neben Vogelbeergelee und Vogelbeersaft von meiner Mutter (fast die komplette Ernte 2013). An der Kasse werde ich gefragt, was das für eine Tracht sei, die ich trage. Das können die sich nicht vorstellen, dass einer selber so was zusammen stellt oder einfach so trägt, sondern die Bayern denken immer in Uniformen. Ich kaufe den Jungs ein Küchenhandtuch. Wenigstens das kommt gut an. noch in einen Laden mit englischen Produkten auf der Suche nach Oxfam, dann ins Kunsthaus und dann folgt der Abschied. Wir gehen noch mal aufs Hotelzimmer und entspannen etwas. Stephans Cousin mit Familie, die wir 8 Jahre nicht mehr gesehen haben, kommen um 16 Uhr statt um 14 Uhr. Sie kommen tatsächlich kurz vor halb 5 und parken in der Tiefgarage des Hotels. Die Jungs haben die Köpfe nach unter gebeugt und wir machen uns erneut auf Richtung Christkindlesmarkt. Dort ist gerade Rushhour. Als wir an einem Lebkuchenstand halten, erkennt mich die Verkäufer und stellt fest, dass ich heute schon mal da war. Ich will einen Spaß machen und schaue zur Seite auf unsere Begleiter und sage; „nein, wir kennen uns nicht. Ich bin das erste Mal da“. Da mischt sich vehement ihre Kollegin ein und sagt, sie erkenne meinen Zylinder und ganz bestimmt sei ich es. Humor? Hoffnungslos. Die Frau meines Cousins macht ein paar Stimmungsfotos von den Bergen mit Lebkuchen, der Postkutsche, der Weihnachtsturm mit Figuren, der sich dreht. Es ist einfach nur voll und lauter trinkende Gruppen sind unterwegs. Volker gibt eine Runde Glühwein aus und das tut gut. Anschließend gibt es von seiner Frau eine Mentholzigarette, die ich bis zum Filter aufrauche. Wir müssen ins Steichele. Dort ist es sehr gemütlich und lecker. Die Kinder sprechen nicht nur spanisch, sondern auch akzentfrei Deutsch. Der ältere schaut auf Papas Handy Fußballergebnisse und der jüngere zeigt mir auf Mamas Handy das Spiel Minion Race. Ich sage, gut dass ihr zwei Eltern habt, schon alleine wegen der Handys. Der Kleine wird vertraulich und rückt immer näher an mich heran. Er kann Zahlen bis 100 schreiben und ich lobe ihn dafür. Die Reste der Gans werden eingepackt und wir machen uns auf den Weg zurück zum Hotel am germanischen Nationalmuseum vorbei und an der Stadtmauer entlang. Abschied. Die Familie fährt zurück nach Ingolstadt und wir beschließen uns mal in München zu treffen. Das ist für sie auch nur 1 Stunde entfernt. Stephan ist unzufrieden und will noch mal auf den Weihnachtsmarkt und Glühwein trinken. Ich verweigere mich. Ein Lebkuchen auf dem Hotelzimmer reicht ihm dann auch.

23.12. Wieder Frühstück. Eine ältere weibliche Aushilfebedienung fragt nach Kaffee. Stephan bestellt einen doppelten Espresso-Macchiato und sie stellt darauf fest: „also keinen Kaffee“.  Sehr lustig. Beim zweiten ist die Maschine kaputt. Wir checken aus nachdem unser Nachbar, der einen Schlüssel für unsere Wohnung hat uns mit dem Einscannen und Weiterleiten des Vouchers den Arsch gerettet hat. Das Gepäck bleibt da. Wir gehen in den Bahnhof und lassen und beraten. Es wird ein Oberfrankenticket plus. Dann geht es bei Sonnenschein zum Friedhof, unser Grab besichtigen. Irgendwas stimmt nicht. Ich bin ausnahmsweise besser orientiert als mein Mann. Das ist bedenklich. Ich hatte vor der Reise die Idee eine Grabschleife fertigen zu lassen mit dem Aufdruck: „hier wohne ich bald“, aber das war zu kurzfristig. Ich werde es nächstes Jahr umsetzen. Dieses Jahr habe ich ein Bindie mit den betenden Händen von Dürer, weil dieses Motiv auf unserem Grab zu finden ist aus den Todesanzeigen der Haz herausgeschnitten und mitgebracht für unsere kleine Fotosession.

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Ein Eichhörnchen ist furchtlos und hüpft von Grab zu Grab um in den Schalen nach Eßbarem zu schauen. Er grast sie systematisch ab. Stephan meint, er will Kerne aus Zapfen. Als ich in seine Richtung gehe, kommt er auf mich zu. Springt er mir gleich an den Hals und hat Tollwut? Was ist eigentlich ein Kunstanstaltbesitzer? Gutes Wort jedenfalls.

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In der Nähe des Friedhofs sind exquisite Geschäfte zu finden.

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An der Haltestelle, wir warten auf die Tram, schaue ich auf den Plan und entdecke die neuen Fahrpreise, die ab 2014 gelten. Ein betrunkener Jugendlicher kommt aus einer Spielothek getorkelt und will die Uhrzeit von mir wissen. Als ich ihn negativ bescheide, will er wissen, warum ich auf den Plan gucke, wenn ich keine Uhr habe. Das geht Dich nicht an, zieh weiter, kommt die freundliche Antwort von der Tante. Stephan sagt ihm zuvor die Uhrzeit nach der Funkuhr.

Wir gehen noch auf den St. Rochus Friedhof um mal einen Vergleich zu haben, ob wir vielleicht falsch gebucht haben, der gleich beim Plärrer ist, also mitten in der Stadt.

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Ist doch klar, dass Nürnberg nicht nur einen, sondern gleich zwei so spektakuläre Friedhöfe hat, die wir wunderschön finden. Die Gräber als weiche Mooskissen.

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Dietrich liebt die lateinischen Sprüche und will auch für unser Grab so ein Motiv. „Ultima latet“, was übersetzt wohl soviel heißt wie: Die letzte Stunde liegt im Verborgenen. Ja, latent, überall ist das Latein. Hier finden wir ein schönes „Per aspera ad astra“ und daneben ein schönes Haus aus Metall.

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Auch diese Ruhestätte ist noch in Betrieb und es sind etliche frische Gräber. Ich schaue mir die Schleifen genauer an, weil ich so eine auch machen lassen will. Wer schreibt eigentlich einen Dankestext auf eine Grabschleife? Das ist Schwachsinn. Zu Lebzeiten soll man sich bedanken und nicht bei einem Toten. Es bringt nichts. Wir gehen einen Kaffee trinken und neben uns sitzt ein alter Boxer, die viel bettelt. Herrchen isst das Frühstücksbüffet und ist streng mit ihm, aber nicht konsequent. Die Erziehung funktioniert also nicht.

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Wir fahren mit der U-Bahn zum weißen Turm und gehen ins Bratwursthäuschen bei der Sebalduskirche. Wie immer sitzen wir zwischen anderen Touristen. Es sind wieder junge Japaner dabei. Die Bedienung heißt Bianka und benutzt Körpersprache um zu signalisieren, die Gäste aus Fernost sollen durchrutschen. Herrlich. Das junge Pärchen teilt sich eine Portion von 8 mit Kraut. Wir nehmen jeweils 8 mit Kraut und 8 mit Kartoffelsalat und Meerrettich extra und eine schwarze Johannissaftschorle und sind dann wieder weg. Wir gehen noch mal auf den weltberühmten Jahreszeitenmarkt um selber Tonnenweise Lebkuchen einzukaufen und ich will Eierpunsch trinken. Den gibt es in kleinen roten Stiefeln, die 3,- € Pfand kosten.

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Die Gasse in der wir gestern standen und den Glühwein getrunken haben verstehe ich heute besser. Gestern standen wir im Dunkeln vor einem Stand mit französischen Keksen und Marmeladen und ich dachte noch, na ja, die verkaufen halt alles von dem Weihnachtsmarkt, heute sehe ich, dass die Gasse überschrieben ist mit Passage der Partnerstädte und der Stand von gestern war Nizza. Es gibt auch Antalya, Atlanta und Glasgow und hier ist es irgendwie netter, als der ganze Weihnachtskitsch mit Ostflair. Ich kaufe was Schönes am griechischen Stand für meine Freundin Sunla und Stephan trinkt einen spanischen Glühwein mit Anisschnaps. Nach dem Lebkucheneinkauf noch einen Abschiedskaffee im Di Sumo auf der Brücke.

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Die Sonne scheint, wir laufen noch etwas am Fluss entlang. Zuvor noch ein Blick auf die Burg/Altstadt.

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Stephan sucht ein Kino. Hier laufen Vorstellungen bis 2 Uhr morgens. Wir werden fündig. Es sind viele Fußballproleten von gestern unterwegs, die der Meinung sind, dass Fasching oder Karneval in Rio Dinge sind, die mir gesagt werden müssen. Weil wir noch Zeit haben, gehen wir noch mal in den Museumsshop des Neuen Museums und trinken einen zweiten Eierpunsch. Dann fahren wir um 14 Uhr etwas Richtung Bayreuth. Da wir 20 Minuten zu früh am Gleis sind bekommen wir auch noch Sitzplätze. Gegenüber sitzen Ossis, die von einer Fernreise wiederkommen. Der Sohn ist aufgeweckt und redet als Einziger. Er will wissen, ob ein Truthahn größer ist als ein Flamingo und da wo sie waren ist jetzt Nacht. Ich tippe auf Florida. Der neue Mann von Mama heißt Lutz. Wir werden abgeholt, zuhause ist der Baum schon geschmückt. Er ist recht minimalistisch und hat wenig Zweige, war aber wohl teuer. Stephan hat einen Blick dafür und findet ihn edel, die blauen Nadeln. Ich finde er sieht japanisch aus. Wir läuten das weihnachtliche Doppelkopfturnier ein. Dazwischen gibt es Abendbrot u.a. mit dem Käse aus der Feinkostabteilung in Nürnberg. Wir spielen weiter bis wir müde sind bzw. ich will die Helmut Schmidt Doku sehen und denke, etwas Fernsehen kann nicht schaden zum Einstieg. Nachts finde ich den Ausgang aus dem Zimmer nicht und muss das Licht anmachen!

23.12. Wir kann man den letzten Werktag des Jahres sinnvoll nutzen? Meine Mutter muss wegen ihrer neuen Brille zum Optiker. Ich sage, Stephan und ich müssen schon seit Monaten zu so was. Wir gucken immer schlechter und Stephan, er will keine Brille vor 50 und ich halte es für kriminell, weil er diese ganzen online Überweisungen macht. Mein Mutter ruft an und wir haben um 15 Uhr einen Termin beim Optiker des Vertrauens meiner Eltern. Stephan geht vormittags schon in die Stadt und will in die Rotmainhalle zum Wochenmarkt und mir eine Bauernbutter besorgen. Ich bin Einzelkind und es gibt Pasta mit Steinpilzen. Es war Steinpilzjahr und die Stücke sind riesig, ein paar Maronen sind auch dabei für den Geschmack. Sehr lecker was hier aus der Tiefkühltruhe hervorgeholt werden kann. Mittagschlaf. Dann wieder selbstgebackene Plätzchen und um 14:20 Uhr nehmen wir den Bus in die Stadt und treffen Stephan beim Novello, einem italienischen Feinkostgeschäft was von einem schwulen Pärchen geführt wird. Meine Mutter sammelt die Punkte, die es für den Einkauf gibt. Nudeln werden nachgekauft. Mein Vater stellt mal wieder fest, dass es auffälliger ist mit mir durch die Stadt zu gehen als mit meiner behinderten Schwester. Ich schnappe ein und sage, dass er vorgehen soll und ich ihn nicht kenne. Es nervt mich, dass ich nicht so sein kann, wie ich will und mir fällt das viele Geglotze natürlich genauso auf (die Nerven). Nach einem Abstecher in der Kurzwarenabteilung geht es zum Optiker. Herr Engelbrecht läuft meiner Mutter schon entgegen. Als sie angekündigt hat mit ihrer Tochter zu kommen und da müsse schon seit Jahren was gemacht werden, denken sie meine behinderte Schwester wird kommen und holen das alte Messegerät aus dem Keller, was schnellere Messungen macht. Jetzt wo ich es bin, kann das wieder weggebracht werden. Herr Engelbrecht misst mich und Stephan über 2 Stunden aus. Ich soll eine Lesebrille bekommen und Stephan sieht noch schlechter. Während er noch Stephan bearbeitet suche ich ein Gestell. Ich will nicht so eitel sein. Irgendeines muss her. Leider habe ich keine Erfahrungen was mir steht und ausnahmsweise auch keine Meinung oder wenig Meinung. Bei Kleidung habe ich nie Zweifel, hier könnte ich Beratung gebrauchen. Mein Vater mag ein dezentes Metallgestell, unten offen mit Reptilienprägung oben. Ich hatte mir eine dicke Brille, die nostalgisch aussieht und bei der mir die Plastikschichten, die mehrfarbig sind gefallen ausgesucht. Herr Engelbrecht sieht diese und sagt ohne die Vorgeschichte zu wissen, das sei die richtige für mich. Ich kann sie Freitag abholen. Bei Stephan wird die Brillenwahl heikler, weil die alle hinter den Ohren drücken und weh tun, so dass er sie nicht tolerieren kann und Bewegungen macht, wie ein Tier was die Pfote in der Falle abbeißen will. Es geht also weniger um die Optik als darum, was die Mimose überhaupt duldet. Die junge Azubine bringt eine Sportbrille von Lacoste oder was weiß ich welcher Marke mit weichen, farbigen Gummiverlängerungen an den Bügeln, die hinter dem Kopf per Magnet verschlossen werden. Die muss Stephan voll ausfahren um sie um seine Kartoffel herum zu bekommen. Das bunte Gummi auf dem rasierten Schädel. Das geht gar nicht. Er bekommt ein leichtes Metallgestell mit Bügeln, die gerade sind und nur aufliegen und nicht hinter den Ohren drücken. So 23.12.2013. Der Stichtag an dem die Zeit der Brillenlosigkeit endet. Ende unserer Jugend, wie Stephan meint. Wir trösten uns am Bratwurststand und anschließend fordere ich Stephan auf mir und Dietrich einen Eierlikör in der Süßen Quelle zu besorgen, während ich noch mal einen Wollladen aufsuche wegen Stopfgarn. Stephan kauft einen sehr leckeren mit Kirschwasser. Im Laden will ein Kunde Bier und wird abschlägig beschieden, weil es sich um ein Süßigkeitsfeinkostgeschäft handeln würde und sie kein Bier verkaufen. Ein anderer Kunde will einen Rotwein aus Franken für unter 10,- € die Flasche. Der Verkäufer schlägt einen für 12,- € vor, ausgezeichnetes Preis-Leistungs-Verhältnis, wie er dem Kunden erklärt, der ablehnt, weil der Preis nicht mit seinem Auftrag übereinstimmt. So deutet es Stephan. Männer mit konkretem Kaufauftrag. Meine Mutter ist noch beim Akustiker wegen der Hörgeräte. Neulich war ein Stöpsel von dem Hörgerät in ihr Ohr gefallen. Die Entfernung war wohl sehr schmerzhaft. Entsetzt habe der Akustiker sie angeschaut nach einem Blick ins Ohr, so dass sie gar nicht wusste, was da so Schlimmes drin sein konnte. Würmer, die rauswachsen. Der Mann flirtet deutlich mit mir und ist auch in meinem Alter. Es reicht mir allerdings, dass ich Herrn Engelbrecht heute kennengelernt habe. Wir gehen ins Café an der Oper. Es ist Viertel vor 6 und um 6 schließen die. Wir trinken heiße Schokolade und nehmen dann ein Taxi nach Hause. Dort fahren wir mit Dietrich noch mal zu Real. Letzte Besorgungen machen. Hier wird mein Hütchen nicht nur kommentiert: „süß“, sondern auch von einer Frau angefasst. Ich fühle mich ausgeliefert bei so viel Distanzlosigkeit. Bin ich im verdammten Streichelzoo, dass mich eine fremde Frau einfach anpackt. Schnell wieder ins Private. Etwas Abendbrot und dann wenden wir uns wieder dem Spiel zu mit den Rentnerkarten, die wir in Nürnberg besorgt haben mit extragroßen Zeichen drauf. Sehr angenehm. Hier fühle ich mich zu den vielen Steiff-Tieren hingezogen und bedauere, dass ich keinen Grund habe, eines auszusuchen.  Die haben es echt drauf mit dem Ausdruck und der Herstellung von Stofftieren. Dafür nehme ich den Steiff-Katalog mit und schlachte ihn ordentlich aus beim Kartenbasteln. Morgen wollen wir um kurz vor 8 meine Schwester aus dem Heim abholen. Wir gehen zeitig ins Bett.

24.12. Werde um 6:30 Uhr wach. Der Himmel über dem Wasserschutzgebiet ist viel schöner als das Foto es erahnen lässt.

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Als ich um 7 Uhr schon fertig bin, mache ich die Rohmasse für die Quarkklösschen, die ich mir für Heiligabend gewünscht habe. Ein Rezept meiner Oma. Reformhauskost mit Hirseflöckchen. Wir holen Steffi. Auf dem Rückweg halten wir beim Bäcker. Ich bekomme einen Premiumstollen für zuhause. Lasse mich noch vom Chef persönlich beraten. Etwas Mittagessen, dann der tägliche Mittagschlaf. Heute schlafe ich wirklich. Kaffee und Butter in Keksform, dann ein Spaziergang durch die Nachbarschaft. Dann duschen und aufhübschen. Um 16:40 Uhr gibt es singen unterm Baum und Bescherung. Von mir gibt es Kalender für meine Eltern und Stefanie. Wir trinken 2 Flaschen Sekt und tätigen im gelockerten Zustand diverse Telefonate. Ich bin entschlossen mit meinem Mann auszugehen, deswegen habe ich mich auch aufgebrezelt. Ich trinke Espresso. Meine Eltern kündigen an um 9 Uhr ins Bett zu gehen, statt dessen, spannendes Kartenspiel bis 1:30. Da habe ich auch keine Lust mehr. Draußen ist es dunkel und kalt und was soll ich da? Ich kenne da keinen. Die Oberfranken amüsieren und was hab ich davon? Der Misanthrop in mir setzt sich einmal mehr durch. Stephan, der erkältet ist, schläft. Ich kann nicht einschlafen und überlege zu basteln, aber das ist auch zu stressig.

25.12. Stephan schläft. Ich fahre mit meiner Mutter und Steffi zu den Enten. Mittags gibt es Gans und Sauternes. Die Gans ist superlecker.

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Ich helfe beim Anrühren der Sauce, weil mein Vater eine Schulter-OP hatte und noch deutliche Einschränkungen hat. Er muss im Stehen die Karten austeilen. Meine Mutter unterstellt ihm, dass er simuliert. Am ersten Morgen will ich ihm Yoga-Übungen zeigen, mir fällt aber nichts Dolles ein. Jedenfalls soll er nicht die Luft anhalten, wenn er versucht den Arm nach oben zu schleudern. Atmen, atmen, atmen. Nach dem Gänseessen Mittagschlaf. Stephan passt auf Steffi auf und macht den Abwasch. Heute kann ich keine Plätzchen essen, so satt bin ich. Wir schauen den Film vom Familienfest. Meine Gästevorstellung, die über 1 Stunde dauerte und als Performance gelobt und gepriesen wurde, ist fast komplett dokumentiert. Wie lustig und genial ich das gemacht hätte. Ich selber finde nur meine Stimme schlimm, weil sie außerhalb meines Kopfes sehr nervig klingt und sehe auch deutlich, dass ich einen Buckel habe. Ich sehe aus, wie meine Oma. Heute nur ganz kleines Abendbrot. Was wir danach gemacht haben dürfte allen aufmerksamen Lesern klar sein.

26.12. Ich schlafe mal bis 9 Uhr. Bam! Ich träume, dass das Patenkind von Stephan, Constantin nicht tot ist, sondern von seinen Eltern in die Psychiatrie eingewiesen wurde und jetzt wieder auftaucht. Sehr skurriler Traum. Meine Schwester ist sehr schlecht drauf. Nach dem Mittagessen bringen wir sie zurück. Meine Mutter ist deutlich am Ende mit ihren Kräften und schläft etwas im Auto. Hier einige unverfängliche Ansichten aus dem Heim.

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Nach dem Mittagschlaf und dem Kartenspiel fährt uns ein unsympathischer Franke mit seinem Taxi in die Stadt. Auf die Frage, ob er es gut gefunden hat, verweist er auf das Schild, dass kann jeder außer ein Depp oder ein Russe. So ein Herzchen. Im Wolffenzacher ist wenig los. Holzvertäfelung. Komponisten hängen gerahmt. Stephan traut sich nach Karten zu fragen. Wir trinken wieder fränkischen Sekt aus Würzburg. Wir werden durch das Menü getrieben, d.h. die Vorspeise kommt sofort und das Hauptgericht 5 Minuten zeitversetzt und dass wir mit der Vorspeise noch nicht fertig sind, interessiert den Kellner nicht. Ich hatte den hausgebeizten Lachs mit „pfannfrischen Baggala“, das sind Kartoffelpuffer aus Kartoffelklossteig, schön fettig und Feldsalat dazu. Dann hatte Stephan die Roulade mit Klößen und ich den Saibling.

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Meine Mutter trinkt einen Espresso und kündigt an, die Nacht durchspielen zu wollen. Dann bekommt sie einen Spielspruch von Stephan in den falschen Hals und es ist aus. Wir haben Verständnis, aber vermitteln kann ich auch nicht. Heute hilft nichts mehr. Schlaf muss her. Wir trinken mit meinem Vater Haarer Schnaps Zwetschge und planen ein Treffen in Stuttgart 2014. Außerdem geht es etwas philosophisch daher und wir stellen alle drei fest, dass wir eine große schwarze Null geschrieben haben im Leben und alles was noch kommt einfach noch mehr oben drauf ist, wie ein Füllhorn, was überläuft. Noch eine tolle Reise, noch ein gutes Essen….

27.12. Der Frühstückstisch ist gedeckt mit Käse und frisch gepresstem O-Saft. Die Putzfrau ist da. Wir packen. Dann noch eine Aussprache, dass wir den Vorabend nicht übel nehmen und Verständnis für Übermüdung und Überforderung haben. Ich sage, ich mache so was 1-2 mal die Woche und wenn die Familie das nicht aushält, wer dann. Mit deutlich besserer Laune fahren wir in die Stadt meine Brille abholen. Ich steuere zunächst auf ein Antiquitätengeschäft zu und kaufe 3 kleine gerippten bunte Weingläser für die Puppenstube sowie eine Bettflasche aus Metall mit einem Verschluss, den man öffnen kann und einem kleinen Fernseher, der postkartenartige Ansichten von Oberfranken zeigt. Das gibt es für 15,- €. Mir kommt es teuer vor, aber ich will das Zeug unbedingt zum Basteln. Die Inhaberin hat mir angeblich einen guten Preis gemacht, weil sie meine Eltern kennt. Auf dem Weg zum Optiker holt Stephan seine Taz und eine Frau, die sich bei einer älteren Frau eingehackt hat strahlt mich an. Ich habe sie nicht erkannt, es ist eine ehemalige Klassenkameradin, die sich am Telefon immer gemeldet hat mit der Ansage: „hier ist die Tochter von Prof. Hausmaus“. Oh Gott, wohnt die hier immer noch, vielleicht auch nur für Weihnachten zu Besuch. Meine Brille wird angepasst. Ich frage Stephan, wie er sie findet und er sagt laut: „potthässlich“. Ich lache hysterisch, weil ich den Spruch so sau cool finde, aber die jungen Mitarbeiter des Brillenfachgeschäfts sind geschockt und beschwichtigen, wie gut mir die Brille stehen würde und das ich gut aussehen würde. Jetzt fehlt nur noch das Wort „modisches Accessoire“ für diesen Krückstock.

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Wieder finden wir Trost am Bratwurststand am Sternplatz.

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Der Bratwurstgriller kennt mich und fragt, ob wir mal wieder in der Stadt seien. Ähhh? Nein oder wie lautet die Antwort darauf. Ich gehe noch in das Teegeschäft meines Vertrauens. Ich hocke am Boden vor dem Regal mit den Rooibuschtees und Stephan steht hinter mir. Die Verkäuferin will wissen, ob sie ihm helfen kann. Er: „Ich passe nur auf, dass sie nicht zu viel kauft“. Dann solle er doch lieber rausgehen ist das Fazit der Bedienungen. Das sei offenbar schlecht fürs Geschäft. Dann legt er nach und sagt: “Ich passe nur auf, dass sie nicht wieder klaut“. Das sei gut, finden dann die Frauen. Dann geht es in die Metzgerei meines Vertrauens. Die Verkäuferin ist der Hammer. Sie weiß, dass ich alles eingeschweißt will. 2 paar Weißwürste, dann die hausgemachte Salami italienischer Art. 100 gr. eingepackt und 100 gr. eingeschweißt (das war ihr Vorschlag), grobe Bauerstreichwurst, eine Walnusssalami, die noch lieber genommen als die andere und schließlich die Leberwurst mit Cranberries. Die ist der Hammer. Letzte Station beschwipste Krapfen. Es handelt sich dabei um Windbeutel. Leckerer Brandteig, prall gefüllt mit frischer Sahne mit Kirschwasser und zwar so deutlich, dass man leicht einen sitzen hat nach dem Verzehr am Vormittag.

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Dann gehen wir auf einen Kaffee ins Rossi. Der Laden ist einfach cool und der Kaffee sau lecker. Es ist gemütlich und nostalgisch mit Zuckerwürfelsammlungen in Holzkästen an der Wand. Die Strega-Flasche nach der wir mal gefragt haben war auch nur zur Deko, aber egal. Vorher sind wir endlich fündig auf der Suche nach Propolis. Das stark alkoholische Wundermittel gegen Erkältung. Das ist so ein Bienenkram, mit dem die ihre Waben einschmieren um den Nachwuchs gegen Bakterien zu schützen, quasi Bienenantibiotikum.  In der Mohrenapotheke mit der Orchideensammlung im Fenster werden wir fündig. Sie stellen es selber her und es steht auf einer vorderen Position. Der junge Kerl mit dem gut trainierten Oberkörper, der uns das Zeug verkauft gefällt mir auch. Jetzt haben wir noch so viel Zeit, dass wir noch mal zu meinen Eltern nach Hause fahren auf die letzte Runde Karten. Es wird nicht mehr aufgeschrieben. Dann Zugfahrt und meine ersten Experimente mit dem neuen Nasenfahrrad. Die Ferne ist deutlich unscharf, aber der Nahbereich so was von vergrößert. Die Schrift in meinem Buch, das Gesicht meines Mannes. Glücklich komme ich in Hannover an. Keiner glotzt mich an und zeigt mit dem Finger auf mich. Der Rentnertaxifahrer ist ruhig und sympathisch und im Radio läuft Hannoveraner Dialekt nach dem Ganzen „a wenig“. Ein spröder Typ, der erst einen Mischlingshund (englische Bulldogge) vermitteln will. Er hat nur einen Baum (häh, denkt man, es geht dann aber um den Weihnachtsbaum und die Moderatorin leitet über und sagt was davon, dass wenn eine Frau da wäre, würde er opulent Weihnachten feiern), also geht es dann doch darum eine Frau kennen lernen. Die soll humorvoll sein, weil er habe den Humor seiner Mutter geerbt und darauf sei er stolz und sie soll nicht zum Lachen in den Keller gehen. Aussehen ist nicht so wichtig, sie muss nicht 24 sein. Hauptsache, sie ist spontan und auch mal verrückt und man dachte, dann passt sie ja gar nicht zu dem langweiligen Sprecher, der sich das alles wünscht. Ich sage, also den Hund würde ich nehmen. Ich bin wieder zuhause und fühle mich ganz gelöst. Den Lebkuchen haben wir im Gepäck.

Zuhause wartet Weihnachtspost, darunter ein Brillentuch von Pipilotti Rist mit einem Motiv ihrer Kunst mit dem Hinweis, Mikrofaser, waschbar, Brillen- oder Bildschirmputztuch. Die Frau muss Hellseherin sein! Es ist schließlich der erste Tag meines Daseins als Brillenschlange.